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Beilage

Dienstag, 24. April 1928

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Großhäuser und Großsiedlungen.

Aus der Praxis des modernen Volkswohnungsbaues.

Die Gemeinnützige Heimstätten Spar- und Bauaktiengesell-| schaft Berlin, kurz Gehag   genannt, sah sich veranlaßt, einmal den leitenden Funktionären der Berliner   Gewerf schaften und sonstiger Arbeiter- Organisationen das zu zeigen, was sie in den letzten Jahren im Häuser- und Wohnungsbau ge­leistet hatte. Zunächst also ging es zu dem von dem Bezirksamt Prenzlauer Berg   in Auftrag gegebenen Häuferblod, der von der Paul Heyser, Schönlanfer und Schneidemühler Straße begrenzt wird. Hier werden 122 Wohnungen errichtet, und zwar 44 Wohnungen zu je Zimmer mit 52

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Paul- Heyse- Straße, Treppenhaus und Balkone. Quadratmeter Grundfläche, 69 Bohmungen mit je 2% Zimmern zu 71 Quadratmeter Grundfläche und 7 Woh nungen zu je 3% 3immer mit 98 Quadratmeter Grund fläche. Die- 3immer Wohnungen fosten hier mittelbarer Nähe des Friedrichshaines und der Ringbahn monatlich 47 Mart. Selbstverständlich hat je de Wohnung Bad   und auch eine Loggia. Das Ganze macht bei aller gebotenen Einfach­heit doch einen ungemein sauberen und anheimeinden Eindruck. Eine einzige 3entralantenne versorgt alle Radiofreunde des Hauses. Schade nur, sehr schade, daß die Gehag nicht die Mög­lichkeit hatte, einen ganzen Blod zu umbauen. In menigen Schrit ten fam man zu dem neuen Großwohnhaus in der Olivaer straße. Auch hier der Architekt Bruno Tout. Auch hier die spar fame, faſt farge Umrißlinie. Hier sind 12 Häuser zusammengefaßt, Die für 60 1%-3immer, 50- 3iimmer und 10- 3immer­Bohmungen Platz schaffen. Die Wohnungspreise sind ähnlich denen am Friedrichshain  . Auch hier für jede Wohnung Mannenbad, der einzige aber von jeder jungen Familie brennennd ersehnte hngie. nische Komfort.

Dann ging es zum Weigandufer in Neukölln, wo ein bereits im Jahre 1925 fertiggestellter Bau besichtigt wurde. 10 Häuser mit insgesamt 94 Wohnungen. Dieses Großhaus hat den Borzug, an das Neuköllner Fernheizamt angeschlossen zu sein. In­folgetessen haben die kleinsten Wohnungen pro Monat noch 5,50 Mart, die 2%-Zimmer- Wohnungen pro Monat 8 M. für Heizung aufzubringen.

dorf hat man in alter Weise Straßen längs und Straßen quer ge­30gen, hat allerdings hier und da die Fronten gebrochen und ge­30gen, hat allerdings hier und da die Fronten gebrochen und ge­treppt, so daß allerlei reizvolle Perspektiven entstehen, aber es fehlt der ganzen Anlage ein 3entralpuntt, auf den alles Ankommende instinktiv zusteuert. In Brizz hat man ein großes überraschtes: Ah". Ah". In Zehlendorf  geht man und sucht und findet nicht. In unveran: wortlicher Leichtfertigkeit aber hat das Zehlendorfer  Bezirksamt es zugelassen, daß die einzigartige Ber­fpeftive in der Riemeisterstraße durch die Bauten der Gagfah" Gesellschaft verbaut und damit verschandelt wurde. Im ganzen aber ist die Zehlendorfer   Siedlung mit nahezu 800 Wohnungen ein überaus eindrucksvolles und imposantes Bauwert. Niemand kann sich des Eindrucks erwehren, daß auch hier etwas geschaffen worden ift, was zu gleicher Zeit der Not der Gegenwart gerecht wird und richtungweisend in die Zukunft zeigt.

Wie ist die Gehag" entstanden?

