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Beilage

Dienstag, 3. April 1928

MA99

Der Abend

TA

Spalausgabe des Vorwärts

Die Stadt der tausend Kanonen.

Ein Besuch in der englischen Kolonie Gibraltar /

Im Traume war alles so schön. Der Generaldirektor hatte mir| für jeden Tag ausgestellt werden. Um 8 Uhr werden die Tore ge­eine Anweisung von 1000 Mart in Aussicht gestellt, ich brauchte mich nur zur Kasse zu bequemen, und das wollte ich gerade tun, da flog ich plötzlich von unsichtbarer Gewalt geftoßen aus dem Bett. Endlich fammelte ich mich in der Kajüte. Zur Hälfte lag ich auf meinem Koffer, die andere Hälfte lag im Waschservice. Da stürzte ich auch schon auf das Ded, wo einige fremde Menschen gefchäftig hin und her liefen. Endlich hatte sich das Grau in Grau des Nebels ge­lichtet, da sah ich ein Schiff gurgelnd in die Tiefe finten. Der Stoß wurde mir flar. Unser Frachtschiff hatte einen Engländer gerammt. Einige Leute der Befagung hatten noch Gelegenheit auf

schlossen, so daß niemand mehr diese Stadt betreten oder verlassen tann. Sucht man aber, in diese Lage gekommen, in Gibraltar ein Hotel auf, so tommt man vor lauter Kontrollen nicht in den Schlaf. Es ist besser, man begibt sich gleich zur Polizeimache und spielt dort die Nacht durch mit den Beamten Karten. So habe ich es getan, denn auf das Schiff zu tommen, ist unmöglich. Selbst der Hafen ist hermetisch abgeschlossen. Die Zerstörer werden mit großen Zelten überspannt; wahrscheinlich um sie vor dem Einstauben zu bewahren. Sonft ist die Stabt frei! Außer den Menschen, die in ihr wohnen. Man erhält Weine, Zigarren, Parfüm, Kleider, Schuhe

Gibraltar , die Stadt der tausend Kanonen.

unser Schiff zu springen; der Rest wurde von uns gerettet. Als der Kapitän endlich seine Mannschaft zählte, brach er in Jammern aus, denn ein Mann fehlte. Nachher aber bei warmem Grog und Deden stellte sich heraus, daß er vergessen hatte, sich mitzuzählen. Kurze Zeit darauf ertiang schon eine Quetschfommode, die einer von den Schiffbrüchigen noch gerettet hatte.

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Go tam es, daß wir die Stadt der tausend Kanonen Gibraltar der seeamtlichen Untersuchung wegen anlaufen mußten. Bald leuchteten uns die ersten Felfen mit den glitzernden Feuerschlünden entgegen. Der Lotse tam, die Hafenpolizei löste ihn ab. Die Barkasse der Seebehörde mit einem Photographen legte fich an unser Schiff. Der Kapitän und die Offiziere wurden uns entführt, und endlich der nächste Morgen brachte uns die Erlaubnis, Gibraltar zu betreten.

| und Wäsche für einen äußerst niedrigen Preis. Die Stadt ist ebenso wie der Hafen zollfrei. Hat man fich endlich müde auf eine Bant des großen Barts gesetzt, und wendet sich verträumt zur Seite, so fieht man sich unvermittelt irgendeinem alten Feuerschlunde gegen­über und achtet man etwas genauer auf seine Umgebung, so findet man sich bald von Kasematten und Batterien umgeben, und rettet

Bon Megerle von Mühlfeld.

man sich in höchster Berzweiflung auf einen stillen Ort, so hat man das schöne Wort Bombhouse" vor sich. Unten vereinigen sich die Meere, durch den Nebel taucht Afrita auf und mein Begleiter, ein biederer spanischer Kaufmann, der so ganz nebenbei zwischen seinem Lederhandel das Deutsche Reich vertritt, erzählt mir den Grundriß einer Novelle eines spanischen Satiriters, wie er sich den Untergang Gibraltars und der Flotte vorgestellt hat. Nachdem unzählige Male deutsche Unterseeboote, durch den Nebel geschüßt, Gibraltar besucht haben, ist der englische Kommandant der Festung Gibraltar durch vieles Whiskytrinken wahnsinnig geworden. In solch einem Anfall ließ er die englische Flotte vor Gibraltar versammeln und bombar­dierte sie dann in Grund und Boden, nur zu dem Zwed, daß er wenigstens einige zufriedenstellende Ergebnisse nach London melden fonnte. Der Kaufmann beschwichtigte mich, der Satiriker sei nicht ernst zu nehmen, und außerdem sei er an der englischen Krankheit gestorben.

