Einzelbild herunterladen
 

Nr. 261.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer

6 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band  : Deutschland   u. Desterreich­Ungarn 2 M., für das übrige Ausland 3 Mt. pr. Monat. Eingetr. tu ber Post Beitungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.

Norwärts

12. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr vormittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  ".

Berliner   Bolksblatt.

the midsolen

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Benth- Straße 2.

Donnerstag, den 7. November 1895. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3:

das unheilvolle Projekt der Annexion von Elsaß- Lothringen   wollen und Vertrauen schenken, das Lord Rosebery   in Die orientalische Frage verzichtet, dann wäre die russische Erklärung eine ohn- seinem und seiner Freunde Namen für diesen Fall ver­ist wieder aufgerollt, so schrieben wir gestern; und daß dies mächtige Demonstration auf dem Papier gewesen. Aber in sprochen hat. richtig, fann angesichts der Thatsachen und der gesammten seiner Unfähigkeit, die Weltpolitik zu überschauen, handelte Der beste Charakterzug der britischen Parteipolitik in politischen Konstellation niemand bestreiten. Und zu feiner der Blut- und Eisenmann so wie er gehandelt hat. Elsaß   der Gegenwart ist in der That der, daß die auswärtige Zeit früher war die orientalische Frage so vollständig, Lothringen   wurde annektivt, Frankreich   in die Arme Ruß- Politik jetzt als über den Parteien stehend betrachtet wird, ihrem ganzen Umfange nach, aufgerollt, wie das gegen lands getrieben, und der Schwerpunkt des europäischen   und daß die Regierung, welche die britischen Interessen ver­wärtig der Fall. Die orientalische Frage wird von den Kontinents nach Petersburg   verlegt. Die russische   theidigt, auf die Unterstützung aller Parteien rechnen Engländern, die in erster Linie an ihr interessirt sind, die Diplomatie wurde Herrin der Situation; sie baute taun. Eastern Question   genannt die östliche Frage, die die Festungen am Schwarzen Meer   wieder auf; schuf ,, Es hat, seit unsere Konstitution ihre jezige Gestalt an­Oftfrage. Sie umspannt den Osten- den Osten eine gewaltige Flotte im Schwarzen Meer; und als sie genommen hat, teinen Augenblick gegeben, wo es noth­Europa's, von der Türkei   an bis südlich nach Egypten, vor 20 Jahren sich start genug zu einem neuen wendiger war, die Regierung zu unterstützen, als im gegen­mit der Levante   und allem was wir unter Türkenkrieg fühlte, da benutzte Fürst Bismarck   mit Be- wärtigen. Unsere Interessen sind in allen Theilen der dem Wort Orient begreifen: Mittel- und geisterung die Gelegenheit, sich durch sein denkwürdiges Welt durch die Vereinigung( union) Frankreichs  Südasien   mit Indien  , und Ostasien  . Das Wort vom Bischen Herzegowina" unsterblich zu blamiren. und Rußlands   so schwer bedroht, wie Ringen um die Herrschaft über diese ungeheueren Gebiete Dank dem Eingreifen Englands und Desterreichs ge- niemals seit Trafalgar. Es ist wahr, das - das ist die orientalische Frage. Und die beiden Mächte, lang es 1878 noch, das Vordringen Rußlands   aufzu- Hongkong  - Telegramm der" Times", betreffend den Geheim­zwischen denen der Hauptkampf liegt, sind England und halten; jedoch nur für den Moment und nur in Europa  . vertrag zwischen Rußland   und China  , ist von der höchsten Rußland  . In Asien   dehnte Rußland   seinen Einfluß und sein Gebiet russischen Autorität für falsch erklärt worden, allein Durch den Krimkrieg, vor jetzt 40 Jahren, wurde dem fortwährend aus und nach wenigen Jahren nahm es auch die Rede des General- Gouverneurs von Ost- Sibirien, des Vordringen Rußlands   ein Damm gesetzt. Jener Krieg, der die Maulwurfsarbeit in Europa   wieder auf. Und, was Generals Dukhoffskoy, mit ihrer Anspielung auf die Ueber­Frankreich an der Seite Englands sah, enthüllte die innere die gegenwärtige Situation so gefährlich macht, jetzt hat führung der russischen Flotte von Wladivostock nach Port Schwäche des Roloffes auf thönernen Füßen", und war cs Frankreich   zum Verbündeten und das Deutsche Arthur, genügte für sich allein schon, um zu beweisen, daß für Rußland   eine noch größere moralische als militärische Reich zum Mitläufer. die Angaben der Times" nicht so weit von der Wahrheit Niederlage. Die russische   Flotte im Schwarzen Meer ward Mit der Ermordung Stambulow's und der Inszenirung entfernt sind, wie die russische   Gesandtschaft uns glauben vernichtet, die Feste Sebastopol   zerstört, und Rußland   durch der armenischen Greuel" wurde die Krisis in Europa   akut, machen will. Und nun kommt der" Temps", der bei Vertrag zum Verzicht auf Herstellung einer neuen Kriegs- und in Asien   wurde sie es durch die Folgen des Krieges vielen Gelegenheiten das volle Vertrauen der französischen  flotte gezwungen. Der Europa   bedrohende Kopf des russi- zwischen Japan   und China  . Der englische   Feldzug gegen Regierung genossen hat, und bestätigt unsere Befürchtungen. schen Doppeladlers schien abgehackt. Er verspottet die" Times", daß sie dem russischen Dementi überhaupt Werth beigelegt hat, und sagt mit dürren Worten:" Wenn der von der Times" angekündigte Ber trag noch nicht abgeschlossen ist, so wird er es werden. Wenn die Bestimmungen des Vertrages nicht ganz richtig angegeben sind, so ist der von der Times" gegebene Text doch gewiß nicht weit von der Wahrheit entfernt, denn er entspricht den Verhältnissen und den Interessen Rußlands  . Wir stehen also der Thatsache gegenüber, daß Ruß=

