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Die, Gaffe" von Colmar  .

Bo bleibt das Komplott"?

Dr. S. L. Colmar  , 6. Mai 1928. Gaffe", dieses Wort, das in der legten Sigung des Colmarer  Schwurgerichts die Richter zum Grund nahmen, einem der tätigsten Berteidiger der fünfzehn des Komplotts gegen die Staatssicherheit angetlagten elfäffischen Autonomisten bas Handmert zu legen", ist hier nicht unabfichtlich als lleberschrift gewählt. Der ganze Colmarer  Autonomistenprozeß ist eine gaffe". Nicht nur über den Sonn­abendzwischenfall, über jedem der fünf Tage, die der Komplottprozeß nun schon dauert, steht unsichtbar dieses Wort.

Eine gaffe", eine blamable Ungeschidlich feit, war es zunächst schon, diesen Prozeß unmittelbar nach den Kammer­mahlen anzusetzen. Ganz abgesehen von den Kommentaren, zu denen dieser auffallende Termin den Autonomisten im Wahlkampf Gelegenheit gab, hätte man sich doch sagen müssen, daß die unaus. bleiblichen Nachwirtungen der lleberbigung dieses Kampfes gerade das Gegenteil einer Gemähr für einen ruhig- sachlichen Prozeßablauf bieten würden. Die Erörterung antiautonomistischer Wahlplafate, hätte zu einem vom 29. April entfernteren Zeitpunkt, die Verhandlungen wahrscheinlich nicht aufgehalten.

Eine Gaffe" war es auch, Herrn Mazoyer, zum Leiter der Gerichtsverhandlungen zu bestimmen, einen Mann, dessen persönliche Integrität zwar über alle Zweifel erhaben ist, der aber durch seine Intenntnis der deutschen Sprache doch nicht an diese Stelle paßt, an der die Angeklagten zur Begründung ihrer Gesinnung fast täglich auf das Unverständnis hinweisen, dem die deutsch  . sprachigen Elsässer   in der französischen   Beamtenschaft begegnen. Und in der Tat wirki der Herr Präsident jedesmal, wenn er bei der Ueber­segung der im eljässischen Dialeft gemachten Aussagen eines Ange­flagten feststellen muß, daß dieser ihm nicht auf seine Frage geant­wortet, fondern eine autonomistische Propagandarede gehalten hat, mie ein unfreiwilliger aber doch sehr schlagkräftiger Beweis der Be­rechtigung gemisser Forderungen derer, die hier auf der Anflagebank fizen.

Aus gaffes", aus blamablen Ingeschicklichkeiten, setzt sich die ganze Prozeßführung zusammen. Heute, nach fünf Tagen, nach neunmal vier Stunden angestrengter Sigungen, fragen fich hundert Journalisten und mit ihnen die ganze öffentliche Weltmeinung per­mundert: Was denkt sich eigentlich die Anklagebehörde und der Ge­richtshof unter einem omplott gegen die Sicherheit des Staates"?

Die ,, Bremen  " als Wahlvorspann. D

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Köhl: Die Deutschnationalen scheinen mein Flugzeug mit der Arche Noah zu verwechseln, aber die Bremen  " ist nicht groß genug, um alle Ochsen und Esel aufzunehmen."

Die Laufbahn des Herrn v.Keudell.

Neuestes Hindernis: Ueber das Deutsche Museum gestolpert.

München  , 7. Mai.  ( Eigenbericht.)

Jst Dr. Ridlins Vortriegsvergangenheit, über die man ihn mehr als einen Tag zu teden zwang, ein Berbrechen? Sicher ebensowenig, wie die des Richters Coen, der noch im Jahre 1918 treudeutsche Kaifergeburtstagsartifel schrieb. Waten Schalls Bemühungen, deutsches Theater nach In der Jahresversammlung des Deutschen Mu Straßburg zu bringen, geeignet, die Fußstollen der franzöfifchen Re- seums in München  , an der, wie immer, die Reichs- und Landes­gierungssessel zu durchsägen? Sicher ebensowenig, wie die bis regierung, zahlreiche Gelehrte der Technik und der Naturmissen­herigen Ergebnisse des Colmarer   Komplottprozesses geeignet find, von Schaften und in besonders großer Zahl führende Industrielle teil. her Schuld der Angeklagten zu überzeugen. nehmen, ließ sich das Reich an erster Stelle durch den Innen. minister v. Reudell vertreten. Es ist bezeichnend, daß bei der Erledigung der Repräsentationspflichten gerade der deutschnationale Minister der einzige mar, der unangenehm auffiel, indem er es für notwendig erachtete, jeiner Begrüßungsansprache einen poli tischen Akzent zu geben. In einer am Vortage gehaltenen Rede waren auch die Wittelsbacher   und der Flüchtling in Doorn   als ehemalige Förderer des Deutschen   Museums tusz genannt worden. Das gab bem Reichsinnenminister v. Keubell bet her offiziellen Sizung am Montag das Stichmort, um ausbrudli im Namen der Reichsregierung" zu erflären,

