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Bellage labrus 19busblo? 90Der Abend

Montag, 30. April 1928

Spätausgabe des Vorwärts

So wurde im Weltkrieg spioniert!

Der Fall des Russen Mjassojedow.

R. v. Keroftoweb, Mitglied einer feudalen Familie Alirußlands, Enfel eines Admirals, Sohn eines Generals, Neffe eines Botschafters, selbst Beamter im Außen ministerium, in der demokratischen Republik Sekretär des Ministers Miljutow, hat dem ersten Band seiner Erinnerun gen, der im Borwärts" besprochen war, die Forsetzung Lenin im Hause der Bäter" folgen lassen. Dieser intereffanten Kriegs- und Nachfriegsgeschichte Rußlands ent nehmen wir mit Erlaubnis des Berlages für Kultur politit" die folgende Darstellung des bedeutsamen und folgenreichen Spionagefalles Mjaffojedow.

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Der Fall Mjaffcjedom begann damit, daß Mjassojedom noch im Sabre 1912 Boris Suvorin, den Sohn des Redakteurs der Nowoje Bremja" zum Duell forderte und ihn auf den Rennen in Petersburg tötlich beleidigte, weil er Mjaffojedow in einem Artifel in der ,, Nowoje remja" geradezu des Verrats zugunsten Deutschlands beschuldigt hatte. Die Sache wurde vertuscht, Mjassojedom aber unter Beob achtung gestellt. Zur

Aufdeckung der Sache Mjafjojedow

einer gewissen in der Festung Kowno gefangen gehaltenen Antonina Redys, die in der Beruntersuchung ihre Spionagetätigkeit zuge­geben und ein riesiges Belastungsmaterial gegen Mjassojedom und seine Umgebung geliefert hatte.

Um die Beobachtung Mjafjojedows besser durchzuführen, murde ihm im Dezember 1914 im Stab des 10. Rorps eine Er­fundungsaufgabe gestellt, wobei sein Aktionsbereich durch das Dreied Pigwifchli- Mariampol- Bilfowischti begrenzt wurde, mit der Be­rechnung, daß sein Aufenthaltsort von der nächsten Post- und Telegraphenstation viele Werft entfernt sein würde, so daß er sich dieser mit feltenen Ausnahmen nur durch Boten bedienen fonnte. Zu seinem nächsten Mitarbeiter wurde ein gewiffer Düfterhof, ein erfahrener Beamter der Ochrano, ernannt. Dieser ließ, wie aus Bergeßlichkeit, Briefe, in denen er Mjassojedow in jeder Weise Lobte, auf feinem Tisch liegen, in der Hoffnung, daß Mjaffojedom fie lesen würde. Infolgebeffen war Mjaffojedom überzeugt, daß Düfter hof fein Freund sei, und er übertrug ihm die Beförderung seiner brieflichen und telegraphischen Korrespondenz. So wurde die

Berbindung Mjaffojedows mit seinen Komplizen in 84 Städten festgestellt, und in der Nacht vom 17. 3um 18. Januar wurden zahlreiche Verhaftungen in diesen Städten vorgenommen, wobei

über 300 Pud Korrespondenz beschlagnahmt wurden. Die Untersuchung wurde eilig betrieben. 3u jener Zeit waren in Rußland der innere Kampf und die politischen Leidenschaften schon entbrannt. Ueberall sah man Spione und witterte Verrat, an der Front wie im Hinterland. Die Deutschen schürten das natürlich. So erschienen an der Bfurafront in Polen , wo die ruffi­

plötzlich Plakate, die die Russen lesen konnten, mit einem Glück wunsch, daß morgen das 5. und das 22. russische Korps an eine andere Front übergeführt werden würden, und in der Tat tam am Abend aus dem Hauptquartier der entsprechende Befehl für die Ueberführung der beiden Korps, genau wie es in den deutschen Bla taten gesagt war.

