föeilage Donnerstag 3. Mal 192S
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Erinnerungen einer Liliputanerin Artistin, aber auch gute Hausfrau!
Mit dem Namen.Liliputaner� bezeichnet man ungewöhnlich kleine Menschen, die auch, wenn sie voll ausgewachsen sind, nur die Gröhe von Zwergen haben. Viele von diesen kleinen Leuten gehen zur Well der Artisten und Z i r k u s l« u t e, um sich durch Schaustellen ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und häufig genug zeigen sie als Turner, Seiltänzer, Akrobaten usw. eine erstaunliche Geschicklichkeit. Der biologischen Forschung ist es bislang nicht gelungen, die eigentlichen Gründe für die zurückgebliebene Entwicklung dieser Zwerge unter den Menschen zu finden. Natürlich gibt es z. B. in Afrika primitive Zwergrasien, die weit weg von allen anderen Menschen tief im Urwald hausen und von den übrigen Negern wegen ihrer heimtückischen Kampfweis« mit vergifteten Pfeilen auherordent- lich gefürchtet werden. Manche Aerzte meinen, daß der kleine Wuchs von bei uns vorkommenden.Liliputanern" wahrscheinlich auf zu starke oder zu schwache Entwicklung der Schleim» d r ü s e n zurückzuführen ist. Liliputaner heiraten zumeist untereinander, doch gibt es auch, allerdings sehr selten, Ausnahmefälle. Di« nur S8 Zentimeter groß« Liliputaneria Frau Meyer, ein« bekannte Artistin, heiratete vor 25 Jahren in Amsterdam den Tierbändiger Wilhelm Meyer. 5f>r Gatte ist 1,65 Meter groß, von normaler Statur und kräftig gebaut. Dem ungleichen Paar wurde eine Tochter geboren, die heute 24 Jahre alt ist. Ein hübsch gewachsenes Mädchen von normaler Größe. Kürzlich hat die kleine Frau Meyer dem Berichterstatter der englischen Zeitschrift Tit-Bits allerlei aus ihrem Leben erzählt. Wir haben dieselben Gefühle wie andere Menschen! Auf die Frage, ob Liliputanerinnen lieben können, ant- wartete sie: „Selbstverständlich. Wir Liliputaner haben in beziig auf Lieb« dieselben Gefühle wie andere Menschen. Mit 18 Iahren trat ich als Zwergakrobatin in Düsseldorf auf. Ich zeigte mich im Heben von Gewichten. Schon im Alter von drei Iahren wurde ich in dieser Kunst ausgebildet. Bald tonnte ich Gegenständ« im Gewicht von 16 Pfund heben, und spckterhob ichohneMühedasDrei- fache meines eigenen Körpergewichtes. Vater und Mutter waren Artisten und so kam auch ich zu diesem Beruf. Ich möchte besonders darauf hinweisen, daß meine Eltern und auch meine Groß, und Urgroßeltern Menschen von normaler Größe waren und es früher in meiner Familie überhaupt keine Zwerg« gab. In Düsseldorf lernte ich Wilhelm Meyer, einen Löwenbändiger, kennen, der bei einer anderen Truppe tätig war. Wir lebten im gleichen Gasthof. C�r war ein hübscher Mann, von gutmütigem Wesen und beherrschte 7 Sprachen. Ich redete 6 Sprachen. Wir wurden Freunde und schließlich hielt er um meine Hand an. Ich war natürlich etwas erstaunt und fragt« ihn, was er an mir fände. Er
Herr und Frau Meyer und 7 achter. ober sogt«, daß meine Kleinheit ihn gar nicht störe, und er mich so recht von Herzen lieb hätte. Wir heirateten und ich habe es niemals bereut. Seit 2 5 Jahren sind wir vereint und nicht «in einziges Mal hatten wir Streit. Mit 18 Iahren ging ich die Ehe ein. Ich gab meinen Beruf auf und lebte nur noch als schaffende Hausfrau für meinen Mann. Ich kochte und wusch, und machte alle Haus- arbeiten. Aber es zog mich in das Artistenleben zurück. Ich ver- suchte es mit Erfolg als Schlongenbändigerin. Wir bereisten als Artisten viel« Länder der Welt. Da ich aber merkte, daß ich der Geburt eines Kindes entgegensah, so kehrte ich in meine holländische