Morgenausgabe
Nr. 159
45. Jahrgang
A 80
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Technit". Blid in die Bücherwelt" und Jugend- Borwärts".
Dienstag
3. April 1928
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Das rote Wien.
Bevölkerung 1800 000- Parteimitglieder 400 000.
Auf der Jahreskonferenz der Sozialdemokratischen Organisation Wien berichtete Genoffe Albert Sever , daß die Zahl der Parteimitglieder in Wien vom 1. Januar 1927 bis zum 31. März 1928 um 57 000 geftiegen ist und Ende März 400 000 überschritten hat; davon find 264 000 Männer und 137 000 Frauen. So hat der Seipelsche Bürgerblod, so hat Schobers Julifchlacht die Wiener Arbeiterbewegung vernichtet", daß vom 15. Juli bis Jahresschluß 28 000 neue Mitglieder gewonnen wurden! Die Werbeaktion„ Bon Frau zu Frau für die Partei" ist noch nicht abgeschloffen. Bon je 100 fozialdemokratischen Wählern sind 60 Parteimitglieder, von den über 20 Jahre alten Wienern jeder dritte! Jeder zweite Mann ist ein Genoffe, jede fünfte Frau eine Genoffin. 17 263 Verfrauensperfonen versehen die Parteifunktionen.
Diesem Stand, mit dem Wien vorbildlich in der Internationale dasteht, entsprechen die Leistungen der Organisation, felbst bei dem
Bis zum Jahre 1914 mar der ,, Berliner Lokal- Anzeiger" ein parteiloses, aber der Regierung ergebenes Blatt. Im niedrigen Parteibeitrag, der erst ab 1. Juni einheitlich 50 Grofchen Frühjahr 1914 sehnte sich Herr August Scherl nach Ruhe und ( 30 Pf.) monatlich betragen wird.
Anklage wegen des Schuffes auf Karl Geiß. Richard Strebinger, der gelegentlich der Eröffnung des Schneepalastes im ehemaligen Nordwestbahnhof zu Wien auf Bürgermeister Seiß geschossen hat, wurde mehrere Monate hindurch auf seinen Geisteszustand untersucht. Es war die Behauptung aufgestellt worden, er leide an Bahnvorstellungen. Die Untersuchung wurde abgeschlossen und das ärztliche Gutachten fertiggestellt. Nun hat die Staatsanwaltschaft gegen Richard Strebinger die Antlage wegen Verbrechens des Mordversuches und wegen Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit erhoben. Die Berhandlung wird vor einem Schöffensenat in der zweiten Hälfte April sein.
Abschluß der Königsberger Konferenz.- Ein fleiner Fortschritt erzielt.
Die Königsberger Berhandlungen zwischen Bolen und Litauen follten nur den Charakter einer Bortonferenz haben, obwohl fich Ministerpräsident Woldemaras und Außenminister 3alefti in eigener Berson dorthin bemüht hatten. Es bestand aller dings die Befürchtung, daß selbst diese persönliche Zusammenfunft völlig ergebnislos verlaufen würde, da Litauen immer wieder erflärt hatte, es müsse die Wilna Frage in den Bordergrund stellen, während Polen jede Diskussion über Grenz- und Befihfragen von vornherein kategorisch ablehnte.
Nach dreitägigen Verhandlungen hat die Konferenz gestern abend einen Abschluß gefunden, der weitere Berhandlungen ermöglicht und auch vorsieht. Es find drei Unterausschüsse ge= bildet worden, die folgende Fragentomplere prüfen sollen: Wirt schafts- und Verkehrsfragen; Aufenthaltsrecht, Paßformalitäten und fleiner Grenzverfehr; Sicherheits- und Entschädigungsfragen.
Litauen hat Entschädigungsansprüche für die Schäden geltend gemacht, die ihm durch den 3eligowski- Handstreich auf Bilna im Jahre 1920 zugefügt wurden, Polen hat diese Ansprüche nicht grundsäglich zurückgewiesen. Was die Sicherheitsfrage betrifft, so weist Litauen insbesondere auf die Pletschaitis Panden hin, die angeblich mit polnischer Unterstützung aufgestellt werden und versuchen, in litauisches Gebiet ein zubringen. Polen bestreitet die Richtigkeit dieser Angaben, hat indessen in Königsberg den Abschluß eines Nichtangriffs= pattes vorgeschlagen.
In öffentlicher Sizung am Montag fand ein langes Rededuell zwischen Woldemaras und Zaleski statt, in dem der Litauer immer wieder auf das Problem Wilna einging, während Balesti einer Erörterung dieser Frage konsequent auswich. Wie hartnäaig Litauen an seinem Standpunkt festhält, beweist die Bemerkung von Woldemaras über die Unmöglichkeit der Wiederaufnahme von di. plomatischen Beziehungen mit Polen : er könnte als litauischer Ministerpräsident einen polnischen Gesandten nur in der ehemaligen Hauptstadt Litauens , Wilna , empfangen!
