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Beilage

Mittwoch, 28. März 1928

1312.930 KTA HO

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Der Tod Susanne Hausers.

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Selbstmord oder Verbrechen?- Ein sensationeller Kriminalfall.

Der Oberste Gerichtshof in Wien hat auf eine Eingabe der Frau Babette Reinhold . Devrient, die seit langem eine der bedeutendsten Schauspielerinnen des staatlichen Burgtheaters ist, die Untersuchung des Todes ihrer Tochter Susanne Hauser dem Landesgericht Wien abgenommen und dem Landesgericht Graz übertragen. Ein äußerst selten vorkommendes Greig nis, das gewaltiges Aufsehen erregt und den Fall wieder in den Bordergrund rüdt. Er sei hier dargestellt.

In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1920 ist die damals 22jährige Frau Susanne Hauser, die Tochter der Burgschau­spielerin Reinhold- Devrient und Gattin des Chemikers Dr. Ernst Hauser, unvermutet und plötzlich gestorben. Der Mutter wurde, angeblich um ihr einen größeren Schmerz zu ersparen, als Todes ursache eine herzlähmung mitgeteilt; die Aerzte aber, die die Tote besichtigten, haben als Ursache des Todes angegeben: die Frau habe sich durch eine Lösung von 3ŋankali vergiftet. Drei Aerzte waren an diesem Totenlager, feiner von ihnen erstatteie, obwohl das bei einer Bergiftung angeordnet ist, die Anzeige. Selbst Der Totenbeschauarzt begnügte sich mit der Entgegennahme der Mit­teilung von dem Selbstmord, die ihm von den Familienangehörigen gemacht wurde, und ließ die einfache Beerdigung zu, ohne auf einer Deffnung der Leiche, wie sie das Gesez anordnet, zu bestehen. Man forschte auch nicht nach der Herkunft des Giftes, die Tote wurde begraben, der Gatte ging eine zweite Ehe ein und zog ins Ausland. Zwei Jahre später erfuhr die Mutter durch 3u= fall, daß ihre Tochter nicht an Herzlähmung, daß sie an Gift gestorben ist. Da die Mutter für einen Selbstmord nicht den ge­ringsten Anlaß sah, regte sich in ihr der

Berdacht, daß auch die Angabe von dem Selbstmord falsch sei, daß vielleicht ein Verbrechen geschehen ist. Sie erstattete am 17. Dezember 1922 bei der Polizei die Anzeige. Die Polizeidirek tion verständigte von ihr die Staatsanwaltschaft; diese lehnte jedoch jedes Einschreiten ab. Fünfzehn Monate später wiederholte die Polizeidirektion die Anzeige an die Staatsanwalt schaft; diese lehnte wieder ab. Im Sommer 1925 richtete bie Muiter an die Staatsanwaltschaft unmittelbar eine ausführliche Eingabe, und jo mußte Sie Staatsanwaltschaft Borerhebungen einleiten. Beim Untersuchungsrichter wurden Zeugen vernommen, die Leiche der Toten wurde enterdigt und gerichtsärztlich unter­fucht. Gutachten von Sachverständigen im Schreibfach wurden ein gehoff; das Ende aber war, daß die Staatsanwaltschaft( am 18. Mai 1927) erklärte, feinen Grund zur Verfolgung des Dr. Ernst Hauser wegen Verschuldens an dem Tode der Susanne Hauser zu finden".

Die Mutter hatte sich rechtzeitig dem Strafverfahren ange­schlossen und konnte gemäߧ 48 St.-P.-O. nun den Antrag auf Ein­leitung der Vor untersuchung einbringen. In diesem Antrag mird

Dr. Ernst Haufer ganz offen beschuldigt, seine Frau vergiftet zu haben.

Diese Beschuldigung in dem Antrag ist mit einer Fülle von Tat­fachen belegt. Es handelt sich für das Gericht zunächst lediglich darum, ob ein Verdacht vorliegt, der zu einer Boruntersuchung berechtigt, und daran fann nicht gezweifelt werden. Diefe Scheu, gegen einen des Giftmordes Verdächtigen auch mir die Voruntersuchung zu beginnen, erklärt sich nur, wenn man die politischen Beziehungen zwischen der Familie Haufer und der Bundesregierung

ins Auge faßt. Der Att" befand sich schier ununterbrochen im Justizministerium; ein Aft wegen eines Mordverdachtes, der doch das Justizministerium nichts zu befümmern hat, ein Att überdies, der sich nur erst auf Borerhebungen bezog!

