Morgenausgabe
Rr. 143
45. Jahrgang
A 72
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Sonnabend
24. März 1928
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Genf , 23. März.( Eigenbericht.) Der Tang um den russischen brüstungsoor fchlag ging am Freitag in Genf zu Ende. Desto heftiger aber wurde das Ringen zwischen Deutschland und Rußland einerfeits , zum mindesten eine technische Weiter beratung durchzusetzen, und der Mehrheit der Rommiffion, die die Verhandlungen auf unbestimmte Zeit vertagen wollte. Im Austlang der Diskussion über den russischen Plan fanden fich General de Marinis( Italien ) und Lunatscharsti ( Sowjet- Rußland auf einer Linie mit der Forderung, daß die endgültige Befriedung der Welt den nationalen Lebensbedürfnissen und der nationalen Entwicklung freien Spielraum laffen müsse. Politis verstieg sich zu der Behauptung, daß es ebenso
friminelle Bölfer gäbe wie friminelle Individuen, und daß der Bölkerbund vorbeugende und strafende Maßnahmen zu treffen habe. Am Ende der Vormittagssigung erschien plötzlich eine Reso= lution, die schleunigst zur Annahme gebracht werden follte. Bernstorff bemerkte, daß sie nicht nur den russischen Vorschlag, sondern auch den eigenen Entwurf der Kommission den Regie rungen zur Aeußerung zu übersenden und damit die zweite Lesung Des Kommissionsentwurfes, die als dritter Bunit der Tagesordnung erst stattfinden sollte, ohne weiteres vertagen wollte.
Bernstorffs heftiger Protest
gegen diesen Abwürgungsversuch erreichte, daß man am Nachmittag wieder zusammentrat.
des Rommiffionsentwurfs in diesem März vorzunehmen. Ber. gebens erinnerte er daran, daß Clemenceau schon 1919 auf die Einwände Deutschlands gegen den Friedensvertrag die Sonder entwaffnung Deutschlands als eine Einleitung zur allgemeinen Entwaffnung bezeichnet und diese die erste Pflicht des Bölkerbundes genannt habe. Bergebens bat er um einen Grund für die Nichtvornahme der zweiten Lesung. Er erinnerte daran, daß Politis erst am Donnerstag mit seiner juristischen Autorität festgestellt habe, daß eine vollständige Entwaffnung, also auch Deutschlands vollständige Entwaffnung, gegen den Bölkerbundspaftver stoße. Desto größer sei die moralische Verpflichtung der Mächte, endlich ihrerseits den ersten Schritt zur Abrüstung zu tun.
Frankreich und England beeilten sich zu behaupten, daß sie den ersten Schritt längst get an und ihre Rüstungen erheblich herab. gefeßt hätten. Der Franzose fügte hinzu, daß der Brief Clemenceaus teine juristische Verpflichtung(!) enthalte und im Versailler Vertrag die deutsche Entwaffnung nur zur Ermöglichung der Vorbereitung einer allgemeinen Begrenzung der Rüstungen vorgenommen sei.
