föeifage Freitag, 20. April 1928
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Das Jahr«ach der �mrichtmrg König Ludwig XVI . 1793.'94 murbe die Wils Epoche des Konvents. Es ging in diesem Paria- ment, das sich Frankreich zum ersten Male gewählt hatte, eigentlich nur noch um das formale Prinzip der Parteimacht. Darum ging es, ob die Girondisten oder die Jakobiner, die Anhänger Dan- tons oder Robespierres herrschten. Seine eigentliche Aufgabe, die Verfassung bürgerlich-demokratisch auszugestalten und eine Gesetz' gebung einzuleiten, welche die Grundsätze der„Freiheit" und „Gleichheit" in juristischen Bestimmungen umprägt, hatte der Kon- oent ganz aus dem Auge verloren. Mitunter vergaß er sogar, daß die Revolution von 178S eine bürgerliche Republik errichtet hatte. Kommunistisch« Bestrebungen meldeten sich. Unter dem Einfluß von Babeuf und Hebert versuchte ei» Teil der Abgeordneten, alles moblle und im- mobile Privateigentum zum Staatsgut zu machen, und«in kleiner Kreis dieser kommunistischen Gruppe ging gleich aufs ganze. Auch die Frauen sollten der Sphäre des Privatrechts enthoben und für Allgemeingut erklärt werden. Die Oamen wittern Gefahr. In sener Zeit schien aber alles möglich zu sein mrd in de» Salons der vornehmen Damen witterte nran Gefahr. Es müsse etwas geschehen, sonst gehe mit der alten Ordnung, die zum Glück der Teufel geholt habe, die ganze Familienkultur zugrunde, die der Himmel in Güte erhalten möge. Das war der Text, den Theres« Eabarrus und Madam« R 6 e a m i« r ihren Freunden mit be- forgter Energie an jedem Gcsellschaftsabend predigten. Am 3. Juli gab Therese Eabarrus ihren großen Abend. Es hieß, Robespierre hole zu neuen Gewaltschlägen aus und diesmal werde es Tausenden das Leben kosten. Es wurde leidenschaftlich disputiert. Plötzlich schrie Madame Recamier in die Erörterungen hinein: „Wer rettet Frankreich vor dem Scheusal Robespierre und vor dem Kanaillen Hebert, Chufeau, Babeuf?" Es meldete sich eine Thersitesgestalt,«in Mann mit Namen Jules Fr4on. Er war klein, bveitfchultrig, mit einem Buckel- ansatz. So ernst die Frage gemeint war, so bedrohlich die Ding« lagen, dieser Auftritt erregte einen Ausbruch schallender Heiterkeit. Freron verließ tiefgekränkt das Haus, aber noch am Abend schrieb er Therese Eabarrus folgenden Brief: .Mademoisell«, nicht Ihretwillen und nicht um der Herrschaften willen, die Ihr« tägliche Nähe teilen, sondern um Frankreich zu eilölen, werde ich Robespierre und sein Regiment stürzen." Am nächsten Tage war Freron aus Paris verschwunden. Theres« wurde im Bade verhaftet und in das Staatsgefängnis ge- bracht. Jules Fröron zog landauf, landab, und warb für die Rildung von Selbstschutzorganifationen. Im begüterten Bürgerstand folgten Taufende feinem Ruf und andere Tausend« vom Adel, die den Morgenhauch der Reaktion spürten, folgten chnen nach. Dank des Geschickes von Jules Freron wurde«ine Berschwörerarbeit mit größtem Erfolg in unheimlichster Verborgenheit geleistet. Aus einmal, als die Schicksalsstund« Robespierres schlug, waren diese Selbstschutzorganisationen mi! vielen Tausenden in Paris , von deren Dasein man hier ebenso. wenig wußte, wie von dem Dasein des verschwundenen Fräron. In jener denkwürdigen Sitzung vom 4. Oktober 1793 empfingen die Abgeordneten der Opposition das Stichwort zum Sturz Robespierres von außen. Sie hatten den Mut, dem Diktator zu- zuschreien:„Das Blut Dantons erstickt dich!" Sie hatten den Mut. auf dem Höhepunkt der Debatte Robespierve in den Anklagezustand zu versetzen, well von draußen die Flüche und Drohungen der Schlitzorganisationen in den Saal hineinhallten. Als Robespierr« hingerichtet war, blieben die Jakobiner- k l u b s. Auf der«inen Seite standen nun die Selbstschutzorgani- sationen, auf der anderen die Mitglieder der Klubs. Beide Gruppen lieferten sich