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Morgenausgabe

Rr. 203

A 103

45.Jahrgang

Böchentlich 85 Bfg., monatlich 3,000. in noraus zahlbar, Boftbezug 4,32 einschl Bestellgelb, Auslandsabonne ment 6- M. pro Monat.

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Der Bormärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, bie Abendausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Abend", Illustrierte Beilagen Bol und Zeit" und Rinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wissen", Frauen timme", Technit", Blid in die Bügerwelt und Jugend- Borwärts.

Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Sonntag

29. April 1928

Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.

Die einfpaltige Nonpareillegeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs mart. Aleine Anzeigen" das fettge brudte Bort 25 Pfennig( zulässig amei fettgebrudte Morte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Mort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Belle 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen annahme im Hauptgeschäft Linden Straße 3, wochentägl. von 81/2 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Donhoff 292-297 Telegramm- Abr.: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts- Verlag G. m.b.H.

Kampf Mai 1928.

Arbeiter, Angestellte und Beamte!

In diesem Jahre hat der 1. Mai eine ganz besondere! Bedeutung. Der Monat Maiist ein Kampfmonat!

Um 20. Mai soll die Entscheidungsschlacht geschlagen merden zwischen Rückschritt und Fortschritt Es sind nur noch wenige Tage, die uns von dieser Entscheidung trennen. Arbeiter, Angestellte, Beamte!

In eurer Hand liegt euer Schicksal und das Schicksal des Reiches und der Länder. Wir sind überzeugt, daß ihr euch tapfer schlagen und der Reaktion eine entscheidende Nieder­fage bereiten werdet.

Die Maikundgebung

wird der Auftakt zur Wahlschlacht sein. Wir ermahnen euch eindringlichst, zu dieser Demonstration in so gewaltiger Zahl zu erscheinen, daß schon jetzt die Feinde der organisierten Arbeitnehmerschaft euren entschlossenen Willen erkennen.

Auch an diesem 1. Mai demonstrieren wir für die gleichen unverrüdbaren Forderungen wie bei den früheren Rundgebungen.

Wir demonstrieren:

für sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt, für Ausbau der gesamten sozialen Gesezgebung, für gleiches und soziales Recht,

für Berkürzung der Arbeitszeit, insbesondere für Be­festigung des Achtstundentages,

für einen Lohn, der eine menschenwürdige Eristenz ermöglicht. für das Mitbestimmungsrecht im Betriebe und in der Wirtschaft,

für Anteilnahme der Arbeitnehmerschaft an den Gütern der Kultur,

für Bölkerverständigung und Bölkerfrieden, gegen Krieg und Kriegsrüstungen,

Arbeiter, Angestellte und Beamte!

Die großagrarische und industrielle Reaftion in Stadt und Land rüstet auf der ganzen Linie zu einem entscheiden­den Schlag gegen die organisierte Arbeitnehmerschaft. Ihr Ziel ist die Alleinherrschaft in Staat und Reich! Sie hat den Wahlkampf aufgenommen mit den Mitteln der Lüge und Demagogie, deren sie allein fähig ist. Sie will die un­Sie will die un­politischen und indifferenten Wählermaffen betören, um einen entscheidenden Einfluß in Regierung und Gesetzgebung zu erlangen. Das bedeutet, daß auch die letzten Errungenschaf ten der Revolution mit einem Schlage vernichtet werden.

Ist es wirklich noch nötig, euch, organisierte Arbeitnehmer, darauf hinzuweisen, mit welcher Brutalität das Unternehmer tum um des Profites willen jede Lohnerhöhung und Ber­fürzung der Arbeitszeit bekämpft? Mit welcher Rücksichts­losigkeit es fich dem kulturellen Aufstieg der Arbeitnehmer entgegenstemmt? Die wirtschaftlichen Kämpfe der Neuzeit reben boch mohl eine deutliche Sprache!

So steht die organisierte, flaffenbewußte Arbeitnehmer­schaft, nur auf die eigene Kraft gestützt, einer Welt von Feinden gegenüber. Sie fann die brutale Macht dieser Gegner nur brechen, wenn fie in lüdenloser Front einig

und geschlossen vorwärts marschiert.

Darum soll die Rundgebung am tommenden 1. Mai fein: eine Heerschau der organisierten Arbeitnehmerschaft. Allen Widersachern und allen Widerständen zum Trog foll fie den unbeugfamen Willen beweisen und sich fest entschlossen zeigen, in allen ihr aufgezwungenen Kämpfen zu siegen.

Arbeiter, Angestellte und Beamte!

Der 1. Mai ist euer Tag. Er ist der Ehrentag der gesamten Arbeitnehmerschaft.

Feiert ihn durch Arbeitsruhe!

gegen jede Reaktion in Politit und Wirtschaft und Erscheint in Massen zu der Kundgebung in Treptow und gegen jeden sozialen Rückschritt. erneuert bort euren Treuschwur an der gemeinsamen Sache, ber mir alle dienen.