Die größte, Gaffe" war aber doch unbestreitbar das Berhalten des Gerichtshofs in der letzten Sigung des Colmarer Schmurgerichts am- vergangenen Sonnabend. Hier beschloß der Borfizende im Ein verständnis mit dem Generalstaatsanwalt trop des heftigsten Bro teftes der Verteidiger, mit dem begonnenen Berhör der Ange­Flagten, bas in den französischen   Schmurgerichten, wenn nicht Bor fchrift, fo boch gute Site, plo gli abzubrechen und zu dem Dezher- der Belastungszeugen überzugehen. Warum? Der Bar figende fagte zur Begründung feines überraschenden Schrittes, bie ihm über Nacht gelommene Erfenntnis, daß der Prozeß in diesem Tempo fortgeführt in vier Wochen auch noch nicht zu Ende sei, habe ihn dazu gezmungen. Die Berteidiger mußten eine andere Er flärung: Poincaré   meile heute und morgen im Elsaß, der Ministerpräsident, der am 12. Februar, also schon fast zwei Monate vor Erhebung der Auflage, auf dem Straßburger   Bürgermeister bankett vom Autonomistenprozeß anzufünden wußte, das Elsaß merde vor den ihm geoffenbarten Schändlichkeiten entfekt zurüd schreden". Wie fönne nun Boincaré eine neue Rede halten, wenn nicht noch raich ein Belastungszeuge aufmarschiere mit den Schänd lichkeiten, von denen bisher noch nichts offenbar geworden sei? Als dann der Berteidiger von den gaffes", von den Ungeschicklich

teiten in der Bolitif Boincarés sprechen wollte, machte man ihn

mumdtot. Beil der Abvofat in einem politischen Prozeß die Politik bes Ministerpräsidenten als ungeschickt zu bezeichnen gewagt hatte, verbot ihm der Borsigende für einen Monat die Ausübung seines Berteidigeramts. Die Verteidiger selbst konnten nur noch bezweifeln, ob der Ministerpräsident selbst dieses Borgehen billige, als der Bor. figende die Sitzung furzerhand aufhob und auf Montag vertagte Das war gewiß eine gaffe". Man möchte hoffen, daß es die Tegte dieses Prozesses ist. Seinen 3wed hat er bisher voll tommen verfehlt. Statt die durch Demagogentum nergiftete Luft zu reinigen, hat er sie noch stärker vergiftet, statt die gewitter­schwüle Atmosphäre, die trotz der Entladung in den Wahlen über dem Elsaß   immer noch lastet, zu entspannen, hat der Komplotiprozeß bisher an jedem seiner fünf Tage mur noch neuen 3ünd ft off erzeugt.

Benn der Brozeß in seinem weiteren Verlauf nicht größere Schändlichkeiten zutage fördert als bis heute, hätte man ihn im Interesse des Friedens, der nicht nur erfordert, daß das Elsaß bei Frankreich   verbleibt, sondern sich auch bei Frankreich   wohlfühlt, beffer unterlassen sollen.

Fortsetzung des Verhörs.

Straßburg  , 7. Mai.  ( Eigenbericht.) Die Berteidiger im Autonomistenprozeß beantragten am Montag, die bisher noch nicht vernommenen 13 Angetlagten wenig stens barüber zu hören, ob der autonomistischen Bewegung im Elsaß   deutsches Geld zur Berfügung gestanden habe aber nicht. Der Borsitzende erklärte sich bereit, die Angeklagten über die von der Berteidigung angeführten Bunkte zu vernehmen. Er ge­stattet auch, dem am Sonnabend von der Berteidigung ausgefchlof­fenen Rechtsanwalt Fourrier feinen Blag auf der Berteidiger bank wieder einzunehmen, und zwar mit der Begründung, daß die Berufung gegen das Ausschlußurteil angemeldet fei.