monatelang blutige Kämpfe. Am 5. Mai 1794 kam es zu einer förmlichen Schlacht in Paris . Sie lief zugunsten der Selbstschutzorganisationen aus. Was Fröron gekonnt hatte, brachte aber auch Babeuf zuwege. In kurzem schuf er seinerseits ein« Schutzgarde von 20 000 gut bewaffneten, fanatisch treuen Anhängern. Sein Ziel war die kom- munistische Republik, unl) man sagte ihm allerhand ander« Zcr- störerobsichten nach. Vor allem glaubte man, daß er nun doch das bürgerliche Familienrecht adscftfssen und so den Antrag Chuseau, der immer noch nicht zur Veryandlung gekommen war, außerhalb des Parlaments diktatorisch durchsetzen werde Durch die Salon» von Paris ging von neuem der Schrei des Entsetzens: »Die Krauen sollen Gemeingut werden?'" Gegen diese Macht Babeufs, die mehr im geheimen arbeitete, glaubte der mürrisch gewordene FrSron auch nur mit GeHelm- mittel« auskommen zu können. So richtet« er innerhalb seiner Selbstschutzorganisationen Geheimgericht««in. Die Fem « erstand wieder, und zwar in ihrer eigentlichen, ur- sprünglichen Form. Sie setzte ihre Aerfolger in den Anklagezustand, lud sie vielfach vor ihr Forum, verhärte Zeugen und sprach mit Stimmenmehrheit ihr Urteil. Sie wurde von der Slaatsauiorität nicht einmal grundsätzlich bekämpft. Di« ordentlichen Gericht« dul- beten dies« Rebeninstanzen und schritten auch nicht«in. wenn
Von Bruno Altmann.
Todesurteile von ihnen gefällt und vollstreckt wurden. Es kam sogar vor, daß die ordentlichen Gerichte der Feme „Rechtshilfe" leisteten. Jede Ortsgruppe des Selbstschutzes hatte, wenn sie mehr als 80 Mitglieder zählte, ihr Femgericht. Die Angehörigen dieser Tri- bunale, wie die Vollzugsbeauftragten, ernannte der Präsident des Ortsverbandes. Der Sinn dieser Fröronschen Femgericht« ist klar. Was durch die gesetzlichen Bestimmungen des Staates nicht verboten war und also auch durch die ordentlichen Gerichte nicht bestrast werden konnte, sollte, wofern es der Entwicklung zu einer gemäßigt bürgsr» liche» Republik hinderlich war. ausgetllgt werden. Auch mon» archistische Bestrebungen machten sich vielfach gellend. Im ganzen wirkten diese Femgerichte weniger brutal als die- jenigen der Gegenwart. Es gab auch andere Strafen als die Todes- strafe. Man lleß beispielsweise Mädchen der„Gesellschaft" von un. solidem Lebenswandel ein Bad im kollon Wasser nehmen oder man band sie nackt auf einen Esel und ließ sie«inen stundenlangen Rill durch Stadt oder Dorf machen. Uebrfgens sollen sich die Faschisten nicht gar zu viel aus die Originalität ihres Strafverzeichnisses einbilden. Oeffenlliche Ver- abfolgunz von Abführungsmitteln verhängten schon die französi- schen Femgerichte, und die Vollstrecker dieser Strafe hatten zu sorgen, daß die Wirkungen der Einnahme auf offener Straße zu- tage traten. Ein merkwürdiger Sittenprozeß. Die Chronik von Nancy weiß über einen merkwürdigen Sitten- prozeß vor dem dortigen Femgericht zu erzählen. Nor kurzem, heißt es hier, war eine junge Dame aus Paris herLb«rgekommen: Maria de Martillon. Sie war schön wie Maria von Magdala vor ihrer Buße, und gebildet wie eine Hetäre in der Umgebung des Perikles . Mit der sittlichen Strenge nahm sie es nicht genau, und sie hatte auch eine Theorie des Lebensgenusses, die sie kühn und ungeniert entwickelle. So kam sie in den Ver- dacht,«in« etwas verspätete Propogandistin jener Konoentsgruppe zu sein, die einst auf Abschaffung d«r Ehe hingearbettet hatte.„Es wäre", sagt di« Chronik,„keine Angelegenhell für die ordentlichen Gericht«. ab«r nachdem die Femeorganisationen den Schutz der Ehe zu einem Hauptgrundsatz ihrer Bestimmunzen gemacht hallen, kamen sie um die Verfolgung der schönen Maria de Martillon nicht herum." Sie erschien stolz und siegesbewußt. Sie, nicht der Vor- sitzende, sprach das erste Wort. „Wer gab Ihnen das Recht, mich hierher zu schleppen?"
