, SivMmd Sonnabend, 24. Marz t928
Die Monarchie braucht
IV) Es besteht ein interessanter Zusammenhang zwischen der n: anarchischen Idee und der Einrichtung der Todesstrafe. Ihre gemeinschaftliche Wurzel ist der Autoritätsgedanke. Nach der Meinung der Mon- archisten ist die große Masse nicht in der Lage, aus eigener Äraft zu erkennen, was zu ihrem Besten dient, sie ist unfähig, ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu leiten. Zur Ordnung und Leitung ihrer Angelegenheiten hat Gott einzelne Individuen auserlesen und mit besonderer Einsicht, Klugheit und Geschicklichkeit begnadet— das sind die Priester und die Könige! Jede Auflehnung gegen ihre Autorität ist demzufolge eine Auflehnung gegen die„göttliche Welt- ordnung". Wer sie nicht anerkennt, ist ein Schädling und muß ausgemerzt werden. Diese Autoritätstheorie ist es, die allen Kcßerbränden des Mittelalters zugrunde liegt. Und ob auch Päpste und Kaiser sich in die Haare geraten mochten, ob auch ein ununterbrochener Kampf zwischen päpsllicher und inonarchischer Gewalt- die Jahrhunderte erfüllt hat: das Prinzip der Autorität, die Lehre, daß das dumme Volk sich unter allen Umständen unterzuordnen habe, wurde von beiden Seiten aufrechterhalten. Im Hinkergrund steht der Henker als die Verkörperung des Autoritätsgedankens... Wie er lange Jahrhunderte hindurch auch in Person gleich hinter der Person des Königs bei offiziellen Anlässen sich zeigte... .Als nach der französischen Revolution und dem Sturz Napoleons I. die Reaktionsperiode der Heiligen Allianz ein- setzte, war es besonders der französische Schriftsteller Joseph de M a i st r e, der in einer Reihe gesellschafts- tiieoretischer Schriften das Autoritätsdogma in einer Weife begründete, die ihn heute noch allen monarchistischen Kreisen als klassischen Vertreter der Theorie erscheinen läßt. Von diesem Maistre rührt denn auch folgerichtig die begeistertste Lobpreisung des Henkers und der Todesstrafe her. „Alle Größe, alle Macht, aste Ordnung beruht auf dem Schars- richler," heißt es an einer Stelle seiner„Abendunterhaltungen", „er ist der Schrecken und das zusammenhaltende Band der mensch- kichen Gesellschast. Nimm diese unfaßbare Wirkungskraft von der Erde fort, und im selben Augenblick ist die Ordnung vom Chao» abgelöst, die Throne versinken in den Abgrund und der Staat verschwindet. Gott , der der Urheber der Souveränität ist, ist daher auch der Urheber der Züchtigung: er hat unsere Erde auf diesen zwei Polen erbaut, denn der Herr ist der Herr der Pole und läßt die Welt sich um dieselben drehen... Der Henker ist ein erhabenes Wesen, er ist der Eckstein der Gesellschaft! Da das Per- brechen sich nun einmal auf der Erde häuslich niedergelassen hat. vnd da es mir durch Strafen in Zucht gehalten werden kann, so
Der Alkohol. Nach einem Stich de* tleusischen englieehen Sitten- »c/ulderers und Karrihaturulen fVüUam Hogarth. ist es klar, daß beim verschwinden des Scharfrichter» jede Ordnung mit ihm oerschwinden würde. Und welche Seelengröße, welche edle Selbstlosigkeit muß mon nicht notwendig bei einem Manne voraus» setzen, der ein Werk übernimmt, das gewiß sehr ehrenvoll ist, aber doch so quälend und der menschlichen Natur zuwider." Maistre hat seine Gehirnverrenkuygen nicht etwa nur im Interesse der Bourbonen und der ihr ergebenen Mels- T•) Suche aich M. uod �_.'"7
die Todesstrafe.
sippschaft vorgenommen. Dem Mann war es durchaus ernst mit der theologischen Basis seiner Autoritätsvorstellung. Er glaubte an Gott und die Dummheit der Menschen— was scherten ihn da die Tatfachen des Lebens, was scherte ihn da das Wissen? Der uralte Gegensatz zwischen Glauben und Wissen ist es, der hier klafft. Im Mittelpunkt
solcher Ueberlegungen steht nicht der Gemordete und sein Schicksal, auch nicht der Schutz der Gesellschaft vor Mord- verbrechen. Für die Monarchisten kommt es nur darauf an, in welcher Weife man den Autorstätsgedanken im„2Zolk" wach und lebendig erhalten könne. Der Autoritätsfimmel aber steht noch in einer anderen, sehr interessanten Beziehung mit der Todesstrafe in Verbindung. So unglaublich es klingt, so gibt es doch orthodoxe Ver» treter des reinen Straf- und Abschreckungscharakters der Justiz, die da fordern, das jedes Urteil eines Gerichtshofes endgültig und nichtrevidierbar sein soll. Aus welchem Grund fordert man das? Um der Auwrität des Gesetzes und der Autorität des Gerichts jene«erhabene Größe" zu geben, die von angeblich so hohem erzieherischen Wert sein soll! Diese groteske Einstellung lehnt denn auch— immer auf Grund des Autoritätsgedankens I— den oft erhobenen Einwand egen die Todesstrafe ab, daß eine Hinrichtung, falls sie auf jJrund eines Fehlurteils erfolgt sein sollte/nicht mehr gut- zumachen ist. Ueber solche Fehlurteile und den gewaltigen Schaden, den sie anrichten, wollen wir uns im nächsten Artikel unterhalten.
