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Nr. 270.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Biertel: jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags: Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 M., für das übrige Ausland 3 Mt. pr. Monat. Eingetr. in der Poit Re

für 189 unter Nr. 7128.

3.ifte

Vorwärts

12. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgefpaltene Petitzeile oder beren Raum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 fg. Inserate für die nächte Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr vormittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin ".

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Sonntag, den 17. November 1805. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

haben aber bisher noch alle Versuche, die im Deutschen | Prachtform in Erscheinung getreten ist. Unsere Genossin Dom dolus eventualis. Reiche gemacht wurden, auf die Kaiserrede am Sedantage Ottilie Baader hatte in der Umgegend von Berlin , in Als wir auf dem Vorwärts" zuerst die persönliche eine Antwort zu ertheilen, die Staatsanwälte zu Anklagen, Pankow oder Bernau , einen Vortrag gehalten, und der Bekanntschaft des dolus eventualis machten, hatte er den die Gerichte zu Verurtheilungen veranlaßt. Zu Ber - überwachende Gendarm hatte als gewissenhafter Beamter Drucker des Blattes ergriffen, jetzt streckt er seine lange urtheilungen wenigstens dort, mo rechtsgelehrte Berufs- aufnotirt und später beschoren, die Rednerin sei plötzlich Hand nach dem Genossen Liebknecht aus. Aber zwischen- richter den Schuldspruch zu fällen hatten; Geschworene in den Ruf ausgebrochen: Auf, ihr Männer, zu den durch hat er sich bemerkbar genug gemacht im Deutschen haben sich nicht so zugänglich für die staatsanwaltlichen Waffen!"

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irrthümlich so verstanden. Da viele der Zuhörer auf dem nämlichen Bildungsniveau standen, wie der Gendarm, konnten sie die Worte in der nämlichen Weise mißverstehen. Das hätte sich die Rednerin sagen müffen: dolus eventualis Verurtheilung wegen Aufreizung!

Reiche. An allen Ecken und Enden ist er auf Rechtsauslegungen gezeigt. Ju Nürnberg haben bürger- Die Rednerin wurde angeklagt und wies glaubhaft getaucht, aber augenscheinlich nicht durch Erzeugung liche Geschworene den angeklagten Redakteur wegen eines nach, daß sie nicht derartiges gesagt, sondern nur vom Kampfe überall von neuem erstanden, sondern durch An- Artikels freigesprochen, An Artikels freigesprochen, für den für den nämlichen mit geistigen Waffen gesprochen. Der Gerichtshof pflichtete steckung von einem Brennpunkte deutscher Rechtspflege Artikel wohlverstanden in Leipzig der Angeklagte ihr bei, verurtheilte sie aber dennoch auf grund folgender auf den andern übertragen. Bald hier, bald dort von Berufsrichtern mit fünf Monaten, ein Redakteur in Erwägung: Der Gendarm hat die von ihm notirten Morte hat er sich einen Drucker ausgesucht, und schon ziehen überall Kiel fogar, wie wir gestern zu berichten hatten, mit neun die Zeitungsangestellten jeder Art in ernstliche Erwägung, Monaten Gefängniß bestraft wurde. ob nicht auch ihnen das Gespenst erscheinen könne. Denn ein jeder von ihnen hat, eventualiter" einer Majestäts-, Minister, Landraths- oder Gendarmenbeleidigung sich schuldig gemacht, als er eine oppositionelle Zeitung sezte, druckte, falzte oder aus­trug. Zu einer Verurtheilung nach voraufgegangenen Mustern genügt es, daß er sich bewußt war, ein Blatt unter den Fingern gehabt zu haben, das mit den Ansichten jener Autoritäten nicht durchweg einverstanden ist und dem somit der Dolus , die Absicht zur Beleidigung zugetraut werden kann.

So geht es den Leuten, die ihr gutes Recht, auf An­griffe zu antworten, auch wenn sie von einem Kaiser her­rühren, wahrzunehmen denken.

Mit dem Urtheilsspruch über Liebknecht hat unsere Judikatur indeß noch einen weiteren Schritt gethan, uns die Abwehr gegen Angriffe zu erschweren, wenn nicht ganz unmöglich zu machen.

