Beilage
Freitag, 4. Mai 1928
АНГИНА ЯЗОВ ФИ Der Abeno AH ME
Spalausgabe des Vorwärts
Biffembourg.
Schnellzug Wiesbaden - Straßburg . Im ehemaligen Weißen burg eine geschlagene Stunde Aufenthalt. 3oll- und Baßrevision. Unter einer Stunde ist das Geschäft nicht zu bewältigen, meldet bas Kommissariat. Man öffnet seinen Koffer, zeigt seinen Baß, und dann zerstreut sich das D- Zug- Bublifum in die Stadt. Die tönnte genau so gut rechts des Rheins irgendwo stehen, bei Lahr , Emmen. dingen oder Freiburg . Hohe Häusergiebel, Fachwerkbauten, alte Kirchen, Wirtshäuser und Apothefen à la Hermann und Dorothea " sder Osterspaziergang" im Faust". Die Leute auf der Straße sagen sich„ Grüeß Good" oder„ Bon jour", mie's gerade trifft. Im Gasthaus wird zu jeder Tageszeit ein Schoppen getrunken. Sollbeamie, Bauersleute figen umher. Auch ein französischer Beamter mit goldener Berlode an der Uhrfette, weißen Gamaschen über den etwas ramponierten Schuhen, nimmt sein Frühstück ein. Die Wirtin faust im Galopp zwischen den Nationen hin und her:
Wollet Sie Rühreier mit Jambong? Oder Jambong pur?"
Straßburg ift jahrelang die Stadt unserer Sehnsucht" gewesen. Als Festungsbefagung Straßburg " und später als 7. Armee" träumten mir im dicksten Feuer zwischen Mülhausen und Mezz unablässig von der wunderschönen Siadi", von den Straßburger Mädchen und von dem Elsässer Wein. Bier Wochen freisten wir unentwegt um den Münsterturm herum, von Kolmar nach Schlett stadt , nach Schirmegg, nach Weill , nach Thann ; dann warf uns ein barter Griff des AOR. in die Lothringer Schlacht. Dort ist uns die Sehnsucht nach Straßburg mit Feuer und Schwert ausgetrieben worden.
Rein Bunder, daß unsereinem das Herz mächtig unter der Jade Klopft, wenn man nach einem Dugend langer Jahre wieder mal die alte Stadt betritt. Nichts hat sich geändert als die äußere Faffade. Die Garnison läuft blaugrau statt feldgrau angestrichen durch die Straßen. Die Zeitungen erscheinen mit pruntenden Namen La République"," Dernière Nouvelle de Strasbourg". Die Brauerei Schützenberger heißt jest„ Brasserie Schützenberger Père et fils". Das Hotel Rotes Haus Maison rouge" und das afte Sentralcafé„ Grand Café de la paix"( das Große Friedens café). Uebrigens nicht der schlechteste Name, der sich bei einer folchen Generalumbenennung finden läßt.
Bei Balentin.
Ich effe bei Balentin( sprich Balantäng) zu Mittag. Während bes Krieges speiste hier der Generalstab des AOK. 7 und die Ausfefe der Etappe der schlafenden Armee", wie man die elfäffische Front damals hieß. Ein herrlicher Anblick, der am Austommen ber Autonomistenbewegung zweifellos nicht unbeteiligt war. Der Kellner bringt mir zum Hors d'hoeuvre" einen ganzen Wagen non Vorspeisen angefahren; eine erlejene Tafelrunde, ein Herr nit dem roten Bändchen der Ehrenlegion im Knopfloch. Lauter vornehme Herren und Damen sigen nebenan. Ich tagiere auf Lyon oder Marseille oder gar Paris und strenge mich beim Essen an, möglichst forreft zu sein. Plötzlich steht der Mann mit dem„ Ruban rouge" auf, läuft zum Fenster und trompetet im echten Elsässer Dütfch: stasid „ Mache mer doch e Fenschter auf, da häft's ja fei Sauu aus bei der Hitz'."
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Bilhelm und Poincaré.
