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Betlage

Mittwoch, 25. April 1928

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Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Wir wollen es uns wiederholen!"

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Erlebnisse mit Deutschen   und Italienern in Südtirol  .

In Reden und Zeitungen geht ein großer Kampf um die ,, natio­nalen Belange" nirgends zeigt sich die Differenz zwischen Worten und Taten frasser als in Italien  . Wer dort sehend wandert, erlebt föstliche Momentbilder.

Wir stampfen um die Mittagszeit nach Segten in Südtirol  hinauf. Vor uns geht ein Karabinieri, den wir bald eingeholt haben. Mertwürdig blond für einen Italiener sieht er aus. Auf den Gruß

Vajolett- Türine, Dolomiten

antwortet er: ,, Guten Tag". Und erzählt dann, daß hier in allen Stationen deutsche   Karabinieri seien, da die Bevölkerung nicht ita­lienisch spricht. Er ist Südtiroler  , aus Schlanders  , und er sei Karabinieri, damit er leben tömme; acht Buben seien für den Hof daheim zu viel.

Ein Bauer tommt des Weges. Mißtrauisch mustert er den Ka­rabinieri und geht dann im großen Bogen ohne Gruß vorbei. Unser Karabinieri ist still geworden.

Blauschwarz und funkelnd wölbt sich die Nacht über dem 3innenplateau. Wir figen vor der Hütte und reden von ver­gangenen Tagen; vor 14 Jahren haben wir hier Bergfahrten zu sammen gemacht. Jetzt ist mein alter Freund Bergführer und war droben am Paternkofel dabei, wie sie die Pötz aus der Stellung werfen wollten und wie der Innerfofler Sepp den Kopfschuß betam. Und jetzt muß er sich fügen, wer nicht italienisch spricht, der wird

ausgehungert. Im Sertener Tal gibt es noch italienische und deutsche  Ausschriften, aber drüben im Gröbner Tol, was rein ladinisch ist, sind deutsche   Aufschriften verboten. Die Kinder von 12 und 14 Jahren verstehen schon tein Wort deutsch   mehr.

Am nebligen Vormittag räfeln wir uns in der Hütte. Es sind nur drei Bergsteiger und zwei Lehrerinnen ältesten Semesters aus Bommern   anwesend. Da ist draußen vor der Hütte Leben, eine Shar lachenber, temperamentvoller Italiener ist angekommen. Sie grüßen und richten sich für eine Mahlzeit ein. Lustig geht es zu und schon ein wenig laut, aber roie gefagt, es liegt im Naturell. Als sie mit Gruß weiterzogen, ließ die eine pommersche Lehrerin einen Stoßseufzer loß: Gott sei Dank, daß die Schweinebande geht!" Das lag auch im Naturell dieser teutschen" Jungfrau, und als ich fragte, was ihr die Menschen getan hatten, entzog sie sich gschamig der Ant­mort. Meine war dann auch nicht rosig.

Als ich nach zwei Stunden am Patersattel saß und wartete, daß sich der Rebel von meinem Berg verziehe, standen da die beiden pommerschen Lehrerinnen plötzlich neben mir. Sie schwelgten in Bergeltungsabsichten am Erbseind", und wieder ruf die eine mit Bathos: Das ganze uns geraubte Land werden wir wiederholen!" und breitet dabei die Arme nach Süden aus, da wa Marmarole und Antelao   gerade im Nebel schwimmen. Ich glaube, sie hatte Tränen in den Augen. Da fonnte ich mir nicht verkneifen, sie ein wenig ,, anzuäppeln". Erstens einmal möchte ich das Land ſehen, daß wir wiederholen; die Arbeit wird sie wohl den Broleten überlassen, dieweil sie vaterländische Liebesgaben- Strümpfe ftrict. Dann aber gibt es hier nichts zu holen, denn der Paternsattel, auf dem sie steht, ist die alte Grenze zwischen Italien   und Desterreich, und was sie da im Süden meinte, ist schon immer italienisch. Da schauten beide

etwas verbutt, und als ich fragte, ob sie ihren Schülern auch diese faschistische Geographie beibringen, war ich wieder allen im Nebel.

