Gonnabend 24. März 492S
Unterhaltung unö ÄNissen
Beilage des Vorwärts
Muffel auf dem Schlick. Don HanS£eip. An der Dithmarschener Küste lebten zwei Detter», die von Jugend auf einander ähnlich sahen und auch an Wildheit und(Sc- bürde und der Lebensauffassung keiner dem anderen nachstanden. Sie hießen beide Qeweko: Hann, der eine, als Erbe eines großen Hofse» wurde Landwirt, der andere, ohne Aussicht auf Grundbesitz, rni/chte zur Not das Abitur und begann in Kiel dies und das zu Edieren, als der Krieg ausbrach und er sich als Matrose meldete. In den langen Iahren zwischen U-Boot und Hafendienst gelangte er, bei allem Wagemut durch mancherlei Zügellosigkeiten den Bor - gesetzten unbequem, nicht weiter als bis zum Obermaaten, spielt« alsbald bei den llmswrzgeschichten eine Rolle, wurde fast, ob zur Gebühr oder nicht, von den eigenen Kameraden standrechtlich er» schössen und kam, abgekühlt und noch Ruh« verlangend, in seinem Heimatort wieder an. Dort hatte er, wie es menschlich ist, ein Mädchen sehr gern gehabt, die Tochter des Schulmeisters, sich aber n*>nig während des Feldzuges um sie bekümmert. Sein Vetter hin- gegen, fein Rivale auch in dieser Sache wie in manchen sonstigen Wettbewerben der einstigen Jugend, war schon länger wieder da- beim: sein Draufgängertum hatte ihn bei der Linie bis zum Osfizierspatent verholfen, so daß er mit Glück die einst Umstrittene für sich gewann, zumal über den anderen, der unzweifelhaft vor Iahren die besseren Aussichten hatte, allerhand der dunklen Kieler Gerücht« selbst bis an diesen weltverlorenen Strand drangen. Was Wirnder, daß keiner von dem„roten Kieler" recht etwas wisien > zollte. Selbst seine Eltern und Geschwister empfingen ihn voller Angst, daß nun bald dos Dorf von seinen Untaten erschüttert rnerden würde. Nur der alte Strandvogt vermeinte, den guten Kern unter der zerlumpten Marinebluse zu erkennen, indem er eine Ahnung verspürte von dem Heimweh und der enttäuschten Liebe dieses Menschen, welcher Empfindungen ein Vieh und Blut- schänder, schloß er, nicht sähig sein könne. Der Heimgekehrte, besten Neckname vordem Mustel gewesen war, weil er als ein vorzüg- ilcher Muschelfischer gegolten hott«, besann sich auf die See hinterm Deich, lieh sich ein Boot und eine Möwcnslinte bei eben diesem Bogt, und fuhr auf eine als unrentabel von der Domäne längst aufgegebene Schlickinsel, weit draußen im Watt, wo die Tiden seit Urzeit Land wcgschlürfen und Land anspeien, wie am zweiten Schöpsungstage. Dort hauste er in der während des Krieges ver- lassencn Schäferhütte, die auch kurz als Beobachtungsstation ge- dient hatte. Er schoß Seehunde und Wattoögel und begann mit den Fellen und Bälgen einen Tauschhandel nach Helgoland, das er fast alle vierzehn Tag«, Sommer und Winter, in seinem unmög- lichen und viegeflickten Boote aussuchte. Niemond störte ihn da- bei. Eine Anzahl Legenden bildeten sich über den anwachsenden Luxus seiner Haushaltung, jedoch auch über die lebensgfährlichen Maßnahmen, die er zur Verteidigung seiner Schlickfcstung ersonnen, indem er angetrieben« oder ausgefischte Minen in die Priel. zugänge rund um die Insel verankert haben sollte. Inzwischen fand die Hochzeit des Betters statt, der das Hoferbe angetreten hatte. Di« jung« Frau fand am Hochzeitsmorgen ein ausgesucht schönes Seehundsfell vor der Hausschwelle liegen. Ihr Mann, der dazukam, wie sie es in einer Truhe verbergen wollt«, meinte, Lunte wittern zu müssen und ließ nicht