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'»«"« Si�Äbnid Freitag, 17. Februar 1928

Bei den Fememördern in Plölzensee. Es gibt keineMörderzellen". Der Richtplatz. Seit 40 Jahren unveränderte Häßlichkeit der Anstalt.

Die Friedhöfe und die Gefängnisse liegen meistens am Rande der Stadt, und als in den siebziger Iahren des ver- gangenen Jahrhunderts die Strafanstalt Plötzensee gebaut wurde, lag sie weit von Berlin im Gelände eines Gutsbezirks. Die Jungfernheide war nicht weit, die kümmerlichen Kiefern, die nur durch Großmut als Wald bezeichnet werden können, wuchsen auf dürrem Sand am Plötzensee, dem hellblauen, schmalen Gewässer mit den heimtückischen und eiskalten Sprudeln. Die Stadt Berlin aber war weit. Aus der Stein- wüste ihrer Proletarierquartiere kamen die Leute, die man Verbrecher nennt, in die Steinwüste der Plötzenseer Straf- anstatt. Und wenn sie nach dem Gefängnis kamen, passierten sie die vielen Friedhöfe, die sich mit der Zeit an der breiten Seestraße und an dem kleinen, kühlen See selbst ansiedelten. Auch heute passiert man bei einem Besuch in Plötzensee die Friedhöfe, die kümmerlichen Wälder, aber aus Sand und Wüste wächst ein großartiger Bolkspark hoch, am Plötzensee hat sich ein schönes Freibad aufgetan und der nahe Westhafen mit den vielen Wasserbecken, Kranen, Lagerhäusern und Schiffen erinnert daran, daß Berlin eine Hafenstadt mit guten Verbindungen zur See ist. Das Strafgefängnis aber steht genau so häßlich und nüchtern im Tag wie vor vierzig Iahren. Die hohe Ziegelmauer umschließt die vier Gefängnisse und die vielen Höfe. Die Gefängnisse sind auch Ziegelbauten wie die Mauer, sie sind ja letzten Endes auch Mauern, die gegen die Freiheit da draußen errichtet sind. Hinter den Mauern aber hat sich, genau so wie an jenem Rande der Stadt, das Leben in den letzten Jahren mächtig verändert. Dürrer Boden ist fruchtbar geworden. Aus Schutt und Abfall springt neues Wachstum. Der neue Strafvollzug. Am Haupteingang zur Strafanstalt händigt der Pförtner dem Besucher eine große rote Karte aus, und empfiehlt, sie sicher zu oerwahren, da ohne Rückgabe dieser Karte das Tor in die Freiheit verschlossen bleibt. Schön, man verwahrt diese Karte und meldet sich bei der Direktion an. Vor dem Direk- tionsbureau liegen eine Anzahl Bureauräume, schließlich sind

Zellenflügel im Strafgefängnis.

so achthundert Menschen hier eingesperrt, die verwaltet werden müssen. Auch ein Postzimmer mit eigenem Telegraphen gibt es und natürlich viele Telephone und eigene Leitungen nach der Strafvollzugsbehörde, nach dem Justizministerium. Dann läßt der Herr Oberdirektor bitten und man hört auf Wunsch einen kleinen Vortrag über den neuen Strafvollzug, der im Gefangenen durchaus nicht mehr das fluchwürdige Subjekt erblicken will, das mit eiserner Strenge bestraft und gebessert werden muß. Zuerst ist der flüchtige Gast noch skeptisch, aber dann erinnert er sich an das bekannte Gefängnis in Fuhlsbüttel -Hamburg , in dem sich wirklich ein neuer Geist hinter den Mauern manifestiert, der wohl die Ketten der Strafe nicht unsichtbar machen kann, aber doch ihren Druck durch den Samt menschlichen Verständnisses lindert. Auch in Plötzensee basiert der Strafvollzug auf dem Dreistufensystem. Alle Gefangene, die mehr als sechs Monate abzubüßen haben, kommen in die erste Stufe, die sie nach sechs weiteren Monaten verlassen können, wenn sie sichgut" führen, wenn sie willig sind, die Vorschriften genau beachten und was sonst noch dazu gehört, umMusterschüler" zu sein. Der für würdig Befundene der zweiten Stufe trägt als Zeichen und Auszeichnung zwei gelbe Streifen am Rock- ärmel. Die Erleichterungen dieser Klasse bestehen in schnellerem Briefwechsel, mehr Freizeit öfteren Besuch, abends mehr Licht in der Zelle(überall brennt noch Gas, das ganze Gefängnis wird jetzt elektrisch installiert), hier und da ein Bild an die getünchte Wand, eine Blume, ein wenig mehr Freizeit und Selbstbestimmung in der Freizeit. Die Männer der dritten Stufe(es sind ungefähr drei Prozent aller Gefangenen) sind die Aristokraten der grauen Masse. Ihre Zellen sind freundlich ausgeschmückt. Bilder hängen an den Wänden, Ausschnitte von Zeitungen und Zeitschriften, arme Illusionen vieler Träume: Photos von Frauen und Mädchen. In der Zelle eines Mannes, der zehn Jahre abzusitzen hat, sieht man neben freundlichen Mädchen- bildern das gebleichte Blond einer Frauenlocke. Gemeinsam für alle Gefangenen wird die Traurigkeit und Langeweile des Sonntags ab und zu durch ein gutes Konzert oder durch