Sechs Tage danach gingen wir am mifuring See entlang und suchten vergebens zwischen den Hotels einen Badeplay. Auf dem schmalen Fußsteig kommen uns zwei Wanderer entgegen, neben den Abzeichen verschiedener deutscher Alpenvereine auch jeder ein riesiges Satentrez Sie faben ebenjogut wie wir bei ihnen, daß wir Deut­ sche  

waren, und sie grüßten uns prompt auf gut italienisch: ,, Buon giorno!" Da haben wir geschmunzelt, und ich besonders, weil ich wieder etwas zu schreiben hatte.

Draußen weiß es nicht genau, ob's Schnee oder Regen werden will, und in der Regensburger Hütte ist auch nicht viel wärmer. Gerammelt voll, nur Deutsche  , also ganz unter sich im neuen Italien  . Darunter auch eine Wanderung von 27 Berlinern, Seftion Brandenburg, gut arisch versteht sich. Wir fizzen zu dritt an einem kleinen Tisch, an dem sechs Mann Platz haben. Da fom men neun Brandenburger   und fragen, ob sie Platz nehmen fönnen. Selbstverständlich, und ich schmunzele, denn es waren Leute dabei, aus denen gut und gerne zmeie zu machen waren. Wir wollen Sie durchaus nicht verdrängen", beteuern sie ,,, wir wollen nur einen fleinen Stat machen". Als aber noch sechs Mann dieser an spruchslosen Leute zum Kibitzen kamen, verdufteten mir, bevor es uns zu einsam wurde.

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Auf der Vajolett Hütte ist ein schöner Tag mit Riesen­betrieb. Auch ein großer Schwarm Italiener  , die sehr anspruchs­voll sind. Sie fordern von der Bedienung, daß ihre Wünsche zuerst berücksichtigt werden, denn man sei ja in Italien   und die Deutschen  fönnen warten. Sie singen faschistische Lieder, in denen Mussolini  vergöttert wird. Auch Deutsche   sind dabei, die untereinander auch Deutsch   reden, sonst aber nur Italienisch. Auffallend ein Ehepaar, fie zweieinhalb Zentner Lebendgewicht, der Mann der Frau Schnei­der. Einer von uns hatte ein Omelett bestellt, das an der Küchen­ausgabe stand. Bevor die Kellnerin dazu kam, stürzt besagte Dame hin und holt es für ihren Mann. Der mag aber nicht, und seelen­ruhig stellt sie den Teller wieder zurüd. Unser Freund dankte selbstverständlich für das Daumenfett der Dicken. Das sind die ganz bedrückten Deutschen in Südtirol  .

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In Cortina   sieht jeden Tag ein sehr beweglicher, fleiner Italiener mit seiner Familie aus drei Damen in der Wirtschaft. Mit Argusohren wacht er darüber, was gesprochen wird. Es iſt ein Professor von der Universität in Padua  , und die Kellnerin hat er schon einmal beim Karabinierie angezeigt. Sie soll mehr Italienisch sprechen, denn wir seien jegt in Italien  ". Das Wiener Madel sagt aber, daß sie im internationalen Kurort Cortina deutsch   sprechen müsse. Wer weiß, wie lange noch, eines schönen Tages wird ein fach die ganze Bude zugemacht.

Eine italienische Reisegesellschaft stürzt mit Hallo und Gepolter in das Sella   haus. Sie haben weitgehende Wünsche, und weil sie nicht alle prompt erfüllt werden, machen sie furchtbaren Krach und einen diden Eintrag in das Beschwerdebuch, zur Be­fräftigung wird das faschistische Bündelbeil dazu gemalt. Und nun

zittert die Kellnerin vor der kontrolle, die, ob sie will oder nicht, ihr den Laufpaß geben muß. Weil das Bündelbeil dabei ist.

Hart unter den Wänden der Boë- Spize stehen oben am Bordoi­joch eine Handvoll windschiefer Kreuze, von einem ausgebleichten Gitter zusammengefaßt. Die Dolomitenstraße führt dicht am Zaun eines kleinen Soldatenfriedhofes vorbei. Desterreicher sind es und Bayern   und- ,, Combattente ignoto" unbekannte Soldaten. Am Nebentisch sitt ein uralter deutscher   Generaloberst mit seiner Frau. Thema: Krieg und Rache. Da sagt sie mit einem leichten Seufzer: Aber sie liegen hier doch so schön begraben". Besser schlecht gelebt, als schön begraben!" haue ich hinüber. Sie haben den Hieb verstanden sie gingen mit abgewendeten Gesichtern an den Kreuzen vorüber.

