Beilage des Vorwärts
Von einer eigentlichen sozialistischen Bewegung kann man in Südamerika nur in Argentinien sprechen. Dort hat bis vor kurzem sogar eine recht mächtige sozialistische Partei bestanden, die jetzt frei- lich durch Spaltung in zwei Gruppen etwas geschwächt ist. Aber da beide Gruppen zur Züricher Internationale stehen und program. matische Unterschiede kaum zu finden sind, da sich der Streit letzten Endes nur an einer parlamentarisch-taktischen Frage entzündet hat, ist zu hoffen, daß die Einheit der Partei bald wiederhergeellt sein wird. Gerade in die Tage der Spaltung fiel auch der Tod eines um das argentmische Proletariat sehr verdienten Mannes, de« Se- nators I u st o, der als der eigentliche Begründer der argentinischen sozialistischen Arbeiterpartei anzusehen ist und der auch wiederholt das argentinische Proletariat aus internationalen sozialistischen Kon- gressen vertreten Hot. Neben diesen beiden spanischen Parteien, die, wie gesagt, keine grundsätzlichen Unterschiede trennen, gibt e» in Argentinien noch einen deutschsozialistischen Derein und Splitter anderer sozialistischer Organisationen, die aber noch nicht einheitlich gesammelt sind, was bei einiger Tatkraft nicht allzu schwer und für die Entwicklung der proletarischen Bewegung in Argenttnien von großem vorteil wäre. In einer Weltstadt wie Buenos Aires , wo Proletarier aller Zungen zusammenströmen, könnte sogar vorbildliche international« Arbeit geleistet werden. Praktische Arbeit vor allem! Das Wichtigste wäre es, allen zuwandernden Proletariern die Sprache zu geben, dann sie mit der recht mageren Gesetzgebung vertraut zu machen, ihnen zu zeigen, wie schlimm es noch im allgemeinen um den Arbeiterschutz bestellt ist, mit ihrer Htlfe aber dahin zu wirken, daß es bester werde. Grundsätzlich« Abneigung gegen Arbeiterschutz besteht in der Republik Argentinien , die in ihrem Wappen zwei verschlungene Hände führt, die«inen Stab mit einer phryzischen Mütze hallen, nicht. Es gilt nur, wie überall, chn zu«rkänrpfen. Und da müsten die neuen Einwanderer mittun, die Zutunftsbürger des Staates. Eine solche Internationale im kleinen müßt« auch der Frau ihre gebührende Stellung in der Organisation einräumen. Die Frau hat in Argentinien und eigentlich in ganz Südamerika eine von der europäischen Stellung der Frau wesentlich verschiedene. Die Frau tritt in der Oeffentlichkeit noch nicht in Erscheinung. I» den besitzenden Klasten ist sie vorwiegend Pflege- oder Luxusweib. Aber ihre Stellung gilt im wesentlichen nur im Haus«.' In der Oeffentlichkeit tritt nur der Mann in Erscheinung. Er beherrscht das geschäftliche, das geistige, das politische Leben. Di« Frauen haben kein Wahlrecht. Es ist eine weitverbreitet« Unsitte, die Frau ganz auf dos Haus zu oerweisen. Der Mann geht in die Bersammlung, die Frau bleibt zu Hause. Der Mann geht am Sonntag mit Freunden fort, die Männer füllen die vielen Kaffeehäuser, die ihnen Klubs und Börsen zugleich sind. Ja es gibt sogar Städte in B r a- s i l i e n. wo es der Frau förmlich untersagt ist, zu bestimmten Stunden bestimmte Straßen ohne Begleitung des Mannes oder son- stiger„ehrbarer' Gesellschaft zu betreten. Das ist natürlich ein un- geschriebenes, gesellschaftliches Gesetz, aber die Frauen unterwerfen sich ihm noch. Diese Gesetze wirken bis in die sozialistischen Kreis« hinein. Die spanischen, portugiesischen und deutschen Sozialisten Südamerikas haben manchen Abend veranstaltet, um mit mir bei- sammen zu sein— aber immer haben