Litwinow griff in sehr geschickter Weise ein. Er stellte fest, daß auch die Russen diese merkwürdige Resolution nicht annehmen fönnten. Da die Mehrheit den russischen Abrüstungsplan den Regierungen übersenden wolle, sich aber für einen ersten Schritt, für eine teilweise Abrüftung, sehr intereffiere, fo fei er bereit, bis nachts 2 Uhr einen Borschlag für eine teilweise Abrüstung vor. zulegen. Der Franzose wandte sich sehr wütend gegen diese Aussicht Bernstorff begann die Sigung mit einem neuen Borstoß und der Borsigende erklärte, daß dieser russische Antrag dann aber Da man die zweite Befung nicht vornehmen wolle, jolle man zuerst bei der nächsten Tagung behandelt werden fönne. mindest den deutschen Antrag auf vollständig, detaillierte Litwinow wußte ihm zu erwidern, daß man in früheren Tagungen jährliche Abrüstungsveröffentlichungen annehmen. französische und englische Entwürfe in derselben Sigung behandelt Schon 1920 habe der Bölkerbundsrat einen dementsprechenden Beschluß hätte, in der sie eingereicht waren. Doch das half ihm nichts. gefaßt, der aber nicht ausgeführt worden sei. Die nationale Sicher. Der Borsitzende versuchte wiederum, die sofortige Bertagung herbei heit sei aber unmöglich, so lange die Staaten nicht über die Rüstungen zuführen, als der anderen Länder, die sie eventuell bedrohen könnten, auf dem Bernstorff zu neuem Angriff vorging laufenden feien. Dhne eine Mare Angabe der gegenwärtigen Rüstungen hätte man feinen Ausgangspunkt für den allgemeinen Abrüstungsplan. Die einzige Antwort auf Bernstorffs Ausführungen mar eine Resolution, auch diesen deutschen Antrag den Regierungen zu überweisen. Bergebens kämpften Bernstorff und Litwinom mit allen Kräften dafür, daß die Rommission praftische Arbeit leiste. Mit England, Frankreich und dem holländischen Borfizenden als Wortführer
blieb die Mehrheit bei ihrer Absicht, Schluß zu machen und nach Hause zu fahren.
Bergebens pochte Bernstorff darauf, daß bei der letzten Tagung ein einstimmiger Beschluß gefaßt worden sei, die zweite Lesung
und verlangte, daß man vor dem Auseinandergehen den Rat er fuche, in seiner Junitagung die Abrüstungstonferenz auf einen baldigen Zeitpunkt nach der Völkerbundsversammlung in diesem Jahre einzuberufen. Der Argentinier versuchte, das Mandat der Kommission zu einem Beschluß zu bezweifeln, und endlich machte gegen 8 Uhr der Kanadier der erregten Debatte, in der Bernstorff nicht weniger als fiebenmal das Wort genommen hatte, damit ein Ende, daß er vorschlug, erst einmal auszuschlafen. Sichtlich verärgert berief der Borsigende eine neue Sigung auf Sonnabend früh ein. Deutschland und Rußland haben ihre Stellung also noch 24 Stunden gehalten, es kann aber nicht daran gezweifelt werden, daß die Mehrheit ihren Bertagungswunsch durchsetzt!
Hitler droht mit Enthüllungen!
Spott über den bayerischen Untersuchungsausschuß.
München , 23. März.( Eigenbericht.) Adolf Hitler hielt hier eine Rede, durch die das Ergebnis des Untersuchungsausschusses für den Hitler- Putsch in ein eigenartiges Licht gerückt wird. Hitler sagte u. a.:
Man sieht dort( im Untersuchungsausschuß) Ceute als Richter, mit denen ich oft über das Problem des Staatsffreichs gesprochen habe; fie haben die und die Meinung gehabt. Und jetzt fißen sie alle als Richter da und kennen einen nicht mehr, fragen einen und wiffen es zum Teil beffer, als man es felbft weiß... Ich habe die Herren gebeten, sie möchten mich vorladen... Ich warte andauernd auf telephonischen Anruf, in den Ich warte andauernd auf telephonischen Anruf, in den Untersuchungsausschuß zu kommen. Nach meiner zweiten Berfammlung hat der Ausschuß auf einmal fein Interesse mehr gehabt. Sie wollten mich nicht belästigen. Sie werden Gründe gehabt haben. Ich glaube, ich kenne fie fogar. Es war die Ang ft, daß ich da drinnen fagen könnte, was sie damals selbst gedacht haben."
Keine Hilfe für Deutsch- Südtirol. Eine Antlage des Papstes gegen den Faschismus. Wien , 23. März.
