Beilage
Donnerstag, 22. März 1928
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
650 Angestellte werden geprüft.
Wissenschaft", die dem Unternehmertum dient.
Das Wort„ Beruf" hat für die meisten Menschen seinen Sinn verloren. Nur die allerwenigsten können heute der Beschäftigung nachgehen, zu der sie ihrer ganzen Veranlagung nach ,, berufen" find. Was der Hand- wie der Kopfarbeiter treibt, ist im allgemeinen nichts anderes cás Broterwerb. Er muß sich so teuer wie möglich verfaufen der Unternehmer will ihn so billig wie möglich faufen. Auf dieser Basis baut sich das Arbeitsverhältnis auf.
Unsere gegenwärtige Gesellschaftsordnung hat nur in äußerst geringen Fällen für Berufe" Play. Der gesamte Arbeitsprozeß nicht nur in der Industrie ist soweit mechanisiert, daß für den
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Sorgfaltprüfer."
lebendigen Menschen faum noch Verwendung ist. Nur diese oder jene seiner Fähigkeiten werden gebraucht; da man sie nicht gut von der zugehörigen Person völlig loslösen kann, so wird diese Person mährend der Arbeitsdauer menigstens ausgeschaltet. Sie ist zwar da, aber fie muß durchaus so fun, als sei fie nicht vorhanden.
Ein wirklicher Beruf", also Arbeit in der von der geistigen nnd förperlichen Beranlagung vorgeschriebenen Richtung, fann- wenigftens in vernünftigen Grenzen beinahe ohne jede Erbeinahe ohne jede Ermfidungserscheinung ausgeübt werden. Wie aufreibend dagegen der moderne Arbeitsprozeß ist, braucht man feinem zu sagen, der selber drin steht und seine Auswirkungen am eigenen Leibe erlebt. Der Arbeiter ist nach achtstündiger Tätigkeit leer, ausgepumpt, von der Arbeit ebensosehr ermüdet wie Don der fortgesetzten Willensanstrengung, nichts anderes als die vorgeschriebene Arbeitsfunktion zu sein.
Jetzt aber soll ihm Hilfe werden. Die Industrie fängt an, sich für seine Berufsneigungen zu intereffieren und den schönen Satz zu
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teilnahmen. Besserung der Arbeitsverhältnisse für den einzelnen sollte sicherlich die geringste Bedeutung der Prüfung sein. Der Buch halter, der Neigung und Fähigkeit für einen Direktorposten in der Brüfung erweist, dürfte ewiger Anwärter dafür bleiben. Dagegen fände man sicherlich ziemlich rasch für ihn eine Stelle, die weit mehr, als das bisher der Fall war, feine Fähigkeiten beansprucht, ohne daß dabei allerdings eine Umgruppierung in den Gehaltsklassen notwendig wäre.
Die Prüfung würde also im besten Fall eine größere Nutzleistung für die Firma bei gleichbleibender Bezahlung ergeben. Ein Zurückgleiten in eine niedrigere Gehaltsklasse wäre weniger aussichtslos. Daß die Unternehmer diese Möglichkeit ,,, Ersparnisse" zu machen, in weitestgehendem Maße ausnutzen würden, versteht sich von selber. Wie weit das Ergebnis folcher Prüfungen dazu dienen müßte, Entlassungen mißliebiger Angestellter zu motivieren, fann man sich ebenfalls ausmalen.
Hätte sich die Prüfung durchgefeßt, so wäre sie sicher in vielen Betrieben die Regel geworden schon als bequemes Mittel, Gleichgewichtsänderungen in der Angestelltenschaft vorzunehmen, einen gegen den anderen auszuspielen und so die einheitliche Masse aufzulodern.
Diese unsoziale Experimentiermut unter dem Mantel der Wissenschaft kann nicht genug verurteilt werden. Wenn die Vertreter der Hamburger Gesellschaft erklärt haben, es könne nicht verlangt wer= den, daß sich die Wissenschaft um die praktische Verwertung und die fozialen Begleiterscheinungen ihrer Experimente fümmere, so haben sie sich und ihrer Arbeit damit selbst das Urteil gesprochen. Zudem ist ihre Prüfungsmethode, die gegenwärtig noch viel zu wenig missenschaftlich fundiert, faum mehr als eine eitle psychologische Spielerei.
