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Vellage Donnerstag, 12. April 192S
VfrHbimd
Aufstand in der Wüste Erlebnisse unter Arabern im Weltkrieg/ s«» sneM  « sen»ei.
Hunderttausende junger Menschen waren, als man sie zwischen l914 und 1918 in Feldgrau, Horizontblau und Lehmgrau wickelte, auf das gespannt, was die patriotischen LesefibelnRomantik des Krieges" zu nennen pflegen. Sie fanden stattdessen Grabenschlamin, Hunger, Schmutz, Läuse, Flecktyphus, Schnauzerei, einen unheroischen �od zwischen Drahtverhau oder Granattrichter und«ine karge kamenzeile in der Verlustliste, denn Krieger, Helden im überlieferten Sinn, kennt der moderne Maschinenkrieg nicht. Nur ganz wenigen war es beschieden, von Romantik des Krieges etwas zu erfahren, und einer von ihnen hat seine Erlebnisse in einem hinreißenden Buch fest- gehalten. Allerdings erlebte er sie nicht an den Fronten, die sich durch unseren mechanisierten Erdteil zogen, sondern in einen, Land, das dem Urständ der Natur näher ist als Europa  : es ist der Eng- länder T. E. Lawrence  , der den genialen Gedanken, der Türkei  einen großen Aaraberoufstand in die Flanke zu jagen, in die Tat iimfctzte. Das Buch, das von atemraubenden Begebenheiten nur so strotzt, heißtAufstand in der W ü st e" und ist, von Dagobert von M i k u s ch ins Deutsche   übertrogen, im Verlag Paul L i st zu Leipzig   erschienen. Einer der blutigen Witze der Weltgeschichte bleibt es dabei, daß dieser über die Maßen erfolgreiche Agitator und Organisator des Kriegs und Siegs ein Z i v i l i st ist und sich weidlich über die Starr- heit der Generäle von Beruf lustig macht. Ein junger Gelehrter, Orientalist, in arabischen Dingen wohl beschlagen, sitzt er, notdürftig in eine brittsche Offiziersuniform gesteckt, in Kairo   auf einem mili- törischen Bureau und geht in der Abfassung von arabischen Tages- berichten und Rapporten über die türkische Armee und in der Zeich- nung von Landkarten auf. Aber als er an einem Oktobermittag des Jahres 1916 in dem arabischen Küstenort D j i d d a landet, ist er in seinem rechten Element. Fortan fährt er mit seinen unermüdlichen Versuchen, die Halbinsel gegen die türkische Oberherrschaft fort- zuteißen, als Flamme bald in trockenes, bald auch in nasses Stroh, bis endlich dank seiner Totkraft ganz Arabien   in Brand auf- geh, und lodernd über den osmanischen   Streitkräften zusammen- schlägt. Als Araber unter Arabern. Bis es soweit ist, bedarf es freilich vieler, vieler Tausend« von Galdpsund, die das reiche England durch Lawrences offene Hand i» der Wüste ausstreut, bedarf es noch mehr einer schier Übermensch- lichen Willenskraft, die vor keiner Anstrengung, keinem Mißerfolg zurückschreckt. Wenn es nottut, eilt der junge Engländer auf einem Kmonenbost durchs Rote Meer   nach Suez, um den Etappenbehörden in Kairo   Beine zu machen, oder saust im Flugzeug ins Hauptquartier nach Jerusalem  , um beim Oberkommando Unterstützung für seine Sache herauszuschlagen. Aber den Durchschnitt aller Tag« und R ilchte verbringt er, oft ohne einen weihen Gefährten. alsAraber unter Arabern, schläft unter Flöhen, Wanzen und Läusen in ihren Zelten und legt in dem Land, das an Umfang Deutschland  siebenfach übertrifft. Hunderte, legt Tausende von Kilometern auf schnellem Reitkamele zurück. Oft geht es durch trostlos« Oeden, über eintönigen, glitzernden Sand oder blank polierten Schlamm, über Lehmflächen oder harten Kalksteinboden: oft strahlt der nackt« Fels zu Seiten des Weges G l u t w e l l e n aus, die Schwindel und Kopfschmerzen verursachen, Sandstunn von Hochosenglut läßt die ausgedörrten Lippen aufspringen und zerreißt die Haut, stickige Hitze preßt sich wie eine Bleimaske aufs Gesicht; oft friert der herbe Winter auf den kahlen Hochflächen den Soldaten alle Zuversicht aus dem Leibe, eisiger Nord fährt durch die Kleider, daß man nackt zu sein wähnt, die Kamele'brechen in dem halbgefrorenen Schneeboden auf Schritt und Tritt ein, und die Menschen führen, bis ihnen die Füße bis auf die Knochen zerschunden