-

W

-

Tschitral am Hinduku, zeigte, daß England sich der Aber es war wie mit den Köpfen der Lernäischen Gefahr bewußt war es verschloß das Thor Indien s. Hydra, die bekanntlich immer nachwuchsen, bis schließlich Von dem russisch   englischen   Federkrieg brauchen wir der Halbgott Herkules das Weiterwachsen gründlich verhinderte. hier nicht zu reden. Es ist kein bloßer Theaterlärm. Mit den Köpfen des russischen Doppelaars hat auch ein Herkules Ein gutes Bild der Lage giebt die, Saturday- Review", zu thun gehabt- aber der Herkules des 19. Jahrhun- die angesehenfte der konservativen Wochenschriften Englands, berts" verübte das umgekehrte Kunststück wie der griechische die an der Spize ihrer letzten politischen Uebersicht schreibt: Driginal- Herkules: er machte den abgehauenen Lord Salisbury's Rede vom vorigen Mittwoch war Kopf wieder wachsen. Der russische   Fürst etwas enttäuschend, wenn auch nur wegen dessen, was ste Gortschakow   wußte, was er sagte, als er dem bentschen" nicht sagte. Jedermann erwartete irgend einen Aufschluß land von Nordchina so viel sich einverleiben will, als es Fürsten Bismarck für seine Rußland geleisteten Dienste über die Fragen, die jetzt das ganze Land fieberhaft ge- bewältigen zu können glaubt, während Frankreich   ent­voll Rührung mit den Worten dankte: Sie sind russischer spannt halten. Aber Lord Salisbury  , schwieg über die schlossen ist, seine Herrschaft von Tongking und Siam so weit als wir Ruffen!" auswärtige Politik, und sein Schweigen ist ein Be- als es ihm nüßlich erscheint, über Südwest- China auszudehnen;

-

"

