Einzelbild herunterladen
 

Rr. 89 45. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Bluttat in Berlin W.

Eine Hausangestellte von ihrem Bräutigam erschossen.

Am Dienstagabend gegen 10 Uhr spielte sich im Hause Düffel­dorfer Straße 43 eine Liebestragödie ab. Auf dem Treppen. flur des Hauses wurde die 25 Jahre alte Hausangestellte Elise Stollberg schwer röchelnd in ihrem Blute aufgefunden. Die Stollberg hatte einen Bräutigam, mit dem fie feit längerer Zeit verkehrte. Abends hatte sie eine Aussprache mit ihm in dem Hause Düsseldorfer Straße 43. Hier müssen beide in einen Wortwechsel geraten sein. Der Bräutigam, der 27 Jahre alte Buchhalter Rudolph krisler, der in der Frankenstr. 8 wohnt, hatte plötzlich eine pistole gezogen und auf die vor ihm ftehende Braut gefeuert. Die Stollberg fant mit schweren Berlehun­gen in der Brust zusammen, während der Bräufigam die Flucht ergriff. Hausbewohner fanden das Mädchen auf dem Treppenflur auf. Die alarmierte Feuerwehr brachte fie nach dem Achenbach­frankenhaus, wo sie aber unter den Händen der Aerzte bald verstarb.

Der beliebte Autobus.

Berkehrszuwachs von 2000000 Fahrgästen bei der Aboag.

Der Berliner Rahverkehr, den die drei Gesellschaften mit Einheitsfahrschein bewältigen, hat im vergangenen Jahr mit wenigen Unterbrechungen von Monat zu Monat zuge nommen und ist im Dezember auf eine Beförderungsziffer von 112 Millionen Fahrgäst en gestiegen. Diese gewaltige Zahl ist auch im Januar erreicht worden; das bedeutet, daß 8 Mil­Tionen Fahrgäste mehr befördert worden sind als monatlich im Durch Schnitt seit Einführung des Einheitsfahrscheins.

Die gleiche Gesamtziffer für Dezember und Januar läßt die Einmirkung des gegenseitigen Umsteigeverkehrs auf die Benutzung der verschiedenen Berkehrsmittel erfennen. Nach der Statistik der drei Berliner Verkehrsgesellschaften ist im Januar cine starte Mehrbenutzung der Autoomnibusse zu perzeichnen; die Umsteigemöglichkeit von Straßenbahn und U- Bahn zur Aboag fowie die Inbetriebnahme von 110 neuen Bagen und die Damit verbundene dichtere Wagenfolge auf den einzelnen Streden hat also großen Anklang beim Bublifum gefunden. Von der Aboag wurden im Januar 16,5 Millionen Fahrgäste befördert, während im Dezember nur 14,3 Millionen Fahrgäste die Omnibusse bemuzten. Der Durchschnitt für das Jahr 1928 seit Einführung des Einheits­fahrscheins beträgt 14 Millionen. Die Statistit der Berliner Berkehrs­gesellschaften berücksichtigt alle zweiten Fahrten, die auf Wagen der anderen Gesellschaften gemacht werden, als Ertrafahrten, nicht aber Den Umsteigeverfehr von einem zum anderen Wagen derselben Gesellschaft. Ebenso find die Schülertarten und Abonnements mit­eingerechnet. Die Straßenbahn beförderte 1 Mion Fahrgäste meniger im Januar, nämlich nur 72,5 Millionen gegenüber Dezember mit 73,5 Millionen. Auf der Hoch- und Untergrundbahn fuhren statt 24,2 Millionen im Dezember 23 Millionen im Januar, also 1,2 Mil­lionen Fahrgäste weniger.

Mütter, achtet eurer Kleinften!

tade rendsid

Das Opfer einer Verbrühung ist das ein Jahr alte Töchterchen der Arbeitereheleute 2. aus der Bietenstraße zu Neukölln geworden. Frau A. machte vorgestern ein Bad für die Kleine zurecht. Nach dem fie heißes Waffer in eine auf einem Stuhl stehe de Wan : e gegoffen hatte, wollte sie faltes holen, um es nachzugießen. Während fie fich abgewandt hatte, richtete sich das Kind, das in einer Kiste fpielbe, auf und griff nach der Wanne. Diese tippte etwas und das heiße Wasser engoß sich über den Körper Der Kleinen. Die Mutter eilte mit ihr nach der Rettungs­mache, mo das Rindchen einen Berband erhielt. Shon nach einer Shmde verschlimmerte sich der Zustand so sehr, daß ein Arzt die Kleine nach dem Krankenhaus in Budow bringen ließ. Dort starb fie gestern an den Folgen der Verbrühung.

