Morgenausgabe
Nr. 161
45. Jahrgang
A 81
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Blid in die
Mittwoch
4. Apríl 1928 Groß- Berlin 10 Pt. Auswärts 15 Pf.
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Speditionsarbeiterstreit beendet.
Die Arbeit wird heute in Berlin wieder aufgenommen.
Bei den gestrigen Verhandlungen vor dem Vor-| Abgesehen davon würde die Entwicklung der Selbstkosten infolge unfitenden des Schlichtungsausschusses erklärten die Par- verändert gebliebener Kohlenpreise troh mehrfacher Cohnerhöhungen teien sich mit der Bildung einer Schlichtungskammer teine weitere Belastung durch eine neue Lohnerhöhung geftattet, ohne größte Gefahren für den Ruhrbergbau zu bewirken.
einverstanden, deren Entscheidung als bindend gilt. erhöhung von 3 Mark ab 1. April und 1 Mark ab 1. Of. tober vorsah, und von den Arbeitern abgelehnt ward, wurde dahin abgeändert, daß die zweite 3u lage von 1 Mart bereits ab 1. Juli zu zahlen ist.
Der Schiedsspruch vom 30. März, der eine Lohn
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Die Arbeit soll heute alsbald nach der Versamm lung der Arbeiter wieder aufgenommen werden. Der Streif gilt nicht als Unterbrechung des Arbeitsverhält. nisses. Sämtliche Streikende werden wieder eingestellt. Maßregelungen dürfen nicht vorge
nommen werden.
Die Bewegung im Ruhrbergbau.
Die Verhandlungen gescheitert.
Bochum , 3. April. ( Eigenbericht.)
Jm Berwaltungsgebäude des Zechenverbandes in Effen fanden am 3. April, vormittags, die ersten Lohnverhandlungen zwischen den Bertretern des Zechenverbandes und den Gewerkschaften statt. Bei Beginn der Verhandlungen gaben die Bertreter der Bergarbeiterperbände unter: eingehender Begründung ihre Forderungen bekannt, deren wesentlichste. ift die Erhöhung der derzeitigen Zariflöhne gleichmäßig um 1,50 2
Die 3 eden vertreter behaupten, daß jowohl die Reallöhne der Borkriegszeit erreicht, wie auch die bestehenden Löhne, gemessen am Lebenshaltungsindex von heule gegenüber dem vom Mai 1927 ( letzte Lohnerhöhung) sich durchaus ausgleichend entwickelt hätten.
Die Gewerkschaftsvertreter antworteten mit einer Beweisführung dahingehend, daß die Bewilligung der gestellten Forderungen nicht nur sozial unbedingt erforderlich, fondern auch wirtschaftlich durchaus tragbar sei. Nach einer Sonderberatung der Zechenvertreter erklärten diefe, daß fie, abgesehen von einem unwesentlichen Zugeständnis außerhalb der gestellten Forderungen, auf ihrer ablehnenden Haltung bestehen bleiben müßten. Sie forderten daneben: erstens, daß der Kreis der füdlichen Randzechen erweitert werde; zweitens, daß die orisältesten Rutschenmeister und Meisterhauer eine besondere Zulage von 50 Pfennig aus dem Gedinge erhalten follen.
Unter diesen Umständen mußten die Verhandlungen nach zweistündiger Dauer resultatlos abgebrochen werden. Die nächste Berhandlung soll am 11. April, also an dem vom Schlichter bereits angesetzten Verhandlungstermin, stattfinden.
Dresdener Buchdrucker ausgesperrt.
In einer heute abgehaltenen Sigung des Bezirksvereins Dresden des Deutschen Buchdrudervereins und der Imung Dresdener Buchdruckereibesizer, an der fast alle Mitglieder teilnahmen, wurde nach langer erregter Debatte beschloffen, die Betriebe still zulegen.
Damit wird eine große Anzahl von Gehilfen, die die Arbeit zu den durch den Tarif festgesetzten Bedingungen auf genommen hat, ausgesperrt.
Der Bezirksverein ift entschlossen, den Kampf mit aller Energie fortzuführen. Die Gehilfenschaft wird den Kampf zu führen wiffen.