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Heimwärts geht es von Bozen   nach München   in einem Schwung. Am Brenner haben sich Italiener und Desterreicher nicht viel um unser Gepäck befümmert. In Kufstein   kommt die deutsche  Kontrolle. Im Nebenabteil hat sich ein Mann aus Köln   eine Flasche Chianti von Venedig   mitgenommen. Der Finanzer: Wohin fahren

Soldatenfriedhof in Buchenstein, Dolomiten  . Sie?"" Nach Köln.  " Nehmen Sie die Flasche mit?" Ja." So, wie sie ist?" Ja." Dann muß sie verzollt werden." Ja, aber Reisebedarf ist doch zollfrei?" Sie haben mir gesagt, daß Sie die Flasche so mitnehmen wie sie ist, also geschlossen. Sie muß verzollt werden." Da merkte ich, daß ich wieder in Deutschland   war.

So macht sich die bürgerliche Borstellungsweise auf Schritt und Tritt selbst lächerlich. Es sind aber weniger die Menschen, als die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, die so widersinnig mirfen. Und die sind so bodenlos verfahren, daß die Menschen damit nicht mehr fertig werden, sie fallen von einem Widerspruch

in den anderen. Darum ist es für den Arbeiter lehrreich, im neuen

Italien   zu wandern.

WAS DER TAG BRINGT.

Der König und der Chirurg.

Die Kreuzzeitung  " feiert den hundertsten Geburtstag des ehe­Artifel. Auch hier sei eine Erinnerungsblüte auf das Grab des maligen Königs Albert von Sachsen   in einem schwungvollen seinen späteren Lebensjahren die Leipziger   Universität zu besuchen verflossenen Sachsenbeherrschers niedergelegt. Albert liebte es, in

und zeichnete sich dabei nicht immer durch besonderen Taft aus. Dabei geriet er einmal auch an den großen Chirurgen Professor

Thiersch, der nicht nur durch seine operativen Leistungen son dern auch durch seinen sarkastischen Humor berühmt war. Thiersch dern auch durch seinen sarkastischen Humor berühmt war. Thiersch nahm einmal unter den Augen des königlichen Zuschauers einem Patienten ein Bein ab. Als er sich mit großer Präzision und Ele= ganz diefer Aufgabe entledigt hatte, fonnte der König sich nicht ent­halten, ein lautes Bravo!" in den Saal hinein zu schmettern. Da richtete sich der berühmte Chirurg straman auf, präsentierte die richtete sich der berühmte Chirurg stramen auf, präsentierte die Knochenfäge und sprach: Befehlen Majestät auch noch das

andere Bein?"

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Eine Antwort des Königs meldet die Historie nicht, doch wird

B.

sich hier noch ein ungeheures Betätigungsfeld. So hat beispielsweise ein Techniker drahtlose Wellen dazu benutzt, die Tür zu einer Auto­garage automatisch zu schließen oder zu öffnen. Eine französische Eisenbahngesellschaft bedient sich ebenfalls der drahtlosen Wellen, um die Namen der Eisenbahnstationen anzuzeigen, denen sich die auf einer Wellenlänge von 7500 Meter ihre Straßenlampen auto­Züge nähern. Die Stadt Glens Falls im Staate New York   zündet matisch an und schaltet sie auf demselben Wege wieder aus.

Anzünden nimmt 5, das Auslöschen 10 Sekunden in Anspruch.. Der Tod durch den brennenden Baum.

Das

Auf ganz eigenartige Weise sind in der Nähe von Leeds  ( England) sechs junge Studenten ums Leben gefommen, als sie sich mit dem Auto eines Freundes auf einer Studienfahrt durch das eng­lische Industriegebiet befanden. Durch Kurzschluß in einer Start­ftromleitung war an der Landstraße kurz hinter Leeds   ein Tele graphenmaft in Brand geraten. Dieser stürzte gerade in dem Augen­blic um, als der Wagen mit den sechs Studenten vorbeifuhr, er­

glaubhaft versichert, er habe bei der Frage des Chirurgen ein noch schlug den Chauffeur und setzte das Auto in Flammen. Es erfolgte weniger geistreiches Gesicht gemacht, als es sonst sowieso schon der

Fall war....

