r. 265.
Mr.
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Vorwärts
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12. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Dienstag, den 12. November 1895.
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Die parlamentarische Jekkakuva)| fapitalistischen Moral einen so hohen Begriff geben. Dieser| Republikaner in Schweine und sonstiges Gethier verwandelt in Frankreich .
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Anwalt der Finanzgesellschaften, der Stolz der bürgerlich zu haben; aber nein! sie fährt fort ihre Zauberkünfte auch republikanischen Partei wurde durch die böse Fee mit den an den Radikalen auszuüben. Sobald ein Radikaler sich Paris , den 9. November 1895. Gold- Augen dazu verurtheilt, in dem Elysee( dem Präsidenten- auf die Ministerbank setzt, verwandelt sie ihn in palaft) eine Schwindel- Agentur für Geschäfte der denkbar einen wüthenden Stier, der überall Roth sieht und Das neue Ministerium ist ohne allzuviel Schmerzen aurüchigften Art zu errichten. Dieser unglückliche Präsident blind stürzt er er auf seine alten Freunde los und und Zögerung zur Welt gekommen; ein Radikaler, der, Republik , der höchstens ein Viertel seiner Besoldung trampelt toll, mit Schaum vor dem Mund, auf Bourgeois, fißt ihm vor; zwei reine Charaktere, Cavaignac verbrauchte, wurde gezwungen, ebenso wie die Journalisten den radikalen Versprechungen herum. Floquet, Dupuy, und Hicard, schmücken es; ein genialer Chemiker, Berthelot , der Reptilienpresse, sich alljährlich eine Summe von der Boden- Laygues waren Radikale, und ihre Thätigkeit während giebt ihm einen Abglanz seines Ruhmes; ein junger und Fredit- Bank( Crédit Foncier ) bezahlen zu lassen. Wenn die des Besitzes der Regierungsgewalt bestand in den beweglicher Streber, Doumer, belebt es mit seiner Queck Gerichte in die Rechnungen dieser Finanzgesellschaft Licht wildesten Maßregeln gegen die streikenden Arbeiter, in den filbrigkeit; ein lüderlicher Gymagistrat, Guyot- Dessaigne, bringen, dann wird Panama in den Schatten gestellt sein. ungerechtesten Verfolgungen der Sozialisten und in freiheitsunterhält es mit seinen Boten; und ein einfältiger Philister, Die opportunistischen Republikaner hatten angekündigt, mörderischen Gesezesvorschlägen, so ungeheuerlich, daß man, Mesureur bient ihm als belebender Geist. Die Minister daß ihre Republik die billige Regierung" sein werde, die nachdem sie beschlossen waren, garnicht wagte, fie anzuund ihre Freunde verkünden, daß das neue Ministerium keinen höheren Zweck habe, als Ersparnisse zu machen. Sie wenden. genug gute Vorsätze hat, um den Weg zu verschiedenen empfingen aus den Händen der monarchistischen Minister Während durch eine seltsame Verwicklung der ErHöllen zu pflastern. Aber das schönste Gold verwandelt eine reiche Republik, deren Budgets jedes Jahr Einnahmen- eignisse die Monarchisten im Ministerium die Republik befich manchmal in gemeines Blei; man weiß nicht, welche Ueberschüsse von dußenden und hunderten von Millionen festigt hatten, haben die Opportunisten und Radikalen in Unglücksfee all den Ministerien, welche auf der aufzuweisen hatten, die von Jahr zu Jahr sich vermehrten. der Regierung nur die Geschäfte der katholischen und reakParlamentsbühne der dritten Republik paradirt haben, Eay, den Rothschild in das Finanzministerium gesetzt hatte, tionären Parteien zu verrichten gewußt. Ihr höchftes Ziel einen bösen Spruch an den Kopf wirft; bis jetzt haben sie um dort sein erster Kommis zu sein, hat mit Hilfe der Rouvier des war und ist, deren Gunst durch Verleugnung ihrer repusämmtlich die Hoffnungen getäuscht, die an ihren Re- großen