Allein diese Redewendung zeigt, daß noch ein sehr weiter und schwieriger, Weg bis zum erfolgreichen Abschluß der vom Völker bundsrat empfohlenen direkten polnisch- litauischen Verhandlungen zurückzulegen sein wird. Daß man sich dennoch auf die Einsetzung von drei Kommissionen geeinigt hat, die demnächst in Warschau , Kowno und Berlin zusammentreten sollen, bedeutet immerhin
einen ersten Erfolg dieser direkten Aussprache.
Die Hauptstadt gegen die Diftatoren.
Die Regierungsanhänger im Kownower Stadtrat hatten gegen den Oberbürgermeister wileischis einen Mißtrauensantrag eingebracht. Die Regierung führt gegen den Oberbürgermeister schon seit längerer Zeit eine Kampagne, da er der Linksopposition zuneigt. Die Sigung des Stadtrats, in welcher über den Mißtrauensantrag verhandelt wurde, verlief sehr stürmisch, endete aber mit dem Sieg des Oberbürgermeisters, denn der Stadtrat lehnte das Mißtrtauenspotum mit 25 gegen 21
Stimmen ab.
Ein angeblicher Grenzfampf.
In seiner Konferenzrede hat Woldemaras sich auf Melbungen Berufen, monach Anhänger des politischen Flüchtlings Pletsch.
faitis aus dem Wilnagebiet nach Litauen vorzustoßen versucht hätten. Woldemaras deutete an, daß Polen an diesem Bersuchh beteiligt fei. Balefti erwiderte lediglich, daß Meldungen über den Vorfall ihm noch nicht vorlägen. Dazu kommen abends folgende Tele.
suchte seinen Anteil an der G. m. b. H. August Scherl zu verfaufen. Er besaß noch 11 880 000 Mart von den 20 Millionen Mart Stammkapital der G. m. b. H. August Scherl , welches aus 10 Millionen stimmberechtigten Anteilen und 10 Millionen Vorzugsaftien sich zusammensetzte. Schon besaß der Verlag B. m. b. S., von denen 750 000 Mark stimmberechtigte Anteile Rudolf Mosie 2070 000 Mark Anteile der Scherlschen maren. Daneben besaß die Allgemeine Deutsche Credit anstalt 1 020 000 Mart, die Dis contogefellschaft 840 000 mart, die Norddeutsche Banf 800,000 Mark Anteile der G. m. b. H. August Scherl . Es war für Rudolf Mosse in Verbindung mit den 13 Banken, welche bereits Anteile der G. m. b. 5). August Scherl besaßen, nicht sehr schwierig, die 11 880 000 Mark Anteile des Herrn August Scherl aufzulaufen. Wahrscheinlich hat diese Situation zuerst der Geheime Finanzrat Alfred Hugenberg , damals Borfizender des Direktoriums der Firma Fried. Krupp A.-G. in Effen, erfannt und sich mit den namhaften Großindustriellen der rheinisch- westfälischen Schwerindustrie und dem rechtstonservativen preußischen Innenminister von Dallmig zur Abwehr der Zunahme des freisinnigen Einflusses auf die Leitung des Berliner Lokal- Anzeigers" in Verbindung gesetzt.
Auf Geheimverfügung des preußischen Innenministers von Dallwig zahlte im Jahre 1914 die Preußische Zentralgenossenschaftstasse dem von Hugenberg begründeten Deut schen Verlagsverein in Düsseldorf 2 Millionen Mark zur Erwerbung der Anteile des Herrn August Scherl an der G. m. b. 5. August Scherl aus. Vielleicht hat der Betrag auch 2 bis 3 Millionen Mart ausgemacht. Wegen des Fehlens des größten Teiles der Aften in der Preußenfasse wie im Ministerium des Innern fann der genaue Betrag noch nicht festgestellt werden. In den Jahren 1916-17 ist eine zweite 3ahlung von ungefähr der gleichen Höhe auf demDer Kreischef von Treti berichtet: Am 31. März gegen 10 Uhr selben Wege erfolgt. Man dürfte nicht fehlgehen in der Anabends näherten sich etwa 60 Mann, bewaffnet, mit einem manahme, daß beide Zahlungen zusammen den Betrag von ichinen gewehr und Karabinern, der Demartationslinie in der 5 Millionen Mark ausmachen. Nähe des Dorfes Gervinai und eröffneten ein drei Minuten dauerndes Feuer, das von der litauischen Grenzpolizei nicht er widert wurde.
gramme:
Die Polnische Telegraphenagentur ist ermächtigt, folgendes zu erklären: Die von der amtlichen litauischen Telegraphenagentur ver breitete Nachricht über den angeblichen leberfall durch Anhänger von Pletschkaitis auf das an der Demarkationslinie gelegene Dorf Ger winai, wobei 50 Schüsse in der Richtung auf das litauische Terri torium abgegeben worden sein sollen, ist vollkommen aus der Luft gegriffen.
