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Nr. 268.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer

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5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 M., für das übrige Ausland 3 Mt. pr. Monat. Eingetr. in der Post Zeitungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.

Vorwärts

12. Jahrg.

Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins: und Bersammlungs- Anzeigen 20 fg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Erpedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr abends, an Somm und Festtagen bis 9 Uhr vormittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: " ozialdemokrat Berlin ".

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Die Verurtheilung Tiebknecht's. Der Septemberkurs hat unserer Partei neue Ver­folgungen in solch reicher Zahl und mit solch eigenartigen Begründungen gebracht, daß wir glaubten, auf alles vor­bereitet zu sein. Die Verurtheilung Liebknecht's zu vier Monaten Gefängniß und die Gründe, die das Breslauer Landgericht dafür vorgebracht hat, sind aber denn noch über das hinausgegangen, was wir für möglich ge­halten hätten. Ein Privattelegramm aus Breslau meldet uns nämlich:

von

Freitag, den 15. November 1895. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

GOGO

befindet das

Das hätte Liebknecht wissen müssen. Erlangt dieses Urtheil Rechtsgiltigkeit Folglich ist er strafbar, trotz seiner Absicht, jede Ma- Reichsgericht, daß die in dem obigen Telegramm mitgetheilte jestätsbeleidigung zu vermeiden. Urtheilsbegründung sich auf eine zutreffende Rechtsauslegung ſtützt-- dann wird vogelfrei, wer bei irgend welchen mißtrauischen Patrioten in den Verdacht einer Neigung zu Majestätsbeleidigungen geräth.

Was sagt nun das Strafgesetzbuch?

§ 95. Wer den Kaiser, seinen Landesherrn, oder während feines Aufenthalts in einem Bundesstaate dessen Landesherrn beleidigt, wird mit Gefängniß nicht unter zwei Monaten oder mit Festungshaft von zwei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Neben der Gefängnißstrafe tann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Aemter sowie der aus öffentlichen Wahlen hervor­gegangenen Rechte erkannt werden.

In der Haupt- Verhandlung gegen Liebknecht wegen Majestätsbeleidigung, angeblich begangen in seiner Er- Diesen Paragraph erläutert der rühmlichst bekannte öffnungsrede beim Parteitage, beantragte der Staats- Kommentar von Oppenhoff, Ober- Staatsanwalt beim anwalt, der die Anklage in vollem Umfange, trob Obertribunal, auf grund von Reichsgerichts- Erkenntnissen glänzender Vertheidigung feiten Liebknecht's u. a. dahin: und seines juristischen Beistandes Freudenthal, aufrechterhielt, 1 Jahr Gefängniß, Aberkennung des Reichstags- Mandats und sofortige Ber haftung.

Wir sehen den Folgen einer solchen Aera der Urtheils­sprechung mit Ruhe entgegen. Daß unsere Gegner keinen Anlaß zum Jubel haben, wird die Zukunft lehren.

Arbeiterschuh- Gefehe und Hausindustrie.

II. Jugendliche Arbeiter. So wie die Beschränkungen, welche das Gesetz der Beschäftigung von Kindern unter vierzehn Jahren auf­erlegt, diese in die Hausindustrie trieb, 100 fie ganz schußlos find, so ergeht es auch den jugendlichen Arbeitern von 14-16 Jahren. Die Gesammtzahl der im Deutschen Reiche beschäftigten jugendlichen Arbeiter ist bis 1898 gewachsen, 1894 gefallen; wie die Berichte aus Baden und Bayern zeigen, in denen die Gesammt zahl der Arbeiter gezählt wurde, was Preußen nicht thut, hat verhältnißmäßig die Beschäftigung der jugendlichen Arbeiter schon seit 1892 abgenommen. Es wurden 1894: 209 715 junge Leute von 14-16 Jahren. in Fabriken u. f. w. gezählt 1892: 208 835, 1893: 213 959,