urit» zersetzt sind, die Tier« ergeben am Zügel. Dazu die Fliegeiiplage, die Moskitoplag«, die Schlangen- plage, und selten nur wird zum Schmaus ein i» Fett und Rosinen gedämpfter Hammel oder ein vor kurzem geborenes Kamelkalb in saurer Milch aufgetischt: sonst gibt es nur warmes Brot, grüne Datteln   und lederarttge Kamelsehnen. Unter solchen Entbehrungen und Anstrengimgen schrumpft Lawrence auf zweiundneunzig Pfund zusammen, aber er ist, von der Wüstensonne braunrot ge- bronnt, ein kleines zähes Kerlchcn, meist als der einzige sauber rasiert, in ein Eingeborenei�ewond von weißester Seid« gehüllt und durch eine scharlachrot«, golddurchwirkte Mekknkops schnür und einen goldenen Dolch im Gürtel ausgezeichnet. Eine Kopfprämie von 20000 Pfund. Genugtuung für einen Drausgänger, dem dos Abenteurerblut so in den Adern braust, ist es, daß die Türken eine Prämie von 20 000 Pfund auf seinen Kopf aussetzen: stärkere Freude gewährt es, daß er alle Reize eines fremden Landes, olle Offen- barungen eines fremden Volkes mit stets aufgeschlossenen Sinnen zn empfangen oennag. Welche Abwechslung allein für die K«- ruchsnerven: in Djidda   ein Muff von Verbrauchtsein, von Aus- dünstung vieler Menschen, von ständigem heißen Badedunst und Schweiß, anderwärts der strenge Geruch der die Hänge überwuchern- den Wacholderfträuchern, wieder anderswo der Duft welken Grases in einer Nacht voller Geräusche. Vor allein aber erlebt dieser unser Zeitgenosie des zwanzigsten Jahrhunderts unaufhörlich Menschen und Szenen aus den Tagen der von Homer   besungenen Kämpfe. Der müde schleppende Marsch einer Komvognie Feldgrauer aus der Ruhestellung in den vorderen Groben, und daneben in Lawrences Leben und Farben sprühender Darstellung der Marsch einer Ab- teilung Ageyel-Araber, die in zwei Flügeln reiten: Ein miifordernder Trommelwirbel, und der Dichter des rechten Flkigels stimmte einen schrillen Gesang an. einen frei erfundenen Zwei, zeiler zum Ruhm von Faisal und von den Herrlichkeiten, die er uns in Wedjh verschaffen würde. Der rechte Flügel horchte gespannt aus den Vers, nahm ihn auf und soizg ihn gemeinsam einmal, zweimal, dreinral, stolz, selbstzufrieden und herapssordernd. Aber ehe sie zum vierten Mal« ansetzen konnten. itimmte der Dichter des linken Flügels eine Entgegnung aus dem Stegreif an, in gleichem Vers und Rhythmus, aller noch leiden- schaitlicher im Gefühl. Der linke Flügel brach jn Beisallstriumph au», die Trommeln rasselte» von neuem, die Banner
träger entrollten die großen leuchtend roten Fahnen, und alles, recksts, links und in der Mitte, stimmte im Chor den brausenden Gesang der Leibgarde an. Sie sangen von Nedjh, das sie verloren hatten, und den Frauen von Maabda und Djidda   und Suez. Es war ein schönes Lied im rhythmischen Takt, den die Kamele liebten, so daß sie die Köpfe senkten, die Hälse vorstreckten und mit weit«isgreisenden Schritten träumerisch dahinschwankten." EinHäuptling,der achtundzwanzigmal verheiratet ist Mit welchen Führergestalten kommt er zusammen! Da ist, heute von Englands Gnaden König des Irak, Faisal, Sohn des Königs Hussein von Hedjas, der gegebene Mann, die Er- Hebung Arabiens   zum glorreichen Ende zu bringen: ein Stimmungs- mensch, pendelnd zwischen Hoffnungsseligkeit und Verzweiflung, heiß- blütig, empfindlich bis zur Unvernunft und unberechenbar im Zorn, in der Umgebung Abdul Hamids zum Meister schlauer Diplo- matie herangereift und ganz erfüllt von seinem großen Werk. Da ist der Scherif Ali ibn el Hussein, der barfüßig ein trabendes Kamel im Lauf einholen, eine halbe Meile neben ihm Schritt halten und dann in den Sattel springen kann, da R a z i m, der vor einem gefahrvollen Unternehmen sich selbst mit einer feierlichen Ansprache an seinen Säbel dem Tod« weiht, da der Scherif Schakir, auch in der äußeren Erscheinung ganz ein Nomade von den hornigen Füßen bis zum geflochtenen Haar,und sogar diese Haare selbst waren echt beduinisch reich bevölkert", da ist nicht zuletzt A u d a a b u Tayu, ein Häuptling unter den Häuptlingen, der acht