Die nach Beendigung ihrer indischen Reise nach England zurückgekehrten britischen Gewerkschaftsführer A. 2. Purcell und 3. Halsworth, Mitglieder des Generalrats, haben der Presse eine gemeinsame Erklärung über ihre Eindrüde übergeben, in der es einleitend heißt:
Wir betrachten die Lage der Arbeiter Indiens mit größter Besorgnis und sind der Auffassung, daß eine Fortdauer der gegenwärtigen Verhältnisse eine
ausgesprochene Gefahr für die Zivilisation
bedeutet. Bir haben das Menschenmögliche getan, um der dortigen Gewerkschaftsbewegung einen neuen Anstoß zu geben und glauben, einen gewissen Erfolg erzielt zu haben. Wir haben überall auf die dringende Notwendigkeit von Lohnerhöhungen hingewiesen, da hierin der Schlüssel für die Rettung der indischen Arbeiter liegt. Die grauenhaften Wohnungs- und Bekleidungsverhältnisse der indifchen Arbeiter find alarmierend,
und wir halten es für die erste Pflicht der britischen Arbeiterklasse, sich zur Unterstützung ihrer indischen Kollegen zusammenzufinden." Die beiden Gewerkschaftsführer erklärten hierauf, daß sie teinerlei Hoffnung auf die Regierung in Indien setzten- sei diese nun in den Händen von Weißen, Schwarzen oder Braunen. Annähernd 300 millionen unter den 325 Millionen Bewohnern Indiens seien Analphabeten. ,, Es wirft ein trauriges Licht auf die Segnungen der Zivilisation, daß die Menschen in Indien noch immer wie die Fliegen dahinsterben und daß sich kaum irgendwelche Körperschaften oder Personen gefunden haben, die bereitwillig und in der Lage wären, auch nur genügenden Lebensunterhalt für die Hungernden zu beschaffen."
Der Generalsekretär der britischen Independent Labour Barty ( Unabhängigen Arbeiterpartei), Fenner Brod way, der gemein sam mit der britischen Gewerkschaftsdelegation, nach England zurüd gefehrt ist, bestätigte den furchtbaren Eindruck von der Lage der Ar beiterschaft in Indien . Er sprach sich dahin aus, daß der politischen Unruhe in Indien der nackte Hunger zugrunde liege.
Millionen Inder hätten nicht genug zu essen. Soweit sie Industriearbeiter sind, müssen sie für wenige Pfennige arbeiten; soweit fie Landarbeiter oder Bauern sind, werden sie durch Steuern und Mieten dauernd auf Hungerzustand herabgedrückt. Es wäre leicht, sagt Brockway, die hungernden Millionen gegen die wäre leicht, sagt Brockway, die hungernden Millionen gegen die britische Herrschaft zu entflammen; aber auch die indische Selb. ständigkeit wird diesen Maffen keine Befreiung bringen, wenn sie
nicht von
grundlegenden Veränderungen der Bodenverfassung und der industriellen Berhältnisse
begleitet ist. Nur durch eine auf die Gewerkschaftsbewegung geftüßte politische Massenbewegung der Arbeiterschaft und Organisierung der Bauernschaft tann sowohl die politische als die wirtschaftliche Befreiung der indischen Millionen
bewerkstelligt werden.
Ein indischer Verfassungsentwurf.
London , 3. April. ( Eigenbericht.) Die Führer der indischen politischen Parteien haben nach mehr möchiger Arbeit den Entwurf einer Verfassung für Indien ausgearbeitet. Das Ergebnis ist von um so größerer Bedeutung, als das Hauptargument für die Fortdauer der britischen Herrschaft über Indien die angebliche Unfähigkeit der Inder ist, sich über grundfäßveröffentlichte Teil des indischen Berfaffungsentwurfs ist durch die liche Fragen der Selbständigkeit untereinander zu einigen. Der Erklärung eingeleitet, daß alle Macht in Indien vom Volte aus gehe. Dieser Einleitung folgt die Aufzählung der grundsäglichen Staatsbürgerrechte: freie Religionsausübung, freie Meinungsäuße rung, Organisations- und Bersammlungsfreiheit, Elementarunterricht. Der Verfassungsentwurf erklärt hierauf die/
in Indien noch heute übliche Prügelstrafe und Tortur fein: ferner erklären sich die indischen politischen Führer gegen für rechtswidrig. Männer und Frauen sollen politisch gleichgestellt jegliche Staatsreligion oder staatliche Subventionierung von Religionsgesellschaften. Niemand solle zur Teilnahme am Religionsunterricht gezwungen werden. Reinen Staatsbürger foll aus Gründen der Religion oder der Raste irgendein Nachteií im Rechts oder Staatsleben treffen.
Kommunistenprozesse.
Zur Kritif der politischen Justiz.
Bon Profeffor Dr. Gustav Radbruch - Heidelberg .. Der Hamburger Strafrechtsprofeffor Dr. Moritz Liep mann, nicht Kommunist oder Sozialist, sondern bürgerlicher Demokrat, veröffentlicht im Drei- Masten- Verlag, München , prozessen, namentlich denjenigen vor Reichsgericht und eine Schrift, in der er so scharfe Kritik an den KommunistenStaatsgerichtshof, übt, wie sie nur je von Sozialdemofraten geübt worden ist. Man merkt es dieser Schrift an, wie der Verfasser im Laufe seiner Arbeit durch das Material, das ihm zufloß, zuerst befremdet, dann erschüttert, schließlich entrüstet wurde, wie der strenge Wille zu wissenschaftlich fühlem Urteil nur mühsam den Ausbruch eines auf das Tiefste empörten Rechtsgefühls zu beherrschen vermochte. Es will etwas bedeuten, wenn ein Rechtsgelehrter von hohem Ruf und gründlicher Sachkunde, selbst zugleich Richter, immer wieder in Ausrufe ausbricht wie diesen:„ Ich weiß nicht, was man zur Rechtfertigung eines solchen Urteils anführen könnte. Ich fann nicht anders, als in ihm eine für einen deutschen Richter tief beschämende Verwilderung des Rechtsbewußt feins zu finden."