Der Papst sagte dem römischen Bertreter der„ Amtlichen Nach richtenstelle" über Südtirol , es ihmerze ihn aufrichtig, daß deutschen und österreichische Katholiken ihm den Vorwurf machten, as ob er nicht für die Erteilung des Religionsunterrichts in der
Muttersprache eingetreten sei. Was er tun fonnte, habe er getan, er denke als Bater an alle feine Kinder und an die Bedrängten zunächst. Aber fagen Sie, fo fuhr er fort, Ihren Kotholifen, daß wir nicht frei find, daß das Verhältnis zwischen Kirche Staat in Italien genau dasselbe ist wie am 21. September 1870. Wir werden auch in Zukunft fun, was möglich ist, und auch beten, aber wir müssen befürchten, daß weitere Bemühungen von uns die Situation eher verschlimmern als verbessern.
So wenig der Bapst inhaltlich den fromm- katholischen Deutschfüdtirolern bringen fann der Ton, in dem er spricht, ist eine sehr schwere Antlage gegen Mussoini. Nicht die verhüllte Wiederholung der alten Rechts verwahrung des Papsttums dagegen, daß ihm seine weltliche Macht genommen ist; das ist eine entschiedene Sache, für die felbft gläubige Katholiken nichts mehr fühlen. Wenn aber das Haupt der geistigen Weltmacht, die die Romfirche noch ist, für die Oeffentlichkeit im Ausland betonen muß, daß er fich vergebens bemüht hat, etwas so Selbstverständliches zu erreichen wie den Schulunterricht in der Muttersprache des Kindes, wenn er hinzufügt, durch weitere Bemühungen würde er die Lage der Bedrängten noch verschlimmern, so ist hier der fulturfeindliche Faschismus vor aller Welt gegeißelt, und das von einer Stelle, der die Terroristen Dom Schwarzen Hemd weder Feindschaft gegen Italien und bas italienische Bolt, noch Agitationsbedürfnis nachlügen fönnen Diese Worte des Oberhauptes der Romfirche merden über die ganze tatholische Welt dringen, und fein Schimpf, der ja nicht fehlen dürfte, wird sie auslöschen.
Hungerrenten für Angestellte.
Aber 733 Mill. Mart Vermögen der Reichsversicherungs anstalt für Angestellte.
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Bei der Beratung des Gesetzes über Leistungen in Der Invaliden und Angestelltenversiche= rung im Rahmen des Notprogramms hat der Sprecher der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion mit größtem Nachdruck auf die Unzulänglichkeit der geplanten Maßnahmen hingewiesen. Der Bürgerblock blieb taub. Nur geringfügige Erhöhungen der Leistungen in der Invaliden- und Angeftelltenversicherung sind das Ergebnis eines langwierigen Rampfes der Sozialdemokratie. Es wird zu den großen Aufgaben des tommenden Reichstages gehören, die immer wieder vertagte grundlegende Reform unserer gesamten Sozialversicherung in Angriff zu nehmen und dafür zu sorgen, daß die Rentenempfänger ein menschenwürdiges Dafein führen können.