nach, in der Folgezeit auf Schritt und Tritt zu sticheln und zu argwöhnen, zumal die junge Frau angab, erst am Trautage selbst durch den Bogt erfahren zu haben, daß Mussel Leweko noch in der Gegend sei, sie es aber weder damals noch jetzt glauben könne. Die mißtrauischen Redens- arten ihres Gatten, die schließlich, obwohl gänzlich grundlos, und »oohl gerade deswegen in Grobheiten und sogar Handgreiflichkeiten ausarteten, weckten notgedrungen immer stärker die Erinnerung früherer, längst vergestener Zärtlichkeiten, die auf dem trüben Grunde dieser Ehe allmählich übergroß und oerlockend aufzublühen begannen. Inzwischen war der Behörde vielerlei Unliebsames zu Ohren gekommen über einen Schmuggel mit unverzolltem Rum zwischen Helgoland und der Dithmarschen Küste. Der alte Strandvogt, der hie Aufmerksamkeit der Amtsstellen nach der dänischen Grenze zu abzulenken gewußt hatte, starb um diese Zeit. Seinen Posten übernahm Hann Lewenko, und eine seiner ersten Dogthandlungen war, sich mit einer Anzahl Gendarmen, die ihm aus Schleswig zur Verfügung gestellt wurden— mit den ortszuständigen hatte er sich längst überwarfen und bezichtigte sie alle der Unfähigkeit— nach jener Schlickinsel einzuschiffen, die er als Schmugzlernest lange und laut schon in Verdacht gehabt hatte. Sie kamen auch unter Beobachtung aller Vorsicht durch den Ortspriel. Von einer Minen- sperre zeigte sich nicht die Spur, und der neue Strandvogt lachte verächtlich übsr das Gefalel der albernen Koogbauern, die über Nacht einen Seeteufel und Störtcbeckcr aus dem dummerhasten, weggelaufenen Mariner und Muschelschlucker gemacht hätten. Er prahlte, er werde den Käskerl sanft wie ein Milchlamm und ganz allein aus seiner Schlommbude Halen. Somit ließ er die Land- jäger, die sich in der grauen, naßkalten Nordsee -Einsamkest sowieso nicht zu Haus« fühlten, an der Vorsandgrenze im Boot zurück und stieg unbeglcitet, allerdings die Flinte hinterm Knast, in seinen Schaftstiefeln den mehrere Kilometer breiten, öden Quellengürtel hinan, der ungestaltet, seltsam und häßlich wie etwas eben Ge- boren« die flache Kupp« Sandes umgab, die hinter einem knie» hohen Dünensaum den Unterschlupf für den Gesuchten bot. Es war noch früh im Jahr, Vogelschwärme zogen sich wie schmale, eng. gestrickte Reusennetze durch die Diesigkeit des Tages. Er soll mir nicht entgehen! Denn er sah Rauch über der Bude auffteigen, sagte sich der Neuvogt. Aber er erstaunte, als er statt der morschen Schäferhütt«, oder vielmehr hinter den Resten dieser ein wenn auch niedriges, so doch sehr kräftig anmutendes Haus aus frischem Holze sah. Einer der GenJ>orme, der ihn durch das Glas vom Boote aus zu verfolgen vermocht«, bemerkt«, wie er die Flinte noch vorn schob und in dem Bauwerk verschwand. Nach einer Weile hörten sie von dort«inen Knall, der nichts anderes als«in Gewehrschuß sein tonnte, und dem bald ein zweit« folgte. In Elle machten sie sich nun auf. um üb« dos Vorland an die Hütte zu gelangen, ihre Fuße sanken ein, und es dou«t« ein« halbe Stund«, ehe sie den niedrigen Dünensand erreichten. Dort trat ihnen der Strandvogt entgegen und führte sie in das Haus, wo er im Vorraum auf ein Dutzend voller Rumfäst« wies. In der Stube, die mit oll« Be- haglichkeit eingerichtet war, log ein Mann erschossen auf dem Boden. Er war in Seehundsfell gekleidet, in der getrampsten Rechten ein noch neues Jagdgewehr, so. wie ihn Bauern und Fisch« auszu- Malen Pflegten..,...... s»_______.