Es wird zunächst der Angeklagte Hauß vernommen. Er er­flärt, solange er in der autonomistischen Bewegung stehe, sei ihm nie etwas dapan befannt gemorden, daß irgendein Romplott gegen den französischen   Staat geplant gewesen sei. Er fönne auch bestimmt versichern, daß der Bewegung tein deut­sches Geld zur Verfügung gestellt wurde. Wenn das Gegenteil der Fall gewesen sein sollte, hätten die Deutschen   ihr Geld zum Fenster hinausgemorfen, denn für ihn wäre

die aufonomistische Bewegung eine innere elfäffische Sache. Der Angeklagte Heil, früher protestantischer Geistlicher, jetzt Journalist, bemerkt, daß es sich für ihn nicht nur um einen Antlage punkt handele, sondern daß sein guter Rame durch die Heze in der franzöfifchen Bresse in den Rot gezogen worden fei, Er fei

er habe es besonders dankbar empfunden, daß neben der Her vorhebung der unvergänglichen Berdienste des bayerischen

Königs auch des deutschen   Kaisers gedacht worden ist. Reudell hatte offenbar erwartet, daß sein monarchisches Bekenntnis gerade in diesem Kreise und an dieser Stätte einiges Echo finden würde. Als sich aber keine Hand zum Beifall rührte, sondern im Gegenteil allseits Betlommenheit sich breit machte, eilte der Herr Reichsvertreter in paar zusammenhanglojen Gägen zu einem schnellen würdelosen Schluß seiner Rede. und noch ein Hindernis: Der Reichsinnenminiffer gegen das Reich!

München  , 7. Mai.  ( Eigenbericht.)

pliment für die reaktionäre Tätigkeit der bayerischen   Regierung, ser die Deutschnationalen stets dankbar dafür sein werden, daß sie sich in allen wesentlichen Grundfahfragen der inneren und äußeren Bo­litir in gemeinsamer Hebereinstimmung befunden hätten. Er per­fönlich empfinde, besondere Dantharteit dafür: daß die bayerische Regierung in der Frage des Rotfrontverbotes fich an feine Seite geftellt habe. Es fei feine innerfte Ueberzeugung, baß die Aufrechterhaltung der bayerischen Eigenart und Gigenftogt. lichkeit eine der wesentlichsten Voraussetzungen für das Gedeihen des Deutschen Reiches darstellt.

Durch den Einheitsstaat würde lediglich eine weitere Aufblähung des Reichsapparates und eine Berstärkung der Allmacht der Reichsbureaufrafie erreicht werden.

Ein besonders startes Stud leistete fich Reubell in der Berteidigung bes bayerischen   Kontorbats, das bekanntlich heute schon

von der Mehrheit der bayerischen Benöfferung als ein schlimmer Rüdfall in mittelalterliche Kirchenherrschaft empfunden und erflärt wird. Rendell dagegen vertrat die Auffassung, daß der banerische Staat sich erst mit diesen Kirchenverträgen den Charakter eines mirklich christlichen Staates geschaffen habe. Nach der staatspoliti­fchen Seite hin verriet Kendell feine reaktionäre Gesinnung durch die Erklärung, daß er und seine politischen Freunde jede staatliche Ber­änderung in Mitteldeutschland   ablehnen, weil sie eine Ginengung der füddeutschen Belange bedeute, Zum Schluß jammerte der deutsch­nationale Minister über den Sozialismus als den gemein­samen Feind, über den unerhörten Treubruch der Revolution non 1918 und über die schmachvolle Art, mit der das deutsche Bolf

feine Fürstengeschlechter behandelt habe.

Keudells Blamage.

Seine offizielle Anwesenheit in München   als Vertreter der Die württembergische Regierung gibt bekannt, daß Reichsregierung bei der Jahresversammlung des Deutschen Museums ein Berbot des Roten Fronttämpfer Bundes nach benußte der deutschnationale Innenminister v. Keudell, um als Attraktion in einer deutschnationalen Wahlverfammber Entscheidung des Reichsgerichts für Bürttemberg nicht mehr in Frage tomme. lung aufzutreten. Seine 45- Minutenrede war ein einziges Kom­

Poincaré in Bar- le- Duc.

niemals Mitglied der Schußtruppe gewesen und zähle auch nicht zu den Mitbegründern der Zukunft". Das Heimatbund- Manifest habe er unterschrieben, aber dieses Manifest sei tein Dokument Für Annäherung aller Nationen, insbesondere der des Hochverrats. Was in ihm stehe, sei wiederholt von der Rammertribüne aus zum Ausdrud gebracht worden, ohne daß es jemand eingefallen wäre, die betreffenden Redner als Ber­räter an der französischen   Nation zu bezeichnen.