Menschen, Göttern gleich...

25]

Roman von Herbert George Wells . Mr. Catskill befand sich jetzt in einem Zustand stärkster Gehirntätigkeit. Er machte furze Stoßbewegungen mit der Gehirntätigkeit. Er machte furze Stoßbewegungen mit der geballten Faust, seine Stimme fiel, stieg und überschlug sich. Er schwenkte und drehte sich nach allen Seiten, forderte mit Blicken den Beifall seiner Erdengenossen heraus und lächelte Mr. Burleigh hin und wieder zu.

Der Gedanke, daß unsere arme, fämpfende, entnervte, vom Zufall regierte Welt wirklich ein stolzes und verwickeltes System mächtiger Wirkungen und Gegenwirkungen im Gegensatz zu der abgeklärten Heiterkeit eines gemachten und fertigen Utopien darstelle, hatte vollständig Befiz von ihm er griffen. Niemals zuvor, mein Herr, wurde mir die hohe, fürchterliche und abenteuerliche Bestimmung der irdischen Raffe so bewußt, wie ich sie jetzt erkenne. Ich blicke auf Ihr goldenes Paradies, dieses göttlich vollendete Land, aus dein jeder Streit verbannt ist--"

Mittwoch, 22. Februar 1928

Siedlung zwischen Bahndämmen.

Mr. Barnstaple entdeckte ein feines Lächeln auf der Ge­ficht der Frau, die ihn an die Delphische Sybille erinnerte. ,,-- und ich anerkenne und bewundere seine Ordnung und Schönheit, so wie irgendein staubbedeckter und zielbe­mußter Pilger auf seiner begeisterten und geheimnisvollen Suche eine Raft macht und die Ordnung und Schönheit der lieblichen Gärten glüdlicher Sybariten anerkennt und be­mundert. Und wie jener Bilger, mein Herr, möchte ich die Weisheit Ihres Lebensweges in Frage stellen. Denn, mein Herr, ich nehme es als bewiesene Tatsache an, daß das Leben und alle Kraft und Schönheit des Lebens geboren wird aus Kampf, Wettstreit und Gegenfag. Durch Not wurden wir geformt und gefnetet und so auch Sie, mein Herr. Und doch träumen Sie hier davon, daß Sie den Kampf für immer aus geschaltet haben. Ihr wirtschaftliches System, vermute ich, ist irgendeine Art von Sozialismus; aus allen Friedens­geschäften haben Sie den Wettstreit verbannt. Ihr Staat ftellt eine politische Einheit dar. Sie haben die stärkende und veredelnde Gefahr sowie die reinigende und abschreckende Er­fahrung des Krieges ganz und gar ausgemerzt. Alles ist geordnet und vorgesehen, alles ist gesichert. Alles ist gesichert, mein Herr, mit einer Ausnahme

Der Bahndamm durch die Siedlung.

ET

aussichtlich den Mittelpunkt der Anlagen im Messegelände bilden soll. Diefer Hügel soll auch für den geplanten Bau der Brücke über die Hamburger Anschlußbahn im Zuge der Schwarzburg- Allee benutzt werden.

Die Anmohner an der Ostseite der Siedlung am Bahnhof| Kreuzberg in seiner Höhe erheblich überragt und der späterhin nor­Seerstraße hatten vor einiger Zeit gefordert, daß dort ein be fonderer Wall aufgeschüttet werde, da die Gleise der Hamburger Bahn bekanntlich im Zusammenhang mit den Gleisverlegungen der Reichsbahn im Messegelände näher an die Siedlung herangelegt werden und sie deshalt Belästigungen durch die Geräusche der vor beifahrenden Züge usw. befürchteten. Die Charlottenburger Bezirts nerfammlung hatte auch beschlossen, von den städtischen Instanzen die Erfüllung dieser Wünsche zu fordern. Die Reichsbahn hat den bei der Ausschachtung der neuen Bahnstrecke zwischen den Bahnhöfen Charlottenburg und Heerstraße gewonnenen Boden auf Wunsch der Stadt zur Ausfüllung des Geländes nördlich des Sausuhlensees ver. mwandt, und im Messegelände ist bereits ein Hügel enfffanden, der den

17

Der Berg, der den Kreuzberg überragen soll.