Heimat nach Amsterdam zurück. Ein Baby, das Aussehen erregt. Bier Monate vor der Geburt meines kleinen Mädchens lieh ich mich im Wilhelminia-Hospital zu Amsterdam aufnehmen. Sogleich fand ich das Interesse vieler Aerzte in Holland und im Ausland. Noch nie in der Geschichte der Menschen hatte eine Zwergin einem normalen Manne«ine Kind geboren. Mein sehnlichster Wunsch war damals, daß mein Baby als normaler Mensch geboren und sich später als solcher entwickeln würde. Am Tage d» Geburt waren viele Aerzte und Gelehrte herbei» gekommen. Man zeigte mir das Baby. Es war ein 12 Pfund schweres Mädel und so groß, daß iches kaum im Arm halten konnte. Zuerst habe ich damals gleich die Finger der Kleinen untersucht. Sie waren ungleich lang. Dq wußte ich, daß mein Mädel keine Liliputanerin«erden würde, denn bei Babys von Zwergen find die Finger all» gleich lang. �
Das Baby wurde von der gesamten medizinischen Welt be- wundert. In der Taufe erhielt es den Namen Frieda. Durch meine dauernden akrobatischen Uebungen von Jugend auf hatte ich überaus starke Muskeln. Im Alter von 20 Iahren konnte ich. trotz meines kleinen Körpers, 90 Pfund heben. Mein kräftiger Körper, so sagten die Aerzte, hat mich bei der Geburt meiner Tochter gerettet. Ich wurde bald wieder ganz gesund. � Als Frieda heranwuchs, wurde auch sie Artistin. Sie ist ein schönes Mädchen mit hellblonden Haaren und blauen Augen. Sie hat dann ebenfalls einen Artisten geheiratet. Heute bin ich Groß» mutter und sicherlich wohl die klein st e Großmutter der Welt Viel habe ich im Leben gesehen. Zuerst reiste ich als Kind mit Barnums Zirkus. Bornum, den Besitzer, habe ich stets für einen der tüchtigsten Menschen aus der Erde gehalten. Wir lebten im Zirkus wie eine groß« Familie. Der alte Bornum war streng, ober immer ein guter Dater für uns alle. Als ich 12 Jahre alt war, wurde er begraben. In meinem Familienleben bin ich vollkommen glücklich. Ich
mache' mit Vergnügen meine ganze Hausarveit genau so wie jede normal gebaute Frau. Im Essen haben mein Mann und ich den gleichen Geschmack. Das ist sicherlich ein Grund, daß wir so gut übereinstimmen. Ich bin auch im Kochen außerordentlich tüchtig. Körperlich reiche ich nicht an die Größe anderer Menschen heran, aber geistig fühle ich mich ihnen vollkommen ebenbürtig. Ich lese gern gute Zeitschriften und Bücher. Ich bin sehr musikalisch und habe«ine große Vorliebe für Tiere. So bin ich also in vieler Be» ziehung wie jeder normale Mensch. Ich bin imstande, alles zu leisten und zu tun, was andere Menschen vollbringen. Mein Geist war immer sehr rege und ich habe es unter anderem auch verstanden, durch zielbewußte Arbeit mir Geld zu ersparen. Ich liebe den Tanz nicht, aber ich schwärmte immer für Ertüchtigung des Körpers durch sportliche Uebungen. Gern habe ich hübsch« Kleider, aber ich benutz« keine besonders konstruierten Kleinmöbel wie z. B. die Liliputaner Tom Thumb und Mrs Warren. Ich benutze zum Sitzen einen ge< wöhnlichen Stuhl, schlafe in einem richtigen Bett und koche an einem gewöhnlichen Herd, wobei ich allerdings auf einem Stuhle stehe. Vom Leben glaube ich, daß es ist, wie man es sich selbst macht Alles hängt von der eigenen Persönlichkeit ab. Ich ziehe es vor. mit mein Leben glücklich zu gestalten." Im Werdegang dieser Liliputanerin, die sich ihre Gleickiltellunj mit anderen, normal gewachsenem Menschen durch zähen Willen«r> kämpft hat, muß man die Energie bewundern. David konnte schar den Riesen Golialh besiegen. Die kleine Frau Meyer hat im schwerer Lebenskampfe sicherlich auch einen schönen und verdienten Sies davongetragen.