Der Borsitzende wollte etwas sagen, doch sie unterbrach gleich: „Heucheln Sie doch nicht, ich stehe hier, weil ein Dutzend um die Treu« ihm Männer oder Liebhaber besorgter Damen mein« Bestrafung wünschen." Man fragte sie dies und jenes: sie antwortete kokett, ironisch. frech. Schließlich langwellte sie das Verhör und ohne Zusammen» hang mtt ihrer Vernehmung warf sie die Frage ein, ob di« Herr«» Richter„di« Geschichte der Hetärin Phryne aus dem 4. Jahrhundert vor Christi kennen". Da niemand Bescheid wußte,«rzähll« sie: „Es gab in Athen eine lebende Demonstration der Schönheit: Phryne. Sie geizte wenig mll der Gewährung ihrer Lieb«, so daß alle ein Aergernis nahmen, die neidisch waren oder ihre Liebe nicht gewottnem Frauen und Abgewiesene brachten st« vor Gericht. Gar gewattig zürnt« der Ankläger. Phryne lächelt«. Es entrüsteten sich auch einige Richter. Da legte sie ein Gewandstück nach dem anderen ab, und schließlich stand sie enthüllt da, in der Majestät ihrer klassischen Schönheit. Sie trat ganz dicht an den Richtertisch heran, lächelle Richter und Ankläger an und sprach:„Wenn ihr den Mut habt, so verurteill mich." „Meine Herren____" Maria de Martillon begann in heiterster Unbefangenheit die Enthüllung ihrer eigenen Reize. Der Vorsitzende sprang auf:„Mademoiselle, nicht wir können Ihre Richter sei». Das Femegericht wird Domen zu Hilfe ziehen." Entsetzt bat di« Angeklagte: „Rein, meine Herren, richten Sie mich. Ich will Richter, keine Rächer!" Die Femerichter waren in keiner kleinen Verlegenheit. Schließ- lich brachten sie mehr einen Rat als ein" Urtell zustand«. Maria de Martillon solle innerhalb einer Woche Nancy verlassen. Die Keindschast gegen die Karikatur. Besonders empfindlich waren di« Selbstschutzorganisattonen gegen di« Karikatur. Geradezu verhaßt war chnen«in Zeichner der„En de Toulouse", Henri Cadach e. Der Mann war, wie sie sagten,„boshaft wie ein Äff"'. Als er es chnen gar zu arg trieb, kam er vor das Femgericht. Er hatte sich eine Karikatur geleistet, die eine Reihe bekannter Herren der Schntzorganifationen als Seiltänzer zwischen einer Kirche und einem berüchtigten Amüsiersalon darstellte. Sie balancierten von der Kirch« zum„Palast der Mutter Seillard". Mit ernst seierlicher Miene>n der Nähe des Gotteshauses, mll dem Ausdruck vergnüg- ter Lüsternhell in der Nähe des Amüsiersalons. Als Text stand folgender Dialog unter dem Bild: Monsieur A.:„Seit mann sind Sie unter die Akrobaten ge- gangen?" Monsieur M.:„Oho, ich habe Künstlerblut in mir. Meine Mutter hat mich bei einer Zirku-aufführung vor dem Herrn Erz- bifchof wäbrend eines Luftsprunges geboren." Das Femegericht verurteilte Henri Cadach« am 4. Dezember 1798, fünfmal die Garonne zu durchschwimmen. Er leistete dieses kleine Spoitkunslstück, ob er dabei seine Boshafttgkell abgebadst hatte, erzählt die Revolutionszeschichte nicht. Ein Jahr später mochte Napoleon den Selbstschutzorganisattonen mit einem Federstrich ein End«.
