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45. Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Mittwoch
25. Apríl 1928
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Kommunisten retten Keudell!
Hornberger Schießen im Leberwachungsausschuß.
Die mit fo großer Spannung erwartete Sigung des Ausschusses zur Wahrung der Reichstagsrechte endete gestern abend als Hornberger Schießen. Herr v. Keudell und die Deutschnationalen feierten einen Triumph, fie fegten ihren Standpunkt durch, daß der Ausschuß überhaupt nichts zu sagen habe. Es fam fein Beschluß zustande! Eine Niederlage, die dem Herrn v. Keudell in der letzten Minute drohte, wurde durch die Kommunisten, die wieder einmal mit den Deutschnationalen gegen die Linke und gegen Die Mitte stimmten, verhindert.
Nachdem ein fommunistischer und ein sozialdemokratischer Antrag, der Ausschuß möge die Aufhebung des Berbots der Roten Fronttämpfer fordern, abgelehnt worden waren, stand ein Zentrumsantrag zur Abstimmung, dessen Wortlaut im folgenden Sizungsbericht wiedergegeben ist. Das Zentrum hatte aus formaljuristischen Gründen gegen die Aufhebungsanträge gestimmt, weil es der Meinung war, daß der Ausschuß durch die Annahme dieser Anträge die Grenzen seiner Zuständigkeit überschreite. Man fann ihm vorwerfen, daß es in diesem Fall die Jurisprudenz über die Politik gestellt hat. Aber das Zentrum wollte einen Stoß gegen eudell führen, gegen den es, wie feine Breffe zeigt, schon seit längerer Zeit in scharfer Kampfstellung steht.
Herr v. Keudell hat nämlich, wie die gestrige. BerhandLung tlar erwiesen hat, gegen den Willen des Reichstanzlers und über den Kopf des Kabinetts hinweg Politif gemacht Darum erließ die Germania " gestern abend gegen den Parteifreund Reudells, den Reichsjustizminister Hergt, ein förmliches Verbot, sich in der Sigung des Ausschusses als Bizetanzler und Vertreter des Kabinetts aufzuspielen. Rein Zweifel also, daß das Zentrum gegen Keudell schwer geladen war und daß es die ernste Absicht hatte, ihm im Ausschuß eine Niederlage beizubringen.
Der Antrag des Zentrums erklärte das Vorgehen des Ministers für im Augenblid nicht zwed mäßig". Damit sollte in teiner Weise gefagt sein, daß es etwa in einem anderen Augenblid medmäßig sein könnte diese Frage sollte, wie der Antrag in seinem Bordersaz auch ausdrücklich erklärt, und wie der Abg. Effer gegen einen intriganten deutschnationalen Auslegungsversuch noch ausdrücklich bestätigte, vollkommen offen gelassen bleiben. Der flare Sinn des Antrags war, daß ,, in diesem Augenblic", unmittelbar vor der Wahl, ein Eingriff in die Bewegungsfreiheit einer Partei auf feinen Fall unternommen werden dürfe. Es bestand also für die Kommunisten gar kein Grund, gegen diesen Antrag zu stimmen. Trotzdem halfen sie den Deutschnationalen und den anderen Rechtsparteien den Schlag parieren, der gegen Herrn v. Keudell gerichtet mar. Man sah zum Schluß bei den Deutschnationalen nur ver gnügte Gefichter der Transportarbeiter Thälmann hatte sich wieder einmal bewährt. Einst war er es, der den Reichspräsidenten v. Hindenburg zum Ziel trug. Gestern hat er sich an Herrn v. Keudell die LebensretterMedaille verdient.
gerufen. Diesen Konflift hat Herr v. Keudell gegen den willen des Reichskanzlers, der nach der Verfaffung die Richtlinien der Politik bestimmt, und über den Stopf des Rabinetts hinweg hervorgerufen. Das heißt: ein nur gerade noch so hängen gebliebener Minister, der vom Wahlsturm sicherlich heruntergeblasen werden wird, treibt gegen Kanzler und Kabinett auf eigene Fauft Regierungspolitik im Sinne deutsch nationaler Wahlmache!
Die Bürgerblodregierung regiert noch, nachdem der Bürgerblod zerfallen ist. Ihre vollkommene innere 3errüttung ist durch die gestrigen Verhandlungen offenbar ge morden. herbeigeführt ist diese Zerrüttung durch die Illonalität des deutschnationalen Regierungspartners, der seine zer rinnende Machtstellung noch schnell zur Verbesserung feiner Wahlaussichten zu mißbrauchen versucht. Der Bestand dieser Regierung, in der einer gegen den anderen regiert, in der es feine Solidarität, feine Loyalität, feine follegiale Disziplin mehr gibt, ist geradezu für das Reich zu einer Gefahr geworden.
werden. Gegen seine Gefahren hat die Reichsverfassung Bis zum 20. Mai muß ja dieser Zustand noch ertragen zwei Sicherungsfattoren geschaffen: den Reichspräsidenten und den Ueberwachungsausschuß des Reichstags. Vom ersten
hat man in dieser Angelegenheit bisher noch nichts gehört, und der zweite hat sich gestern nicht eben mit Ruhm bedeckt. Es gibt aber schließlich noch einen dritten, das sind die Länderregierungen oder, praktisch gesehen, ist preußische Staatsregierung. Zwischen ihr und den deutschnationalen Usurpatoren der Reichsregierungsgemalt steht jetzt eigentlich der Kampf, und in diesem Kampf wird das deutsche Volt am 20. Mai zu entscheiden haben.