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Wieviel ,, richtige", Wiener gibt es?

Beschwerden sind bei uns eingelaufen in ganzen Stößen, von Berlinern" und von Wienern": Die Sache stimmt nicht, die ihr gestern abend mitgeteilt habt, ihr fönnt nicht rechnen! Es handelt fich um folgenden Tatbestand. Die Stadt Wein zählt 1861 685 Ein­wohner, davon ist nur eine Million in Wien   selbst zur Welt ge= tommen und das macht nicht 20, sondern 54 Proz. aus. Nun fragt es sich, ob unser Berichterstatter fich in den Zahlen oder in der Aus­rechnung geirrt hat. Wir, unfererseits, gestehen ein, daß wir wieder einmal dem Zwange zur Schnellarbeit zum Opfer gefallen sind, der beim Zeitungsmachen nicht nur Druckfehler in der Seßerei, fondern vorher schon Flüchtigkeitsfehler in der Redaktion erzeugt. Dieses mal hat es glücklicherweise nur schriftliche und telephonische Beschwer. den geregnet. Neulich aber ist ein Himmelkreuzschockschmerenot donnerwetter über uns niedergegangen, weil wir als Verfasser des Artikels Aufstand in der Wüste" in der Nummer vom

neten. Er war aber von Hermann Wendel   aus der schönen

eine Explosion, und ehe noch Hilfe herbeikommen konnte oder die Insassen den Versuch machen konnten, sich zu retten, war ihr trau­riges Schicksal schon befiegelt. Der eine der jungen Studenten stand kurz vor dem Abschlußeramen und war das einzige Kind seiner Eltern.

Die Liebe macht blind.

Ein Apotheker in Reims  ( Frankreich  ) hat die Wahrheit dieses Sprichwortes in verhängnisvoller Weise erfahren müssen. Er war heimlich verlobt mit einer hübschen jungen Dame, die ihn bisweilen in seinem Laden zu besuchen pflegte, wo die Liebenden die geschäfts­stille Zeit mit einem Plauderſtündchen angenehm auszufüllen wußten. Dies war auch einmal wieder der Fall, als ein eiliges Rezept an 3ufertigen war, und noch ganz im Banne der Unterhaltung mit der Angebeteten vengriff sich der Apotheker und fette dem Mittel an statt der vorgeschriebenen Menge tohlenfauren Natrons ein ähnlich aussehendes weißes Pulver zu, das aber ein start wirkendes Ratten­gift war. Die Patientin, die das Mittel einnahm, starb binnen vierundzwanzig Stunden. Da ihr Zustand feineswegs besorgnis­erregend gewesen war, konnte sich der Arzt den unglücklichen Aus.

12. April unseren Berliner   Freund Friedrich Wendel   bezeichy gang gar nicht erklären, bis ihn die Bergiftungserscheinungen auf Mainstadt Frankfurt! Das sei also jetzt feierlich festgestellt, denn auch unter Freunden behält man doch gern seinen alten Namen. Drahtlose Schaltung der Strassenbeleuchtung.

Niemand wird daran zweifeln, daß die Möglichkeiten, die uns die Erfindung des Rundfunks beschert hat, bisher nur zum fleinsten Bruchteil erfannt und verwertet worden sind. Der Technit bietet

den Gedanken brachten, den Rest der Medizin zu untersuchen. Es tamen nun zunächst die Verwandten der Toten in den Verdacht, sie beseitigt zu haben, um sie zu beerben. Während sie sich aber noch in der Untersuchungshaft befanden, legte der von Gewissensbiffen ge­folterte Apotheker ein rückhaltlcses Geständnis ab. Er wurde mit 6 Monaten Gefängnis und Entziehung der Konzession bestraft und muß außerdem den Hinterbliebenen feines Opfers noch 157 000 Franken Schadenersatz zahlen.