Daß es sich um einen schweren Berdacht handelt, kann schon an einem einzigen Unistand dargetan merden. Die junge Frau hat einen Abschiedsbrief an ihren Mann hinterlassen, worin fie ihn wegen ihres Selbstmordes um Verzeihung bittet.( Ver zeihe mir diesen Schritt. Ich konnte nicht anders, ich habe dich so lieb") Es ist nun flar: Ist dieser Brief echt, so besteht fein Zweifel, daß sich die Frau selbst das Leben genommen hat; ist er aber un echt, ist er eine Fälschung, so besteht natürlich der stärkste Verdacht, daß man ihn fabriziert hat, um den Selbstmord vorzu­täuschen, und wenn es nötig gewesen ist, einen Selbstmord vorzutäuschen, so scheint es nötig gewesen zu sein, einen Mord wegzutäuschen.

Ueber diesen Abschiedsbrief sind fünf Gutachten erstattet worden. Zwei davon sind Gutachten von Ausländern, eines Fran­ zosen und eines Engländers, die der Beschuldigte beige= bracht hat; diesen beiden ist das Original des Briefes nicht vorgelegen, fie haben ihr Gutachten nur auf Grund von Photo­graphien erstattet. Denn daß man, um über eine Schrift ur­teilen zu können, auch in der Sprache dieser Schrift zu Hause sein muß, wird nicht bestritten werden können. Diese beiden Gut­achten haben natürlich die Echtheit des Briefes bekräftigt. Dann liegen zwei Gutachten heimischer Sachverständiger vor, diese haben nun den Originalbrief vor Augen gehabt. Das eine Gutachten( Müller) schließt, daß sich ein wahrscheinlicher Grad von 92,4 Proz. für die Annahme ergibt, daß die Verstorbene den Abschiedsbrief geschrieben hat. Das andere Gutachten( Gott lieb) lautet: Der fragliche Abschiedsbrief ist mit Bestimmt heit nicht von jener Hand geschrieben, von der die erste Gruppe der Vergleichsschriften stammt( Schrift von Sufi Hauser), sondern er rührt mit voller Sicherheit vom Schreiber der Schriftstüde des Dr. Hauser her."

Um über diesen Gegenfeß der Gutachten ins flare zu kommen, wurde auf Antrag des Staatsanwalts ein Gutachten des Univer fitätsinstituts für die gesamte Strafrechts wissenschaft und Kriminalistit eingeholt, und dieses hat folgendes Gutachten abgegeben:

1. Der Abschiedsbrief mit der Ueberschrift Mein lieber, guter Ernfil!" stellt eine Fälschung dar, bei der die Handschrift der Frau Sufi Haufer nachgeahmt werden sollte.

2. Die vergleichende Untersuchung der Schriff des Abschieds briefes mit der Schrift in den Bergleichsstücken der Frau Sufi Hauser ergibt, daß der Brief nicht von Frau Sufi Sauser herrührt

3. Die vergleichende Untersuchung der Schrift des Abschieds­briefes mit der Schrift Dr. Ernst Hausers ergibt, daß der inkrimi­nierte Brief von Dr. Ernst Hauser geschrieben wurde. Privatdozent Dr. Streicher. Profeffor Dr. W. Gleispach.

Nach diesem, von ihr selbst verlangten Gutachten hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt. Das Wiener Bandesgericht hat nach dreiviertel Jahren über den Antrag der Mutter noch nicht entschieden. Deshalb hat nun die Mutter wähnten Antrag an den Obersten Gerichtshof gestellt. Der Überste aus Mißtrauen gegen das Wiener Gericht den eingangs er. Gerichtshof hat zur Entscheidung des Antrages auf Einleitung der Boruntersuchung wider Ernst Hauser das Landesgericht Graz delegiert. In der Eingabe des Rechtsanwalts Dr. Walter Rode an den Obersten Gerichtshof, die diesen Erfolg gehabt hat, heißt es nach Darstellung der Sache:

Ich und mein Bertreter hegen

das tiefste Mißtrauen gegen die Haltung des Gerichts, und sind davon überzeugt, daß man an die Sache nicht heran will Die Gründe, aus denen es trot schweren, zur Haftnahme und Einleitung der Untersuchung sonst automatisch führenden Verdachtsmomenten in dieser Straffache nicht vorwärts geht, find teils allgemeiner, teils besonderer Natur. Algemeiner Natur, weil die Straffache alt, verfahren und durch Vorentscheidungen abgetan ist. Es besteht eine tiefe Abneigung der Menschen überhaupt, daher auch der Gerichte, in überlebte Dinge hineinzusteigen. Die Er­mordung der Sufi Hauser liegt sieben Jahre zurück. Alle Leute in der Behördenwelt hegen die Anschauung, daß über die Sache gea nug geschrieben und geffritten wurde, daß man sie end­lich auf sich beruhen lassen könne. Ich, der ich in der Sache teine Ruhe gebe, errege Er bitterung und Widerwillen. Meine Aktion wird als Ruhe störung empfunden. Ich habe mir dadurch die unverhohlene Abneigung der Wiener Gerichtskreise Staatsanwaltschaft und Gerichte sind eine Garnitur zuges 30gen. Die Herren wollen sich nicht zwingen lassen. Ab­weisungsgründe sind bald gefunden und namentlich, wenn es fein Forum mehr gibt, vor dem man gegen fie polemisieren könnte. Nebst dieser allgemeinen und besonderen Abneigung des Wie­ ner Gerichtshofes gegen die Aufrollung der Ermordung meiner Tochter machen sich gegen den Prozeß überhaupt auch