Im Anschluß an die Besichtigung gab in eier Versammlung der Teilnehmer im Gewerkschaftshaus der leitende Geschäftsführer der ,, Gehag  ", Stadtverordneter Gutschmidt einen Ueberblick über die bisherige Entwicklung der Gesellschaft. Am 14. April 1924 wurde die ,, Gehag  " gegründet. Der Vater des Unternehmens ist der Stadt­baurat Dr. Ing. Martin Wagner  . Man ging von der Voraus­fegung aus, daß eine Organisation geschaffen werden muß, die die Interessen der Wohnungskonsumenten wahrnimmt und die losgelöst ist von den Verwaltungsorganisationen, wie sie die damals bestehen­den Baugenossenschaften darstellen. Es sollten durch Konzentration wirtschaftlicher Kräfte bessere und größere Leistungen erzielt werden. Die wirtschaftlichen Kämpfe, die die Wirtschaftsorganisationen der Arbeiterschaft führten, mußten feftere Formen annehmen. Die Kreise, die bei der Gründung zu entscheiden hatten, hatten durchaus erfannt, daß mit der Gründung einer solchen Gesellschaft die Arbeiten zur Er­füllung praktischer Aufgaben in ein neues Stadium eintraten. Grün­der und Träger der neuen Organisation waren zunächst die Orts= fartelle Berlin   des ADG B., des AD B. und des Afa­bundes. Fünf angesehene Arbeitergenossenschaften beteiligten fich daran und zwar die Baugenossenschaft Freie Scholle"-Tegel   ,,, Para­dies" Bohnsdorf  , Lichtenberger Gartenheim, Ideal"-Neukölln und der Beamtenwohnungsverein Neukölln". Als Aktionär traten der neuen Gründung die ,, Sozialen Baubetriebe" und die Dewog" ( Deutsche Wohnungsfürsorge A.-G. für Beamte, Angestellte und Ar­beiter) bei. Die ,, Dewog" ist das Instrument, durch das die Stadt Berlin   die Hauszinssteuerhypothefen ausgibt.

Eine gewaltige Leistung.

Die Gesellschaft hatte keinen anderen Zweck, als der immer un­erträglicher werdenden Wohnungsnot durch Häuser und Wohnungs­bau praktisch abzuhelfen. Man sollte nun meinen, daß in einer Zeit allgemeiner Rat und Hilflosigkeit ein solches Unternehmen auch von den Behörden mit allen Kräften gefördert worden wäre, aber weit gefehlt. Ein ganzes Jahr, bis zum Mai 1925, dauerte es, ehe die handelsgerichtliche Eintragung erfolgte. Dann bauerte es wieder ein ganzes Jahr, bis man der Gesellschaft die Gemeinnügigfeit zuerkannte. Trotz aller Schwierigkeiten aber war bereits im Herbst 1924 mit dem geringen Kapital von 50 000 Mart, und zwar in dem märkischen Städtchen Trebbin  , der Bau von 8 neuen Wohnungen begonnen worden. Dann folgten 110 Wohnungen für den Berliner  Spar. und Bauverein am Schillerpart. Bis Ende 1927 hat die Gebag" insgesamt 3600 Wohnungen errichtet, davon 2000 in einem Wert von 28,5 Millionen Mart auf eigene Rechnung, etwa 700 Wohnungen für Baugenossenschaften und 600 für die Stadt Berlin  .

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Nun aber stellte sich heraus, daß die Verwaltung dieser 2000 märkischen Städtchen Trebbin  , der Bau von 8 ineuen Wohnungen baurat Dr. ing. Martin Wagner  . Man ging von der Voraus­Wohnungen von der Bautätigkeit getrennt werden mußte. Zu diesem 3wede gründete man eine ,, Einfamilienhausgesellschaft" eine Organisation, an der sich zu Anfang auch einige bürger­liche Gesellschaften beteiligten. Heute befinden sich fämtliche Anteile der Gesellschaft im Besize der Gehag". Der Umsatz stig von 500 000 Mart im Jahre 1924 auf 18 millionen im Jahre 1927. Trotzdem hat die Gehag" nur 10 Prozent aller Wohnungen

bauen fönnen.

Die nächsten Aufgaben.