Zum Dolus wird erfordert das Bewußtsein von der Stellung des Beleidigten und von dem der Aeußerung bei­wohnenden ehrenkränkenden Charakter; die Feststellung der Absicht, zu beleidigen, ist nicht erforderlich. Doch kann eine Der Gerichtshof trat nach fast 11/ 2stündiger Berathung Handlung, welche als solche beziehungsweise objektiv den That in allen Punkten den Ausführungen Lieb. bestand einer Majestätsbeleidigung nicht erfüllt, z. B. die tnecht's bei und erklärte, daß eine Absicht, den Kaiser zu Uebergabe( Weitergabe) eines beleidigenden Schriftstücks an beleidigen, nicht vorgelegen habe, Liebknecht vielmehr offen­einen anderen mit Kenntniß des Inhalts durch hinzu­Als Ursache dieses Rückgangs gab schon der Bericht ber bar seine Worte so vorsichtig gewählt habe, um jeden Verdocht tretenden Beleidigungsvorfaß den Charakter einer solchen Gewerbebeamten für 1893 an, die Abneigung der Inhaber. der Majestätsbeleidigung zu vermeiden. Aber er hätte sich ( erneuten) Beleidigung annehmen. Hier bedarf es freilich des größerer Werke, den für jugendliche Arbeiter hinsichtlich der fagen müffen, daß unter seiner Zuhörerschaft sich Lente Nachweises jenes Vorsages. Die ausschließliche Absicht Die Durchführung der halbstündigen Vor- und Nachmittagspause ausschließliche Absicht Bausen erlassenen gesetzlichen Bestimmungen Rechnung zu tragen. befänden, die dennoch annehmen würden, er wolle mit jemandes, sein Recht und nur dieses zu wahren, hebt das Vor- macht dort Unbequemlichkeiten, wo die Pausen der Erwachsenen feinen Worten den Kaiser treffen. Dadurch habe er handensein des zur Beleidigung erforderlichen Vorsatzes auf. anders geregelt sind oder fortfallen". Ebenso ist den Unters sich doch strafbar gemacht, aber das Strafmaß müsse in Also selbst nach diesem staatsanwaltschaftlichen Kommentar Arbeiter im Wege, anderen ist die behördliche Aufsicht läftig. nehmern die gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit jugendlicher Anerkennung feiner Absicht, jede Majestätsbeleidigung aus. Und die Folge davon? zuschließen, auf nur vier Monate Gefängniß und muß, wenn auch die Absicht der Beleidigung nicht erforder= Verurtheilung in die Roften festgesetzt werden. Gegen dieses lich ist für den Dolus, doch die Fassung der inkriminirten widerspruchsvolle Urtheil wird sofort Revision eingelegt. Was erklärt dieses Urtheil?

Eine Beleidigung an sich ist in den Ausführungen Liebknecht's nicht enthalten.

Die Absicht der Beleidigung liegt gleichfalls nicht vor.

Diesen Deutungen, die zu einer Freisprechung hätten führen müssen, werden nun aber neue Folgerungen an­

gegliedert:

Unter der Zuhörerschaft gäbe es Leute( ist das be­wiesen?), die die Ausführungen als eine Beleidigung des Raisers hätten mißverstehen können.

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Ein Verrückter.[ Machbr. verboten. Kampf und Ende eines Lehrers. Roman von Joseph Ruederer.

Wirklich?"

Aeußerung an sich beleidigend sein für den Kaiser. Nichts steht darin von einem möglichen Mißverständniß anderer Leute zur Ronstruirung des Dolus . Und dem Geiste unserer Gesetze widerspricht eine solche Auf­fassung durchaus.

Im Bericht für 1894 heißt es aus Annaberg:

Es giebt im Inspektionsbezirke viele Fabrikanten, denen die Beschränkungen, unter welchen die Beschäftigung jugend­licher Arbeiter in Fabriken gestattet ist, gar nicht behagen; ein Theil derselben hat es sich zum Grundsage gemacht, feine jugendlichen Arbeiter mehr anzunehmen. Infolge deffen werden die jungen Leute in kleine Betriebe und in die Hausindustrie gedrängt, in Anlagen, welche bei der Arbeiterzählung nicht berücksichtigt und deuts, gemäß auch in den wenigsten Fällen einer 9tevision unter zogen werden."

Wohin soll das denn führen? Wird die Konstruktion einer Beleidigung nun gar noch abhängig gemacht von dem möglichen Mißverständniß Dritter, dann ist die Ver- geht, fchilbert der Bericht aus Annaberg sehr anschaulich. urtheilungsmöglichkeit wegen Beleidigung völlig uferlos.

Was kann denn eigentlich nicht mißverstanden wer­den? Auch der harmloseste Ausspruch kann in mißtrauischen Dhren zu einer Beleidigung ausklingen.

Wie es den jugendlichen Arbeitern in solchen Betrieben er­

Hier arbeiten nun die jungen Leute oft vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein in niedrigen, dumpfigen Räumen, die meistens gleichzeitig als Wohnstuben dienen. Dabei sind die Löhne entsprechend niedrig, so daß hier der Unternehmer äußerst billig

beendet schien, wiederholte Göpfert seine Frage und versperren wollte. Nichts da! Der Baptistel ließ nicht mit Langte sofortige Antwort. Boiten recte fich mühsam ein sich spaßen. Was ihm in den Weg trat, das stieß er rück­bischen empor und räusperte sich. Er wollte bei dem be- fichtslos nieder und so wollte er's auch für alle Zukunft deutungsvollen Akte doch eine gewisse Feierlichkeit nicht halten, denn auf diese Weise kommt man am besten durch entbehren und sich in Positur werfen. Erst knöpfte er sein das Leben. offenstehendes Hemd zu, dann schob er die Decke zurecht und

Ja, wirklich, Hochwürden," fuhr Göpfert fort, und holte Athem: wiffen Sie auch warum?"

"

Wie soll ich das wissen?"

" Weil der Poiten sagt, daß des Mabel ins Kloster kommen soll und zwar auf Veranlassung vom Hochwürden Herrn Benefiziaten."

Immer entschiedener hatte der Förster geredet, aber der Geistliche bewahrte vollkommen seine Haltung:

Das muß auf einem Mißverständniß beruhen, denn die Kirche läßt jedem freie Hand und zwingt niemanden in ein Kloster zu gehen, es wäre denn der freie Wille der Be­treffenden!"