Das Endziel aller unserer Kämpfe ist und bleibt: die Befreiung der Arbeiterschaft und der ganzen bedrückten und leidenden Menschheit vom Joche des Kapitalismus . Eine Gesellschaftsordnung, in der es nur gleiche und freie Menschen gibt, der Sozialismus!

Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund. Ortsausschuß Berlin .

Steinig und hart ist der Weg, der zu unserem Ziele führt, aber für uns gibt es nur ein

Vorwärts!

Allgemeiner freier Angestelltenbund. Ortsfartell Berlin .

Allgemeiner Deutscher Beamtenbund. Ortsausschuß Berlin .

Stichwahltag in Frankreich .

Die irrfinnige Parole Moskaus .

V. Sch. Paris , 28. April. ( Eigenbericht.) Die Boraussagungen der Bresse und des Innenminifteriums, die auf Grund der Bergichtserklärungen von Randidaten über die Busammensetzung des fünftigen Parlaments veröffentlicht werden, haben nur sehr bedingten Wert, denn in zahlreichen Fällen wird die Entscheidung vor allem davon abhängen, ob die tommunistischen Mähler vom vorigen Sonntag die irrsinnige Parole Mostaus be­folgen, oder ob es lediglich genügt, daß ein Teil dieser Wähler den gefunden Menschenverstand höher stellt als die Butschistendisziplin, um den Ausschlag zugunsten der Sozialisten gegen die Reaktion zu

geben.

Der Eindruck, den ich am Freitagabend in einer Bählerver fammlung auf dem Montmartre gewonnen habe, geht dahin, daß

die Kommunisten in vollständiger Berwirrung find. Der sozialistische Kandidat Montagnon benötigt bort in bem früheren Wahlkreis von Marcel Sembat nur ein Drittel der tommunistischen Stimmen, um den Nationalisten zu besiegen. Der größte Teil der 2000töpfigen Versammlung unterstrich mit stür­mischem Beifall die Ausführungen des sozialistischen Redners, der die verbrecherische Tattit Mostaus brandmarkte. Dann sprach in der Disfuffion der tommunistische Randidat Touzet. Er fante u. a. wörtlich: ,, Man verlangt hier von mir, daß ich zugunsten des Sozia Tiften zurüdirete. Warum ich das nicht tue, das werde ich Ihnen fagen: Ich habe nicht das Recht dazu, da meine Bartel bie Barole gegeben hat, die tommunistischen Kandidaturen überall auf rechtzuerhalten. Jeder im Gaal mußte aus diesen Worten ben Einbrud gewinnen, er möchte zwar gern, darf aber nicht; er fühlt gmar, daß es ein Bahnsinn ist, aber er muß sich Mostau fügen.

I

Weiter versuchte der Kommunist die Schuld auf die Sozialisten abzu wälzen, die die Einheitsfront" stets abgelehnt hätten. Jetzt hätten bie Sommuniften selber die Einheitsfront fatt und hielten ihre Kan­bibaturen aufrecht, um den sozialistischen Arbeitern eine Bettion zu erteilen. Wörtlich schloß Touzet seine Rede wie folgt:

,, Man beschuldigt uns, daß wir das Spiel der Reaktion treiben! ( Stürmische Zustimmungsrufe.) Nun

es mag fein, daß wir durch diese Taktik selbst dezimiert werden und die Sozialisten geschwächt aus der Wahl hervorgehen. Die nächste Kammer wird eine weiße Rammer, eine Rammer im Dienste des Kapitalismus sein, die die Arbeiterschaft niederschlagen und zusammenfartätschen wird. Das wird die Arbeiter später zum Nachdenken veranlassen!"

Der Einbrud dieser Ausführungen war für die Kommunisten einfach tatastrophal. Unter stürmischem Jubel der Versamm­lung forderte in seinem Schlußwort Genosse Montagnon die kommu­ nistischen Wähler auf, zu verhindern, daß eine solche weiße Ram mer" gewählt werde und nicht nach der Wahl, sondern nor her nachzudenken.

Der zweite Wahltag.

Paris , 28. April.

Der zweite Wahlgang ist in 425 Wahlbezirten nötig, da der 1. Wahlgang nur in 187 Bezirten endgültig entschieden hat. Wie beim ersten Wahlgang geht die Wahl von 8 Uhr vormittags bis 6 Uhr abends. An der Wahl find 88 Departements und zwei Kolonien, Guadeloupe und Coftinchina, beteiligt. Es stehen 286 Mitglieder der vorigen Rammer zur Stichwahl.

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Bostichedkonto: Berlin 37 586. Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkaffe Lindenstr. 3

29. April- 20. Mai.

Frankreiche und Deutschlands Schicksalstage.

Heute entscheidet das französische Bolt im zweiten Wahl gang über die Zusammensetzung seiner Kammer. Bon heute in drei Wochen wählen wir. So fallen in furzer Zeit in dem Raum zwischen den Pyrenäen und der deutsch - polnischen Grenze Entscheidungen, die für ganz Europa , für die ganze Welt von ungeheurer Bedeutung sind.