Die Finanzierung eines solchen gewaltigen Bauvorhabens ist nicht nur ein sehr schwieriges, sondern auch ein die Wohnungs­tonsumenten intereffierendes Problem. Die Gehag" muß nämlich

Britz  , Dorchläuchtingstraße

leider einen wesentlichen Teil ihrer Hypotheken dem öffentlichen Hy pothefenmarkt entnehmen, und sie muß dafür nicht nur 8% Proz. pro Jahr Zinsen zahlen, sondern bekommt auch nur auf je 100 Mart 93 Mart ausgezahlt. Die Sparkasse der Stadt Berlin   hat z. B. im Februar d. J. 218 Millionen Mark Einlagen zu verzeichnen, die zum größten Teil von Kleinsparern herrühren und die dafür nur 5 Proz. geben würden, die ja auch ausdrücklich als Sparverein bezeichnet ist, Zinsen bekommen. Wenn nun die Sparer ihr Geld der Gehag" gewähren, fie felbft aber fönnte, wenn sie die Hypotheken statt mit so fönnte die Gehag" den Sparern sehr wohl 6 Proz. Berzinsung 8% Proz. nur mit 6 Proz. zu verzinsen braucht, jede Wohnung im Durchschnitt um 8 Mart pro Monat billiger er­richten als jezt. Die Wohnungen werden durch die Wohnungsämter vergeben, die ,, Behag" hat also leider, was in der Deffentlichkeit nicht befannt ist, gar feinen Einfluß auf die Bergebung der Wohnungen, die fie baut. Um trotzdem die Wohnungspreise in erträglichen Gren­zen zu halten, ist es unumgänglich notwendig, nach gewiffen festen Typen zu bauen, von denen Britz   vier und Zehlendorf   drei Typen aufmeifen.

Der medizinische Sachverständige.

Und die Geistesschwäche der Reichen.

Jm ,, Borwärts" war vor wenigen Tagen folgende ganz mert flagten, gleichgültig welcher fozialen Sphäre er angehört, die würdige Geschichte zu lesen:

arztes als Fehldiagnose erklärte und die Angeklagte als ein großes, hilfiches Kind" hinstellte. Die Folge war ein Freispruch am Land gericht Kempten  .

Die deutschnationale Berlegerin brach aus einem von ihren Angestellten gefundenen Brillantenanhänger die Edelsteine Eine Sehenswürdigkeit Groß- Berlins. heraus und ließ sie durch wertlose Steine ersetzen. Dann fandte fie Der Clou der Besichtigung war zweifellos die Großfied. das Schmuckstück an die Berliererin zurück. Diese erstattete Tung Briz. Hier wurden auf einer Grundfläche von rund Strafanzeige und die Betrügerin wurde zu drei Monaten 243 Quadratmeter 565 Häuser mit 1027 Wohnungen erbaut. Gefängnis verurteilt. Sie legte Berufung ein und verteidigte fich Wiederholt ist darüber berichtet worden. Abgesehen aber davon, mit geistigen Defetten. Der Oberarzt der allgemeinen daß in geradezu idealer Form Wohnraum geschaffen wurde, ist heilanstalt untersuchte sie vier Wochen lang! Er fonnte teine hier zum ersten Male von einem modernen Architekten versucht strafbefreienben Defekte, dagegen raffiniertes Komo­worden, bei Errichtung von Massenwohnungen städtebaulich zu diantentum feststellen. Als die Sache für die Angeklagte mirfen. Das berühmte ufeisen", das mit der weiteren Sied hoffnungslos erschien, fand sich im letzten Moment ein Univer lung insgesamt als die moderne Sehenswürdigkeit| fitätsprofeffor und Bindhiater, der das Gutachten des Ober Groß Berlins   im vornehmsten Sinne angesehen werden fann, ist in der Praxis um einen vorhandenen kleinen See herum gebaut worden. Architekt und Bauherren einer durchaus proletari. schen Wirtschaftsorganisation haben das sei den emig mäkelnden In dieser für alle Beteiligten wenig schmeichelhaften Angelegen und nörgelnden bürgerlichen Natur- und Heimatschüßern dringendheit spielt wieder einmal der medizinische Sachver zur Beachtung empfohlen so viel Respekt vor einem urwüdfigen ständige die traurigste Rolle. Nicht zum ersten Male gibt sich Stückchen Natur gehabt, daß sie es nicht mit Klamotten verschüt- ein wissenschaftlicher Sachverständiger dazu her, gegen gutes Honorar teten, nicht mit Pfahlrosten zurammten, sondern es liebevoll den Rettungsengel eines wohlfituierten Angeklagten zu spielen und in den Mittelpunkt der Siedlung stellten und nun ihn dem Zugriff der Justiz zu entziehen. Hier handelt es sich um in weit ausfchwingendem Kund, wie ein gewaltiges antifes eine Erscheinung übelster& laffenjuftiz. Die Angeklagte aus dem Ar­Amphitheater, die netten Häuser herumzogen. Wer jemals auf der beiterstande wird ohne Rücksicht auf soziale Notlage, auf Arbeits­Terrasse dieser modernsten Siedlung gestanden hat, der wird den losigkeit, Hunger, mangelnde Bildung, psychische Depression und Er­packenden Eindrud auch niemals vergessen. bitterung rücksichtslos verurteilt, denn sie kann sich die Bezahlung eines Universitätsprofessors als Retter nicht leisten. Für den wohl habenden Betrüger findet sich eben der Sachverständige", der einem wohlmeinenden Gericht die Psyche des bedauernswerten" llebeltäters fo fompliziert und mitleiderregend zu schildern versteht, daß der Freispruch so sicher tommt, wie das Amen in der Kirche.