Zm albanisch-siidslawischen GrenWbiel. Wenn die beiden Nachbarn sich streiten
Am Sonnabend vor Pfingsten vorigen Jahres erfuhr ich in S i u t a r i. daß Südflawien die diplomatischen Beziehungen zu AI » banien abgebrochen hatte, weil die Regierung in Tirana den ver- hafteten Dragoman Djuraskowitsch von der südslawischen Gesandt- schaft nicht freigeben wollte. Am Pfingstsonntag hieß es, die Grenze sei gesperrt. Da ich Eile hatte, nach Deutschland zurückzukehren, es aber unsicher war, ob das Dampferchen über den See nach dem südslawischen Rjeka am Nordufer am Montag werde fahren dürfen — auch das Können war nicht gewiß, zumal von den zwei Motor- booten das eine havariert, das andere in Reinigung begriffen war—, galt es. sich nach einem Auto umzusehen, das uns nach Südflawien zurückbrächte. Andernfalls hätte man sehen müssen, die Bojana hinunter nach S. Giovanni di Medua zu kommen, um da auf das Schiff zu warten, das bestenfalls in einigen Tagen dort anlegen würde... Nach langem Suchen, bei dem mir ein sächsischer Boutechniker, der dort unten lebte, wacker half und wozu auch eine Sitzung in einem höchst einfachen albanischen Kaffeehaus— Kasana noch aus türkischer Zeit geheißen— gehörte, war ein Fordfahrer festgemacht, südslawischer Bürger, dessen Bruder von der Grenze uns weiter» befördern würde. Unsere Pässe, die wir hatten abgeben müssen, bekamen wir dank einem albanischen Schuldirektor noch am Pfingst - sonntag zurück. Dieser Albaner war als junger Mensch, wie so mancher albanische Notabelnsohn, in der Vorkriegszeit von Albaniens damaliger Schutzmacht Oe st erreich dorthin zur Ausbildung ge- holt worden, hatte ein Gymnasium in Niederösterreich besucht, und als meine dortigen Freunde von meinem Reiseplan erfuhren, mußte der Lehrer jenes Albaners mir einen Empfehlungsbrief an ihn mit- geben, der mir viel genutzt hat. Es war nicht ganz leicht gewesen, Herrn S. zu finden, zumal wir seine Adresse nicht hatten und unser Slawisch in„Schkoder" wenig verstanden, noch weniger gern ge- hört wurde. Das stammt mindestens von der sehr harten Herr- schaft der Montenegriner nach dem Abzug der Oesterreicher am Weltkriegsende, aber auch daher, daß in Südslawisch -Mazedonien mehr Albaner als in Albanien leben und es schwer genug haben. Die jahrelange schwarzgelbe Okkupation unter dem Doppcladler, der Albaniens Wappentier ist, hat neben den Silberkronen, die noch vor einem Jahr das gebräuchlichste Geld waren, doch noch einige Brocken Deutsch hinterlassen. An der Ruine der großen Kaserne las man auch noch über einer Tür: ,K. u. k. Unteroffiziers-Aspiranten-Kurs". Pfingstmontag ging's los. Nicht allzuweit, denn schon an der Stadtgrenze war wieder einmal Paßkontrolle. Aber dann konnten wir ungestört weiter aus der breiten, schlechten, gleisigen Straße in die grüne Ebene hineinsausen, in weitem Bogen reckts um den See herum und weiter rechts, im Osten, immer die Kahlberge, über denen von weit südöstlich weiße Schneefelder herüberleuchteten. Links auf der anderen Seite des Sees das kahle Bergmassiv des Tara- b o s ch. um den im Baltankrieg die Montenegriner so viel Blut ge- opfert haben, und hinter ihm nach Norden zu. lauter kahle Berge. entwaldet, kaum wiesentragend. Wir begegnen albanischen Bauern, die einen Hammel oder eine Ziege nach Skutari treiben, und überholen immer mehr Bewaffnete in ärmlicher albanischer Tracht oder schäbigst-abgerissener Zioilkluft. Es sind, wie unser Fordmann sagt. Landstürmergrenzschutz. Das reguläre Militär ist feldgrün uniformiert, morgens hatten wir seine italienischen Trompetenrufe gehört. Unterwegs noch ein paarmal Neugier nach unseren Pässen, endlich— nach etwa 1K Stunden, da wir durch kleine Nadelholzgebüsche fahren— Haft vor einem allen türkischen Wachturm, einer Kula, die seitwärts etwas erhöht steht. Die Kontrolle ist beendet, drüben steht das ablösende Auto aus Podgoritza . Der Gendarm hilft uns, die Sachen hintragen.