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Ein schmaler Flußlauf durchläuft die Stadt. Man geht am Ufer entlang jezt fagt man Quai . Brave Bäscherinnen arbeiten unter den Türmen des Straßburger Münsters, Fischer fahren mit ihren Netbooten hin und her. Alles hat den lebens. fanften Ton von früher. Nur am offiziellen Viertel der Kaiser, Stadt" stoßen sich Wilhelm und Poincaré. Dieses Viertel der nfte Raiserpalast, Universität, Hauptpost und ihre Straßenzüge ift der guten alten Stadt Straßburg aufgepiropft. Das haben Fremde gebaut. Kein Mensch. der Dütsch spricht, baut solche schnur. geraben, breiten Straßen. Und die Franzosen , fehe ich sogleich, haben die Stadt auch nicht erobert. Ich meine nicht, daß fie bles guntze notwendige und graufig langweilige Viertel hätten abbrennen müffen; fie sprechen ja selbst kein Dütsch. Aber sie hätten ble beiden Landsknechte oben vom Kaiserschloß herunterholen tönnen. Diese belden mastierten Kerle dort oben: im Frieden, im Krieg, und jeßt find sie schauerlich. Das ist verlegenes Mittelalter, Sang an Aegir, dilettantisch und geschmadlos. Man baut hochmoderne, induftrielle Straßen und fest zwei Landsknechte mit Bluderhosen und Bratenspieß auf das Hauptgebäude, zwei Kerle wie Rinoportiers.
Ein paar hundert Schritt weiter haben die neuen Herren eingegriffen. Ich mandere auf die Universität zu, durch diese hoch offizielle Straße, laffe die Bibliothek links liegen, gehe am Goethe, Denkmal vorbei. Plöslich steht ein gelber los por mir. Es it ein Denkstein für Rafteur. Ja, bas ift fo der Aurgleich. Stellft bu deinen Goethe hin, stelle ich meinen Pasteur hin.
Freie Presse und" La Presse libre". Am naften Rettungsstand faute ich mir das fozlafitische Organ. die Frete Prefe", mit dem Untertitel La Presse libre". Beade fie von hinten, betrachte sie von vorn. Auch hier mischt sich„ Dütsch" und" Français " zu einem tollen Gebräu:
Berfammlungsanzeiger": Parti Sozialiste S. F. L. O." " Schilkemer Messti":" Der Cortège bewegt sich am 8. Août. 2 Uhr von der Grande Brasserie Alsacienne durch die Hauptstraßen. , Grand Bal dans tous les Restaurants."
Cine turze Plauderstunde in der Redaktion, Kunkel heißt der Rollege, der bort seit Jahren sein zwischen zwei Nationen zu jamengepreßtes Blatt betreut. Wir sprechen von Beicotes und
Haegy, von Ridlin, von Poincaré und S. M. Von den Sorgen| burg! Einzelplak 50 Frant! Un auto vers Hautkoenigsbourg- und Nöten der elsässischen Arbeiterschaft. Von dem Sprachen- soixante francs!" Tohumabohu".
„ Sehen Sie: Auf der Bahnstrede Straßburg- Saales fpringt die Sprachgrenze 15mal hin und her!".
Bom Heimatbund" und vom Kolmarer Prozeß. Ein Hände: brud, und die Straßenbahn saust wieder in die innere Stadt hinein. Sélestat .
Sélestat das ist feineswegs eine statische Formel oder ein trigonometrischer Punkt oder eine dem Kirchenlatein entnommene
Seligfprechung der spätmittelalterlichen Kirche. heißt einfach Schlettstadt und stellt die Dedformet für dieses freund liche effäffifche Städtchen dar, die man im Rausch der„ Victoire", im Freudentaumel über den Abzug der preußischen Oristomman. banten und ihres Anhangs erfunden hat.
Am Bahnhofplak überfällt den harmlosen Reisenden beim Ber faffen der Bahnsteigüberführung ein wildes Heer brüllender Chauf. feure, die, wie die Stierfämpfer von ihren Autocars und CitroenBagelchen aufmarschiert, um die Seele der Passanten ringen:„ Le tour d'Hautkoenigsbourg! Achtung! Autofar zur Hohfönigs=
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Diese Burg" schmiegt sich ja nicht wie andere ihresgleichen biegsam und willig zwischen die Wälder und Berge, wie die Orten burg bei Restenholz, wie die Hohlandsburg bei Colmar oder das Klofter St. Martus bei Herlisheim! Nein. Sie thront auf ihrem Berg wie eine Schloßfaserne.
Ein schönes altes Städtchen mit stillen Plähen voll spizbogiger Gemütlichkeit, mit seinen herrlichen Brunnen und breitäftigen Binden. In der Mitte der Stadt, halb vergessen vom Trubel des Alltags der, senheimer Altar". Daneben im Museum eine Tafel aus der großen Zeit", als die deutschen Truppen über den Rhein retirieren mußten. Da hatte man im ersten Zorn über deutsche Feldwebel, Bahnassistenten, Postsekretäre und Gendarmeriesergean= ten an die Häuser der deutschen Geschäftsleute mit Kreide die Worte geschrieben: a
,, Maison d'un sale Boche."