Es war im Jahr 1870- im Jahr des Heiligen weis für den Ernst der Lage. Glücklicherweise war und diese Landtheilung können wir nicht Krieges", der die zwei vornehmsten Kulturstaaten des Fest- ein anderer Minister: Lord Devonshire, der denselben erlauben. Aus der Sprache, die Frankreich   und Ruß­ lands   von Europa   fich gegenseitig zerfleischen ließ. Die russische   Abend redete, nicht ganz so schweigsam. Nach land führen, und aus den Erklärungen der amtlichen deut­Diplomatie begriff sofort was außer ihr nur die dem er Lord Rosebery gelobt hatte, daß dieser der jetzigen schen Presse ist mit Gewißheit zu schließen, daß wir von deutsche Sozialdemokratie damals begriff, daß dieser Regierung in Fragen der auswärtigen Politik seine ganze Deutschland   keine Hilfe zu erwarten haben. Wie wir wieder brudermörderische Kampf der beiden Kulturvölker dem Unterstügung versprochen, fuhr der Herzog fort:" Es und wieder vorausgesagt haben, hat England in der russischen Halbbarbaren- Reich zu gute kommen mußte, es wäre thöricht, die Thatsache verhehlen zu Stunde der Gefahr keinen Freund in Europa  , zum Schiedsrichter Europa's   zu erheben versprach. Und wollen, daß sowohl im Osten Europas   und muß sich auf seine eigene Kraft verlassen. wenige Wochen, nachdem der Krieg entbrannt war, erklärte als im Osten Asiens   Ereignise vor sich gehen Zum Glück setzt die Vermehrung unserer Flotte während Rußland   feierlich den Pariser   Frieden und alle und Fragen auftauchen, welche die Lebensinteressen der letzten zehn Jahre Lord Salisbury   in den Stand, für Verträge, die seine Macht beschränkten, unseres Vaterlands aufs engste berühren, die britischen Interessen nicht blos zu reden, sondern, für aufgehoben. und daß der Augenblick nahen kann, wo es für uns zur wenn nöthig, auch zu handeln. Wenn Rußland einen Hätte Fürst Bismarck, durch dieses Vorgehen gewarnt, Nothwendigkeit wird, an die Männer aller Parteien uns Theil der Mandschurei   zu nehmen versucht, so nach der Schlacht von Sedan   Frieden geschlossen und auf zu wenden, daß sie der britischen Regierung das Wohl- können wir damit antworten, daß wir von

18

Ein Verrückter.[ nachdr. verboten. Rampf und Ende eines Lehrers. Roman von Joseph Ruederer.

"

"

"

"

Franz, jetzt hörst auf." Sie sprach sehr entschieden. nagende Ungewißheit wieder in sein Hirn und ließ ihn Sei nur gut! Du mußt mir's net krumm nehmen, nicht mehr los. Was hatte er denn gesagt, daß ihn Anna wenn i den Menschen, der uns scho so viel zug'fügt gleich unterbrechen mußte? Vor einigen Tagen hatte sie hat. feine Silbe erwidert und ihm stillschweigend recht gegeben. Von ihm is jetzt gar fei Red', also hör'n wir auf, Heute aber stand sie natürlich wieder im Banne des Geist­Lange blickten die beiden von dem schwachen Ge- Franz, i bitt' Dich drum!" lichen und was galt da der Verlobte? Der Gedanke bält auf die stürmenden Wassermengen hinab und standen Er behielt für sich, was ihm ein Gefühl von Neid quälte ihn immer mehr. in schweigender Befangenheit vor der erdrückenden Größe und Aerger auf die Lippen gelegt hatte. Anna's religiösen Anna," sagte er plöglich und lehnte sich fester auf dieser düstern Szenerie des Todes und der Abgeschiedenheit. Sinn kannte er wohl. Er schonte ihn ebenso ängstlich, wie ihren vollen Arm. Anna!" er deutete mit sonderbarem Das is scho großartig," sagte Gattl endlich leise. ihr Vater und wäre der legte gewesen, dem Mädchen gegen Blicke in die Tiefe hinab. Wenn ich jetzt zu Dir sagen Das gewaltige Bild der tiefeinsamen Hochnatur regte die Erfüllung ihrer kirchlichen Pflichten ein Wort zu sagen. thät, Du sollst mit mir da hinunterspringen?" ihn auf. Auna rückte an dem morschen Geländer näher Auch das ertrug er noch, daß sie immer den Dienrr des zu ihm. Heilands von dem Vorgesetzten des Lehrers zu trennen " Ja, ja", fuhr der Lehrer fort und holte Athem, versuchte. Bei dem tiefen Glauben, von dem sie durch unser Herrgott hat die Welt wunderbar g'schaffen. Sie drungen war, verstand sich das eigentlich von selbst. Daß wär' scho schön, wenn die Menschen net die Höll draus sie aber demselben Menschen im Beichtstuhle ihr inneres machen wollten." Gewissen erschließen mußte, das war ihm bei aller Festig­feit ihrer reinen Seele doch ein peinigender Gedanke, der ihn oft tief verstimmte.