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Die Rechtsanwendung in Kommunistenprozessen ist oft kritisch dargestellt worden, wenn auch noch niemals so gründlich wie durch Liepmann. Liepmann zeigt, wie die Rechtsprechung von Reichsgericht und Staatsgerichtshof von ihrem falschen Ausgangspunkt aus folgerichtigerweise dahin führen müßte und in zahlreichen Fällen dahin geführt hat, nicht nur die Zugehörigkeit zum Funktionärförper" der Kommunistischen Partei, bei dem die Rechtsprechung ursprünglich halt machen wollte, sondern schon die Barteizugehörigkeit selbst als Teilnahme an einer geheimen oder staatsfeindlichen Verbindung im Sinne des§ 7 Nr. 4 des Republik= schutzgesetzes und als Vorbereitung zum Hochverrat im Sinne ansicht praktisch gar nicht durchführbar ist, versteht sich von des§ 86 des Strafgesetzbuchs aufzufassen. Daß diese Rechtsfällen, deren Auswahl letzten Endes davon abhängt, von selbst. Sie führt nun in zufällig herausgegriffenen Einzelwelchen Tatsachen die Polizei Kenntnis zu nehmen und der Staatsanwaltschaft Kenntnis zu geben für gut findet, zur Bestrafung, und es muß daraus eine unerträgliche Rechtsunsicherheit und weiterhin eine Erschütterung des allgemeinen Rechtsbewußtseins angesichts der ungleichen Rechtsanwendung erwachsen. Dabei sind die polizeirechtlichen Folgen, welche die Annahme der Strafbarkeit tommunistischer Bestrebungen als solcher folgerichtigerweise haben müßte, noch nicht einmal in Betracht gezogen. Liepmann zeigt dieser Rechtsprechung gegenüber, daß unter feinen Umständen die bloße Zuge hörigkeit zu einer politischen Partei, mag sie infolge ihrer Ziele oder Methoden noch so staatsgefährlich erscheinen, den Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllen kann". ,, Denn eine von der Staatsordnung, von Verfassung und Verwaltung zugelassene politische Partei, die Abgeordnete, eine Bresse , Versammlungen mit dem Willen des Staates hat, fann niemals gleichzeitig verboten und strafwürdig sein“.
Damit ist aber die Frage zugleich hinsichtlich des Funktionärförpers entschieden. Denn wenn eine erlaubte politische Bartei nicht zum Tatbestand einer strafbaren Verbindung gerechnet werden darf, so ist es auch juristisch unmöglich, diejenigen für strafbar zu erklären die im Dienste dieser Partei tätig werden und Vertrauensstellungen im Auftrag der Zentral- oder einer Bezirksinstanz bekleiden." ,, Man sollte fich auch darüber klar werden, daß die Methode des Staatsgerichtshofs und Reichsgerichts in ihren Folgeerscheinungen noch viel gefährlicher und vergiftender wirken wird als das Sozialistengesetz. ,, Glaubt man den Bestrebungen der RBD. nicht mit geistigen und sozialen Mitteln erfolg reich entgegentreten zu können, so möge man sie durch ein Ausnahmegeset verbieten. Das wäre zwar eine unverantliche Kurzsichtigkeit und würde im Grunde nur zur Verstärfung der KPD. führen, aber genau die gleiche Wirkung wird durch die hier bekämpfte Art der Rechtsprechung geschaffen.' über die Rechtsanwendung des Reichsgerichts und des Noch erschütternder als die Ausführungen Liepmanns Staatsgerichtshofs sind aber seine Mitteilungen über die terial wird gezeigt, wie bloße revolutionäre Gesinnungen zu Tatsachenfeststellungen. An einem reichen Maftrafbaren Tatbeständen umgeprägt, revolutionäre Erwartunwie solche zur Vorbereitung zum Hochverrate nach der Rechtgen als bestimmte umstürzlerische Borfäße ausgelegt werden; fprechung erforderlich sind. Und doch hat schon vor langer Beit das Reichsgericht( Bd. 5, S. 68) ausgesprochen, daß ,, die Berbreitung von Grundsägen, welche an sich oder in ihrer weiteren Entwicklung, wenn sie im Bolke Leben geminen, zu gewaltsamen Angriffen der in§§ 80, 81 bezeichneten Art ( Hochverrat) führen, den Tatbestand des§ 86( Borbereitung Borbereitung eines bestimmten Unternehmens zur Vor zum Hochverrat) allerdings noch nicht erfüllt", da ,,§ 86 die aussetzung hat". Die gleiche Entscheidung gibt dafür ein gerade mit Bezug auf die vorliegenden Fälle belehrendes Beispiel:„ Wenn ein Bater seinen Sohn im Hinblick auf eine von feiner Seite geplante, aber von ihm als möglich gedachte revolutionäre Bewegung in revolutionären 3dden erzöge."