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Beilage

Freitag, 16. März 1928

1040

1848

Die Berliner Märztage von 18t

Im Spiegel der Karikatur/ Von Reinhold Müller

haben; sie haßte er wie die Pest; und manch' eine seiner fleinen Bemerkungen über diese Menschenklasse würde im heutigen verfülzten Deutschland Anlaß genug gewesen sein, dem zornmütigen Streiter das Lebenslicht auszublafen.

Revolutionen find goldene Zeiten für die Karikaturisten. Ueber-| waren die Geistlichen. Mit den Pfaffen" wollte er nichts gemein tommene Schranken und Stützen brechen plötzlich weg. Sorgfam behütete Bürgerlichkeit sieht sich unvermutet tefenden Stürmen preis gegeben und schwankt haltlos hin und her. Alles geht drunter und drüber. In der Arena des politischen Kampfes herrscht der Augen blid. Selbstbeherrschung und Ueberlegung weichen dem Impuls,

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Nante Fritz" in der Bürgerwehr.

bem ersten Einbrud. Menschen und Dinge zeigen für furze Se­funden ihr wahres Gesicht, offenbaren ihre Möglichkeiten. Ihre Kraft übersteigert sich zu ungeahnter Stärte, ihren Schwächen lassen fie ungehemmt ihren Lauf. Begreiflich, daß hier der Stift des Karikaturisten, der Uebertreibung und Uebersteigerung braucht, die dankbarsten Objekte findet. Mischt sich der Zeichner aber in den politischen Rampf, so begibt er sich in eine große Gefahr. Sinn einer guten Karikatur ist ja die Befreiung: Sie gewinnt selbst den schwersten, ernstesten Dingen eine heitere Seite ab und löst so durch das Lachen im rechten Augenblick unerträgliche Spannungen. Irgend wie jedoch ist jeder Künstler, mag er auch noch so betont unpolitisch fein, doch mit dem politischen Geschehen seiner Zeit verbunden; irgendwie nimmt er Stellung und bildet sich sein politisches Urteil. Trägt der Karifaturist diese seine politische Stellung in seine Zeich mungen hinein, so ist das noch fein Unglück. Es fann im Gegenteil fogar von bedeutendem Werte sein, weil der Gegner die Fehler und Schwächen des anderen schärfer sieht, als der andere selbst. Uners quidlich und unproduttiv wird die Karikatur erst, wenn sie ihren eigentlichen Zwed vergißt und sich ausschließlich dazu hergibt, den politischen Gegner zu verleumden. Wenn man z. B. die Karikaturen der Reaktion aus dem Jahre 1848 betrachtet, so erschridt man über beren Ideenarmut. Schon damals zeigt sich eine ähnliche Erscheinung wie 1918. Die Karikaturen der Rechten tannten fein anderes Ziel, als die Revolution nicht etwa lächerlich das hätte immerhin noch im Sinne ihrer Aufgabe liegen können! sondern sie geradezu vers ächtlich zu machen. Auf der anderen Seite fallen auch revolutionäre Raritaturisten in ähnliche Fehler und geißeln in maßloser Verzerrung und unerhörter Schärfe Speichelleckerei und Hoffchranzentum als den eigentlichen Inhalt des Vormärz .

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als den

König Friedrich Wilhelm IV. war ein willkommenes. Objekt für die Karikaturisten. Schon sein Aeußeres, fein unförmiger, aufge­schwemmter Oberkörper und seine langen, dünnen Beine mußten fie reizen. Dazu fam, daß dieser Monarch eine merkwürdig unglückliche Hand hatte. Alles, was er anfaßte, mißlang; und selten ist ein Herrscher so an seinem Bolle vorbeigegangen, wie er. Hierin hatte er eine geradezu erstaunliche Aehnlichkeit mit dem letzten Hohenzollern . Am bekanntesten ist die Karikatur auf den Aufruf vom 19. März 1848,2n meine lieben Berliner", der so herzlich gut ge. meint war, aber so gänzlich wirkungslos verpuffte. Die beruhigenden Worte der Kundgebung standen im schreienden Gegensatz zu den Grausamkeiten des Militärs bei den Straßenfämpfen, und so zeichnete ein Wizbold den Landesvater", wie er als Hanswurst eine Kanone bedient und gegen die Bürger eine große Kanonenkugel mit der Aufschrift An meine lieben Berliner" abschießt. Auch die Tatsache, daß Friedrich Wilhelm in den Stürmen der Märzrevolution plöglich Sein schwarzrotgoldenes Herz entdeckt hatte, erheiterte natürlich die Berliner .