Eine öffentliche Hinrichtang. Nach einem Stich von William Hogarth . Der„ wachsende Mensch". 18 Monate als Clown in Sowjetrußland.
„Clowns, ach Clowns, gibt's d>« überhaupt noch?" Die Frage wird getan, sobald man nur das Wott Clown ausspricht. Die einen sagen:„Wir haben keine Manegeclowns mehr, darum sagen uns die Exzentriks im Variete und die Groteskdarsteller im Film so zu." Die anderen meinen:„2Zie Clownsarbett hat sich überholt." Wie dein nun auch sei: die paar internationalen Clowns, die wir gegenwärtig haben, kann man an den Fingern herzählen, wobei man auf keine» Fall die B a r r a c e t a s vergißt. Sie sind Artisten durch und durchs zurzeit steht die sechste Generation im Ma>iegensand oder auf der Varietebühne. Der Nationalität nach sind sie Spanier, haben auch rein spanisches Blut in ihren Adein, sprechen aber die Worte, die z» ihrer Nummer erforderlich sind, in der gerade gewünschten Sprache richtig und ohne Akzent aus. Im Rahmen des Märzprogromms arbeiten sie im Wintergarten. Sie kamen aus Sowjetrußland, wo sie 18 Monate weilten. Da Rußland früher ein großes, weites Arbeitsseld für deutsche Artisten war und die dortigen Zirtusunternehincn jetzt Staatsbesitz sind, ist es immerhin interessant, Nochrichten über das jetzige ruffische Zirkusleben zu vernehmen. In Rußland ist die Arbeit für den Cionw teils leicht, teils sehr schiver, weil das Publikum außerordentlich verschieden zusammengesetzt ist. Eine jede Nummer, auch die von Welt» rus, muß immer erst tasten nach dem, was gefällt. Und die Barra- «las spielten in den 18 Monaten fünf verschieden« Nummern, am meisten gefiel ihr„w a ch s e n d e r M e n s ch", der immer und immer wieder verlangt wurde. In Moskau weilten sie 41-2 Monate, und dort hatten sie im Staatszirkus I mit derben Spähen den aller- größten Lacherfolg und im Staatszirkus II mit ganz feinen, geistig durchgearbeiteten Scherzen. In Leningrad waren sie drei Monate tätig, hier und in Moskau herrscht oft starke Kälte, und die Süd- länder lernten 3S Grad unter Null kennen. Da war es kein Wunder, daß einer der Barracetas erkrankte und 114 Monate zu Bett Legen mußte. Während dieser Zett wurde der Rummer, die nun bloß zwei Mann stark arbeitete, die voll« Gage bezahlt. In Rußland hat der Artist einen freien Tag in der Woche, und zwar den Montag, der aber bezahlt wird. Das schätzt natürlich mancher berühmte Artist, der lieber in Rußland arbeitet, wo er nicht reich werden kann, als in Amerika , wo er Vermögen verdient, jedoch drei Darstellungen an einem Tage geben muß und als Mensch zermürbt wird. In Sowjet- rußland löste man die schwierige Wohnungsfrage, indem man im Zirkus selbst den Attisten Unterkunftsmöglichkeit schaffte. Das Engagement führte die drei nach Odessa , Nifhny Nowgorod, Kasan usw. Die Zirkusse sind überall gut besucht. Die Eintrittspreise liegen zwischen 6l) Kopeken bis 3 Rubel SD Kopeken für den Platz. In den Sowjetzirkussen hat kein Direktor— der artistische Direktor ist fast immer ein gewesener Artist— Blankovollmacht, denn der Zirkus naterjttcht einer.KtvnniissitUr
In Deutschland steht der Zirkus nahezu auf dem Aussterbeetat, mid der berühmte Artist arbeitet nach Möglichkeit im Beriete, weil das weit höhere Gagen zahlt, als der Zirkus zahlen kann. Doch ist es für einen Clown nicht leicht, auf der Bühne zu stehen. Oft hat er nicht den richtigen Kontakt mit dem Publikum, das ist still, feier- lich gesttnnnt, und der Clown hat dos für ihn beklemmende Gefühl, er stände in einer Kirch«. Was will das Publikum vom typischen
Manegeclown? Ach, es will den Spaßmacher, der Freude spenden möchte, of so„dumm" haben, daß diesem Menschen der Beruf zur Qual wird. Und so reisen die Clowns von Stadt zu Stadt, von Land zu Land und sind nur zufrieden, wenn die Menschen über sie lachen. Das tveißgepuderte Clownsgesicht bleibt stets ernst, die Maske verrät nicht, ob unter ihr ein Grübler, ein ernster oder ein lustiger Mensch steckt. Eins ist aber giuntß: der Mensch ist teia Rarr. der do» Rarre» jpiel«£raa Büsiag.