Wenn wir Holz verdauen könnten. Zellulosefressende Tiere.— Holzalkohol.
Wie uns die Tiere in so vielen Dingen über sind, so auch manche von ihnen in der Fähigkeit, Stoffe zu verdauen, die unse- rem Organismus unzugänglich bleiben. Einer der in der organi- schen Natur häufigsten und damit auch billigsten Stoff«, das Holz, oder genauer ausgedrückt, dessen chemischer Hauptbestandtell, die Zellulose, ist nun für unseren Magen und Dann restlos un- verdaulich, schaltet also aus der Reihe der Nahrungsmittel völlig aus. Ganz anders liegt das bei gewisten Gruppen von Tieren, die mehr oder weniger imstande sind, erhebliche Bestandteile zum Aus- bau ihres Körpers lediglich aus der gründlichen Ausnutzung von Zellstoff(Zellulose) zu verwenden. Besonders die Wiederkäuer, aber auch die Pferde und andere reine Pflanzenfrester leben bekannllich zum großen Teil von Gras, Blättern und Stroh. Da diese Futtermittel vorwiegend aus Zellulose bestehen, da andererseits aber im Kot dieser Tiere Tier« sich weit weniger Zellswsf findet, als beim Fresten aufge- nommen wurde, so muß notwendigerweise dies« Differenz verdaut. d. h. dem Körper nutzbar gemocht worden sein. Das merkwürdige ist nun, daß trotzdem auch hier eigentlich keine Körpersäft« vor» Händen sind, die imstande wären, den reinen Zellstoff chemisch auf- zuschließen. Die betreffenden Tierarten haben sich vielmehr im Darm und Magen Hilfstruppen angesiedelt, die diese so schwierige Arbeit sreudig übernehmen. Es sind das bestimmte Bakterien(Spaltpilze), die im Unter- schied von ihren krankheitserregenden Gattungsgenosten, jetzt sehr willkommene Gäste im Körper sind. Der Biologe nennt das eine „Symbiose", ein freundschaftliches Zusammenleben, aus dem beide Teile besten Nutzen ziehen. Auch wir Menschen haben übrigens in unserem Darm eine artenreiche Bakterienflora, die uns zum Teil verdauen hilft: nur eben leider nicht auch Zellulose. Und ohne solche Darmflora könnte kein Tier leben! Man hat z. B. Küken im sterilisierten Brutofen erbrütet, in keim- frei gemachter Luft und mit sterilisiertem Futter auszuziehen ver- sucht, sie sind restlos verkümmert und eingegangen, eben. weil ihnen die zur Berdauung nötigen Spaltpilze im Körper fehlten. Neben den Wiederkäuern und ähnlichen Pflanzenfrestern gibt es aber auch noch Tiere, die nun gar überhaupt nur noch von reiner Zellulose leben, denen Holz der einzige und größte Lecker. bissen ist, und die dadurch dem Menschen unendlichen Schaden ver- Ursachen: Di« Termiten! Wir dürfen froh sein, daß sie in unserem allzu kalten Klima nur eine kümmerliche und Verhältnis» mäßig harmlose, entfernte Verwandte hinterlassen haben: die klein« rote Küchenschabe(„Schwabe", Blatts germanica), der sogar Gatt sei Dank die Fähigkeit abgegangen ist, Holz zu verdauen. Denn sonst könnt« es ja auch uns passieren, daß urplötzlich dos Haus über uns zusammenstürzt, nur, weil diese Bestien dessen Balken und Holzstützen hohlgefressen haben, wie so etwas in den Tropen alle Augenblick« geschieht. Sieht man sich aber die Termiten genauer an. so merkt man auch dort, daß sie selbst ebenfalls gar kein Holz verdauen können! Daß auch bei ihnen Bakterien und Pilze als Köche und Chemiker die Vorarbeit leisten müssen. Bei einem Teil der Termitenarten leben diese Hilfskräfte gleichfalls im D a r m. Bei einem anderen Teil jedoch werden die so lebensnotwendigen Pilz« in regelrechten gärtnerischen Kulturen gezüchtet. Bei der Oessnung eines eisenhonen Ter- miten-Betonbaues—- der übrigens oft 3 bis 4 Meter über und fast ebenso tief unter der Erde reicht— findet man in sauber ge-