Litauische Aufstandsjustiz.
Kowno , 2. April. Wegen des Umfturzversuchs von Alytis wurden vier Angeklagte zu je vier Jahren 3uchthaus verurteilt, die übrigen sechs freigesprochen.
Kapital und Presse. Arbeiterantrag im Unterhaus.
London , 2. April. ( Eigenbericht.)
Das Unterhaus wird am Dienstag die durch die fort schreitende Kartellierung und Vertrustung der Bresse geschaffenen Gefahren erörtern. Dem Haus liegt eine von der Arbeiterfraktion eingereichte Entschließung vor, in welcher die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit der Presse im Interesse der Reinheit des öffentlichen Lebens gefordert und beantragt wird, gewiffe Braftifen der fyndizierten Presse, wie die Gewährung von Versicherungssummen an die Leser, als dem öffentlichen Leben abträglich zu verurteilen.
Tschangtsolin in Not.
Die Südarmee rückt heran.
Peking , 2. April. Marschall Tschangtfolin hat angesichts der Angriffs bewe. gung Tighiangtaischets gegen ihn angeordnet, daß alle ver fügbaren Truppen gegen Tschiangtaischet gesandt werden sollen. Heute soll der Ausnahmezustand in Pefing erklärt werden. Die Truppen der Südarmee haben den Gelben Fluß über ichritten und sind im Begriff, die Beting- Hantau- Bahn zu befeßen.
die
Es ist noch nicht aufgeklärt, woher dieses Geld kam. Wahrscheinlich sind die Beträge dem Preußischen Staatsetat entnommen und nur über Preußenfasse in beiden Fällen geleitet worden. Nach Ansicht des preußischen Finanzministeriums ist die Preußentaffe nicht als geschädigt zu betrachten, da sie damals wohl aus den preußischen Etatsmitteln Ersatz erhalten hat.
Von einer Rückzahlung des am 25. April 1914 begründeten Deutschen Berlagsvereins, der am 1. Mai 1914 durch Verfügung des Innenministers von Dallwitz und des Juftizministers die Rechtsfähigkeit als Verein erhielt, da er fein eingetragener Verein werden wollte, ist bis jetzt nichts betannt geworden. Ein Bosten von 5 Millionen Mart ohne Zinsen müßte sich doch leicht bei der Rückkehr in die Staatstassen in den Büchern feststellen lassen. Es ist auch ganz unwahrscheinlich, daß eine Rückzahlung vor der Beendigung der Inflation, also vor dem Jahre 1924, hätte erfolgen können, da der Deutsche Verlagsverein und seine Gönner, nämlich Geheimrat Hugenberg und die rheinisch- westfälischen Großindustriellen, bis zu dieser Zeit bestimmt nicht in der Lage waren, 5 Millionen Mart in Gold zurückzuzahlen. Der preußische Staat hat also alle Veranlassung, Ausschau zu halten, wie er das dem Deutschen Verlagsverein in Düsseldorf vorgeschoffene Geld in Höhe von 5 Millionen Mart ohne Zinsen und einschließlich der Zinsen vielleicht 8 Millionen Mart zurückerhält.
Es ist als sicher anzunehmen, daß in der Zeit von 1924 bis heute ein solcher Betrag von dem Deutschen Verlagsverein bei feiner Staatstaffe eingezahlt wurde. Genau wie in der Affäre Lohmann und Geßler wächst der fehlende Betrag mit jedem Tage der weiteren Prüfung der Angelegenheit an. Am fein Zweifel mehr, daß einschließlich der Zinsen 28. März war von 2 Millionen Mark die Rede, heute ist schon 8 Millionen Mark dem preußischen Staate von dem Hugenberg- Konzern geschuldet werden.
Im Jahre 1924/25 wurden in der Preußentasse unter der Leitung des Präsidenten Semper die Aften über die Zahlung der Gelder an den Deutschen Verlagsverein 1914 und 1916/17 zum Teil vernichtet, da bei der Preußenfasse gewohnheitsmäßig alle zehn Jahre die Aften vernichtet werden. Wir wollen hoffen, daß die Preußenkasse vor der Bernichtung der Aften auf das gründlichste festgestellt hat, daß sie selbst vollkommen befriedigt worden ist. In diesem Falle muß sie aber auch wissen und heute nachweisen fönnen, durch wen- also ob in den Jahren 1914 oder 1917 der Innenminister oder der Finanzminister oder wer sonst ihr den ausgelegten Betrag überwiesen hat.
Nach den Statuten des Deutschen Verlagsvereins wurde jedes Mtiglied des Vereins Inhaber des Vereinsvermögens