sine künstlerische Veranstaltung gelockert. Die Sträflinge der dritten Klasse haben ein nettes Klubzimmer und eine Radio- anlage mit Lautsprecher. Botschaft aus dem schönen Tumult der Welt und großen Stadt in die vorgeschriebene und kühle Ordnung der steinernen und vergitterten Häuser. Rückgang der Kriminalität. Ein Gang durch die drei Gefängnisse(das vierte Gefäng- nis steht leer, die Kriminalität ist in den letzten Iahren zurück- gegangen!) überrascht. Diese Ueberraschung ist selbstverständ- lich kein Lobgesang an das Gefängnis an und für sich, ist auch kein Maßstab für die Gefängnisse oder Zuchthäuser in der Provinz. In Plötzensee herrscht Sauberkeit. Die Zellen sind

Handballspiel im Jugendgefängnis.

groß und luftig(im ersten Augenblick und im Vorübergehen, zehn Jahre Haft rücken die Mauern zusammen), man sieht Einzelzellen und Gemeinschaftszellen und darin manchmal nichts als die nackten Wände oder kleine Arbeitsmaschinen, dann aber wieder Blumen, Bilder, kleine Zierarbeiten und auch ab und zu einen Zwitschervogel im Käfig. Das Besuchs- zimmer im Hause 3 zum Beispiel ist ein freundlicher Raum, wohnlich hergerichtet. Blumen blühen an den Fenstern. Die berüchtigte Schranke zwischen dem Besuch ist auch gefallen und beseitigt. Das Haus 3 ist das Gefängnis, in dem äugen- blicklich die Fememörder untergebracht find. Bei Klapproth, Llmhofer und Fuhrmann. Der Herr Direktor schließt einige Zellen auf, auch die Zelle, in der Böttcher sah. Es ist genau so eine Zelle wie die der anderen Gefangenen. Es gibt, wie versichert wird, keine sogenannten Mörderzellen in Plötzensee. Sie bestehen nur in der Phantasie der Reporter. Das Haus 3 ist ein Sterngesängnis. In ihm liegen in den Zellen Kriminelle, Ueberzeugungstäter und augenblicklich auch K l a p p r o t h, U m h o f e r und Fuhrmann. Die Zellen werden aufge- schlössen. Umhofer liegt auf der Pritsche und rührt sich nicht. Klapproth bleibt unsichtbar. Fuhrmann hat seine Wanderung unterbrochen, er steht halb militärisch da, als erwarte er Be- such. Man erkennt in ihm den Leutnant auf den ersten Blick. Eine andere Zelle im selben Korridor faßt einen Mann, der

Bei der Unterhaltung.

schon sechs Jahre sitzt. Seine Zelle ist mit unzähligen Bildern ausgeschmückt, mit Ausschnitten von Zeitschriften. Auch hier findet man viele Frauen- und Mädchenbilder. Sechs Jahre schon ohne Frau! Diese ausgezierten Zellenwände und stummen, verblaßten Bilder sind schreiende Klage und An- klage. Sie stoßen mit auf das Grundproblem neuer Straf- ordnung: auf die sexuelle Frage. Böttchers Zelle ist leer. Sie ist genau so ein Raum, wie der andere. Rein, es ist doch eine andere Zelle: eine grausige Kammer letzter Not, eine Folterkammer der Tage und Nächte und Stunden vor dem Beil. Der Herr Direktor erzählt ein wenig von jener Hinrichtung. Es war die erste und auch die letzte, die er mit ansah. Der Herr ist auch ein Gegner der Todesstrafe. Der Hof, auf dem bis jetzt in Plötzensee 26