führten zwei unbedeutende und miteinander anscheinend gar nicht zusammenhängende Umstände, die aber bei ihrer Untersuchung den Schlüssel zum Verständnis des ganzen Materials lieferten. Im Mai 1913 trat ein Referveunteroffizier des 60. Samoststi Infanterie­regiments, Anton Sduj, der in einem Ort an der deutschen Grenze lebte und ein Wandergewerbe betrieb, als Diener in den Dienst des deutschen Grenzfommissars in Thorn. Der Grenz tommiffar benutte ihn allmählich zu verschiedenen Aufträgen jenseits der Grenze, besonders um mit Lieferanten für die Betonanlagen der Festung Brest- Litowist in Verbindung zu treten. Wie Souj vor Geschen Schützengräben von den deutschen nur 60 Meter entfernt waren, richt aussagte, besuchten diese Lieferanten den Grenskommissar in Thern häufig in Begleitung eines russischen Offiziers und brachten thm Papiere mit. Als Sduj einmal das Zimmer des Grenzfommiffars aufräumte, entdeckte er auf dem Boden ein vom Tisch herabgefallenes Papier, das sich als ein geheimer Plan der Festung Brest Litowit erwies. Als Sduj aus dem Dienst des Grenz tommiffars ausgeschieden war, begab er sich nach Rußland und ent schloß sich, alles, was er gesehen hatte, zur Kenntnis des Kriegs: ministers zu bringen. Er befaß nicht genug Geld, um nach Peters­ burg zu reisen, arbeitete seher auf den Zwischenstationen als Wächter und rückte mit den verdienten Meinen Summen allmählich nach Betersburg vor. Ehe er aber dorthin gekommen war, berichtete er dem Kriegsminister brieflich eingehend über feine Erlebnisse und bat, ihn für weitere Erläuterungen nach Petersburg tommen zu laffen. Die Militärbehörden verhafteten Sduj und stellten ihn vor Gericht. Er wurde zu 20 Jahren 3wangsarbeit ver­urteilt, wegen feines freiwilligen Geständnisses aber begnadigt. Um die Lieferanten zu ermitteln, die den Grenztommiffar in Thorn besucht hatten,

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verhafteten die Behörden an einem Tage 480 Lieferanten in Brest - Litowit,

und Eduj erkannte bei der persönlichen Gegenüberstellung zwei Lieferanten Salzmann als bie, bie den Grenzkommissar in Thorn besucht hatten. Die beiden wurden bis zu der Gerichtsver handlung ins Gefängnis gefeßt, enttamen aber und wurden, wie sich später herausstellte, Lieferanten der Festung Kowno . Ungefähr zu derselben Zeit verhafteten die Behörden in Mama drei Brüder An= tajewitsch mit Beweismaterial, die durch einen Ernst Böhm, der in Beziehungen zu dem Sekretär des deutschen Kriegsministers stand, dem Grenzfommiffar in Illowo- Soldau, Richard Stopnit, Kopien der Pläne der gesprengten oder zur Sprengung bestimmten Forts der Festung Barschau überbrachten. Einer der Antajewitsch par bei der Boft- und Telegraphenverwaltung an der Strece Mawa- Barschau angestellt. Er übersandte dem Stopnik für fleine Summen alle Verfügungen der russischen Regierung über die Ser. fiellung oder die Beseitigung telegraphischer Verbindungen mit den zu errichtenden oder aufzuhebenden Festungen an der deutschen Grenze. Das Gericht verurteilte zwei und sprach den britten frei.

Bald nach der Bernichtung der Armee Samsonows im An­fang des Krieges fam am 17. Dezember 1914 zu unserem Militär, attaché in Stockholm , Oberst Ranbaurom, ein gewiffer Anton Rula. tomsti mit dem Paß eines Danziger Kaufmanns und erzählte ihm, er sei in Wirklichkeit Leutnant im 23. Nifomstischen Infanterie­regiment und bei Soldau gefangen worden. Als er dem Dolmentscher bes 20. deutschen Korps, Richard Stopnit, vorgeführt wurde, nahm ihn dieser unter seine besondere Obhut, und er zeigte sich bem Stopnit dadurch erkenntlich, daß er ihm die Stellen zeigte,

wo bei der Kapitulation der Samjonowschen Armee die Fahne des Ketsholmichen Regiments und ebenso die Stelle, wo die Kaffe des Msowskischen Regiments vergraben worden waren. Allmählich bereitete Stopnit ben Rulatowfti auf eine Spionagetätig teit vor, und schließlich fchickte tie vorgefeßte Behörde Stopnits thn nach Petersburg , Kolofolzoja 11, der Wohnung Mjaffojedows und seiner Frau Goldstein. Unter anderem behauptete Rulatomski Kandaurow gegenüber, baß ein Plan zur Ermordung des Großfürften Nitolaj Nikolajewitsch aufgestellt sei und die mit seiner Ausführung beauftragten Bersonen wohl schon nach Rußland geschickt worden feien. Kanbaurom schickte Rulatomfti nach Petersburg , wo er beobachtet wurde. Gleichzeitig wurde die Beobachtung Mjaffojedows und feiner Umgebung verstärkt. Kula tomiti behauptete ferner, daß seine Miffion auch mit der Spren gung der Weichselbrüden und der Spionage in der Festung Nowogeorgie mit zusammenhänge.