glätteten Höhlen kleine weißliche„Kehlköpschen", die nichts anderes sind, als Pllzkolonien auf zerkautem feuchten Holz. Gefressen wird dann nicht mehr das Holz direkt, sondern der„Zellulvsskohl", der auf diesem Dung gewachsen ist und der zu seiner Pflege genau soviel Arbeit in Wässerung und Bodenbestellung braucht, wie unsere Nutzpflanzen! Sehr ähnliche„Pilzgärten" haben u. a. auch die brasilianischen Blattschneider-Ameisen. Bei ihnen wächst der Pilzvasen aus eingesammelten, ausgeschnittenen Vaumblati- stücken, die ja gleichfalls zum größten Teil aus Holzstoff bestehen. Sollten wir nicht von diesen Tieren lernen können? Gewiß, wir können uns wahrscheinlich kaum auch ein« Darmflora von Batterien ansiedeln, die die Arbeit der Holz- Verdauung verrichteten. Obwohl auch dieser Weg nicht ganz aus- geschlossen erscheint, da wir ja etwas Aehnliches mit den I o g h u r t- pilzen vornehmen, die eine gesundheitlich wichtige Rolle im Darm spielen. Dennoch: Aussichtsreicher erscheint die systematische Zucht von Bakterienreinkulturen, ähnlich wie wir es ja seit langem mit einer anderen Spaltpilzart, der H e s e, im großen machen. Warum sollte es unmöglich sein, diese kleinen Pilzgärten der Termiten unter günstigsten Temperatur- und Feuchtigkeits- bedingungen genau so in Riesenbottichcn weiter zu züchten, wie es die dummen, armen, blinden Termiten tun? Man stelle sich nur einmal vor, welcher unendliche volkswirtschaftliche Nutzen entstände, wenn wir aus Sägespänen mittels einer derartigen „Gärung" nährfähigen Zucker erzeugen könnten! Denn Zucker wird das derart umgewandelt« Holz. Wenn vielleicht auch nicht gleich Zucker von der Süße und Reinheit unseres Rohr- und Rübenzuckers, ja selbst vielleicht«in Zucker, der als eigentliches Nahrungsmittel wegen irgmdeines üblen Beigeschmacks nicht ohne weiteres verwendet werden kann. Es wäre aber schon ein erheblicher Gewinn, wenn die Millionen von Zentnern Getreide und Kartoffeln für die mensch- liche Ernährung frei würden, die heute noch das Gärungsgewerb« zur Darstellung von Alkohol verbraucht. Wobei man nicht sagen soll, daß die ganze Alkoholgewinnung überflüssig wäre, wen» man die Erde„trockenlegte". Denn abgesehen davon, daß sich vor- läusig damit kaum alle Welt einverstanden erklären würde: Spiritus ist ja auch ein wichtiges Produkt für all« möglichen industriel- l« n und wissenschojtlichen Zwecke. Nun hat man allerdings auch jetzt schon Spiritus auf rein chemischem Wege aus Holz darzustellen gewußt, lind zwar nicht nur den giftigen Methylalkohol, dessen Ursprungs- Produkt(über den Holzteer) der Holzessig ist, sondern auch den echten Zlethylalkohol, aus dem unser Trintbranntwein besteht. Man verwandelt da durch Kochen mit verdünnter Schwefel- säur« unter Druck(und nachträgliches Neutralisieren) auch Holz in einen gärfähigen Zucker, der sonst übrigens ungenießbar ist. Aus diesem Zucker gewinnt man durch Vergärung und Destillation Alkohol. Aber, ee scheint denn doch, daß die Ausbeute oder der Geschmack soviel zu wünschen übrig lassen, daß sich diese Fobrikotions- art nur In ganz wenigen Gegenden und Betrieben einbürgern konnte. Sonst sind noch heute Getreide und Kartoffeln neben ein wenig Melasse die einzigen Grundstoffe für die Spiritussobrikation. Schon wenn es gelänge, dafür die auf dem oben vor- geschlagenen„biologischen Wege" erzeugten Gärzuckermengen als vollen Ersatz zur Verfügung zu stellen, wäre der Menschheit ein gewaltiger Dienst getan. Lernen wir also auch einmal von de» verachteten Termiten! Dr. Gg. Victor Mendel.