Seinem Bruder, dem Prinzen von Preußen, dem späteren Röntg Wilhelm, ging es nicht beffer. Die Berliner fannten ihn als einen ganz schlimmen Scharfmacher; und in den Märztagen richtete fich ihre But ganz besonders gegen ihn. Sein Palais Unter den Linden wäre von den Aufständischen gestürmt und geplündert worden, wenn nicht ein Student an die Tür des Hauses mit großen Buch staben das Wort Nationaleigentum" geschrieben hätte. Der Prinz

Aus Berlins Belagerungszustand. Soldat: Mit Waffen auf der Straße? Sie roird gehabustcorpust! Frau Kollmitky: Donnermetter Milletärperschen, laaßen Sie mir sind, oder ick leist Ihn'n einen passiven Widerstand, daß meinen besoffenen Ollen die Zähne Dont Zusehen wackeln sollen.

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

felbft entwich bei Nacht und Nebel nach England. Damit entging er zwar der Rache der Revolutionäre, nicht aber dem Stift der Zeichner, die ihn bei seiner Gevatterin, der Königin von England, ins Zimmer treten ließen als einen schlichten Bürgersmann, der das Wort ,, Nationaleigentum" auf die Brust geschrieben trug.

Aber nicht nur die Gegner der Revolution, sondern auch alle anderen irgendwie hervortretenden Persönlichkeiten, jeder einiger­maßen bedeutende Vorgang finden sich in der Karikatur verewigt. Die Aufhebung des Rauchverbots in den Straßen Berlins , die Be­seitigung der Zensur und der ständige Ministerwechsel, die Parla atentsredner, die Roheit des Militärs, die Scheinheiligkeit der Re­aftion, die Demokraten mit ihren langen Bärten es waren goldene

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Neue Art, eine Constitution zu geben.

Tage für die, die fich trotz des Ernstes der Zeit Augen und Sinne für die Romit offen gehalten hatten. Daß diese Revolution es aber fertig bekam, über sich selbst zu lachen, wenn es sein mußte, ist ein gutes Zeichen. Im März 1848 stand das Bürgertum plöglich vor der Erfüllung jahrzehntelang gehegter Hoffnungen. Die deutsche 3mietracyt schien beseitigt; die Befreiung vom Polizeistaat war Wirklichkeit. Begreiflich, daß das Volk sich nicht sofort in den neuen Berhältnissen zurecht fand. Es ging ihm, wie dem Knaben, der zum ersten Male lange Hofen anzieht. Eben noch Kind, soll er sich mit einem Male als Erwachsener benehmen. Das Bürgertum, eben noch Objekt der Obrigkeit, sollte jetzt die Obrigkeit selbst sein. Da hielt es sich zunächst an die äußeren Formen der alten Gewalt, die thm innerlich völlig fremd waren. Am drastischsten wirkte sich dieser 3wiespalt in der Bürgerwehr aus. Der plötzlich mit Waffen ver. fehene Bürgersmann glaubte, fich nun auch ein recht triegerisches Aussehen geben zu müssen. Das stand ihm aber gar nicht, und oft genug brach durch das martialische Aeußere seine im Grunde be. häbige Natur durch. Wenn wir den Karikaturisten trauen dürfen, zog es manchen braven Gardisten nach dem ersten, begeisterten Auf­flammen seines Kriegerfinnes doch bald wieder so mächtig zu seinem abendlichen Schoppen, daß er darüber Bostenstehen und Patrouillen­gehen vergaß.

Und das Ende? Eine große Bitterkeit! Michel wird gezeichnet, wie er schwer gefesselt und gefnebelt im Bette liegt. Die Parasiten des Vormärz, Hoffchranzen und Militär, umstehen sein Lager. Der Russe, der viel zur Niedermerfung der Revolution in Deutschland bei. getragen hatte, ist der dritte im Bunde. Das Blatt aber trägt ein paar Berse als Unterschrift:

,, Schlaf, Michel, schlaf! Du bist und bleibst ein Schaf! Schlaf noch eine Weile,

Du hast ja teine Eile!"

,, Schlaf, Michel, schlaf

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Zwischen beiden Richtungen steht eine britte Reihe von Karika für die Revolution turen, die zwar auch eine politische Stellung -einnimmt, sich aber doch ihrer eigentlichen Aufgabe, dem bes freienden Lachen unter allen Umständen eine Gaffe zu brechen, be­wußt bleibt. Ihre edelste Blüte ist der Kladderadatsch", der 1848 gegründet wurde. Heute freilich ist er feinen guten Traditionen längst untreu geworden; er ist auf einen solchen Liefstand unproduktiver Satire gesunken, daß er mit seinem geistvollen Vorgänger nur noch den Namen gemein hat. Damals stand er in Reih und Glied mit den Revolutionären und schoß seine scharfen und lustigen Pfeile ab gegen alles, was ihm befämpfenswert erschien. Er konnte es sich leisten, auch gegen die menschlichen Schwächen seiner Mitkämpfer vom Beder gu ziehen. Nur in einem Puntte verstand er teinen Spaß. Das

Revolutionshumor von 1848.