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Ganz der Dolus im Gewande des Liebknecht 'schen Prozesses, nur mit einem feinen Unterschiede, der davon zeugt, daß der dolus eventualis fich im Laufe der Zeiten vervollkommnet. Denn im Fall Baader war doch wenigstens Es hat nie an Angriffen auf die Sozialdemokratie ge- das Bindeglied vorhanden: ein lebendiger Beuge, der ein fehlt. Vor der Kaiserrede und nach derselben haben Per- Wort thatsächlich mißverstanden hatte. Im Fall Lieb sonen und Zeitungen als Vertreter aller bürgerlichen fuecht fehlt dieses Bindeglied es ist ein juristisches Und nun haben wir den Prozeß gegen Liebknecht. Der Parteien ihren Born über die Sozialdemokratie aus missing link. Das Mißverständniß beruht in diesem ist dem dolus eventualis auf anderm Wege ins Garn ge- geschüttet, neuerlich allerdings häufiger und lauter als je. Falle auf einer bloßen Konjeftur ber Staatsa laufen. Er hat in einer Rede sich gegen Angriffe gewandt, Liebknecht hat eine Abwehr dieses Schwalls von ordnungs- anwaltschaft, der sich der Gerichtshof anschloß. denen unsere Partei in letzterer Zeit ausgesetzt gewesen ist. parteilichen Angriffen versucht. Er hat es dabei sorgsam ver- der überwachende Beamte, sonst immer ein maßgebendes Das war sein gutes Recht, wie es unser aller, die wir vermieden, auf die Angriffe des Kaifers einzugehen. Er hat seine Glied bei staatsanwaltschaftlichen Schlußfolgerungen, hat folgt und angegriffen werden gutes Recht ist, uns zu ver- Worte so gewählt, daß sie bei objektivem Beurtheilen keinesfalls diesmal nichts mißverstanden. Er hat keine Majestäts­theidigen gegen unsere Angreifer. auf den Kaiser bezogen werden konnten. Aber die Thats beleidigung herausgehört, weder eine direkte noch eine in­sache, daß der Kaiser seinerseits gleichfalls Angriffe auf die direkte. Erst die böswillige Mißkonstruktion und Denunziation Sozialdemokratie hat ergehena laffen, tonnte er natürlich der patriotischen Schlesischen Zeitung" hat dem Einzuge nicht aus der Welt schaffen. des dolus eventualis in den Prozeß Liebknecht die Wege geebnet.

Ja,

Das ist uns nun in diesen Zeitläufen außerordentlich erschwert worden durch die unbestreitbare Thatsache, daß auch der Kaiser einen Angriff auf die sozialdemokratische Partei unternommen hat. Mit vollem Rechte, sagen unsere Gegner, Der Gerichtshof giebt auch Liebknecht's Absicht, den weil er persönlich gereizt war durch allerhand unberechtigte Kaiser ganz aus dem Epiele zu lassen zu. Er erkennt an, Und nun wird er seinen Triumphzug halten durch Kritiken an Ereignissen, Dingen und Personen, die er hoch- daß ihm dies durch die Wahl seiner Worte gelungen ist. deutsche Lande. Noch ist er ein Rind, aber er fann ein schätzt. Doch darauf tommt es bei dieser Betrachtung nicht Aber, sagt der Gerichtshof und der Staatsanwalt hatte Riese werden an Umfang, wie der andere juristische Aus­an, ob der Kaiser für die Wahl der von ihm zur ihm zu dieser Anwendung des dolus eventualis den Weg hilfsbegriff für alles und jedes, was man sonst nicht fassen Charakterisirung der Sozialdemokratie gebrauchten Ausgewiesenes war die Möglichkeit vorhanden, daß in der fann, der grobe Unfug". drucke hinreichenden Grund hatte oder hatte oder nicht. Es Versammlung Leute waren, die die Nede mißverständlich auf Aber an unsere Richter haben wir eine Frage zu richten, tommt für unsere heutigen Erwägungen nur auf den Kaiser deuten konnten. Diese Möglichkeit oder Eventualität an sie, die schon die Möglichkeit der Möglichkeiten strafbar

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die Feststellung der Thatsache an, daß er einen hättest du dir vergegenwärtigen müssen, folglich liegt hier folchen Angriff für angebracht gehalten und ihn zur Aus­führung gebracht hat.

