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Beilage

Freitag, 24, Februar 1928

Der Abend

Spätausgabe des Vorwärts

Das grose Birnendhütteln

DO

Eine Erinnerung an den 24. Februar 1848

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Die Französische Revolu-| läßt sich durch Polizeispizzel auch sie eine internationale tion von 1789 fteht in monu- Korruptionserscheinung zu einem Attentat verführen: der mentaler Größe vor unserem Herzog von Berry, ein Verwandter des Königs, wird 1820, geistigen Auge. Wir blicken zu äußerst gelegener Zeit, ermordet. Ein famoser Anlaß, um mit Reid auf die Entschieden das liberale Ministerium Delsolle- Decazes megz jagen.( In heit, mit der eine Klasse, die Deutschland hat später ein Attentat auf Wilhelm 1 . zum Bourgeoisie, ihre Selbständig: Sozialistengesetz geführt!) Frankreich wird flerikal und feit erkämpft. Mit Neid, weil rettet" Spanien durch einen militärischen Einfall vor dem bei uns um dieselbe Zeit Bür- Liberalismus. Unter Ludwigs Nachfolger Karl X. wird es ger und Bauern, durch die noch schlimmer. Das ,, Safrileggeset" bestraft jeden, der sich Schranken der Klein= an firchlichen Geräten vergreift, mit dem Tode. Eine Mil­sta aterei auseinanderge- liarde wird als Entschädigung ausgeworfen für die Familien riffen, sich zu feiner befreien der in der großen Revolution ausgeriffenen Aristokraten. den Tat aufzuschwingen ver­mögen; weil sie nach dem Grundsay ,, Teile und herrsche" von Monarchie und Adel mühelos niedergehalten wer­den und erst durch Napoleons Fremdherrschaft den Geist des neuen, des bürgerlichen Zeit­alters, zu spüren bekommen. Die ungeheuere sittliche Kraft, die die Erhebung Preußens und die Ueberwindung der napoleonischen Militärdikta­tur ermöglichte, ist aus den­selben Quellen gespeist wie die Erſtürmung der Bastille. Aber während diese Kraft nach außen, in der Bekämpfung des Na­tionalfeindes, abgelenkt wird. Napoleon gebrauchte im Grunde dasselbe Rezept, um sich seinen Thron zu sichern-, gra­ben sich die vierunddreißig deutschen Fürsten , die Napoleons Reinigung immer noch übrig gelassen hat, tiefer als zuvor in ihre Löcher ein. Die Völker, die für die Erhaltung ihrer Throne geblutet haben, werden in ihrer Hoffnung auf ein einiges, verfassungsmäßig regiertes deutsches Reich schmäh­lich betrogen, und die Heilige Allianz " der absolutisti­schen Monarchien Rußland , Desterreich und Preußen. be herrscht ganz Europa .

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Alle Errungenschaften der großen Revolution und des napoleonischen Zeitalters scheinen verschwunden zu sein. In England, dem Mutterlande der Parlamente, werden Ver­zweiflungsausbrüche hungernder Industriearbeiter im Blut erstickt, und selbst in Frankreich ist von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" feine Rede mehr. Metternich , der öster­reichische Ministerpräsident, die Seele der Heiligen Allianz ", hat die Bourbonen wieder in den Sattel gehoben, die ,, nichts gelernt und nichts vergessen haben", Ludwig XVIII. und dessen Nachfolger Karl X. mußten noch seiner Pfeife tanzen. Die Königstreuen veranstalten eine Haussammlung. Europa war wie ein einziger großer Kirchhof. Militär und Polizei regierten wie eine terroristische Internationale. Die wenigen süddeutschen Staaten, die sich einer bescheidenen Verfassung erfreuten, wurden von den Militärmächten Preußen und Desterreich umklammert und mit Hilfe des Deutschen Bundes niedergehalten. Der Großherzog von Baden wurde, als er in Uebereinstimmung mit den

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Kapitalistische Kolonialpolitik.

( Daumier)

Ständen die Pressezenfur aufheben wollte, von eben diesem Bundestag gezwungen, sein Fürstenwort zurückzunehmen und unter Bruch der Berfassung die Zenfur schleunigst wieder einzuführen.