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Die Großfiedinng Fischtalgrund.

Man farm mur wünschen, daß die Gehag" Mittel finden möge, auf diesem Wege weiterzuschreiten. Denn es muß nunmehr gejagt merden, daß daneben die schließlich besichtigte letzte Großsied lang Fischtalgrund in Zehlendorf   meniger bestehen fonnte. Hier hat die Gehag" darauf verzichtet oder sie hat nicht bie Möglichkeit gehabt ftädtebaulich voranzugehen. In Sehlen

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Finden sich denn innerhalb der ärztlichen Organisationen teine Faktoren, bie diesem Unfug schon im Interesse des Ansehens des Etombes gin Gube bereiten? Man möge entweder jedem Ange

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Möglichkeit geben, einen medizinischen Sachverständigen heranzu ziehen die Kosten müßte der Staat tragen, oder man schaffe das System überhaupt ab, daß Kläger   und Beklagte ihre Sachver ftündigen zitieren dürfen und gebe dem Gericht allein das Recht, ohne Rücksicht auf die Prozeßparteien, wissenschaftliche Fachleute vor­zuladen, die von den Parteien nach jeder Richtung, auch materiell völlig unabhängig find. So lange das nicht geschieht, wird man von einer Klaffenjustiz im Bunde mit einer Riaffenmedizin reden können! Dr. J. M.

** Arme Elfe!

Die Angelegenheit der deutschnationalen Beriegerin hat übrigens noch ein Nachspiel, auf dessen Ausgang man gespannt sein tann. In der Kemptener   Stadtverordnetenversammlung hat nämlich der Stadtrat Schedler im Namen der sozialdemokratischen Fraktion beantragt, das Polizeistrafgesetzbuch zu vollziehen, d. h. die freige­fprochene Else im Irrenhaus zu internieren. Wütend erhob sich darauf der hakenkreuzlerische Stadtrat Strefler, der einige Brozeffe für den Geschäftsbetrieb der erwähnten Frau geführt hat, um dagegen zu protestieren, eine solche Sache auf Grund von Beitungsberichten hin im Plenum zu behandeln. Auch der Bürgermeister stimmte ihm darin bei, daß einer Prüfung des Falles durch den beamteten Bezirksarzt allerdings die Gerichts. aften unterlegt werden müßten es fei jedoch immerhin möglich, daß der Bezirksarzt zu einem anderen Urteil fäme als das Land. gericht.

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Was dann? Wenn der Bezirksarzt zu dem Urteil kommt, der Tatbestand des§ 51 liege nicht vor, fo wird der Staatsanwalt wohl oder übel die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen müssen, und da in der Strafprozeßordnung der Fall vor­gesehen ist, daß bei widersprechenden Gutachten ein Obergutachten eingefordert werden tann, so müßte es sich wohl darum handeln, ob der Obergutachter sich auf die Seite des ersten oder des zweiten Gutachtens stellt. 2o entweder Gefängnis oder Irrenhaus?