Nun hängt bas Ding zur Erinnerung an die Blödheit bes Bolterhaffes unter Glas und Rahmen, nicht weit vom Isenheimer 20tar.
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Das stille Städtchen ist nun der Schauplah eines politischen Prozeffes geworden, der ganz Europa bemegt fogar ein richtiger Chinese hat sich als Berichterstatter eingefunden. Ein Prozeß, der mieder mal die Kluft aufreißt, die seit Jahrhunderten von Basel über dieses Ländchen hinweg nach Luxemburg geht. Alle Zugänge zum Geschworenengericht sind von Infanteristen im Stahlhelm und mit aufgepflanzten Seitengewehren bemacht. Auf jedem Brunnens rand, unter jedem Spitzbogen fitzt förmlich ein Boilu, schußbereit.
Hartmannsweilertopf.
Jeden Abend, wenn die Prozeßteilnehmer int Schnellzug nach Straßburg zurüdfehren, rast der Zug bei Bergheim am Hartmanns. weilertopf vorbei. Ein buntes Plakat schreit plöglich auf:
Grand Hotel St. Anne- au pied de Hartmannsweilerkopf! Herrliche Aussicht! Dernier Comfort! Grand Garage!
Dben an dem heute noch zerfressenen und zerfeßten. Budel aber ragt ein primitives Holzkreuz in die Höhe und flagt an! Wie der Procureur" im Prozeß da unten! Heute wie vor 14 Jahren, als hier das Maffensterben begann! Ein Prozeßthema, das ewig wiedertehrt, bis die Arbeiterklasse die Grenzpfähle zerhadt wie die Baumrefte da oben am Berg!
Der Bebauungsplan Poelzig- Wagner.
In der nächsten Woche soll die Entscheidung über den Wett| tommen, so wenig wie über die landschaftlich vollkommene Reizlofig bewerb der Bauausstellung fallen. Die Idee dieses ganzen Wett bewerbs ist so furios, daß die preisgekrönten Lösungen in hohem Maße unfere Neugierde schon im voraus reizen. Man erinnert sich, daß es sich um das Projekt einer zehnjährigen Schau von Bau problemen, Materialfragen und dergleichen handelt; ficher ist, daß baufünstlerische Fachleute solchen uferlofen Gedankengängen gänzlich fernstehen.
Einen ruhenden Bol in dem Fragenfomplex des ganzen Aus ftellungs- und Meffegeländes bei Wizleben haben nun rechtzeitig genug die beiden bedeutenden Architekten Boelsig und Stadt baurat Wagner geschaffen. Ihr Bebauungsplan für das ganze Gelände zwischen Heerstraße und Eichlamp greift jenem Wettbewerb nicht vor, er gibt aber Richtlinien für die Organisation des gesamten Ausstellungswesens von Berlin , die so großzügig und überzeugend find, daß man nur wünschen kann, die Stadtverwaltung möge fie afzeptieren.