Außer dem tatsächlichen belastenden Material wurden Mjaffo jedom fpäter Tatsachen zur Last gelegt, die mit der Sache un­mittelbar nichts zu tun hatten, beispielsweise, daß er 16 aus­ländische Drben, hauptsächlich von jetzigen Feinden, aber nicht

einen russischen Orden befize. Das Kriegsgericht wurde am 11. März 1915 von dem Intendanten der Festung Warschau , General Tur. bin, unter dem Vorsiz des Kommandeurs des 1. Turfestanischen Regiments, Sergei Lutirsti, gebildet, und am 18. März begann das Gericht über Mjaffojedom mit der Anklage der Spionage fowohl vor dem Kriege als auch während desselben sowie mit der Antlage wegen Plünderung. Die Plünderung gestand Mjaffojedom ein. So hatte er in Tilfit Sachen gestohlen, insbesondere Gedenktafeln der Zusammenkunft der Monarchen in der Napoleonischen Zeit, ferner zu Kriegsbeginn aus vielen deutschen Städten Sachen mitge­nommen,

besonders aus dem Jagdhaus des Kaiser Wilhelm in Rominten. Der Spionage aber bekannte er sich nicht schuldig. Das Gericht verurteilte ihn zum Tode.. Mjassojedom versuchte sich erst mit der Feder seines Kneifers und dann an einer scharfen Borzellanfante in der Loilette der Festung, in die man ihn unter Bebedung bis zur Bollziehung des Urteils gebracht hatte, die Kehle durchzuschneiden. General Turbin teilte das Urteil telegraphisch dem Oberstkommandierenden mit find bestätigte es.

Mjassojedow wurde, da er sich wehrte, auf eine Bahre gebunden, nach einem Fort gebracht und mit einem Cape bededt gehängt. Später hörte ich die Ansicht vertreten, Mejaffojebow jei ein Opfer der Stimmung der Oeffentlichteit gewesen, die Ver­geltung und Schuldige für die Mißerfolge des Krieges forderte, und man habe ihm vor Gericht nicht einmal einen Berteidiger zuge­standen. Doch hat das Kriegsgericht nach dem Gesez weber Ber­teidiger noch Staatsanwalt.

Weitere Prozesse führten zur Hinrichtung von acht der Mit­beteiligten und zu lebenslänglicher Zwangsarbeit für andere, bie aber später begnadigt wurden. Da Mjassojedow der Liebling und Protegé des Kriegsministers Suchomlino w war, hatte diefe: Spionagefall auch den Sturz des Ministers zur Folge. In der Re­publif wurde gegen Suchomlinom jener große Prozeß geführt, der viel Aufschluß über die Entstehung des Weltkrieges gebracht hat. Suchomlinom selbst, der im Zarenrußland als einer der fähigsten Heerführer gegolten hatte, lebte dann als Emigrant in Berlin , mußte sich durch. Kleben von Pappfartons fümmerlich erhalten und ist hier bettefarm gestorben.

Das Wunder der Lebenskraft.

Ein Vortrag von Professor Hans Driesch .

Im letzten Jahrzehnt vorigen Jahrhunderts begann der damals fünfundzwanzigjährige Naturwissenschaftler Hans Driesch mit See igeleiern zu experimentieren. Wie das Ausgangsstadium jeder orga nischen Entwicklung, find auch die Seeigeleier zuerst Einzeller. Diese eine Belle zerteilt sich; es entstehen zwei Belfen, aus den zweien werden vier, aus den vieren acht, bis schließlich die Zahl von etwas über tausend Zellen erreicht ist. Diese Zellen sind dann wie die Oberfläche einer Kugel um einen Hohlraum angeordnet, der mit einer Mischung von Seewasser und Eiweiß gefüllt ist. Driesch bemühte fich nun, einzelne Zellen zu isolieren. Zuerst trennte er die Zellen im zweizelligen Stadium voneinander. Später schaltete er aus dem vier- und achtzelligen einzelne Zellen aus, vertauschte die, Zellen mit­

einander. Aus der Zellkugel mit über tausend Zellen trennte er einzelne beliebige Stückchen heraus, bis zu der Summe von etwa 750 Zellen. In jedem Fall schritt die Entwicklung des Eies ruhig fort. Es entstand eine normale Seeigellarve und später ein nor­maler Seeigel von etwas geringerer als normaler Größe. Dann machte Driesch einen anderen Versuch: er verschmolz zwei Zellkugeln zu einer. Das Ergebnis war im Grunde dasselbe. Wieder ent­wickelte sich ein durchaus normaler Seeigel, diesmal aber von un­gewöhnlicher Größe. Andere Forscher wiederholten das Experiment an anderem Material, u. a. an Molcheiern, und kamen dabei zu den gleichen Ergebnissen.