„Mütterliche " Damen. Oos Hündchen, der Kuß und die Kinder. Die Dame trägt ihren kleinen Hund, einer Handtasche gleich, unter dem Arm gepreßt. Es ist einer jener kleinen Hund«, dem die Menschen nach raffiniertem Ueberlegen körperliches Können und geistige Kräfte genommen haben, um ihn als Luxushund für viel Geld zu verkaufen. Er schmiegt sich gern an, well er immer vor Kätte zittert,«r ist wohlerzogen, weil er viel zu dösig für echtes hundliches Draufgängertum ist. Seine Hilflosigkell und sein Phan- tasiepreis machen ihn zum Gegenstand dauernder Verhätschelung der reichen Dame. Den Hund unter'm Arm, erzähtt die Dame ihrer Freundin: „Mit meiner Köchin bin ich sehr zufrieden, mit meinem Haus- mädchen desgleichen, jedoch, es hat eine unangenehm« Eigenschaft, es ist nämlich eine junge Witwe mll einem Kinde. Und denke dir nur, was sie sich herausnehmen wollte, sie meinte doch tatsächlich, sie könne das Kind zu mir ins Haus bringen. Nicht den Tag über, aber abends sollt« das Kind aus der Krippe geholl werden. Da habe ich sofort und energisch„Nein" gesagt. Krippenkinder sollen ia freilich immer rtchig sein, jedoch, ich traue dem Schwindel nicht. Ein Kind weint do�h einmal! In der Mädchenstube stehen ja kein« wertvollen Sachen, aber, weißt du, ein Kind ruiniert doch mal irgend etwas." „Ha pietsch" macht der kleine Hund. Im selben Augenblick sagt die Dame:„Ach, ist es dir zu kalt," und sie preßt den Köter noch fester an sich. Dann erklärt sie der Freundin:„Weißt du, ich habe den kleinen Hund so lieb, er darf meine Chaiselonguekissen und mein? Teppich« ruinieren, ich bade das Tierchen stets selbst, denn ich bin vorsichtig, bei mir erkältet es sich nicht, und in meinem Auto habe ich extra«inen kleinen Sitz für den Hund anbringen lassen" Daraus bekommt das winzige Vieh einen dicken Kuß auf das kleine Naschen, die Dam« drückt den Köter vor Liebe an sich und sagt glückstrahlenden Auges:„Ja, wir Frauen haben doch alle so etwas Mütterliches an uns." « Zwei Damen unterbrechen entzückt ihren Spaziergang, um ein Familienidyll auf einer Weide zu betrachten. Dort grast«in Mutterschaf mit seinem Lämmlein. Das Jungtier schreit„Bäh" aus heller Lebensfreud« heraus. Es klingt kläglich, denn ein Läm n. lein hat noch keine starke Stimme. Di« Alte grast, damll sie Milch hat. Fleisch ansetzt und die Wolle wächst.„Bäh" schreit das Lamm, „Bäh" schreit es unaufhörlich, weil Bäh der einzige Laut ist. durch den es sein Dasein verkünden kann. Da» Mutterschaf läßt das
Kleine nicht aus den Augen, zudem kommt es des öfteren schnüffelnd an das Kind heran. Die eine Dame entsetzt sich:„Nein, wie ich mich über das Schaf ärgern kann, es kümmert sich gar nicht um sitin Lamm. Schafe sind doch sehr dumm, die hoben nicht einmal das richttg« Muttergesllhl." Die Damen gehen weiter und haben di« Schaf« natürlich bald vergessen. Da fragt im Laufe des Gesprächs die ein«:„Was machen dein« Kinder?" Daraus antwortet die andere smrd ausgerechnet die, welche sich über die Schafmutter entsetzt«):'„Ach, denen geht's gut. Weißt du. übrigens bekomme ich sie kaum zu sehen, sie sind immer bei ihrem Fräulein. Schließlich hat man solche teure Kraft doch auch nicht umsonst engagiert. Und man soll das Muttersein auch nicht falsch auffassen, ich bin noch eine schöne Frau, ich will noch was vom Leben haben." Ern» Bus inj;.
Unsere nächsten Erzählungen. In der heutigen Nummer des„Abend" geht der Goldgräberroman ,D er Scholz der Sierra Maare" von B. Traven zu Ende. Er hat wegen seiner spannenden Handlung und der ausgezeichneten Schilderung der sozialen Verhältnisse in Mexiko den ungeteilten Beifall unserer Leser gefunden. Zweifellos gehört„Der Schatz" zu den besten Erzeugnissen der Weltliteratur. Arn Sonnabend beginnen wir mit dem Abdruck der Aufzeichnungen eines Rechtsanwalts„A k l Nr. 51 3". Die Tragödie einer Ehe, ein ergreifendes Zeugnis von den sozialen und sittlichen Nöten unserer Zeit. Dann lassen wir eine zwar kurze, aber um so lustigere Geschichte folgen, die von dem Tschechen Hasek handelt. Wer Hasek ist? Der Schöpfer des ,„Braven Soldaten Schwej k". Von ihm wird berichtet, wie er von einem Kameraden der Straße zum Juden gemacht worden ist. Jude zu sein, ist für manchen Antisemiten ein Greuel. Daß Haäek sich zum Juden machen ließ, hat ihn sicher nicht gereut, so kann man wenigstens aus dieser Geschichte schließen. Schließlich veröffentlichen wir im Erstabdruck eine Erzählung„Der Sprung über den Schatten" von Karl Schröder. Die Geschichte eines proletarischen Studenten, der alle Vorurteile der bürgerlichen Gesellschaft, in die er, der arme Schulmeisterssohn, hineingestoßen warder soll, abwirft, um sich zu den hohen Zielen der Ar beiterbewegung zu bekennen.