Ministeriums"( so nennt man das Ministerium Gam- blikanischen Vergangenheit zu gewinnen. In ihrer ungierungsantritt geknüpft wurden. betta, weil es große Hallunken an die Spige des Staats brachte) glaublichen Verblendung haben sie nicht bemerkt, daß eine Die Minister, welche unter der Präsidentschaft von Thiers die Staatsschuld um rund zehn Milliarden neue Partei sich im Lande gebildet hat; daß und der von Mae Mahon von einer Mehrheit royalistischer zehntausend Millionen vermehrt, so die Macht dieser Partei von Tag zu Tag wächst; Abgeordneter ernannt wurden, hatten die Aufgabe, die daß das Budget, statt Einnahme- lleberschüsse aufzuweisen, daß sie schon Vertreter in der Kammer fizen Monarchie wieder herzustellen; und all ihre Anstrengungen am Horizont die angenehme Perspektive des Staatshat; daß diese Vertreter seit den Wahlen von 1893 vier führten nur dazu, die Republik zu befestigen, der die bankerotts aufsteigen läßt. Der Check- Mann Jules Ministerien und einen Präsidenten der Megeleien und der weiße Schrecken des Jahres 1871 Roche fagte den Herren Kapitalisten jüngst dieses unver- Republik gestürzt haben. Wird der Sturz der Ribot, durch den Tod, den Bagno und das Eril ihre glühendsten meidliche Ende voraus. Trarieux und Leygues Herrn Bourgeois und seinen Kollegen und tapfersten Vertheidiger geraubt hatten. Die Fee, welche die Regierungsrepublikaner durch das die Augen öffnen? Ich bezweifle es. Der Sturz Mac Mahon's überlieferte die Republik den Klingen der Goldstücke und das Rascheln der Banknoten Wird der magische Zauberstab ihren Verstand veropportunistischen Republikanern, deren entrüstete Worte und Checks verzaubert hat, zwingt sie nicht blos, die wirren? Er hat es schon gethan! gegen die Schweinereien des Kaiserreichs als Echo noch schmutzigsten und niederträchtigsten Handlungen zu begehen, Der Kriegsminister Cavaignac reizt den Zorn der wiederhallen; und durch ein unfaßbares Verhängniß plumpten sondern nimmt ihnen auch, wie einem Theil der Verdammiten Militärs von Fach; sie erklären, die Schreckensherrschaft diese Männer von grimmiger Sittenſtrenge in ein Schlamm- in Dante's Hölle el ben del' inteletto das Gut des der Jakobiner würde wieder anfangen, weil Cavaignac ein meer der schmutzigsten Geschäfte und Spekulation, von denen Denkvermögens; diese armen Blödsinnigen bemerken gar Bürgerlicher ist, und weil es eine Schmach für die Armee in letzter Zeit der Schleier abgezogen ward. Der Präsident nicht die Wirkung ihrer Unfähigkeit und Schufterei; sei, von einem Minister befehligt zu werden, der keine ,, LederGrevy, dieser republikanische Methusalem , der unter Louis sie waren empört, daß die Arbeiter nicht an die Voll- hose" sei. Und doch ist die Unterstellung des Militärs unter Philippe und unter Napoleon III. sich durch die Festigkeit fommenheit der besten aller Republiken glauben wollten das Bivil eines der bürgerlichsten der bürgerlichen Jdeale, und Reinheit seines Handelns ausgezeichnet hatte, und in ihrer Verblendung sich dem Sozialismus in die das auch in England und anderswo verwirklicht ist. ecöffnete den Reigen jener Skandale, die von der Arme warfen und zum theil, begeistert von dem Federbusch Boulanger's, hinter diesem herliefen. *) Jettatura( fp. dschettatuhra) ist italienisch und heißt der Die parlamentarische Circe*) hätte zufrieden sein böse Blick, die Verzauberung durch einen Blick, den irgend ein können, die Monarchisten gefoppt und die opportunistischen boshafter Dämon oder ein mit dieser Fähigkeit ausgestatteter Mensch auf jemand wirft, und durch den er ihn unglücklich macht. Auch ein böser Spruch, wie der der Unglücksfee im Dornröschen wird Jettatura genannt.
