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BERLIN  

Donnerstag, 29. März

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Der Abend

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Spalausgabe des Vorwärts"

45. Jahrgang.

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Generalmarsch zum Wahlkampf!

Otto Wels   zieht im Reichstag   die Bilanz des Bürgerblocks.

Wo blieb die Rettung?

Die Arbeiter müssen ihre Interessen selbst wahren!

Bei Beginn der heutigen dritten Lesung des Etats hielt der Abgeordnete Wels( Soz.) folgende Rede:

Nicht nur das abgelaufene Etatsjahr steht im Bereich unserer Betrachtung, sondern die ganze Legislaturperiode seit den Wahlen des Jahres 1924, deren Ausfall sich in der Bildung des Besigbürgerblods des verflossenen Jahres erst zur Dollen Reife auswirken fonnte, nachdem die deutschnationale Frat­tion fich mit den ihnen geiftesverwandten Kräften der deutschen  Volkspartei und denen im Zentrum zusammengefunden hatten. Mit ihrer Hilfe gelang es den Deutschnationalen endlich die politische Macht an sich zu reißen und mit ihrer Hilfe hofften sie den Sturm auf das festeste Bollwert der, Republit, auf Preußen, erfolgreich zu entfalten.

Rücksichtslos trat der Machtwille der großlapitalistischen Kreise hervor,

durdy Herabminderung der Widerstandskraft der Arbeiter und An­gestellten und Bernichtung des geistigen und wirtschaftlichen Mittel­standes zur Beherrschung des Tages zu gelangen. Im Kampfe gegen die Entwicklung zur Blutokratie fand das deutsche   Volk seine zuver­läffige Stüße in der Sozialdemokraten Partei, aber auch in der republikanischen Regierung Preußens, die unbeirrt für die Stärkung der Demokratie und der Republif im Gegensatz zu zahlreichen Landesregierungen, besonders von Bayern   und Württemberg  , und der gesamten reichsdeutschen Reaktion tätig war.

Wir denken auch an das Jahr 1925, des Todesjahres des ersten Reichspräsidenten Ebert, der unter der giftigen Wirkung des ihm von der Reaktion angelegten

Nesselhemdes der Berleumdung

sein Leben lassen mußte. Die Millionen Platate mit dem Bilde des ,, Retters" tauchen vor uns auf. Der Jubelruf der Rechtspresse: ,, Hindenburg   tommt! Jezt wird alles gut!" erflingt in unser Dhr. Dem Siegesrausch ist die Ernüchterung gefolgt. Wie nahmen sie doch den Mund so voll: Die großen Fragen wirtschaftlicher Natur sind mit einer sozialistisch- bürgerlichen Koalition nicht zu lösen!" schrieb Herr Stresemann im Dezember 1924. Er ist vor einer solchen Koalition bewahrt geblieben. Aber haben die bürgerlichen Koalitionen der letzten Legislaturperiode diese großen Wirtschaftsfragen gelöst?

Die Antwort lautet: Nein!

,, Das Ziel der Befreiung rückt in unerreichbare Ferne, wenn der Radikalismus und Sozialismus zur Herrschaft kommen," rief die Volkspartei in ihrem Wahlaufruf emphatisch aus. Ich frage Sie: Haben Sie in der Bundesgenossenschaft mit den Deutschnationalen das Ziel der Befreiung erreicht? Herr Stresemann fann Ihnen die Antwort geben. Die Welt kennt fie im voraus. Sie lautet: Nein! Es bleibt das erste und tatsächliche Ziel: Die volle Be­fchäftigung, die ausreichende Versorgung des ganzen Bolkes sicherzustellen, seine Kauftraft, seine Lebenshaltung zu heben." Wer erklärte das im Januar 1925? Graf West arp von dieser Tribüne. Ich frage Sie: Was haben Sie zur Erreichung dieses Zieles getan? Nichts!

Sie haben durch Ihre Politik Kauffraft und Lebenshaltung der breiten Maffen dauernd herabgedrückt, so daß das Volk in noch fieferes Elend versant.

Der Schacher um den Scherl- Verlag.

Bericht auf der 2. Seite.

Ein beendeter Unfug.

Her Schulstrek

Wir Streiken

Die Schuld an dem Schulstreit, bei dem, wie unser Bild zeigt, fällt einzig und allein den Christlich   unpolitischen zur Last. Sie haben ohne Grund, aus Haß gegen die weltliche Schule, für die in dem fraglichen Bezirk die Mehrheit der Elternschaft ist, den verbrecherischen Schulstreif herbeigeführt. Den Schaden haben die Kinder, die verhett und am Schulbesuch verhindert wurden. Das Ganze nannte sich unpolitisch und geschah im Namen

Der standalöse Zustand des Schulstreits ist vorläufig be endet. Eine Elternversammlung der sogenannten Christlichunmündige Kinder als Streitposten verwendet wurden, Unpolitischen" bei der Schule in der Sonnenburger Straße beschloß gestern, den Schulstreit abzubrechen, und eine Reso­lution spricht davon, daß man auf eine gerechte Entschei dung des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hoffe". Auch wir vertrauen auf eine gerechte Entscheidung, und wir wissen, daß in diesem Falle das Recht auf seiten der Anhänger der weltlichen Schule ist.

las

der Christlichkeit.