Damit hatte die von den Naturwissenschaftlern Roug und Weißmann gestützte mechanistische Entwicklungslehre einen schweren Schlag empfangen. Die beiden Forscher hatten am Froschei experimentiert. Tatsächlich war hier, als eine der beiden ersten Zellen mit einer heißen Nadel getötet wurde, aus der anderen eine halbe Froschlarve und später ein halber Frosch entstanden. Daraus hatte man geschlossen, daß die Struktur des Ganzen, wenn auch so flein, daß fie mit dem besten existierenden Mitroftop nicht erkannt werden fann, gewissermaßen in der ersten Zelle schon in der Anlage enthalten sei. Die Zellteilung hätte dann also nur das allmähliche Ausbreiten, das Bachsen" dieses von Anfang an Borhandenen be­deutet. Driesch, der mit seinem Experiment ursprünglich durchaus dasfelbe zu beweisen gedachte, wurde durch den unerwarteten Aus­

Die Beobachtung Mjaffojedoms dedte nicht nur eine tompro mittierende hochperräterische Rorrespondenz, sondern auch sein un moralisches Privatleben auf. Ein Teil der Rorrespondenz war chiffriert. In den Briefen feiner Geliebten, Eugenia Stol bina, fehrte öfter die Wendung wieder, daß fie fein für duntle Geschäfte" erhaltenes Geld ablehne. Ferner stellte sich heraus, daß Mjaffojedom auch der Organisator der Gesellschaft für die Aus wanderung nach Amerita ,,, Nordwestliche Dampfschiffahrt", war, Die ihren Sitz in Libau hatte und über große Mittel verfügte. Untergang zu ganz anderen Erkenntnissen geführt. Wäre eine Urstruktur ben Hauptmachern dieser Gesellschaft waren offenbar mit Spionage in der ersten Zelle vorhanden, so müßte die Halbierung der Zellen

Don Zellen die tollsten Abnormitätenbildungen herbeiführen. Da aber jedesmal ein Tier von durchaus normalen Proportionen ent stand, wurde die Annahme hinfällig.

Driesch schloß daraus, daß jenseits der chemisch und physikalisch zu erfassenden Borgänge in der organischen Entwicklung noch ein anderer Faftor tätig sei: die Lebenstraft, die ordnend und zielstrebend waltet. Weshalb das Froscherperiment scheinbar das Gegenteil bewies, flärte sich später auf. Das Protoplasma im Froschei ist dick und schwerflüssig und bleibt infolgedessen nach der Tötung der einen Zelle unbeweglich in derselben Lage, als ob dieſe andere Zelle noch lebe. Infolgedessen entwickelt sich tatsächlich nur ein halber Frosch. Dreht man dagegen die überlebende" Belle um 180 Grad, so daß das Proloplasma in Bewegung tommt, fo erhält man einen ganzen, normalen Frosch.

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Damit war endgültig der Beweis erbracht, daß die mechanistische Entwicklungstheorie, zu deren bedeutendsten Vertretern Weißmann und Rug gehörten, falsch war. Was allerdings die von Driesch an­genommene Lebenskraft" eigentlich darstellt, läßt sich bis heute nicht sagen. Professor Driesch, der in der Berliner ärztlichen Ger fellschaft für Parapsychologie" jeßt einen Bortrag über Leben, Tod, Unsterblichkeit" hielt, betont selber, daß wir uns mit der De­finition der Lebenskraft" vorläufig auf dem Boden der Hypothesen bewegen. Nur die wissenschaftliche Forschung, die Bereitschaft, jede Annahme zugunsten einer wirklichen Erkenntnis umzustoßen, fann uns hier in der Erkenntnis weiterbringen. Was der Tod ist, wissen wir heute ebenso wenig, wie, ob es eine Unsterblichkeit der Lebens­fraft gibt. Natürlich ist hier Unsterblichkeit" nicht im Sinne der Religionen zu verstehen, sondern es geht dabei um die Frage, ob es eine gemeinsame Lebenskraft des ganzen Universums gibt, die nicht durch das Sterben einzelner Individuen vermindert werden oder verloren gehen fann. Infuforien sind ebenso wie die Geschlechter­reihen in ihrer natürlichen Entwicklung ja anscheinend unsterblich. Das Geschöpf, ohne Frage ein Teil zweier vor ihm lebenden Ge schöpfe tann sich von Generation zu Generation fortpflanzen. Die Infusorien vermehren sich durch Teilung. Aber noch nie hat man wahrgenommen, daß ein Teil ,, starb".

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Wie die Probleme der Lebenskraft", des Vitalismus" mie man sie wissenschaftlich nennt die heutigen Gelehrten interessieren, zeigte der unerwartet zahlreiche Besuch der Versammlung. Der große Saal im Vereinshaus der deutschen Ingenieure war buchstäblich bis auf den letzten Stehplatz gefüllt.

Tes.

Unser neuer Roman

Der Sprung über den Schatten

Von Karl Schröder

befaßte Benjonen. In dieser Zeit fällt auch der Selbstmord in jedem Stadium ein halbes Tier ergeben und jede Bertauschung beginnt in der nächsten Nummer des» Abend»!