Durch solche ungenügend erprobten und praktisch wertlosen Experimente wird aber bei den Berufstätigen leider eine andere wichtige Art von Prüfungen in Mißtredit gebracht. Die psycho= technischen Berufseignungsprüfungen, die also vor dem Ergreifen eines neuen Berufs vorgenommen werden, haben unbestreitbar große Bedeutung. Der zufünftige Chauffeur wird an sinnreich konstruierten Apparaten geprüft, ob er die genügende Sicherheit und Schnelligkeit für die notwendigen Handgriffe mitbringt, ob er imftande ist, plöglich auftretende Zeichen rasch wahr zunehmen und die dabei vorgeschriebene Hand- oder Fußbewegung zu machen die das richtige Auto zum Halten oder zur Richtungsänderung bringen würde. Aehnliche Untersuchungen fönnen zeigen, ob jemand für den Beruf eines Straßenbahn- oder Loko motivführers geeignet ist. Auch auf Handgeschicklichkeit,
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Augenmaß, ausdauernde Regelmäßigkeit in den Handlungen werden Anwärter für die verschiedensten Berufe mit Nußen geprüft. Durch Prüfungen solcher Art wird natürlich nur im Rahmen der bestehenden Arbeitsformen tatsächlich einigermaßen dafür gesorgt, daß der richtige Mensch an den richtigen Plaz tommt. Berufsberatungsämter und andere Stellen, die bei er
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Prüfung bei der Straßenbahn.
wünschtem Berufswechsel solche Prüfungen vornehmen, verdienen also durchaus Vertrauen. Wissenschaft aber, die sich von vornherein einseitig zum Unternehmertum bekennt und es gar nicht versucht, irgendwelche Fühlung mit der Arbeiterschaft zu nehmen, weil sie sich für die sozialen Auswirkungen ihrer unfertigen Experimente nicht interessiert, darf sich nicht wundern, wenn sie angezweifelt und einstimmig abgelehnt wird. Trude E. Schulz.
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,, Mächte von gestern.'
propagieren:„ Den richtigen Menschen an die richtige Stelle." Bor Die Krise des Katholizismus.
einiger Zeit teilte also eine Berliner Metallgroßfirma ihren Angefellten mit, daß fie das lebhafte Bestreben habe, jeden seinen Fähig feiten und Neigungen entsprechend zu beschäftigen. Um die befsondere Eignung des einzelnen feststellen zu fönnen, setzte sie eine dere Eignung des einzelnen feststellen zu fönnen, setzte sie eine Psychologische Prüfung an.
Klassenkampf im Zentrum.
Hand des angegriffenen und in seiner Eristenz bedrohten katholischen Der Katholizismus war einmal die schneidige Waffe in der Glaubens; in dem Augenblicke der schwindenden Gefahr verlor die Baffe ihre Berechtigung und das Führen der Baffe feine religiöse Begründung. Mit dem Aufhören des Zuchtmeisterstaates entfiel die politische Formnotwendigkeit des fatholischen Kirchenvoltes. Das wird mehr empfunden, als die Führer es sich eingestehen wollen. Die Verlängerung der Methoden über den Zeitpunkt der Notwendigkeit stößt offene Türen ein.
Im Abendland", einer katholischen Monatsschrift| tes nur für eine besonders gelagerte Zeit Köln ), bringt der Kölner Kaplan Josef Emonds einen nisse überhaupt möglich und notwendig sei: für europäische Kultur, Politik und Wirtschaft( Gilde- Verlag, und Aufgabe und nur auf Grund besonderer VerhältDie Gesellschaft der Förderer für angewandte Psychologie" tei", der in mehr als einer Beziehung beiträgt zur Erkennt Aufsatz über Proletariat und katholische Bar= entfandte dazu eine Assistentin ihres Leiters Professor William nis der gegenwärtigen Krise im deutschen Katholizismus. Stern. Aber als die Prüfung stattfinden sollte, beteiligten sich Der Verfasser geht aus von dem Ruf nach Einigteit trotz einer recht dringlichen Aufforderung der Firma von den 650 der deutschen Katholiken, der mit seiner Alengstlichkeit nicht Angestellten mur etwa 30 daran. Offensichtlich verkannten alfo 620 zu überhören fei. Ob diesem Rufe noch eine sachliche BeAngestellte ihr eigenes Bestes und wurden darin noch von den Berechtigung zufomme, will er nicht untersuchen, denn das fönne in Bezirke führen, die zu betreten nicht ratsam sei. Nur das eine solle gesagt sein: die Rufe verrieten die nervöse Ratlosigkeit zu deutlich und das Wort Einigkeit an Stelle der gewohnten Einheit bezeichne scharf den fümmerlichen Ersatz einer gewachsenen, elementaren Einheit des katholischen Volkes durch eine moralisch gemachte Einigteit. Weiter heißt es:
merfschaften unterstützt. Zum näheren Verständnis muß man sich vor allem das Rund
Prüfung für den Chauffeurberuf. schreiben ansehen, durch das die Firma ihren Angestellten die Teil wahme an der Prüfung nahelegte. Da heißt es:
„ Jedem unserer Angestellten soll nunmehr die Gelegenheit gegeben werden, sich einer Brüfung zu unterziehen, die der Gefchäftsleitung Klarheit darüber verschafft, ob und in welchem Grade der einzelne für den Bosten, den er zurzeit bekleidet, geeignet ist. Wer sich durch die Prüfung als für einen besseren Boften geeignet erweist, soll als Anwärter zur Verfügung stehen, wenn ein solcher befferer Posten durch Aufrücken oder Abgang frei mird."