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mächtige Einflüsse anderer Fatforen

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geltend. Es wäre Blindheit, dies nicht zu sehen, und Feigheit, nicht darüber zu reden. Unter den Tausenden von Menschen, die

meinen Subsidiarantrag gelesen haben, wenngleich er nur in zwei hundert Exemplaren gedruckt wurde und nur in hundertfünfzig Exemplaren zur Berbreitung gefommen ist ein Eremplar ist in einem Ministerium allein durch fünfundachtzig Hände gegangen herrscht die Ueberzeugung,

daß der Fall unverfolgt bleibt, weil der Vater des Verdächtig­ten hinter den Kulissen der österreichischen Bolitif eine bedeu­tende Rolle spielt, und weil durch ihn in seiner Eigenschaft als Präsident des Verbandes der Industriellen Milliardenbeträge für Wahlzwede geflossen find.

Die Regierungsfreise wollen die Verfolgung des jungen Hauser nicht. Da die Richter nicht unter einem Glassturz leben, so müssen derartige mächtige Einflüsse an sie herankommen. Unter den Drahtziehern der Politit, mit denen mein Vertreter über die Sache sprach, hat er nichts als Betretenheit und schlechtes Gewissen angetroffen. Wenn man anfängt, mit folchen Drahtziehern über den Fall Hauser zu sprechen, werden sie tläglich und verlegen. Alle Großbürger, alle Freimaurer , alle nationalen und bürgerlichen Polititer perhorreszie­ren die Verfolgung des jungen Hauser.

Aber auch andere einflußreiche Kreise der Wiener Gesellschaft haben ein Interesse an der Bertuschung dieser Strafsache. Wie sich aus dem Att ergibt, ist durch den Fall

eine Reihe von angesehenen Aerzten schwer fompromittiert. Fast jeder dieser Mediziner hat mindestens einmal im Borverfahren das Gegenteil von dem ausgesagt, was er später angesichts ob­jeftiver Befunde einräumen mußte. Diefe Herren Professoren nun haben die Möglichkeit, durch die Kabilarien der Couleura brüderschaft und sonstiger pöltischer Bertlettungen von hinten herum auf die Funktionäre des Gerichts bedeutenden Einfluß zu nehmen.

Schließlich wird das Mißtrauen gegen den Untersuchungsrichter und den Bizepräsidenten des Gerichts noch mit bestimmten Aeußerungen dieser Richter begründet. Nun tommt es zu­Werden nächst auf die Entscheidung des Landesgerichts Graz an. auch dort die Wahlfondsspenden der Familie Hauser für den Bürgerblod entscheiden?

Wohnungsnot und Wohnungskrawalle.

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Eine zeitgemäße Erinnerung.

Alliance- Blay 6: Vor dem Sozialistengesey; Rrijenjahre des Obrigkeitsstaates." Das Buch ist sehr belebt, sehr klar ge= schrieben und überhaupt eins jener ganz seltenen geschichtlichen Quellenwerte, die wahrhaft arbeiterverständlich" sind. Ein durch­aus objektines, fachlich fundiertes, aber vernichtendes Dokument für das Treiben des Obrigkeitsstaates, des Junkerstaates, des Staates, dessen Atem Klaffenhaß und Klaffenjuftig ist.

Die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts sind in Deutschland all.| neuesten Wert der Bücherkreis G. m. b..", Berlin SW 68, Belle­gemein bekannt als Gründerjahre. In sprunghafter Schnellig­feit steuerte das neugegründete Reich befruchtet vom französischen Milliardenregen der Kriegskosten auf das moderne Fabrik- und Mietfasernentum zu. Die Gründer" warfen sich in rasender Profit­gier vor allem auch auf die Wohnungsfrage". Immer neue Bau­gesellschaften wurden begründet; sie tausten Häuser über Häuser, Grundstücke, Landschollen in Massen auf. Natürlich nahm der Bau­stellenwucher und der Häuserschacher überhand, und zahllose Woh- da nungen entstanden, aber nur Wohnungen für die Reichen. Die allein versprechen reichen Gewinn. Für die Arbeiter war in Berlin oft feine Unterkunft mehr finden. Dazu kamen gewaltsame Erefutio. In Palästen

MILLS

und

in Hütten.