Die vom Reichstage beschlossenen Berbesserungen in der Angestelltenversicherung beschränken sich auf eine Erhöhung des Kinderzuschusses und eine Aufwertung für Beiträge aus der Zeit vom 1. Januar 1913 bis zum 31. Juli 1921 in Form von Steigerungsbeträgen für sämtliche Gehaltsklassen. Bisher waren die unteren Gehaltsklassen davon ausgeschlossen. Die dadurch entstehende Mehrbelastung schätzt die Regierung auf 10 Millionen Mark im Jahre. Die Beschlüsse des Reichstages finden eine vernichtende Kritik durch den jetzt vorliegenden Bericht des Direktoriums der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte über das Geschäftsjahr 1927. Eindringlicher fann der Nachweis für die Durchführbarkeit der von der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion immer wieder geltend gemachten Forderungen für den Ausbau der Leistungen der Angestelltenverficherung nicht geführt werden. In den Anträgen der Sozialdemokratie wurde eine Erhöhung der Renten durch Steigerung des Grundbetrages von monatlich 40 m. auf monatlich 60 M. und die Erhöhung des Steigerungsbetrages von 15 Broz. auf 20 Broz. für die geleisteten Beiträge gefordert. Die Anträge sahen außerdem eine Herabsetzung der Wartezeit von 10 auf 5 Jahre, eine Herabsehung der Altersgrenze für den Bezug des Ruhegeldes von 65 auf 60 Jahre und die Aufwertung der früheren Beiträge in allen Gehaltsklassen vor. Der Reichstag hat sich bei der Verabschiedung des eingangs erwähnten Gesetzes mit der Annahme einer Entschließung begnügt, in der die Reichsregierung aufgefordert wird, in einer Denkschrift dem Reichstage mitzuteilen, unter welchen Voraussetzungen die Herabjegung der Altersgrenze von 65 auf 60 Jahre und die Verkürzung der Wartezeit auf 60 Pflichtbeitragsmonate durchführbar ist. So notwendig diese Aenderungen des Angestelltenversicherungsgesetzes find, den Rentenempfängern fann nur durch Steigerung des Grundbetrages und des Steigerungssages wirksam geholfen werden. Die Denkschrift über die Durchführ barteit all dieser sozialdemokratischen Forderungen braucht nicht mehr angefertigt zu werden, sie liegt bereits in Form des Geschäftsberichts des Direttoriums der Reichsversicherungsanstalt vor.
In den wenigen Jahren der Nachinflationszeit hat die Reichsversicherungsanstalt ein Vermögen von 733 Milionen Mart angesammelt; sie wird sehr wahrscheinlich bis Ende dieses Jahres die erste Milliarde erreicht haben. Im umgekehrten Verhältnis dazu stehen die Rentenleistungen. Wenn man sich die Gewinn- und Verlustrechnung ansieht, stößt man auf einen Betrag von 108 451 440 Mart. Im Jahre 1926 wurden 53 224 958 m. ausgegeben. Das sieht also nach einer Verdoppelung der Rentenleistungen aus. In Wahrheit ist diele Steigerung auf 108 Millionen ein Buchungstrid. Zunächst sind darin 33 Millionen als einmalige 3ahlung an die Invalidenversicherung zur endgültigen Abgeltung für Rentenaufwendungen an Angestellte aus der Invalidenversicherung enthalten. Dieser Betrag hat also mit der Rentenlast der Angestelltenversicherung nichts zu tun. Aber auch die dann noch verbleibenden 75% Millionen Mark Ausgaben für Rentenleistungen sind immer noch zu hoch, weil der Angestelltenversicherung rund 9% Millionen Mark von anderen Versiche rungsträgern zurückerstattet wurden. Die tatsäch liche Rentenlast im Jahre 1927 war also nicht 108% Millionen, sondern nur 66 Millionen Mart . Die durchschnittliche Monatsrente betrug 64 M. Vergleicht man die Gesamtbelastung des Jahres 1926 mit dem Jahre 1927, dann ergibt sich nur eine Steigerung von Demgegenüber steht 13 millionen Mart. Beitragsmehreinnahme von 35 millionen Mart. Allein an Zinsen wurde eine Einnahme von 48 Millionen Mark erzielt, über 70 Proz. der gesamten laufenden Rentenlast konnten also aus den 3inseinnahmen gedeckt werden.
eine
Diese günstige Finanzentwicklung der Reichsversicherungsanstalt ist jedoch nicht nur bedingt durch die unzu reichenden Rentenleistungen, sie ist auch eine Folge des Anwachsens der Versicherten und der Bermehrung der Beitrags zahler in den höheren Gehaltstlaffen. In der Zeit vom 1. April 1926 bis einschließlich 31. März 1927 gingen monat