Es ging nicht anders, er od« ich! sagte der Bogt: hier ging sein Schuh und Gott sei Dank vorbei in die Wand. Die Beamten gaben zu, daß die Sache unglimpflicher hätte ablaufen können. Der Bogt gab an, ein Protokoll schon aufgenommen zu haben. Im übrigen müsse man sich sputen, da die Witterung unbeständig sei. Man bedachte, was zu machen sei, vermied an der Lage des Toten Wesentliches.zu ändern, nahm ein Faß Rum als erstmaliges Zeug- nis mit und nachdem noch ein Wachtmeister flüchtig zu einem seiner Kameraden bemerkt hatte, der Erschossene und der Strandvogt sähen einander merkwürdig ähnlich und der Angeredet« ihn taktvoll daraufhin anstieß, es seien ja auch Vettern gewesen die beiden, fuhr man wieder von dannen. Der Strandvogt zeigte von da ab ein sonderbar verändertes Wesen, obschon die gerichtliche Untersuchung seinem energischen Vorgehen durchaus Billigung angedeihen ließ. Er war sanfter, namentlich gegen seine Frau, und beide machten oft einen seltsam heiteren Eindruck. Manche wollten allerdings seit der unseligen Tat eigentümliche Gedächniestörungen und eine veeänderte Rede- weise bei dem Strandvogt bemerkt haben. Dielleicht war ihm die Cache näher gegangen als man vorher hätte vermuten können. Immerhin schien ihm und namentlich auch der Frau, die ein Kind zu envarton begann, die Gegend nicht mehr zu gefallen. Sie v«- kauften den Hof und wanderten nach Kanada aus. Miek« Teer- sticken, als sie davon hört«, meint« einmal, die Bettern hätten im Tode ihre Personen ausgetauscht, od« vielmehr wohl nur ihre Kleiduhg, und den man dort auf der Insel begraben habe, dos sei Harm Leweko gewesen, und der„rote Kieler" habe Amt und Frau des Toten kraft seiner Aehnlichkeit einfach übernommen. Nun, sie redet oftmals solchen Unsin», den keiner für Ernst nimmt. Das allerdings fei wohl keine Lüge, daß Vogtens Gewehr erst an zweiter Stelle geschossen habe. Aber der es gegen die Wand ab- drückte, da» fei wohl Mussel selber gewesen.
Tropfsteinhöhlen.