Des Königs Gruß.

In der Nacht vom 18. zum 19. März war während der Berliner Straßenfämpfe eine Granate als Blindgänger in einem Bumprohr stecken geblieben. Ein Wigbold hing an die Granate ein Platat, auf dem die erstaunten Berliner am nächsten Tag lesen konnten: An meine lieben Berliner!"

Gerettet.

Ein hoher Beamter, der am 19. März unter die Menge geraten mar, wurde erkannt und verfolgt. Er flüchtete, wurde jedoch um. ringt und es wäre ihm wohl schlecht ergangen, wenn nicht ein Ar beiter auf eine ultige Idee gekommen wäre. Er schrieb dem Angst menschen mit Kreide in großen Schriftzügen auf den Rücken: Na­tionaleigentum!" Darauf ließ ihn die Menge lachend laufen.

Der fönigliche Finanzminister.

sichtige, demnächst mein Geschäft aufzugeben. Wer mich näher fennt, wird wissen, woran er ist. Fremden und Auswärtigen aber emp­fehle ich nach wie vor mein reichhaltiges Lager von Nachtmüßen und Unterbeinkleidern. Levy Heymann, Schloßplay.

Blaue Bohnen.

Müller: Sag mal, Schulze, da werden ja wieder eine Masse Kugeln aus det Zeughaus verladen!

Schulze: Man ruhig, Müller, die kommen alle wieder nach Berlin . Siegt det Bolt, denn holen mir se uns und siegt die Regierung, denn schicken sie se uns.

Logischer Beweis.

Gäbe es teine Revolution, so hätten wir auch im März 1848 teine gehabt; hätten wir im März 1848 feine Revolution gehabt,

Barum hat der Erminister der Finanzen den Staatsschatz bis so wären auch die Liberalen nicht reaktionär geworden; wären die auf den Grund erschöpft?

Weil er sein Schäfchen ins Trodene bringen wollte.

Aus der Naturgeschichte der Fürsten . Jestern habe ich es zum erstenmal rausgefriecht, warum die Fürsten nich so'n schnellen Forschritt lieben, wie wir Bölfer. Ich habe dieses durch die Wissenschaft erlangt, indem ich meinen Sohn Wilhelm seine Bücher nachfah, da fand ich in de Naturgeschichte, daß der Purpur aus eine Schnede gewonnen wird.

Republik oder Monarchie. Schulte: Sajen Se mal! Wat is des denn ejentlich, ene Republit?

Müller: Nu, wo der König vor umsonst da is. Schulte: Det is ja sehr billig!

Liberalen nicht reaktionär geworden, so hätten sie das Volk nicht verraten; hätten sie das Bolf nicht verraten, so fönnte auch der alte Bundestag nicht wieder eingeführt werden; der alte Bundestag fann aber wieder eingeführt werden, ergo muß es auch eine Revo Tution geben.

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Ueber die Verfassung.

Solange wir feinen reinen Volks- und natürlichen Rechtsboden haben, solange ist jede Verfassung ein Stück Pergament, das immer Luft hat, sich wegen seiner Bergamentsgeburt zu revanchieren und allen sein, die es sich gefallen lassen, das Fell über die Ohren zu ziehen.

Unterm Belagerungszustand.

3wei fliegende Buchhändler treffen sich auf dem Schloßplatz. Müller: Ja, wenn et nach de Billigkeit jinge; aberst Sagt der eine: ,, Nu sag' mal, Frize, wat machen wer nu, nu alles unser König is uns viel zu teier und darum.. Schulze: Ach so! Darum behalten wir'n!

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Böswillige Konkurrenten haben seit einigen Tagen das Gerücht zu verbreiten gesucht, ich wolle deutscher Kaiser werden und beab­

Derboten is?" ,, Det will ick dir sagen, mein Junge," meint der andere. Du schreift den ,, Kladderadatsch" aus und ich denunzier dir. Id kriege zwee Taler und du eenen Tag Ufhebung der per­sönlichen Freiheit. Denn schreie id wieder den Kladderadatsch" aus un du denunzierft mir; na, uf die Art können wir' n Be lagerungszustand aushalten,