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dolus eventualis vor. Du hattest die Verpflichtung, in Er wägung zu ziehen, daß möglicherweise andere Leute deine Die Antwort darauf ist den Mitgliedern der ange- Worte mißdeuten können. Die Vernachlässigung dieser an­griffenen Partei auf das äußerste erschwert. Es steht aller- geblichen Verpflichtung das also ist der dolus dings bisher nur als Ansicht eines einzelnen, wenn auch eventualis, wie er sich uns im Prozeß Liebknecht präsentirt. weithin bekannten Gerichtsdirektors da, daß man gegen Wir erinnern uns aus der deutschen Rechtspflege nur den Kaiser überhaupt nichts sagen darf". Thatsächlich eines Falles, in dem der dolus eventualis in der nämlichen

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"

Ein Verrückker.[ Macbr. rerboten. Rampf und Ende eines 2chrers. Roman von Joseph Nuederer.

Gattl zuckte die Achseln und huftete leicht.

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Des war a Freud ," fuhr die Wirthin fort, wie mei Mann vom Poiten kommen is und die Verlobung ver­zählt hat!"

Glaub's, glaub's," sagte der Lehrer.

Toni lachte verschmitt und trant aus seinem Kruge. Frau Kreittmayer wollte dieses Thema noch nicht verlassen:

" No, das giebt a sehr schöne Heirath und a guate Eh! De zwoa passen 3'samm. Ter Herr Förster is a braver Mann und de Kathi is a solid's, ordentlich's Madl."

Der Betrunkene lachte höhnisch: G'wiß passen de zwoa z'samm!... Und mit' m Heirathsguat thuat si de Kathi a leicht... triagt ja ' n Förster Da braucht's foane G'weih ins Haus z'bringen!"

Geh, Du wüafter Rerl!" eiferte die Wirthin, muaßt auf alle Leut' n Dreck schmeißen?"

Toni grinste und ließ den Kopf fallen:

Warum net gar! I freu mi ja blos", lallte er. Die Thüre ging auf und mit zwei leeren Biergläsern

trat die Magd vom Forsthaus in die Stube.

Frau Wirthin, jan G' so guat!"

Der Betrunkene bemerkte das Mädchen:

Mari! Mari! Da geh her! Trink bei mtr

Schamft Di net, Toni, jetzt in der Fastenzeit vom Tanzen 3' reden?" Derf mer bei Dir am End net davo red'n? Ha? Unferoans möcht a a Freud hab'n, wia de andern Leut von derer Welt, die alle nig arbeiten."

Dem Lehrer wurde es zu viel, er zahlte und folgte der Magd ins Freie.

Stumpfsinnig grinste ihm der Holzknecht nach:

Des is a so a Schuft, so a Tagdiab, der Lehrer da," sagte er zum Wirthe. A Faulenzer is er, der nix thuat, der foa Arbeit fennt. So vaner bal fie plagen müaßt, wie unseroans!"

"

Muaßt Du Di gar so plagen?", fragte der Wirth. " J? Des machst guat, Kreittmayer! Ich schind mi ' n ganzen Tag und Förster gaffen zua und strecken de Pratzen in d' Taschen. De Förster fan a alle Schuften, alle mitananda!"

Toni, halt dei Maul!" rief der Wirth.

Alle fan's Schuften, grad extra sag' i des! Und de Lehrer san net besser. Ja, g'schwolln daher red'n in da Schul und im Leben....' n moralischen' raushäng'n, des können's, aber derweil san s' alle Spitzbuab'n, b'sonders der, der da grad' nausganga is."

Der Wirth horchte auf.

Was moanst denn damit, Toni," fragte er freundlich. Der Holzknecht lachte verbissen: " Ja, gelt? Jetzt möchtst' s wissen? Ha! Ha! Oh, i sag' ent, bal i red'n wollt!"