"

Der Herr Benefiziat... der hat... sein'n Segen geb'n, d'rum sag i ja, Herr Förster, i hab nig mehr das wider." Göpfert gab ihm die Hand und wandte sich mit triumphirendem Gesichte zu dem Geistlichen:

sag Hochwürden den herzlichsten Dank für die güatige Fürsprach, in mei'm Namen und a glei für de Kathi."

Auffallend blaß sah der Geistliche aus. Er verneigte sich leicht gegen den Förster und verließ nach kurzer Ver­abschiedung von Poiten eilig das Zimmer.

Aber..." Nun aber brach bei Göpfert der Uebermuth hervor, der " Bitte um Entschuldigung, ich habe nur ein einziges fich bis zur Ausgelassenheit steigerte. Mal unserem kranken Poiten den schönen Spruch des Mach, daß d' naus tommst, Kreittmayer!" schrie er Evangeliums: Wer seine Tochter verheirathet thut gut, dem Wirth zu, der mit scheuer Bewunderung diese Szene wer sie nicht verheirathet thut besser! vor Augen gehalten. beobachtet hatte, hol a Bier oder au Schampanija her, jetz Das war alles, und ich möchte das sogar ausdrücklich woll'n wir amal lusti sein." feststellen, damit nicht weitere Mißverständnisse entstehen, Kreittmayer eilte zur Thüre. die mir meinen Beruf als Seelsorger unnöthig erschweren." Kannst a de Kathi glei mitbringen," rief ihm der ,, Sonach haben also Hochwürden nix gegen meine Förster nach. Wir müssen's ihr jetzt do a sagen, was ihr Verheirathung eing'wenden," fragte Göpfert in artigem bevorsteht, gelt, Boiten?" Tone.

Ich wüßte nicht, wie ich dazu kommen sollte." No, Poiten," rief der Förster, indem er sich zu dem Bauern wandte. Jetzt haft d' es g'hört, de Kathi is vollständig frei, d'rum frag i no amal: Giebst's mir jetzt oder net?"

Mit zitternden Händen tastete der Bauer nach dem Arme des Priesters. Der Förster verstand kein Wort, als sich die beiden flüsternd unterhielten, aber sah den Geist­lichen mehrmals zustimmend nicken. Als die Unterhaltung

"

Gemächlich wandte sich Göpfert zur Thüre. Dort er schien der ausgesandte Kreittmayer mit vier Flaschen Roth­wein, einem Bäckchen Bigarren und mehreren Gläsern. Mit der anderen Hand zog er Rathi herbei und schob sie direkt vor den Förster hin. Göpfert betrachtete sie schmunzelnd.

Geh her, Kathi", sagte er, brauchst net g'schami 3' sein, terfst mi scho anschaug'n. So is recht! Und jetzt sagst mir amal: G'fall i Dir oder g'fall i Dir net?" Das Mädchen wußte nicht, was das heißen sollte und blickte ihn unsicher an.

,, Sie merkt no gar nig", lachte Göpfert zu Kreittmayer hin. Is a dalkets Ding, de Rathi, weil s' no net g'spannt hat, daß i d'rein verliabt bin. Woaßt was, Madel? A Buffel sollst mer geben, heirathen sollst mi, haft mi jetzt verstanden?"

Ohne ihre Antwort abzuwarten, packte sie der Förster mit beiden Händen und schmaßte mit breitei Behagen drei Küsse auf ihre Lippen. Als er sie losließ, war ihr Gesicht dunkelroth und der geschlossene Mund zitterte in heftiger Bewegung.

" Ganz stumm is f' no, de Kathi," lachte der Wirth, indem er die vollen Gläser herumreichte.

Also stoßen wir an!" schrie Göpfert und ging auf seine Braut zu. Diese stand wie versteinert auf ihrem Plate. Sie hob das Glas nicht empor, das man ihr in die Hand gedrückt hatte. Was is denn das?" fragte der Förster gedehnt, weil er jetzt ihr sonderbares Wesen bemerkte.

Der Bauer stimmte seinem Schwiegersohne zu und Göpfert rieb sich zufrieden die Hände. War es doch ein echter Jägerstreich, der ihm den raschen Erfolg gesichert hatte. Vielleicht zwei Tage später, und alles wäre verspielt gewesen, aber die Jäger stehen früh auf, Herr Benefiziat! Ha! Ha! Wie den finsteren Patron wohl die Dankesworte getroffen Ein schrilles Klirren bedeutete die Antwort, Kathi haben mochten, die ihm der Förster absichtlich noch auf den hatte das Glas fallen lassen. In Scherben lag es am Weg mitgab, als den reinsten Hohn auf die Thätigkeit des Boden, und der rothe Juhalt strömte wie eine lange Blut­eifrigen Seelsorgers! Das verdiente er schon, der heim- lache über die Dielen. Alle blickten auf das Mädchen, das tückische Geselle, der ein blizsauberes Mädel ins Kloster laut zu weinen begann.