In dem Raum zwischen der spanischen und polnischen Grenze wohnen hundert millionen Menschen, Bürger zweier großer Republiken, die nach dem parlamentarischen System regiert werden. Frankreich und Deutschland bilden-- mit einigen fleinen Nachbarstaaten zusammen den großen Blod ber europäischen Demokratie. Weber der Faschismus im Süden, noch der Bolichemismus im Osten hat in ihn einzudringen vermocht.

Das demokratische Regierungssystem beherrscht den Kern des europäischen Kontinents. Seine Zukunft hängt davon ab, wie es sich mit den großen Problemen des Welt­friedens und des Sozialismus auseinandersetzen mird.

Die erste große Frage ist, ob die deutsche und die fran­ zösische Republit willens und imstande sind, den Frieden zu sichern. Sind sie im Willen einig, dann wird ihnen auch die Kraft dazu nicht fehlen. Deutsche und französische Sozialisten waren schon vor dem Kriege unermüdliche B tämpfer des Gedankens, daß Deutschland und Frankreic) dazu berufen sind, gemeinsam den Frieden unseres Erdteils zu behüten. Aber zwischen den beiden Bölkern standen die Berschiedenheit der Staatsformen und Elfaß- Lothringen . Die bürgerliche Republit Frankreich fonnte weder den Berlust ihrer Oftmart verschmerzen noch mit Wilhelm II . Freund schaft schließen. Heute ist Deutschland Republik wie Frank­ reich und es hat durch den freiwillig abgeschlossenen Vertrag Don Locarno auf jeden Gedanken daran verzichtet, das Elsaß noch einmal zum Streitgegenstand einer blutigen Aus einanderseßung werden zu lassen. Elsässische Wahlergebnisse, die nur eine innerfranzösische Angelegenheit sind, können an diesem Berzicht nichts ändern.

Der Gedanke, daß Frankreich und Deutschland zu­ſammengehören, ist vor dem Kriege und nach ihm von den Sozialisten propagiert worden. Heute hat er Millionen und aber Millionen Anhänger gewonnen, auch in Kreisen, die den wirtschaftlichen Auffassungen des Sozialismus ver­ständnislos gegenüberstehen. Als einige Zeit vor dem Kriege Genosse Hermann Wendel eine außenpolitische Reichstags­rede mit dem Ausruf schloß: Vive la France! Es lebe Deutschland !" da gerieten alle patriotischen Perücken ins Wackeln, die nationale Entrüftung überschlug sich. Heute aber haben die meisten schon begriffen, daß ein Franzose, der sein Frankreich , ein Deutscher, der sein Deutschland liebt, den Frieden und das aufrichtige Zusammengehen mit dem Nach barn wollen muß, um des eigenen Vaterlandes millen.

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Der Gedanke der deutsch - französischen Verständigung marschiert. Die Richtung ist gegeben, aber das Tempo der meiteren Entwicklung hängt in hohem Maße von dem Er­gebnis der französischen und der deutschen Wahlen ab. Je stärker drüben die Linke wird und je stärker in der Linfen die Sozialisten werden, desto rascher wird sich die Räumung des jezt noch beseßten Gebietes vollziehen. So gibt es feinen Deutschen , der nicht am heutigen Tag den Sieg der Linken und der Sozialisten wünschen müßte. Wenn unsere Deutsch­nationalen trotzdem ganz offen mit der nationalistischen Rechten Frankreichs sympathisieren und alle für die franzö= fische Reaktion günstigen Wahlnachrichten mit ungeheuchelter Genugtuung aufnehmen, so zeigen sie damit nur, daß ihnen an der Räumung des besetzten Gebietes gar nichts liegt, an der Erhaltung eines wirksamen parteipolitischen Agitations­stoffes alles.

Daß es nach den Wahlen zur Bildung von Links­regierungen in Paris und in Berlin fommen und alsbald dar­auf die Räumung des besetzten Gebietes erfolgen fönnte, das ist für einen Deutschnationalen ein richtiger Angsttraum. Darum hat man im deutschnationalen Lager schon am vorigen Sonntag jeden Erfolg der französischen Nationalisten mit einem hörbaren Seufzer der Erleichterung aufgenommen.

Was der heutige Tag in Frankreich bringen wird, wissen wir noch nicht. Wir wissen nur, daß das System, nach dem fich dieser zweite entscheidende Wahlgang vollzieht, uns nicht zur Nachahmung reizt. Unser eigenes Wahlsystem ist einiger­es gelingt, unter maßen reformbedürftig: aber wenn Wahrung der Verhältniswahl die Wahlkreise erheblich zu perkleinern und einen engeren Kontakt zwischen Wählern und Gewählten herzustellen, dann werden wir das best e Wahlrecht haben, das überhaupt möglich ist. Wir beneiden die Franzosen nicht um das Durcheinander ihres zweiten Wahlgangs, um die Unmaffe von Zufälligkeiten, Stimmungen, Tauschgeschäften und Umfällen, aus denen heute ihr Barlas ment hervorgehen wird, und sind der aufrichtigen Üleber­