Fort mit Reudell und seinen Helfern, den kommunisten!
gestern mit dem Keudellschen Berbot des RFB . Der Borjizende, Der Uebermachungsausschuß des Reichstages beschäftigte fich Genosse ente, eröffnet die Sigung mit der Frage an den Ausschuß, ab die Verhandlungen in dem Sinne öffentlich sein sollen, daß Breffevertreter teilnehmen fönnen. Der Ausschuß erklärt dies nac) längerer Beratung für geschäftsordnungsmäßig unzulässig und darauf wurde in die fachliche Beratung eingetreten.
Den Beratungen lag ein sozialdemokratischer Anscher Antrag forderte, dies Ersuchen an die Reichsregit. trag zugrunde, den Reichs! anzler zu ersuchen, das Ersuchen des Reichsinnenministers zurückzunehmen. Ein fommunistirung zu richten. Ferner beantragten unsere Genossen die Vorlegung der Dentichrift, auf Grund deren der Innenminifter
V. Sch. Paris , 24. April. ( Eigenbericht.)
Die Reaktion hat für den 29. April ihre größte Hoffnung auf die Rommunisten gefeßt. Je nachdem die Kommunisten ihre aussichtslosen Standidaten aufrechterhalten oder zurückziehen, wird die Rechte einen vollen Sieg oder eine Enttäuschung erleben. Man fann rein rechne< risch bereits feststellen, daß
in mindestens 50 Fällen die Entscheidung, ob für rechts oder links, von der fommunistischen Parole abhängen wird. Der reaktionäre Temps" hat diese Lage sofort erfaßt und in einem unglaublichen Artifel am Montag abend, der von der Linkspresse am Dienstag als ein Gipfel des 3ynismus bezeichnet wird, die Kommunisten geradezu beschworen, fest zu bleiben. Diese Stellen des Temps" verdienen wörtlich wiedergegeben zu werden; denn die bloße Tatsache, daß so etwas überhaupt geschrieben werden tonnte, stellt eine furchtbare Antlage gegen die Bolschewisten da:: „ Die Kommunisten haben," so schreibt der„ Temps"," bor dem 22. April erflärt, daß sie überall ihre Kandidaten aufrechterhalten würden. Diese feierliche Erklärung mürde, falls sie nach dem 22. April eine andere Haltung einnähmen, als eine Prahlerei erscheinen. Sie können nicht einmal mit dem Argument der sogeNatürlich ist für Herrn v. Keudell mit diesem Sieg, den nannten reaktionären Gefahr operieren, denn es gibt feine reattioer mit fommunistischer Hilfe errang, der Kampf noch nicht näre Gefahr. Sie können auch nicht unter dem Vorwand, die zu Ende. Im Gegenteil, die tatsächlichen Fest- Republif zu retten, die nur von ihnen selbst bedroht wird, das stellungen, die im Verlauf der gestrigen Sigung ge- Prinzip verlassen, das sie selbst verkündet haben. Sie können nicht fchaffen wurden, bilden für ihn die allerschwerste Belastung, zugunsten der Sozialisten zurücktreten, nachdem sie gegen ieglere Das Verbot der Roten Frontkämpfer war zweifellos eine einen solchen Krieg geführt haben. Sie sind durch ihr Geldb politische Handlung von weittragender Bedeutung, nis gebunden und können nur danach handeln. Was würde es hat nicht nur wie ja beabsichtigt war als Reflame Moskau sagen, das ihnen schon jetzt ihre Lauheit vorwirft, wenn sie für die Kommunisten gewirkt, sondern auch einen schweren den Sozialisten entgegenkommen würden?" Konflikt zwischen dem Reich und fast allen Ländern hervor
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Des weiteren richtet der„ Temps" gleichfalls eine Mahnung an
die Radikalen, fich bei der Stichwahl für die regierungsfreund lichen Kandidaten und gegen die Sozialisten zu entscheiden.
Die Radifalen haben, soweit die ersten Meldungen aus dem ganzen Lande vorliegen, der Reaktion diesen Gefallen nicht erwiesen. Die Zurücknahme der radikalen Kandidaturen in Paris und in der Provinz erfolgte, soweit bisher bekannt, fast durchweg zugunsten der Sozialisten.
Anders die Kommunisten. In einem haßerfüllten Leitartikel der Humanité" hat der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Sémard, der als blindes Werkzeug der russischen Kommunisten und als Berwalter der Sowjetgelder etwa dieselbe Rolle in Frankspielt wie in Deutschland Wilhelm Pied, an den Befehl erinnert, die kommunistischen Kandidaturen aufrechtzuerhalten Der Arfifel von Sémard stroht von Beschimpfungen der Sozialistischen Partei. Er zieht das Argument der reaktionären Gefahr ins Lächerliche und ist überhaupt wie auf Kommando der„ Temps" und der französischen Nationalisten geschrieben.
Der„ Temps" vom Dienstag abend atmet infolgedessen erleichtert auf und registriert schmunzelnd„ das flare, imperative und unumwundene Nein der Kommunisten". Andere Abendblätter sind etwas skeptischer und halten diese Stellungnahme für einen Bluff. In sozialistischen Kreisen ist man aber anderer Ansicht und erblickt darin einen ernsten Bersuch, die Sozialisten um jeden Preis zu schädigen, auch um den Preis eines sicheren reaktionären Vormarsches. Diese wahnwißige Haltung der Bolschewisten wird natürlich nicht ohne Einfluß auf die
Beschlüsse der Sozialisten bleiben, in deren Hand es gleichfalls liegt, fommunistische Kandidaten zum Erfolg oder zur Niederlage zu verhelfen.