Es lebt sich in dieser Stadt gut und ruhig, wenn auch nicht ganz ohne Zwischenfälle. So hatte vor einigen Tagen ein Leutnant den tommandierenden Oberst erschossen, die Bürger stehen nun erregt in den Straßen, um den Leichenzug abzuwarten, der auch pünktlich ein­trifft, von aufgeputzten Ehrenwachen umgeben. Langsam marschiert der Trauerzug durch die schmale Hauptstraße. Hinter dem Sarg wird das Pferd des Oberst geführt. Seine blantgeputzten Schuhe, die an dem Steigbügel befestigt sind, glänzen in der Abendsonne. Der nächste Morgen bringt seine doppelte Zeitungsauflage, auf den Plätzen bilden sich Parteien für und gegen den Mörder. Man muntelt mit spanischer Wichtigkeit erst von der Tochter des Oberst, dann von der Frau des Leutnants mit dem Oberst, bis sich schließlich herausstellt, daß weder das eine noch das andere stimmen kann, da meder eine Tochter noch eine Gattin vorhanden ist. Endlich einigt man fich auf eine politische Affäre. Gibraltar hat seinen Standal. Entfett flüchtet man ver Hize und Botsgemurmel auf einen Schinderfarren, um zur, Line" zu fahren. So nennt man die fleine Stadt Ahorras in Spanien .

Hier schlendern Soldaten und Mädchen auf dem Marktplatz umber. Bettler, Blinde, Lotterieverfäufer, johlende junge Borschen im süßen Nichtstun, alte Frauen und junge Mädchen, die lüftern wie die jungen Fische umher bliden, umgeben einen. Unbewußt martet man auf den letzten Aft, der die Oper zum Abschluß bringt. Kurz vor meiner Abfahrt bewaffnete ich mich mit einem Erlaubnis­schein, der durch unzählige Stempel verschmiert war, daß er beinahe jeinen Zwed verfehlt hätte, und betrat das Polizeigefängnis. Nach­dem man mich durch katakombenähnliche Gänge gefchleppt hatte, trat ich in einen Lichthof. In der Mitte stehen zwei aufrechte Balken, ehemals eine Schaufel, die abmontiert in der Ede liegt. Und zwischen diesen Balken hängt ein langer Sad, in dem sich die traurigen Ueberreste des degradierten Leutnants befinden, der bei Sonnenaufgang gehängt wurde. Drei Tage später bringt erst die | ,, Gibraltar Gazette" die traurige Mitteilung.

Die verräterische Autonummer.

Das Verbrechen eines Juweliers.

Der erste Einbrud ist niederbrüdend. Sollte sich einmal Christus hierher verirren, er würde die Welt, wenn er es nicht schon getan hat, für immer verlassen. Als erstes passiert man zwei Mauern, die von der gleichen Büte find, wie die Langmut des europäischen Boltes. Aber dahinter beginnt beileibe noch nicht die Stadt. Hier treiben träftige Soldaten vielerlei Sport, der nicht allein von England, o nein, auch von den europäischen Staaten bezahlt wird. So tommt man durch Zementfasematten und Panzergewölbe enblich in die Stadt, die spanischen Charakter trägt. Unter der 200jährigen eng­lischen Herrschaft hat sich hier anscheinend nichts geändert, außer, daß aber die Polizei zu der nach Arminvilliers führenden Chaussee ge­die Spanier als englische Staatsbürger betrachtet werden.

Straße in Ahorras. Blick auf Gibraltar .

Wenn man bedenkt, daß die englische Flotte im Anfang des 17. Jahrhunderts nach Gibraltar tam, um Trinkwasser zu nehmen und bis heute feines gefunden hat, dann ist es sehr interessant zu fehen, mie John Bull diesen spanischen Besitz zu seinem Flotten­stützpunkt ausgebaut hat. Das in zehn Minuten zu erreichende Spanien ist durch einen internationalen Strich von Gibraltar ge­trennt. Strich ist eigentlich schon zu viel gesagt. Ein armfeliger grüner Fled, auf beiden Seiten von Stacheldraht umgeben, bildet die Grenze, auf welchem ahnungslos die Stiere mit den Pferden, die für den nächsten Bullfait" vorgesehen sind, weiden. Um von der Bandseite nach Gibraltar zu gelangen, muß man mit einem Er­taubnischein ausgerijtet jein, von denen nur eine gewille Anzahl

Ani 29. Februar befand sich die Pariser Juwelierbörse in Auf­regung: der Juwelier Gaston Trufeme war am Abend zuvor plötzlich verschwunden; mit ihm seine sämtlichen Juwelen und die 35 000 Fr., die er bei dem befreundeten Juwelier Mestorini laut einem Schuldschein einlassiert hatte. Am gleichen 29. Februar wurde

rufen, wo ein Chauffeur eben erst die brennende Leiche einer männ­lichen Person entdeckt hatte. Es war dies die Leiche des Pariser Juweliers Gaston Trufeme. Sein Schädel wies zwei Berlegungen auf. Juwelen und Geld fehlten. Es lag Raubmord vor; Trufeme war allem Anschein nach in Paris getötet und seine Leiche hierher verschleppt, mit Benzin begossen und angezündet worden. Der Mörder mußte den Juwelierkreisen angehören.