„Auf Wiederschen! Gute Reise!" Eine ganze Weile fahren wir durch die ossenbar neutrale Zone. Dann steigt die Straße, ein paar Häuser— der südslawische Grenz- posten, Gendarmen in grau. Der einsame Gendarm, der uns freund- lich mit„Doberdan!"(Guten Tag) begrüßt, ist ein ällerer Mann, der ganz gut deutsch spricht. Wahrscheinlich als„Bosniak" im Habsburgerheer gedient oder als Montenegriner in Oesterreich oder Deutschland erdarbeitend, vielleicht auch damals schon als Grenzer deutsch gelernt. Er hat die Backe geschwollen, klagt auf unsere Frage über fürchterliche Zahnschmerzen, wir geben ihm, da wir nichts Besseres haben, ein Pyramidon und ein paar der so billigen albanischen Zigaretten und fahren unter seinen Dantesworten weiter. Dann wieder weite Ebene und zwei massive einstöckige Häuser mit einer Art Steinumwallung: der Grenzposten Tust. Hier sind schon Soldaten und ein Offizier in weißer Sommerbluse mit goldene»
Achselstücken und weißer Mütze. Er spricht nicht deutsch, abei Tschechisch-Polnisch-Serbisch geht auch, zumal einer der Soldatei ziemlich Deutsch kann. In Tust war der zuständige Grenzpolizei, beamte längere Zell nicht zu finden, wir verloren viel Zeit. Dam aber ging's flott weiter zwischen zum Teil zerschossenen Weiler» und wogenden Feldern nach Podgoritza , der größten Stadl Montenegros mit ihren 18 000 Einwohnern. Ein Bähnchen geh! von da an den See hinunter. Wir kommen gegen Mittag an. Ir der Bank, wo ich einen der letzten Hundertmarkscheine wechseln muß alles auch deutsch. Im Hotel, wo wir uns sättigen, ein Kellner, dei in Wien gearbeitet hat. Noch am gleichen Tage fuhren wir im Postautoschwitzkasten mil Begleitgendarm bis Rjeka, unterwegs durch Rettung aus Zigaretten not dicke Freundschaft mit einem echten montenegrinischen Vladik« in der schönen Nationaltracht, verstckrkt durch Kölnischwasserhilfe füi seine fast seekranke bleiche Frau, bekräftigt durch mehrere„Turkiska ' (türkischer Kaffee) und.Llekowitschka"(doppelt gebrannt« Pflaumenschnaps) auf Hallepunkten: ab Rjeka in einem Ford.�nr einem orthodoxen graübärttgen Popen, der sich zum Chaufteur>setz und mit uns nicht spricht— wer weiß, was der von der zentral möchtlichen Okkupation erlebt hat, vielleicht ist er übrigens Russe— nach Ce t i n j e hinauf, noch im sinkenden Abend durch die Kask- berge und über des Lowtschens steile Kehren hinunter nach Kotoi (Cattaro ), ein Telegramm an den„Vorwärts" über die Situation im Grenzgebiet abgeschickt und nachts auf einen Frachtdampser, un> nicht bis 3 Uhr früh auf den Solondampfer warten zu müssen. Jrv Begriff, schlafen zu gehen, höre ich meinen Namen rufen— di« Telegraphistin besucht mich, um sich zu überzeugen, daß ich berechtigt sei, ein verbilligtes Pressetelegramm abzusenden. Die Bezeichnun« „Redakteur" im Paß genügt der Behörde, imponiert aber den Käser« und Kriechtieren nicht, die die einzige Passagierkabine des Fracht- Kämpfers gewohnheitsrechtlich bewohnen. Um 8 Uhr früh in Ragusa , um 9 Uhr mit dem prachtvollen .Larageorg" weiter, tags darauf mittags in Suschak am Nordend« der Adria , drei Stunden später mit der Bahn los nach 16 Stunden in Wien . Wir waren von Skutari über vier Tage und drei Nächt« unterwegs gewesen und hatten noch weitere 14 Stunden bis nacf Berlin . r. dn.