Zu der Auffindung einer großen Tropfsteinhöhle bei Plauen wird uns geschrieben: Die Natur ist die großartigste Baumeisterin, denn sie hat Dome geschaffen, wie sie Menschenhände nicht erbauen können. Diese natürlichen Dome zeichnen sich durch eine Pracht d« Romantik ebenso aus, wie durch die ungeheure Masse, durch die sie all« Bauwerke von Menschenhand bei weitem übertreffen. Wissenschaftlich betrachtet bestehen die Tropfsteinhöhlen aus Kalkspat, Höhlenstein, ja sogar aus Halbedelsteinen, wie Malachit. Sie sind in vorgeschichtlicher Zeit im Laufe von Iahrhunderttausenden entstanden und bilden gewaltig« Bauten, die in wildromantischen Formen spitz» bogenartig wie gotisch« Riesengewölbe in die Höh« ragen, von riefen-
hosten Tropfen verziert sind, die ein Gigant geschasfen zu haben scheint, oder von stolzen Säulen und orgclförmigcn Gebilden, daß der Eindruck einer Kirche übermächtig ist. Die Natur arbeitst mit verschwenderischen Größenverhältnissen und schafft eine Schönheit, gegen die alle menschlichen Bestrebungen klein und mochtlos sind. Gibt es doch derartig« natürliche Dome, die, wie z. B. die Dechen- höhle, ein« Höhe von 270 Meter haben, oder wie die berühmte Mammuthöhle in Kenwcki die ungeheure Länge von 2-40 Kilometer. Auch der deutsche Harz weist derartige Gebilde aus, die olle mehr als 200 Meter hoch sind. Zu den prächtigsten Tropfsteinhöhlen gehören die Baumannshöhlc. die Hermannshöhle und die Bielshöhle im Harzgebirgo, die schon genannte Dechenhöhle in Westfalen , die Sophienhöhle in der Frankischen Schwei; und vor allen Dingen die Adelsberger Höhle, die einen der berühmtesten Ausflugsorte der Welt bildet. Sie zerfallen meist in mehrere große Säle oder Kammern, von denen viele völlig di!» gotischen Baustil ausweisen. Man er- kennt daraus, wie organisch gewachsen diese Bauweise des Mittel- alters ist, da sie in der Natur bereits die großartigsten Vorbilder besitzt. Es ist verständlich, daß die vorgeschichtlichen Menschen, die noch kein« Häuser kannten, hier des österen Zuslucht gesucht und gesunden haben. Auf diese Weise bilden die Höhlen eine Fundgrube für di« Erforschung des frühesten Menschenlebens sowie des Tierlebens. Aus den hier aufgefundenen Knochcnresten kann man erkennen, wie die Menschen ausgesehen haben, die zu jener Zeit die Höhlengebiet« bevölkerten, und welche Tier« hier gehaust haben. So wurden in vielen Höhlen sogar noch Mammutknochen gefunden, forner Ucber- reste vom Rhinozeros und von richtigen Polortieren, wie z. B. den» Polarhasen. Auch der Höhlenbär und der Höhlenlöwe haben hier schon gehaust, gleicherweise wie das Renntier , und die Wissenschaft glaubt sogar aus der Lagerung der tierischen Knochen verschieden« Epochen unserer Erdgeschichte feststellen zu können, wie z. D. die Mammutzeit, die Renntierzcit u. a. Besonders belgische und fran- zösische Höhlen, wie die von Engis , La Madelalne, Eombarelles und le Mvustier sind überreich an Fundstücken aller Art gewesen, denn hier wurden sehr viele Werkzeuge aus der allen Steinzeit entdeckt. In den Höhlen der Dordogne , von Eombarelles und in einigen skandinavischen Grotten wurden sogar Bilder aufgefunden, die in Reimtierhorn od« Mammutelfenbein gezeichnet waren und Tiere darstellten. Das größte Auflehen«regten große Wandgemälde und Felsenskulpwren, die sich auf Wänden d« Höhlenwohnungen fanden und durch ihr« Darftellungen d« Ack«bau- und Iagdszencn sowie in Schiffstämpfen, Tierfiguren und Familienszenen einen Einblick in das Leben jener Zeit gewähren. In der Höhle beim Schwcizerblld im schweizerischen Kanton Schafshausen wurden sogar Ueberreste eine« Zw«g«noolres entdeckt, das in vorgeschichtlicher Zeit hier ge- lebt haben muß. Dies« Fund gehört zu den interessantesten wissen- schastlichen Forschungsergebnissen.