Es folgt die Vernehmung des ersten Belastungszeu gen, des Beamten der politischen Polizei, Bauer. Er behauptet, daß zunächst ein irredentistischer Elfäfferbund von dem legten Statthalter Dr. Schwander ins Leben gerufen worden sei, bleibt aber jeden Beweis dafür schuldig. Dr. Schwander setzte diese Tätigkeit von Deutschland   aus fort. Dann hätten Rapp, Ley und Muth das Elsaß   mit Flugblättern überschwemmt, in denen die Trennung von Frankreich   gefordert worden sei. Im August 1919 jei dann die föderalistische Partei gegründet morben. Ihre Führer Haegy, Faßhauer und Köppi feien rein separatistischen Zielen nach gegangen. 1922 hätten sich dann die ersten Borläufer der neuen Autonomistenbewegung gezeigt. Der Beuge behauptet, ein alt­eljäjfischer fatholischer Geistlicher, Dr. Hanhard, habe bei der Tagung des Vereins für das Deutschtum im Ausland in Donaueschingen  einen autonomistischen Vortrag gehalten. Aus dem Vortrag selbst, der verlesen wird, ergibt sich, daß es sich um eine fachliche Dar­stellung der Geschichte vom Kampf des Elsaß   um die Erhaltung seines Bolkstums gehandelt hat. Die französische   llebersetzung dieses Bortrages war nicht von einem Dolmetscher, sondern von der politischen Bolizei angefertigt worden. Beuge Bauer fährt dann fort, bie politische Bolizet habe im Juni 1922 die Nachricht erhalten, baß Freiherr von Gemmingen  , der ehemalige Bezirkspräsident non Meß, in Mannheim   regelmäßig Konferenzen mit elfäffischen Autonomisten abhalte. In dieser Nachricht sei auch das Bieber auffeben der autonomistischen Bewegung für 1924 norausgefagt worden. Das sei auch eingetroffen. Gemmingen   sei ein Bermandter von Hermann Röchling  , und habe vom Deutschen Reich 20 Millionn für Propagandazwede im Elsaß- Lothringen   erhalten. ( 3ft inzwischen durch eine formelle Erflärung Rödlings und Gem mingens entschieden dementiert worden. Red. d. 2

europäischen.

Paris  , 7. Mai.  ( Eigenbericht.)

Der französische   Ministerpräsident eröffnete am Montag den Generalrat des Meuse  - Departements in Bar le Duc mit einer Rede, die hauptsächlich der Innenpolitit zugewandt war. Poincaré  beschränkte fich diesmal in außenpolitischer Hinsicht auf ein neues Bekenntnis zur Bölterverständigung. Frankreich  ", so erklärte er am Schluß seiner Ausführungen, hat seinen Ehrgeiz daran gesezt, zur Bestigung des Friedens beizutragen. Gerade im Meuse  - Departement gibt es gewiß niemanden, der nicht

von ganzem Herzen die Annäherung aller Nafionen, insbesondere der europäischen, wünscht."

Die inner politischen Ausführungen Poincarés zeugen jedoch feineswegs von fortschrittlichem Geiste. Der Ministerpräsident hetonte mit besonderem Nachdruck die Notwendigkeit einer starfen Mehrheit in der Kammer, die, wie er sich ausdrückte, jeden an deren Gefichtspunkt der Gesundung der Währung unter. ordne. Frankreich   befinde sich noch in der Lage eines& ranten. Poincaré   gab dann der Hoffnung Ausdrud, daß sich, abgesehen von einer geringen und ohnmächtigen Minderheit niemand finde, der die Jortfegung des begonnenen Werkes verhin dern wolle.. Damit unterstrich der Ministerpräsident seine bereits nach dem legten Ministerrat deutlich gewordene Absicht, das Barla­ment auch fünftig durch die Drohung, das Sanierungswert scheitern zu laffen, unter Drud zu halten.

Dieser positiven Absicht gegenüber nehmen sich die Reform­versprechungen des Ministerpräsidenten et mas vage aus. Poincaré   betonte zmar, baß großzügige.

foziale Reformen notwendig seien, diese müßten jedoch den Charakter eines frei milligen Zugeftändnisses an die arbeitende laffe haben.