Zu bedauerh bleibt mur, daß diefer Entwurf aus sozial- oder finanzpolitischen Grünben nicht schon längst der Deffentlichkeit zu günglich gemacht werden fonnte. Man würde ihn von allen Seiten gutheißen und seine Durchführung fordern. Meffeamt und Stadt parlament, in seltener llebereinstimmung aller Bartelen, haben ihn fchon gebilligt. Nur unser Stadthaupt und die paar Röpfe, die jene verschwommene Zehnjahre Idee ausgehedt haben, scheinen ihn um jeden Breis fabotien zu wollen. Und wie es in Berlin so geht: jeden Breis fabotieren zu wollen. Und wie es in Berlin so geht: niemand fann voraussagen, ob Bernunft oder Eigenfinn fiegen mer den. Der Eigenfinn bat bereits eine porläufige Durchquerung jeder bentbar vernünftigen Gestaltung durchgefeßt: während eines Urlaubs von Stadtbaurat Magner( man höre: zwei Tage nach seiner Abreise!) ist die Berlängerung der Funthalle befchloffen und begonnen worden, und zwar nach ber ein aigen Seite, bie später unbedingt mieber freigelegt wer. ben muß, nach Süden, wo in jedem Fall( nicht bloß nach dem Boelzig- Wagnerfchen Plan) ein Hauptzugang liegen wird, in der Berlängerung der Kantstraße! So wißig baut man 1928 in der Fünfmillionenstadt Berlin : diese Halle, die beiläufig eine Million toftet, muß spòtestens im nächsten Jahre radikal wieder abgerissen werden. Das nennt man Berliner Finanzwirtschaft. Bagner und Roelzig wollen dem Durcheinander, das unser mur zu berechtigtes Mißtrauen hier sich meiterfreffen ahnt. von Anfang an eine sinnvolle Ordnung entgegenfeßen. Das Dreied zwischen der Heerstraße und ben zwei Bahneinschnitten( Wigleben- Eichkampf- Heerstraße), als Meffegelände vorbestimmt und vorgesehen, aber noch faum ange taftet, gliedert sich seiner geographischen Ratur nach in zwei große Achlen: von Reichsfanglerplaß zum Bahnhof Eichhtamp, und vom Bahnhof Charlottenburg zum Bahnhof Heerstraße. Ueber diese Ge gebenheiten wird bein verantwortungsbewußter Städtebauer hinweg
feit dieses öden Feldes. Das Doal, das Boelzig- Wagner ihrer Dispofition zugrunde legen, nimmt als Achse die Nordsüdrichtung; es ist von der Kantstraße wie vom Reichskanzlerplatz am schnellsten zugänglich; es erlaubt der Ostwestachse es zu durchschneiden und finngemäß zu teilen. Bor allem aber faßt es alle in Gegenwart und Butunft möglichen Ausstellungsbauten zu einer großen Einheit zus sammen und trennt sie von der märkischen Reizlosigkeit der Umgebung. Es bietet außerdem den Vorteil, daß die grundlegende Anlage eines eiförmigen Innenraums mit gededtem Umgang, der, die fünftigen Anbauhallen verbindet, als erste Rate eines umfaffenden Bauprogramms wohlfeil herzustellen ist und sogleich eine imponierende Raumwirtung garantiert, der alles Spätere sich ein- und angliedern fann.
Im Norden des Ovals, nahe dem Reichskanzlerplatz, find Kongreßballe, Hauptrestaurant und die ersten Ausstellungshallen ( etwa neben der Querachse) vorgesehen; die Mitte der Querachse nimmt ein großes Sportforum ein mit gedeckten Zuschauerplägen, auch als Sängerhalle für 100 000 Menschen verwendbar; in dem größeren Südteil ist unendlicher Raum für Ausstellungshallen vorhanden, die sich nach dem so einfachen wie geistpollen Pian der beiden Baufünstler an den Ilmgang radial nach außen hin anaber nicht etwa sofort gebaut werden sollen. schließen fönnen- Es find Möglichkeiten für jede Art von Angliederung, z. B. auch von Runstausstellungen, gegeben. Ein Kanal im Innern des Umgangsovals fann für mannigfaltige Baffersportzwecke hinzugefügt werden, ein zweites Restaurant auf einer Insel im Süden, neuer Funkturm und Rabiphalen ufm.
Für das Gelände der ständigen( zehnjährigen) Bauausstellung bleibt ganz naturgemäß der Raum im Westen des Opals bis zum Bahnhof Heerstraße reserviert, im Zuge der weftöftlichen Querachse. Naturgemäß deshalb. weil eine Bermengung diefer stabilen, für die Dauer berechneten Bauten( einschließlich etwa einer miffenschaftlichen materialprüfungs- und Versuchsanftalt) mit den fährlich wechselnden 3meden verschiedener Ausstellungen und eines gehobenen Rummelploges unerquidlich bis zur Unmörlichkeit fein müßte. Das eigent lich wichtice und zunächst Rugängliche auf dem Pfencelände muß aber selbstverständlich das wechselnde Ausst unesmelen fein. Unverständlich bleibt es, daß die Baufach intereffenten diefe pitole Forderung zu ihren Gunsten umfehren und fich zunächst dem Meichs. fanglerplatz niederlaffen möchten, da, wo Kongreßhalle und Haupte ausstellungshallen ihren naturgegebenen Platz haben sollen.
Nachdrücklich ist die Hoffnung auszusprechen, daß die Berliner Stadtväter bei diesem wahrhaft weitschauenden Projekt, das dem äußersten Beften sein endgültige Gepräge geben foll, der Stimme der Bernunft und der Großzügigkeit ihr Gehör schenken werden.
Dr. Paul F. Schmidt.