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Ein Derrückter.[ Nachdr. verboten. Kampf und Ende eines Lehrers. Roman von Joseph Ruederer.
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*) Eine Zauberin des Alterthums, die in der Odyssee Homer's
vorkommt.
„ Du.
Du thust mir so leid."
Nun schluchzte sie laut und schlang ihre Arme um seinen Hals. Er suchte sie zu besänftigen, aber es gelang ihm nicht. Sie verknüpfte die Hände noch fester und schüttelte heftig den Kopf.
Auna suchte ihre Erregung zu bemeistern und lehnte sich an seine Schulter. So hatte sie ihn noch nie" Sei vernünftig, Anna! Dich geht's ja nig an!" gesehen, noch niemals solches Mitleid für ihn empfunden," Oh", stöhnte sie, und vergrub sich an seine Bruſt. wie jetzt, als er stockend und tonlos berichtete, was ihm im Freilich geht's Dich nix an", fuhr er fort, denn uns Pfarrhaus begegnet war. Dem Mädchen war seine un- tann's ja weiter net schaden. werd' dem Benefiziaten heimliche Ruhe entsetzlich. Wenn er nur toben und schreien nimmer widersprechen und will still sein zu allem, damit's wollte, sie ertrüge es leichter, als diese starre Verzweiflung im Sommer fort geht von hier. Aber, jetzt sei doch stad, über das Kind, das man aus seinen Händen reißen wollte, was hast d' denn?" um es einzumauern auf Nimmerwiedersehen. Mit ganz anderen Augen sah Anna auf einmal zu ihm empor. Jetzt wußte sie, wie der Lehrer an dem Jungen hing, wie er die Anleitung feines Schülers fürs fünftige Leben als seinen Stolz und sein heiliges Recht betrachtete, das er nur mit brechendem Herzen verloren gab.
" bin a elendes Geschöpf, Franz." „ Du? Warum denn?"
" Ja, ja", rief sie, i hab ganz schlecht an Dir g'handelt."
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Aber Anna! I versteh Di net! Schau, mir thut's ja nur leid um den armen Buab'n..." Fester schmiegte sie sich an ihn. Ihre eigene Schul- Er konnte nicht mehr weiter reden und ließ die Faust zeit fiel ihr ein, während er so redete. Sie hatte den schwer auf den Tisch herniederfallen. Sie hielt ihn noch Unterricht als etwas Selbstverständliches hingenommen und immer fest umfangen. nie darüber nachgedacht, daß noch andere Ziele und Be- Anna!" sagte er und hob ihren Kopf mit beiden Händen strebungen den Lehrer leiten konnten, als das tägliche, zurück. Als er sie füßte, antwortete sie stürmisch und glühend. mechanische Einbläuen der Lehrfächer in beschränkte, hilf Sie war ganz aufgelöst in Schmerz und Zärtlichkeit und lose Geschöpfe, die eine zähe Geduld und Ausdauer ver- riß ihn heftig an sich. langten. Wenn ihr Gattl auch tausendmal sagte, wie hoch Im Zimmer war es unerträglich heiß und schwül. Die er seinen Beruf auffaßte, was er wollte und zu erringen eiserne Dfenthür glühte und drinnen summten die slackernsuchte niemals noch hatte sie ihn so verstanden wie den Kohlen. Am Fenster tickte eine Weckuhr in heftigen, heute, wo er vernichtet vor ihr saß und über der Zukunft unruhigen Schlägen auf und ab. des Jungen seine eigene vergaß.