Was er in letzter Beit verlebt hatte, trat deutlich wieder vor seine Seele.

" Jst's am End net so?" fragte er, als Anna noch immer schwieg. Red' doch!" fuhr er heftiger heraus und neigte sich an den Geländerbalten.

Sie sah schüchtern zu ihm auf:

San wirklich alle Menschen so schlecht, Franz?" Gattl lachte:

"

Du freili net, der Vater auch net, aber schau die andern an, die Du kennst, schau das ganze Dorf an,' n hochwürdigen Herrn und....

Geh, Franz, fangen wir doch heut net davon an," bat fie flehentlich.

Warum denn nett?"

Sie errötete vor seinen Blicken.

Aha!" rief er, jetzt versteb' i schon. Du warst ja erst fürzli wieder in der Beicht! Hat er Dir wieder aller hand g'sagt, der..."

Kam sie doch an solchen Tagen jedesmal so nieder geschlagen von der Kirche nach Hause und redete lange kein Wort. Tage dauerte es oft, bis sie sich wieder aufraffte und mit ausgebreiteten Armen auf den Vater zuging. Auch gegen Gattl war sie dann ängstlicher und zurückhaltender. Klagte er aber über eine neue Unbill und lief rasend und tobend durch das Zimmer, so umschloß sie ihn mit der alten Herzlichkeit, weinte bitterlich über seinen Kummer und suchte ihn zu trösten so gut es ging.

Wenn sie nur erst sein Weib wäre! Tausendmal hatte der Lehrer den Augenblick herbeigewünscht, da er sie weg­führen konnte von dem Orte, wo ihm, er fühlte es instinktiv, die gleiche Macht, die über ihn selbst schrankenlos gebieten konnte, auch in dem Wesen feindlich gegenübertrat, das ihm das Theuerste war.

Jetzt, auf der einsamen Echluchtbrücke, bohrte sich diesel

Aber, Franz! Was red'st Du denn?" Ihre sanften Augen, die oft einen müden Ausdruck hatten, waren auf­geblikt.

" Ich frag' Dich ja nur? Heut ist's ja gottlob net nothwendig, aber ich will annehmen, wir hätten auf der Welt nix mehr zu suchen. alles wär' für uns verloren und die Verzweiflung trieb uns von den Menschen weg, thät'st Du's dann auch net?"

d'

" Nein", sagte sie fest, das thät' ich net." Warum?"

,, Schon wegen mei'm armen Vater nett."

"

Gut. Dann sag' ich, der Vater wär' todt."

,, Dann thät' ich's auch net. Schäm' Dich, Franz, daß solche Worte überhaupt in den Mund nimmst."

,, Warum schämen? Meiner Ansicht nach müssen zwei Menschen, die sich gern haben, auch freiwillig mit'nander sterben tönnen, wenn s' auf der Welt nig mehr zu hoffen haben."

"

Franz, i bitt Di noch amal, hör auf!"

"

" Warum soll i aufhören?" schrie er unwirsch und stampfte auf den Boden der Brücke. Warum? Sag' mir's Is Dir des so was Schrecklich's, wenn i Dich frag', ob Du mir auch' s letzte Opfer noch bringen könntft?" Sie gab ihm keine Antwort.