Das flingt sehr schön und verheißungsvoll. Aber lieft man weiter, so stößt man auf den Pferdefuß:„ Eine Entlohnungsände rung nach oben oder nach unten tritt erst ein, wenn der be: treffende Angestellte einen besseren oder geringeren Poften erhält." Daß es nicht schwer ist, zu erkennen, worin der wahre Sinn ber Prüfung log bewiefen die 620 Angestellten, die nicht an ihr
Von einer politischen Einheit der deutschen Katholiken als einem realisierbaren Ziel zu sprechen, ist in einer Ausgebing stube der politisch geschäftigen und politisch interessierten Menschen möglich. Das besagt: die Zahl dieser politisch Tätigen ist gering und geistig nicht von weltbewegender Bedeutung
Schulfrage. Als öffentliche Macht stehe die Kirche un Diese Auffassung bestimmt auch Emonds' Stellung zur versehrt und unerschüttert da, und die Schule erscheine den Menschen durchaus nicht bedroht, vielmehr sähen Rechtsfoalition die Kette der Beherrschungsmächte fie, wie die Schule durch das christliche Schulgesetz der stüße und stärke. Darum sei der Schulkampf für die Bentrumspartei eine 3 meischneidige Waffe, die sich im Augenblicke gegen sie selber tehre und für die Zukunft die Schärfe verliere. die Schärfe verliere. felber tehre und
Emonds erörtert auch die Wahlaussichten des Zentrums in der proletarisierten Arbeiterschaft und kommt zu dem Ergebnis, daß die politische Werbefähig die die Fehlstelle ausfüllen sollen: wo die Gedanken fehlen, Peit schwach ist, und daß nach Elementen gesucht wird,
Es fann nicht verborgen bleiben, daß die große Entscheidungslinie im gesellschaftlichen Kampfe, die man annähernd richtig mit Klassenfampf bezeichnet, troz aller Beschwörung mitten durch das christliche Volt hindurchgeht und daß die Menschen, die ihrem Lebensgefühl nach zu den Sozialisten hinüberneigen, die offene oder verschleierte Bürgerblodpolitif nicht mitmachen. Die sozialgesellschaftlichen Motive find elementar und einfach, während die anderen nur aus. nahmsweise auf dem Wege langer Ueberlegung zugkräftig werden. Hier kann die kirchliche Beeinflussung zunächst nicht viel erreichen; sie ist ja selbst verdächtig, im Solde der Besitzbürger zu stehen, und ihr Auftreten, ihre Sicherung, ihre Methoden scheinen nicht genug von denen der bürgerlichen Welt unterschieden
Die Lockerung der politischen Einheit des katholischen Boltes sei begründet in der geistigen Umschichtung, die Emonds als den Sinn für Sachlichkeit und Wirklichkeit erläutert. Er erkennt auch die tiefere, wirtschaftlich technische Grundlage dieser geistigen Umschichtung an: der Intritt Begriff, Programm, Gesinnung ein". Im übrigen: dustrialismus räume auf mit den organischen Rückständen und zwinge zu einer Auseinandersezung mit der technischen Form des Daseins; die Lebenskräfte würden regsam in den kraftvoll in der Zeit stehenden Gebilden, und langsam aber sicher setzten sich die Autoritäten auf geistigem und politischem Leben durch. Das ist, wenn auch unbeholfen ausgedrückt und unbewußt zu stande gekommen, das Bekenntnis zur marristischen Geschichtscuffaffung, die die weltlichen und geistlichen Führer des Katholizismus als materialistisch im Gegensag zur christlichen Weltanschauung herabzusetzen pflegen. Die Scheidung der Geister, wie er fie eben geschildert hat, sieht Emonds, wie durch den anderen Teil des Bottes so auch durch das katholische Kirchenvolk hindurch gehen. Dadurch werde die Politisierung des Kirchenpoltes im Dienste der Mächte von gestern unmöglich". In den politischen Fragen gehe das Kirchen volt aus einander; das solle allmählich flar sein, denn der Schnitt werde umso tiefer sein, je reiner das Bolitische gewollt und gesehen werde. Emonds ist der Ansicht, daß eine politische Einheit des tatholischen Bolin vollem Gange ist.
Emonds erinnert an die Haltung des Zentrums in der Frage der Todesstrafe; nehme man hinzu die Berteuerung der Lebenshaltung, den Zustand der Vorkriegszeit, daß die unteren Klassen Objekt der Regierung werden, dann ,, wundert es nicht, wenn die stille Abwanderung nach links August Erdmana