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Gattl strich sich die Haare aus der Stirne und blickte Sie schämte sich ihrer Blindheit und zuckte zusammen, erregt um sich. Seine verzweifelte Ruhe war einer leidenals sie weiter bedachte, welchen Lohn der abgehetzte Mann schaftlichen Wallung gewichen, die sein ganzes Gesicht in für seine Menschenliebe empfing. Den Geistlichen glaubte zuckende Bewegung brachte. Mit beiden Händen fuhr er fie zu sehen, zu dem sie nur mit geheimer Furcht aufzu über Anna's volle Arme und es war ihm dabei, als hörte blicken vermochte, seitdem sie Gattl's Verlobte war. Schreck- er seine Pulse pochen. Endlich nahm er sich zusammen: licher aber, als unter der vergoldeten Kanzeldecke, wenn er„ Ich glaub es ist scho spät... i muß fort, mit drohender Gebärde auf die lodernden Flammen der Anna!" Hölle wies, schrecklicher als im Beichtstuhle, wo er Strafe Nein", schrie fie, nein! ich laß Dich net fort!" Und und Buße verkündete, schien ihr der Priester am heutigen noch wilder füßte sie ihn und zog sein Haupt an ihr thränenTage, wo er mit unbarmherziger Strenge über ihren Ver- überströmtes Gesicht. Wüthend preßte er sie an sich, wählobten die Fuchtel schwang und ihm sein schönstes Recht rend sich seine Erregung mit jedem Schlage des vibrirenden ftreitig machte. Uhrenperpendikels erhöhte.
Fehlt Dir was, Anna?" fragte jeßt der Lehrer. wei große Thränen schwammen in ihren Augen.
Dieser Cavaignac , der in seinem Bericht an die Budgetkommission das Kriegsministerium als eine Diebeshöhle fennzeichnete, stand vor einigen Jahren an der Spize des Marineminifteriums, das den Tugendpreis nicht besser verdient; damals vertheidigte er gegen Clemenceau und die Raditalen alle Unterschleife und Mängel seines Ministeriums. Vielleicht wird aus ihm jetzt ein Advokat der Militärverwaltung. ginge etwas Gräßliches um ihn vor, während das Mädchen voll hingebender Liebe an seinem Halse hing. Was war es denn? Nur langsam konnte sich Gattl zurecht finden und unterscheiden lernen. Aber jetzt erkannte er's, was so gedämpft in das Zimmer tönte, es war die gleiche Melodie, die er unten im Thale vernommen hatte, als der freche Bursche in die Kammer seiner Geliebten stieg.
Furchtbar zuckte der Lehrer zusammen. Was rief ihm denn dieser Ton ins Gedächtniß zurück? War er nicht hierhergekommen, um den Bauern warnen zu lassen? Und jetzt?
Jezt saß er selbst da und hielt seine Braut im Arme, ein willenloses Opfer der durch schreckliche Jahre zum Wahnfinn gepeitschten Leidenschaft, das er wie fügsames Wachs in seinen Händen hatte, während der vertrauensselige Vater auf Stunden entfernt war, die Mutter drüben im Kirchhof vermoderte und die Dienstmagd. bis in den grauenden Morgen im Wirthshause tanzte.
Entsetzlich war ihm dieser Gedanke. Weg mußte er und zwar gleich, auf der Stelle, denn einen Augenblick war es ihm, als sähe er den offenen Sarg mit der Leiche der Försterin im Zimmer.
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Haftig griff er nach Anna's Händen und wollte sie vom Halse lösen umsonst! Anna!" ächzte er, laß mich los, um Gotteswillen." Sie legte den Kopf ein wenig zurück und sah ihn an. Wie eine sanfte Beruhigung überströmte ihn ihr zärtlicher Blick. Nein, nein, er konnte nicht gehen, er mußte hier bleiben bei dem zitternden Geschöpfe, das mit jedem Athemzug und Herzschlag sein eigen war. Langsam traten die schrecklichen Bilder zurück, langsam verstummte die Musik
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Draußen wetterte und stürmte es. Mitternacht war angebrochen und ein tobender Föhn hezte mit lauwarmen Wogen über das Thal hinweg. In wuchtigem Anprall zersprengte er das Eis und stampfte den Schnee in den Boden. Von den Dächern begann es zu plätschern und heller schwammen die Schläge der Kirchenuhr, vom Winde getragen, in die feuchte Luft hinaus.
Tod und Vernichtung war dem Winter verkündigt vom ersten Frühlingssturm, der jauchzend über die Erde ( Fortsetzung folgt.)
Da fuhr er plöglich zusammen und lauschte mit aus rauschte. gehaltenem Athem. Es war ihm mit einem Male, als l