Fleisch 25

Mit dem Gründer hat man Erbarmen und pfändet dafür die Armen.

nen gekündigter und zahlungsunfähiger Mieter, und die Hauptstadt fah grausamste Elendsszenen, ganz wie heute.

Da verfiel das Proletariat auf einen Ausweg. Es zog vor die Stadt und errichtete selbst Baraden; wer das nicht einmal konnte, nistete sich in Höhlen in den Wäldern ein. Diese grauenpolle ohnungsnot führte schließlich in Berlin zu schweren Woh­mungsfrawallen. Gelegentlich der Ermittierung eines armen Schufters begannen die Arbeiter zu demonstrieren und gerieten mit der Polizei des hohenzollernschen Obrigkeitsstaates ins Handgemenge. 102 Polizei beamte wurden verwundet, 159 Arbeiter durch Säbelhiebe verletzt. Die Baraden wurden zerstört; aber am nächsten Tag waren sie wieder aufgebaut, nochmals zerstört und nochmals aufgebaut. Beim letzten Baradensturm, am 26. August 1873, setzte sich ein Arbeiter mit dem Beil zur Wehr. Er wurde gepackt und so lange festgehalten, bis feine Barade zertrümmert war. Als man ihn endlich loslie, brach er in ein irres Bachen aus und pflanzte eine rote Fahne auf. Das bittere Nachspiel dieser notgeborenen Krawalle waren 47 Jahre Zuchthaus für 12 und 30 Jahre Gefängnis für weitere 21 Angeklagte. Das war ein Stüd der " herrlichen Zeiten", denen die Hohenzollern nebst Bismard das Bolt entgegenführten.

Man findet diesen Bericht und eine überaus reiche Fülle hoch interessanten und zum Teil ganz unbekannten urkundlichen Materials in dem von Kampffmeyer und Altmann herausgegebenen

Ein ungesunder Beruf:

etwa

Nach einer soeben veröffentlichten englischen Statistik ist die Be­rufssterblichkeit der Brauer, Kellermeister, Birte und Barangestellten eine besonders hohe. Die Zahl der Todesfälle war uni 60 Proz. größer als in anderen Berufen mit normaler Sterblichkeit. Die Angehörirgen der Alkoholgewerbe starben besonders häufig an Krankheiten des Herzens, der Schlagadern, der Verdauungsorgane, an Selbstmord und Krebs. Zmeifellos besteht zwischen dieser Ueber­sterblichkeit und dem reichlichen Alkoholgenuß ein ursächlicher Zu­fammenhang.

Der furchtlose Hotelier.

In einem voltischen Blatt findet sich die folgende Annonce:

Christian Bruns

Hotel, Bad Harzburg

Der einzige Gastwirt, der sich offen zum Antisemitismus bekennt.

Antisemiten! Kennt ihr diesen furchtlosen, echt deutschen Mann?

Bergeßt ihn nicht..."

Ens

Der wackere Hotelier, furchtlos und echt deutsch, dürfte zur nächsten Saison wohl mit einer Invasion zu allem entschlossener Anti­femiten zu rechnen haben. Seine Geschäftstüchtigkeit hat einen fast orientalischen Anstrich.

Heiraten oder Soldat werden.

In Persien herrscht seit einigen Monaten eine wahre Heirats. wut. Alt und jung legt sich die goldenen Ehefesseln an und selbst die ärmsten und häßlichsten Mädchen finden einen Gatten. Und dies hat eine ganz eigenartige Ursache In Persien wurde die allge= meine Wehrpflicht eingeführt und das Parlament in Teheran hatte folgendes Gesetz angenommen: Ein jeder Mann bis zu seinem 50. Jahre ist wehrpflichtig, wenn er nicht verheiratet ist." Und diefes wenn" verursacht es, daß die Männer in Persien plötzlich heiratstoll wurden. Dieses Gesez bezieht sich allerdings nur auf die Männer zwischen 24 und 50 Jahren. Zwischen 19 und 24 Jahren müssen sie unbedingt Soldaten sein.

Die Kohlenschaufel als Lautsprecher.

Auf der Feuerwache in Kalmar ( Schweden ) machte man eine merkwürdige Beobachtung. Eine an der Wand hängende Feuer­Schaufel gab fauber das Sendeprogramm der Funkstation Ralmar wieder. Man ist mrnmehr bemüht, hinter diese seltsame Erscheinung zu kommen. Die Kohlenschaufel aus Metall hing an einem Hake der eine Wasserleitung berührte.