Es tut mir leid, Ihre Ruhe zu stören, mein Herr, aber ich muß das eine, das Sie vergessen haben, beim Namen Degeneration! Womit verhindern Sie die Degeneration? Berhindern Sie sie überhaupt?

nennen

-

-

Was für Strafen haben Sie auf die Dauer für Indolenz? Belche Belohnungen für außergewöhnliche Tatkraft und An­ſtrengung? Womit erhalten Sie das Volk fleißig? Wodurch wachsam, wenn es keine persönliche Gefahr und keine persön lichen Verluste, sondern nur irgendeine fernliegende Gefahr oder eine Unbill für die Allgemeinheit gibt? Eine Zeitlang mögen Sie sich durch eine Art Beharrungsvermögen in Be­wegung erhalten. Es mag Ihnen scheinen, als ob Sie Fort­schritte machten. Ich gebe zu, es scheint wirklich so, als ob Sie Fortschritte machten. Herbstlicher Glanz! Sonnenunter­gangspracht! Während um Sie herum in Universen, parallel dem Ihren, ähnlich geartete Rassen sich abplagen, noch leiden, noch wetteifern, Stärke und Kraft ausscheiden und auf speichern!"

Mr. Catskill schwenkte seine Hand in rednerischem Triumphe gegen die utopen. ,, Ich möchte nicht, mein Herr, daß Sie denken, ich hätte diese Kritik Ihrer Welt in einem feindseligen Sinne geübt. Sie wird Ihnen in der freundlichsten und hilfreichsten Weise dargeboten. Ich bin bei Ihrem Fest das drohende Gespenst, aber ein freundlich gefinntes und einfichtsvolles Gespenst. Ich stelle meine eindringliche und unangenehme Frage, meil ich muß. Ist es wirklich der flügste Weg, den Sie gewählt haben? Sie haben Holdseligkeit und Licht und- Muße. 3ugegeben! Und wenn es diese Vielheit von Universen gibt, von denen Sie uns, Mr. Serpentin, so flar und einleuchtend erzählt haben, und wenn sich eines plöglich einem anderen öffnet, so wie unser Universum dem Ihren, möchte ich Sie ernstlich fragen, wie sehr Ihre Holdseligkeit, Ihr Glanz und Ihre Muße gesichert sind? Wir unterhalten uns hier, Don unzähligen Welten durch eine, ich weiß nicht, wie dünne Scheidewand getrennt. Und bei diesem Gedanken, mein Herr, scheint es mir, daß ich, während ich hier an diesem Orte in seiner erhabenen, goldschimmernden Ruhe stehe, schon fast das Getrampel hungriger Myriaden hören kann, wild und hartnäckig wie Ratten oder Wölfe, die fnurrenden Stim­men von Rassen, die an jede Qual und Grausamkeit gewöhnt sind, die Drohung furchterregenden Heldentums und er­barmungsloser Angriffe.