und- zwonzigmal verheiratet und dreizehnmal ver- w u n d e t war und 75 Feinde mit eigener Hand im Kampf erschlagen hat da ihm einfällt, daß er sein fallches Gebiß von Djemal Pascha erholten hat, hämmert er es an einem Stein in Stücke, Gemahnt diese ganze Welt so an Karl May  , daß man fast auf das Auftauchen von Hadschi Halef Omar wartet, so steht es nicht anders mit den waghalsigen Abenteuern Lawrences, wenn er mit kleiner Schar türkische Posten aufhebt oder Brücken sprengt und fahrende Truppenzüge in die Luft fliegen läßt. Aber hinter dem allen birgt sich das große Problem, das Zusammenrassting der in ihre uralte Stammesverfassung eingekapselten Araber heißt. Des Widersinns sich bewußt, daß ein Fremder einem Volk die nationale Freiheit predigt, glaubt Lawrence doch an die Be- wegung, aber immer wieder muß er erleben, wie sich die einzelnen Stämme, eben noch durch Blutrache miteinander verfehdet, im Rahmen des Ganzen argwöhnisch gegenüberstehen, und wie manch- mal ein ganzer Klan es satt bekomnit und abzieht. Aber gerade in diesen letzten Kämpfen, die L a w r e n c es Werk krönen, erweist sich, daß auch derromantische" Krieg eine
viehisch« Sache ist. Da sie e» nach ihrer Auffassung mit Rebellen zu tun haben, wüten die Türken mit wilder Grausamkeit auch gegen Frauen und Kinder der Araber, und die Araber folgen dem unerbittlichen Gesetz der Wüste: Auge um Auge!, indem sie nach Möglichkeit auch Verwundete abschlachten und Gefangene über die Klinge springen lassen. Aber erst die Greuel von Tafas! Als sich die Türken in Rückzugspanik in dieses arabisch« Dorf werfen, metzeln sie schonungslos nieder, was sie erreiche» können, Männer, Frauen, Kinder. Lawrence, mit seinen Leuten einrückend, be- merkt auf einer niedrigen Schafhürde etwas Rotes und Weißes, sieht genauer hin und erblickt den Körper einer Frau über die Lehmwand gelegt, Rücken nach oben, dort festgenagelt mit einem Sägebajonett, dessen Heft größlich zwischen ihren nackten Schenkeln hervor in die Lust ragt. Um sie liegen noch andere, vielleicht zwanzig, auf di« verschiedenst« Weise hingemetzelt. Voll Scham, wie Menschen zu Bestien werden, bekennt Lawrence:Jn blinder Raserei, erweckt durch di« Greuel von Tafas, töteten und töteten wir, zer- schlugen wir selbst noch di« Köpfe der Gefallenen, stachen Tiere nieder, als könnten nur Tod und rinnendes Blut unseren Schmerz lindern." Mehr noch bedrückt Lawrence ein anderes. Jn den Jahren des Manderns durch Kalkfteinödnisse ist er so dem Zauber der Wüste mit ihren endlosen Räumen und ihrem großen Schweigen versvllen, daß er Blumen und Wiesen, als er sie zum erstenmal wieder erblickt. »ls etwas Spielerisches empfindet und ablehnt. Er ist fast zum. Araber geworden, und als ihm kurz vor dem Einzug in Damaskus   im britischen Lager die wimmelnde und schwatzende Menge der Menschen seiner Rasse umgibt, fühlt er sich abgeschieden von ihnen, wunderlich einsam und den Arabern,ernst dreinblickenden Männern einer anderen Welt", näher als den europäischen   Uni- formen. Denn in der Zeit, da er ein feuriger Sachwalter der arabischen Bewegung war, verwuchs er mit ihr. Ost hat ihn das schmerzliche Bewußtfein überfallen, daß er die höchsten Ideale der Araber schnöd« ausbeutet und ihre Freiheitsliebe zum bloßen Werk- zeug in Englands Diensten mache, und auch als der Sieg nur mehr eine Handbreft entfernt ist, raunt ihm der Wind aus dem staubigen Grün der Tamarisken zu, wie sterbensmüde er dieser Araber sei: Diese halben Semiten, in deren Wesen Höhen und Tiefen lagen, unerreichbar für unsere Fassungskraft, wenn auch nicht ver- borgen unserem Blick, waren gewissermaßen die D e r k ö r p e- rung des Absoluten in uns Menschen mit ihrer schranken- losen ungehemmten Fähigkeit sowohl zum Guten wie zum Bösen. Und zwei Jahre lang hatte ich, nur um sie aus- zunutzen, fälschlich ihren Gefährten gesp i el t.. Niemals ist unsder ungekrönte König von Arabien", dem di« Stäinme als den,Wegbereiter der Tat" zujauchzen, menWrth näher als in diesen Augenblicken selbstquälerischer Bitternis.