Die ersten Recherchen führten zu einem unerwarteten Ergebnis. Ein Fleischergeselle hatte einen Mann mit einem schwarzen Schmurrbart aus einem hellbraunen Automobil drei Benzinbehälter schleudern sehen. Man fand sie in der Nähe der Leiche. Und ein Garagenbefizer zerat meldete, daß die drei Benzinbehälter bei ihm getauft worden seien; er fannte auch die Nummer des Autos: Es war die Nummer von Mestorinis Auto,

des Freundes des ermordeten Gaston Trufeme, von dem er am 28. Februar die 35 000 Fr., die dieser ihm schuldete, einzulösen hatte. War Mestorino der Mörder? Er mies mit Em pörung die Zumutung zurück. Sein Auto, erklärte er, habe am 28. und 29. Februar die Garage von Varennes nicht verlassen. Der Garagenbefizer bestätigte es. Der Benzinverkäufer Izerat mußte sich in der Nummer geirrt haben.

Die Polizei ließ von Mestorini ab. Sie fahndete nun nach dem Auto. Es war unauffindbar. Sie nahm die Juwelierstraße Rue Lafayette und die Juwelierbörse unter scharfe Kontrolle. Sie stellte fest, daß ein Kommissionär am selben Tage, wie Trufeme, verschwunden war. Hatte er etwas mit dem Morde zu schaffen? man forschte nach dem Borleben Trufemes, um hier Anhaltspunkte für die Täter zu finden. Es ergab sich, daß der Tote ein Doppel Leben geführt hatte. Einst Musikant auf dem Montmartre, hatte er seine früheren Beziehungen nicht aufgegeben. Er verkehrte in nicht einwandfreien Tanzlokalen und Kneipen, unterhielt, von seiner Frau getrennt lebend, Liebschaften, hielt in Paris möblierte Rimmer, empfing seine Korrespondenz postlagernd. Weibliche Seugen meldeten ich, die Bekundungen machten, eine jenjationeller

als die andere; anonyme Briefe hagelten auf die Untersuchungs­organe nieder, Telephonanrufe wollten nicht aufhören. Als gar der Benzinverkäufer Jzerat in der Photographie Trufemes den Benzin­fäufer erkennen wollte, glaubte man für einen Augenblick von Tru­fcme mystifiziert worden zu sein; man nahm an, daß er selbst je­mand getötet habe, um mit den Brillanten und dem Gelde zu ver­schwinden. Alle Spuren führten zu nichts. Die Belohnung von 40 000 Fr., von der Brillantenbörse ausgesetzt, tat keine Wunder. Schließlich erinnerte sich die Polizei des sonderbaren Zusammen­fallens der Nummer des Mestorinoschen Autos mit der des Mord­autos....

Das Geständnis Mefforinos.

Zweieinhalb Wochen nach dem Verschwinden Trufemes war Mestorino geständig, ihn getötet zu haben. Die Tat war in seinem Bureau geschehen, als Trufeme sich geweigert habe, den Wechsel zu prolongieren. Durch eine tätliche Beleidigung Trufemes in Wut geraten, habe er ihn mit dem Ringenmaß getötet, die Leiche in seinem Auto nach Varennes gebracht und am nächsten Morgen in der Nähe der Chauffee von Arminvilliers in Brand gesetzt. Und mun erwies sich, daß die Pariser Polizei in eigenartiger Berblen­dung wochenlang hatte dupieren lassen, anstatt sofort der in die Augen fallenden Spur nachzugehen. Der Garageninhaber hatte auf Bitten Mestorinos die falschen Angaben über den Aufenthalt des Autos in feiner Garage gemacht. Er habe sich nichts dabei gedacht, sagte er, obgleich sein Angestellter ihn auf die Blutspuren aufmerf­sam gemacht hatte, die sich im Wagen befanden. Nun stellte man auch auf dem Teppich in Mestorinos Kabinett und im Schrank Blut­spuren ſeſt. Mestorinos Verwandte, Fräulein Chamaur, war ihm bei der Beförderung der Leiche aus dem Hause behilflich gewesen, eine Angestellte Mestorinos hatte von ihm Trusemes Juwelen in Verwahrung erhalten. Meſtorino, der die ganze Zeit über an Geld­fnappheit gelitten hatte, konnte nach Trufemes Berschwinden seine Schulden bezahlen. Das alles gelangte erst jetzt zur Kenntnis der Polizei. Die Beamten erhielten aber die Belohnung in Höhe von 40 000 Fr. Liegt nun Mord oder Totschlag vor? Diese Frage merden in der nächsten Zeit die Pariser Geschworenen zu beant worten haben.

Inzwischen nahm aber die Untersuchung eine ganz unerwartete Wendung. Mesterino erklärte, daß er mit seiner Schwägerin, Fräulein Chermour, intime Beziehungen unterhalten habe. Am verhängnisvollen Lage sei er mit Trufeme wegen der Chermaur in Streit geraten. So sei es dann zum Totschlag gekommen. Diese Darstellung Mestorinos findet jedoch deinen Glauben,