" Sie so red halt" wisperte Kreittmayer und klopfte ihm zutraulich auf die Schulter.

Damit hielt er ihr den Krug hin. Magst amal wieder Na, i red net.... derf net.... nir sagen," aber.

mit mir zum Tanzen geh'n?" fragte er.

Gie that beleidigt:

" Du bist mer scho der rechte!"

Er zwickte sie in den Arm und lachte plump Deswegen geh'n mer do zum Tangen, gelt, Mari!" Herr Kreittmayer, der mit den gefüllten Gläsern, an stelle seiner Fran, zurückkam, hörte diese Worte, und schien sehr entrüstet:

Die Zunge des Betrunkenen wurde immer schwerer. ha, ha, des oane woaß i, daß im Forsthaus dianderweil lufti zuagehn soll, wenn der Alte net dahoam is!"

So, so, so? Ja, was is denn da los? Geh', verzähl' mer's Toni! Wahrscheinli betrifft's de Fräulein Anna?" Toni mußte unbändig lachen:

" Ja, ja, ja, ja! es betrifft de... de sogenannte Fräulein An- na!"

Der Wirth ließ den Betrunkenen in Ruhe. Er hatte

machen wollen: Ist ihnen nicht auch die Möglichkeit dabei vor die Augen getreten, daß durch die Einbürgerung der artiger Rechtssprüche das Gefühl der Rechtssicherheit in Deutschland zerstört, das Vertrauen in die Rechtsprechung erschüttert wird im Volke? Ist das nicht eine höchst ge fährliche Eventualität, ein periculum eventuale?

genug erfahren und mußte es so schnell wie möglich seiner Frau sagen, denn diese Neuigkeit machte ihn ganz zappelig. In der Küche fand er die Wirthin und zog sie eilig in eine Ecke. Sie schlug die Hände zusammen und wollte ihn mit den Augen förmlich durchbohren.

"

Pst! Pst! Stab sein, abwarten und zu toan' Mensch vorerst was verlauten lassen," sagte er und legte den Finger an den Mund, nachdem er sich vorsichtig umgesehen hatte.

*

Weiche Winde zogen durch das Thal. Die frischa gepflügten Felder waren vom ersten, schüchternen Grün überhaucht und in den dickgeschwollenen Zweigen der Buchen und Gebüsche, wo zwitschernde Vögel sangen, sproß es von aufteimendem Leben. Auf den Höhen waren Wasserfälle entsprungen und feine Staublawinen lösten sich in der Mittagssonne von den Felsen. Bis ins Dorf donnerte der angeschwollene Sturz des Gaifbaches von der dampfenden Schlucht heraus. Dort, in dem feuchten Schlunde hatte sich der Winter noch festzukrallen versucht, aber auch hier fingen die gigantischen grünschillernden Eisklöße der mächtigen Wände schon zu bersten an und zerschlugen mit furchtbarem Getöse an den zackigen Felsen der Tiefe.

Das Fest der Auferstehung feierten Natur und Kirche. Ueber die simpel gemalte Höhle, die den Leichnam des Erlösers zwischen bunterleuchteten Glaskugeln barg, war ein schwarzer Vorhang herabgefallen und am Hochaltare prangte auf dem Tabernakel der Heiland mit seinen Bluts malen und hielt eine Fahne in der Rechten.

Christus ist erstanden, halleluja, sang der Chor unter schmetternden Posaunentlängen, und der Priester segnete, von Weihrauch umbrodelt, seine Gemeinde.

Sonnige Festtage folgten, und hocherhobenen Hauptes stolzirte der Förster von Wallberg mit seiner Braut in die Kirche. Kathi sah ganz allerliebst aus. Die steife Tracht vermochte die abgerundeten Formen ihres Körpers, der bei aller Derbheit etwas ungemein Gelenkes und Bewegliches hatte, nicht zu entstellen, und es war auffallend, wie sich dadurch das Mädchen von den anderen Dorfdirnen abhob, die alle viereckig aussahen, wie die riesigen Gebetbücher, die sie in den Händen trugen. ( Fortsegung folgt.)