Am befremdlichsten war diese Unterdrückung der bürger­lichen Freiheit in Frankreich . Sollte dieser Staat, der ökonomisch und kulturell vor dem jämmerlich ohnmächtigen deutschen Kleinstaatenbündel um mindestens ein Menschen alter voraus war, seine beispiellos heroischen Rämpfe um sonst ausgefochten haben? Die Methoden feirer Gewalthaber unterschieden sich durch nichts von den in Preußen und Desterreich üblichen. Die Begünstigung der Pfaffen und des Adels schürt die Erbitterung im Volt. Ein Unbesonnener

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( Daumier)

Ein militärischer Erfolg, die Eroberung von Algier im Jahre 1830, verdrehte dem übermütigen Bourbonen vollends den Kopf. Er bildete. sich ein, auf diesen Sühnekrieg" hin den starken Mann markieren zu können und erließ im Juli diefes Jahres seine berüchtigten fünf Ordonnanzen", mit denen er das Wahlrecht verschlechtern und die öffentliche Meinung fnebeln wollte.

Aber er hatte sich schwer verrechnet. Die Idee der Ver­fassung war dem französischen Volk viel zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen, als daß es sie sich durch preußisch- russische Maßregeln wieder hätte rauben lassen. Hier hörte die Macht der Heiligen Allianz " auf. Drei Tage lang kämpften die Pariser gegen das Militär des Königs und der Kirche. Aber um die Früchte ihres Sieges sahen sich die Arbeiter betrogen. Die Bourgeoisie wagte es nicht, die Republik auszurufen, sondern knobelte nach allerhand Kuhhandelsgeschäften auf Borschlag des geschmeidigen Talleyrand das Haupt der Libe­ralen, den Herzog Louis Philippe von Orléans zum Koalitionskandidaten für den erledigten Thron aus. Am 31. Juli übernahm er die vorläufige Regentschaft, am 3. Au­guft eröffnete er als Generalleutnant von Frankreich " die Kammerfizung und am 9. leistete er als König der Fran­zosen" den Eid auf die Verfassung.

Aber den Franzosen imponierte er damit nicht. Auch nicht mit militärischen Spielereien in Italien , in Algier und mit Flottendemonstrationen an der amerikanischen Küste und im Stillen Ozean . Mit seinem Eintreten für Mehmed Ali von Aegypten gegen die Türkei und die Quadrupelallianz hätte er beinahe einen Krieg mit den Mittelmächten herauf­beschworen. Selbst mit der Ueberfuhrung von Napolecns Gebeinen nach Paris und ihrer Beisezung im Invalidendom fonnte er sich nicht beliebt machen. Er hatte nicht den Mut, gegen Louis Napoleon . dem Kandidaten der Bonapartisten, einzuschreiten, trotzdem dieser zweimal, 1836 und 1810, Militärputsche unternahm. Er behandelte die Herren von rechts mit Samthandschuhen, um die Opposition von links desto brutaler niederf nütteln zu fönnen. Dabei war es ziemlich gleichgültig, ob ein liberaler oder ein fo: 1- servativer Minister am Ruder war: in der Bekämpfung der republikanischen Arbeiterschaft gab der liberale Thiers dem fonservativen Guizot nichts nach. Der Kampf drehte sich vor allem um die Verbesserung des unmöglichen Wah rechts, das gegenüber 24 000 Wählbaren nur 200 000 Wähler vor= sah. Die Unternehmer, denen dieses Wahlrecht politisey den Rücken steifte, hatten goldene Zeiten. Nachdem schon 1832 Unruhen in den Industrieſtädten Paris, Lyon, St. Etienne ausgebrochen waren, rückte die Regierung immer weiter von ihren Zusagen von 1830 ab. Im Jahre 1834 richtete anläß­lich einer Arbeiterdemonstration in der Rue Transnonain Militär ein fürchterliches Blutbad an, bei dem Frauen, Kinder, Greise, die ganz unbeteiligt waren, ermordet wurden. Noch im selben Jahr erließen auf Wunsch des ,, liberalen" Königs die ,, Bäuche" in der Kammer die ,, Septembergesetze". die die Presse- und Redefrcibeit völlig besei tigten.