Die Sockenhalter des Landrats.

In der gestrigen Sitzung des Preußischen Landtages ver­der sozialdemokratische Abgeordnete Heilmann einen sehr eigenartigen Briefwechsel, der zwischen einem preußischen Landrat und einem Berliner  Rechtsanwalt geführt worden ist. Der Landrat ge­hört der alten Schule" an, er ist Berwaltungsjurist und hat es bis zum Assessor gebracht. Folgendes schreibt er dem Rechtsanwalt:

Für den Wähler, für das belogene und betrogene Bolk erheben wir die Frage: Wo blieb die Rettung? Wo blieb die Erfüllung der Aufgaben, die der Reichspräsident in seinem Briefe vom Januar ,, Landratsamt......, den 11. Februar 1928. 1927 dem Reichskanzler Marg zuwies der nach der Verfassung ja die Richtlinien seiner Politik selbst bestimmen soll." Diese neue Sehr geehrter Herr Doktor! Regierung soll die besondere Pflicht haben, die berechtigten Ich tomme, ohne mich auf eine persönliche Beziehung zu Ihnen Interessen der breiten Boltsmaffen zu wahren? berufen zu fönnen, Ihnen mit einem höchft eigenartigen Anfinnen. Die Arbeitermassen, haben mehr denn je erkannt, daß sie ihre Jch bitte Sie, zu meinen Gunsten bem bei Ihnen beschäftigten Fräu­Interessen selber wahren müssen, und sie wissen, daß man lein 2. vom 3. bis 11. März Urlaub zu geben. Fräulein 2. sagte mir gestern, auf meinen telephonischen Anruf, daß sie Ihnen, sehr Derehrter Herr Doftor, den Sachverhalt bereits mitgeteilt hat. Idy fann mich also über die etwas verwickelten Dinge furz faffen. Ich will, mas meinem bureaukratischen Beruf ja ziemlich abgelegen ist, einen felbsttonftruierten Sodenhalter auf der Leipziger Messe vor­führen und lanzieren. Jede loyale Hilfe muß mir dazu recht sein. Dazu rechne ich es, wenn ich mir beim Verkauf von Frauen fom­pathischer Erscheinung helfen lasse. Von hier jemand mitzunehmen, Derbietet sich durch meine Stellung als Landrat. Jedenfalls fann es sich nicht glücklicher fügen, als daß ich durch Zufall die richtige Helferin selber gefunden habe."

nicht Feigen erute vom Diftelstrauch.

Im freien Bolksstaat aber ist die hier empfohlene Fürsorge für die breiten Arbeitermassen ein Sohn auf das Bart: Die Staats­gewalt geht vom Volte aus!" und als Beleidigung wird das Dom arbeitenden Volke empfunden.

Noch niemals ist eine Koalitionsregierung fo fchmachvoll zu­fammengebrochen, wie die der Herren Marg, Hergt, Schiele und v. Keudell  ! ( Fortsetzung 2. Seite.)

Der Berliner   Rechtsanwalt schrieb zurück:

,, An den Herrn Landrat   in

Euer Hochwohlgeboren übersende ich anliegend Abschrift eines bei mir eingegangenen Schreibens vom 11. Februar, das ich für eine Myftifikation halte. Ich bitte um aufklärende Beantwortung."

Der Landrat antwortet:

,, Euer Hochwohlgeboren bestätige ich den Eingang des Schrei­bens vom 16. d. M. Es handelt sich um keine Mystifikation. Biel­mehr wiederhole ich das Ersuchen, das ich Ihnen vorgetragen habe, und bitte um baldige freundliche Entscheidung."

Der Rechtsanwalt hat sich darauf über den Landrat be­schwert und das preußische Ministerium des Innern hat dem Landrat einen Verweis erteilt.

Der Abgeordnete Heilmann hat hinzugefügt, daß er wegen dieses so zweideutigen Vorfalles feinen Lärm schlagen molle, trotzdem der Landrat reichlich tattlos gehandelt habe. Gewiß braucht man es nicht tragisch zu nehmen, daß der Landrat der alten Schule" bei seinem Geschäft mit Soden­haltern verunglückt ist. Aber welches Geschrei hätte sich wohl in der Rechtspresse erhoben, wenn ein republikanischer Be­amter, wenn gar ein Sozialdemokrat es unternommen hätte, sich beim Verkauf der Sodenhalter ,, von Frauen sympathischer Erscheinung" helfen zu lassen?