GrelelirterirepmWi� in Daves.
Das von hohen Bergen umgebene, geschützt liegende Hochtal von Davos  , dessen mildes Klima jährlich Tausende herbeilockt, die hier ihre beschädigte Gesundheit wiederherstellen wollen, zeigt zurzeit ein ganz eigentümliches Gepräge. Im Mittelpunkt der Ereignisse steht ein Kongreß, der sich ganz bescheidenErste Internationale Hoch- schuttagung" nennt ein Name, aus dem man nicht ersehen kann, was sich hier neues begibt. Und doch wird man auf diese Tagung sein ganzes Augenmerk richten müssen, denn es wird hier großzügig
.Prof. Eünst c. f.<(1) und Frsu(2), Prot. Brühl  (3).
auf wichtigsten Gebieten neues versucht. Die Auswahl der Ge- ladenen ist geschickt getroffen worden. Geladen und gekommen sind vorwiegend solche Professoren aus Deutschland  , der Schweiz   und Frankreich  , die eine Bewegung, insbesondere die Jugend hinter sich haben. Der Jugend etwas zu bieten, sie in innigeren Kontakt zu bringen zu ihren Lehrern, das ist der Leitgedanke dieser Tagung. Jeder Professor war ermächtigt worden, zwei bis drei seiner befähigtste», möglichst unbemittelten Studenten mitzubingen, für die die begeisterte und aufopferungsvolle Davoser   Bürgerschaft und Ge- meinde 130 Freiplätze geschaffen hatte. Besonders für die- jenigen, die von großen Universitäten herkommen, wo diese per- sönliche Fühlungnahme zu ihren Lehrern den Studenten ganz un- bekannt ist, aber um so stärker von ihnen oermißt wird, können dies« Hochschulkurse, die zu einer ständigen Einrichtung werden und zweimal im Jahr in Davos   tagen sollen, eine begrüßenswerte Er- gänzung des Universitätslebens werden. Das persönliche Verhältnis von Professoren und Studenten. ferner die glückliche Verbindung von geistiger Arbeit und körperlicher Betätigung, von Wissenschaft und Sport, die in Davos   in reichem Maße gegeben ist, ist noch nicht alles, vielleicht nicht einmal das wichtigste, von dem, was sich hier anbahnt. Nicht nur für die Studenten, auch für die Dozenten gibt es hier etwas Neues. Was sie seit ihren Universitätstagen nicht mehr getonnt haben, selbst als Lernende, als Fragende zu den Dozenten anderer Fakul- täten, anderer Universitäten, ja anderer Länder zu kommen, dos wird ihnen hier in reichem Maße geboten. Und für den Geist der hier versammelten Hochschullehrer spricht es, daß sie von dieser Mög- lichteit ausreichenden Gebrauch machen. Wie die jüngsten Studenten steht man hier weltberühmte Professoren wi« Einstein   oder Driesch den Borlesungen ihrer deutschen oder französischen   Kol- legen lauschen und hinterher in privatem Gespräch sich um das Ver- ständnis benachbarter oder- fremder Wissensgebiete mühen. Ein überaus fruchtbares Unternehmen, angesichts der überhandnehmenden Spezialisierung, die die Kenntnis anderer Wissenschaften hindert und viele Mißverständnisse und Polemiken in den Zeiffchristen zur Folge hat, die so vielleicht durch eine Aussprache spielend aus der Welt geschafft werden können. Nimmt man zu alledem noch den Wert des sich Kennenlernens und der sich augenscheinlich hier anbahnenden Freundschaften der Dozentenffowohl wie der Studenten von Land zu Land, so kann man der Davoser   Gemeinde, die die Mittel für diese hoffnungsvolle Tagung aus eigenen Kräften aufgebracht hat, ohne Unter- stützung irgendeiner Regierung, nicht Dank genug sagen. Der gleiche Dank gebührt auch den Komtteemitgliedern, denen es unter der rührigen und totkräftigen Leitung ihres Präsidenten, des Frankfurter   Soziologen Gottsried S a lo m o n, gelungen ist, in der kurzen Zeit von zwei Monaten die gesamte Vorarbeft für diese Tagung z« leiste». De. Lllj Heuberg.