Er brach seine Rede plöglich ab. Er lächelte matt. Es

|

Die geforderte Aufschüttung eines Walles an der Ostseite ber Siedlung Heerstraße soll aber megen der ungewöhnlich hohen Kosten nicht zweckmäßig sein, denn es müßte hierfür eine besondere Förder­brücke über die bereits im Betrieb befindliche Bahnstrecke gebaut werden. Das Bezirksamt ist ferner der Ansicht, daß die Aufschüttung dieses Dammes den entschiedenen Widerspruch einer großen Reihe anderer Anwohner hervorrufen würde und nimmt dann auf die zahlreichen Einsprüche Bezug, die gegen die Verlängerung der Schnellbahn vom Bahnhof Stadion nach der Charlottenburger Chaussee als Dammbahn eingegangen sind, ferner macht des Be­zirksamt darauf aufmerksam, daß für den gewünschten Damm städtisches Gelände nicht zur Verfügung steht. Die Deutsche Reichs­ bahn - Gesellschaft habe gleichfalls nicht das Recht, eine größere Fläche in Anspruch zu nehmen, als durch die feffgefehten Pläne angewiesen worden sei. Im übrigen sei das Gelände an der Ostseite der Sigh­lung völlig mit Wald best anden, der im Falle einer Woll­aufschüttung eingehen würde. Die von einzelnen Anliegern erhoffte Wirkung des gewünschten Dammes dürfte nach Anficht des Besfria amtes höchft zweifelhaft fein, und es hofft, durch Anlagen und An­pflanzungen die befürchteten Störungen verhindern zu können. Das Bezirksamt Charlottenburg hat deshalb davon abgefchen, den Antrag der Bezirksverordneten an die Zentralverwaltung weiterzugeben.

Berbefferungen im Straßenbahnverkehr. Am Donnerstag, ben 23. Februar, wird der Straßenbahnbetrieb durch die Hasenheide wieder aufgenommen, und zwar mit den Linien 15, 115 und 58. Die Linien 15 und 115 werden von der Blücherstraße über Hasenheide, Berliner Straße geführt von der Bärwaldstraße über Greifenaustraße, Kaifer- Friedrich- Plazz, Hasenheide, Berliner Straße, Bergstraße bis zum Bahnhof Neukölln verlängert.

schien Mr. Barnstaple, daß er über Utopien triumphiere. Er stand da, mit den Händen in den Hüften, und, als ob er auf diese Weise seinen Körper biege, verbeugte er sich steif. ,, Mein Herr," sagte er mit jenem leichten Lispeln, das ihm eigen war, den Blick auf Mr. Burleigh geheftet ,,, ich habe meinen Spruch gesprochen."

Moment lang mit einem Gesicht, das sich schon fast zu einer Er drehte sich um und betrachtete Mr. Barnstaple einen Grimasse verzerrt hatte. Er nickte mit dem Kopf, als ob er mit einem Hammer Nägel einschlüge, raffte sich auf und mit einem Hammer Nägel einschlüge, rafste sich auf und lehrte zu seinem Platz zurück.

Urthred antwortete Mr. Catskill nicht direkt, sondern faß, die Ellenbogen auf die Knie und das Kinn in die Hände gestützt, da und dachte für seine Umgebung hörbar:

-

,, Das zerstörende Nagen der Ratten," dache er ,,, die zähe Wildheit des Wolfes, die Hartnäckigkeit der Wespen, Fliegen und Krankheitsfeime sind aus unserer Welt verschwunden. Das ist wahr! Wir haben viele von diesen, das Leben auf­zehrenden Mächten, vertilgt. Und haben nichts Wertvolles verloren. Bein, Schmuß und Unwürdigkeit für uns selbst oder für andere Lebewesen; sie sind verschwunden oder sie find im Verschwinden. Aber es ist nicht wahr, daß der Weit­streit aus unserer Welt verschwunden ist. Warum sagt er das? Jeder hier arbeitet nach besten Kräften um zu dienen und sich auszuzeichnen. Keiner wird sich aus Mühe oder Pflicht herausschwindeln wollen, wie es die Menschen im Zeitalter der Berworrenheit taten, als Geiz und Erwerbs gier herrschten und man an einen Lurus gewöhnt war, der über die. Harmlosigkeit großmütigerer Individuen trium­phierte. Warum fagt er, daß wir degenerieren? Er ist schon eines befferen belehrt worden. Der Indolente und Minder wertige gebetht hier nicht. Und warum droht er uns mit solchen Bahnvorstellungen, wie vom Einfall anderer, wilder und barbarischer Welten? Wir sind es, welche die Tore in andere Universen öffnen oder schließen fönnen, wie es uns beliebt. Weil wir wissen! Wir können zu ihnen gehen wenn wir genug wissen, werden wir es fun, aber fie tönnen nicht zu uns gelangen. Es gibt feinen anderen Weg aus den Käfigen des Lebens als das Wissen... Was für eine Gesinnung hat dieser Mann?

1

( Fortsetzung folgt.)