Leute geköpft wurden, liegt am Hause 3 und ist ein gewöhn- licher Hof wie viele andere. Er unterscheidet sich am hellen Tag von den andern nur darin, daß rechts an der Gefängnis- tür eine Steinplatte in der Erde liegt, der schauerliche Stand- punkt des Henkers, der von da aus sein scharfes Beil auf den Richtblock sausen läßt. Dem Richtplatz gegenüber steht ein schwarzweißgestreiftes leeres Schilderhaus. Wenn der Verurteilte in den Hof tritt, sieht er wahrscheinlich als letztes Zeichen der schönen Welt das hölzerne Häuschen. In einer Minute sieht er nichts mehr. Da ist er hingerichtet. Der Platz, der Block und das Beil werden vom Blute gesäubert, der Tote wird weggetragen, die Herren Zeugen gehen fröstelnd durch den frühen Morgen. Wieder liegt der kleine Hof nichts- sagend im Tag. Das kleine leere Schilderhaus steht wie ein aufgerichteter Sarg da und wartet. Auf die nächste Hin- richtung? Im Gefängnis der Zugendlichen. Wir verlassen den von unsichtbarem Blute bespritzten Hof und gehen durch eine verschlossene Tür scheinbar in eine neue Welt. Wir kommen in das Gefängnis der Jugendlichen, der 99 Leute bis zu 21 Iahren. Im Hause der Jugendlichen spürt man die Anstrengungen einer neuen Strafordnung am deutlichsten. Turnstunden sind obligatorisch, Schulunterricht, Spielstunden. Als wir durch das Tor traten, sahen wir ein Bild, das man auch am Rande der Stadt hätte sehen können, natürlich ohne Mauern und ohne die Gefängniskleidung: dreißig vierzig junge Leute tobten sich laut und lachend im Ballspiel aus und verschleuderten die überschüssige Kraft in großartigen Schwüngen und Würfen. In Plötzensee herrscht Arbeitszwang. Der Lohn(es wird ungefähr zwischen zehn und zwanzig Mark im Monat ver- dient) kann bis zur Hälfte in Lebensmitteln zur Aufbesserung der Kost angelegt werden. Die andere Hälfte bildet den kleinen Fonds für den Gefangenen, wenn er entlassen wird. Viele der Jugendlichen sind entflohene und wieder gefaßte Für- sorgezöglinge. Diese Tatsache spricht nicht gegen die Jugend- lichen, sie spricht sehr laut und deutlich gegen die Fürsorge- anstalten. Zum Schluß einige Zahlen aus der Gefängnis- bibliothek. Am meisten werden Fachbücher verlangt. Dann Unterhaltungsschriften, Reisebeschreibungen, wissenschaftliche Werke. Um einen Querschnitt durch die Bibliothek zu geben, sei notiert, daß es unter anderem 1741 Unterhaltungsschriften (viel Klassiker, wenig neue Schriftsteller) gibt, dann 1427 wissenschaftliche Werke, 699 religiöse Schriften(katholische, evangelische und jüdische), 68 Reisebeschreibungen, 84 philo- sophische Werke und gegen 299 Lehrbücher freyider Sprachen (hauptsächlich englisch und französisch.) Der Pförtner nimmt die rote Karte in Empfang, das große Tor öffnet sich, die Backsteinhäuser der Strafanstalt liegen hinter uns. Vor uns entschleiert sich der Westhafen mit Lagerhäusern, Kais, Kranen und Schiffen. Bald liegen auch die Friedhöfe hinter uns. Die Stadt braust, der Hexenkessel der vier Millionen, in dem die Brotsuppe des Lebens gekocht wird, die heulende Wildnis des Daseins erbraust, die ihre Opfer meistens in die Proletarierbezirke schleudert, in die Fabriken, in die Kontore und manchmal auch hinaus in die Strafanstalt Plötzensee. Msx Barthel.

Das Lachkabinett. Bayerische Einstufung. Der bayerischen Reaktion beliebte es in der Republik was sie in der Monarchie nie getan hätte, zumal man damals m München zum Trotz liberal mar, Preußen auszuweisen und gegen da» deutscheAusland" im Norden eine Einreisegenehmigung oorzu- schreiben. Wird da in Hof der alte Oesterreicher B. danach gefragt und hat sie nicht. Man erlaubt ihm, weiterzufahren, trägt ihm aber auf und stempelt ihm in den Paß hinein, daß er sich in Nürnberg sofort bei der Polizei zu melden hat. Geschieht unter folgenden Umständen:. So, alsdann a Oeftreicher fan's und ka Einreifebewilligung ham's net? Zwanzig Mark!" Aber wieso denn gleich so viel!" Weil's a Kommerzienrat fein tun." Aber ich bin ja gor keiner." Was! Steht doch da in Ihr n Paß!" Rein, steht Kommer z i a l rat." Ro und was is denn nachher dös?" Das war ein Titel im alten Kaisertum Oesterreich, das nicht mehr besteht." Und was war so a Kommerziotrat, haa?" Ja, ich war ein Hilfsorgan des t. k. Handelsministeriums." Ah so, alsdann a Beamta? Zwanz'g Pfennig!"

Parlamentarische Höflichkeit. Diederich Hahn , der Agrarier ohne Halm und Ar, war ein selten flotter Debatter. Sein Notizbuch schwingend, polemisiert er mit vollendeter Demagogie gegen eine Rede des Sozialdemokraten L e i n e r t und läßt an ihm, dem Malergehilfen, der was von der Landwirtschaft verstehen wolle, kein gutes Pinselhaar, schimpft auch im Bewußtsein des sicheren Debatteschlusses nach seiner Rede ganz gehörig, um dann als die kleine Sozisraktion protestiert im selben Atemzug hinzuzusetzen:Aber wir Hannoveraney, nicht wahr, Herr Leinert, lagen auseinander n Ich ts k am m«riT