Die Regierung merkte gar nicht, wie sie den Bogen über­spannte. In Paris hatten sich die Unzufriedenen, denen man öffentliche Bersammlungen verwehrie, zu sogenannten ,, Reformbantetts" zusammengefunden. Vom Juli bis Dezember 1847 fanden nicht weniger als 70 in Paris statt. Nun ließ es sich die Regierung sogar einfallen, diese Bankette zu unterdrücken. Das 12. Arrondissement hatte auf den 22. Februar zu einem solchen Reformbanfeit eingeladen. Die Polizei verbot es. Aber die Veranstalter hielten daran fest. Bei dem Versuch, diese Veranstaltung zu sprengen, brach der Unwille des Voltes gewaltig aus: man baute Barricaden. Am 23. Februar trat bereits die Nationalgarde zu den Auf­ständischen über, am 24. einige Linienregimenter. Mit ihrer Hufe konnten die Tuillerien erstürmt, der König, dem auch sein Thronverzicht zugunsten seines Sohnes nichts muzte, in die Flucht gejagt werden. Zwei Jahre später ist Louis Philippe, der verunglückte ,, Bürgerfönig", im Eril der Könige, in England, gestorben. Er ist eine der unrühmlichsten Fi­guren in der an Jammergestalten so überreichen Reihe der

Bon vornherein hatte Louis Philippe drei Parteien gegen sich: die Royalisten, die ihre Bourbonen nicht vergessen fonnten, die Bonapartisten. die einen Nachfolger Napoleons auf dem Thron sehen wollten, und die Republikaner. Die Minderheit, auf die er sich einzig stüßen konnte, war die liberale Bourgeoisie: Großindustrielle und Hochfinanz. Es Ein Minister des Innnern geht mit seinem Innern zu Rate über waren meist Emportömmlinge- man nannte sie nur die Dauer der Größe im allgemeinen und die Dauer der ,, Bäuche". Das Bürgerfönigtum" war nichts anderes Ministerien im besonderen. ( Daumier) als eine Parteiregierung, die sich nur durch skrupellose Wahl­beeinfluffung und Korruption jeder Art achtzehn Jahre be­haupten fonnte. Der Bürgerkönig" selber, der Sohn des Herzogs Philippe Egalité" und wie sein Vater ehemals Mitglied der Nationalgarde und des Jokabinerklubs, Mit fämpfer bei Balmy, Jemappes und Neerwinden in der Re­volutionsarmee, dann Lehrer in der Schweiz, auf Verlangen des Direktoriums ausgewandert nach Amerika und England, hatte sich zwar mit den Bourbonen äußerlich wieder ausge­söhnt-Back schlägt sich, Back verträgt sich aber Ludwig XVIII. betrachtete ihn doch stets mit Mißtrauen. seitdem er 1812 wieder nach Frankreich zurückgekehrt war. Louis Philippe war ein geriffener Geschäftsmann und mar­fierte gleichzeitig den Musterbürger und braven Familien vater. Er mischte sich gern mit einem großen Regenschirm unter das Volk, dem er mit seiner affettierten Einfachheit zu imponieren gedachte.

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europäischen Monarchen. Ein ungemein lehrreiches Beispiel dafür, was dabei herauskommt, wenn man modernes Ge­shäftemachertum und Monarchie zusammenspannt. Kein Wienarch ist so sehr dem Flucht, der Lächerlichkeit preisgegeben worden wie dieser feiste Spießer mit der fleinen Stirn und dem gierigen Mau, mit der irne, die Daumier, der genialste aller Karikaturenzeichner, so schonungslos porträ tiert hat. Das Bild prägte sich so sehr dem Volksbewußtsein ein, daß man vom 24. Februar nur als von dem ,, Großen Birnen schütteln" sprach.

Diese Revolution, die Februar- Revolution", war in ihrer Wiriung nach innen und auße. piel stärker als die Juli­Revolution gewefen war. Sie verhalf der Republik zum Siege und brachte zum erstenmal Sozialisten in die Re­gierung: die Arbeitervertreter Ledru Rollin, Albert, Louis Blanc.

Hermann Hieber.