auch sie ihre Frauen zu Haufe gelassen, bis ich endlich protestiert« und wenigstens an dem Abschiedstag auf der herrlichen Sportinsel Tigre bei Buenos Aires auch die Fvauen und Kinder teilnahmen. Die Insel Tigre . Die Insel Tigre lagert knapp vor Buenos Aires breit im La Plata , der sich unübersehbar groß wie ein Meer im Mündungsge- biet dehnt. Es ist eigentlich ein« große-Gruppe vieler kleiner Inseln, die von vielen Armen des mächtigen Stromes umfangen sind. Hier ist der große Wastcrsportplatz der Zweimillionenstadt, die hierher ihre Expreßzüg« und ihre Dampferfrgchten voll Menschen sendet, die nun Taufende kleine Ruder», Segel», Motorboote und Hunderte Wasteromnibusse und Dampfer besetzen und ihnen Lieblingswinkel in dem Inselgewirr aussuchen. Mir wurde hier, nach dreiwöchigem Aufenthall in Südamerika , zum erstenmal die Freude, Kolibris zu sehen,?ico öe klores, Blumenküster, wie sie die Argentinier nennen, und zwei Meter hohe Fuchsienbäume standen eingewurzelt im Freien, übergosten von Tausenden von Blüten— sie wurden später
nur noch von dem Urwald wunder übertroffen, das die Fuchsie als Liane vier Meter hoch klettern läßt—, und die Bougainvillen leuch» teten, die hier Santi Rita heißen, und an manchem Baum waren auch„Luftnelken" zu sehen, kleine Bromelienorten, die ihre Rah» rung ausschließlich aus der Luft ziehen, was erwiesen ist, da sie sich auch auf Telegraphendrähten festsetzen und so schön blau und rot blühen, als zögen st« ihre Kraft aus der Erde oder aus dem Saft, der die Bäume durchströmt, die sie auch oft als ihr Quartier an- sehen. Ja, an dem Ausslug m dieses herrliche Stück Erde „dursten" auch die Frauen teilnehmen: aber das ist leider nicht die Regel, obgleich der Ausflug eine der Gelegenheiten ist, wo auch die Frau aus dem Haus« kommt. Aber auf diesem Gebiete hat der Sozialis- mus noch viel, wenn nicht alles zu tun, und gerade dabei können die Zugewanderten mithelfen, die wisten, welche frei« und mit Recht angsehen« Stellung sich die Frau schon in Europa erobert hat. Staat und Kirche. Durch diese Stellung wird die Frau immer fester der katho- lischen Kirche verbunden, von der der argentinische Staat bewußt abgerückt ist. Di« Trennung von Staat und Kirchs, oonSchuleundKircheist strengdurchzeführt, etwas, was den argentinischen Staat allen freigeistigen Europäern sym- pathisch machen muh. Eine in der Kirche geschlossene Ehe ist vor dem Gesetz ungültig. Der Staat allein führt die Matrikel. Nur die vor dem Standesamt geschlostenen Ehen gelten auch vor dem Gesetz. 'Wer auch die kirchlich« Trennung wünscht, dem bleibt es unbenom- men, auch diese Förmlichkeiten mitzumachen, aber da die Kirche nicht die Matrikel führt— auch nicht das Tausbuch—, so wird der Charakter reiner Förmlichkeit klar. Auch diese Kenntnisse dem Ein- wanderer in staatsrechllichen Kursen zu vermitteln, wäre«ine dank- bare Aufgabe einer sozialistischen International« in Buenos Aires , und daß er Bürger und Wähler werden kann und unter welchen Umständen, wäre für den Einwanderer auch wichtig zu wissen. Die Hölle von Tucuman . Und gewarnt könnte er werden, gewisten Lockungen zu folgen, die an jedem Einwanderer herankommen. Immer wieder dient der Landhunger der Zugewanderten allerlei Abenteurern dazu, die Neulinge um ihr Geld zu prellen oder aber um sie förmlich als Sklaven in irgendein entferntes Gebiet zu vermitteln, aus dem es nicht so leicht ein Zurück gibt. Was hier die mangelhaften Kon- sularvertretungen versäumen, eine gut geleitete sozialistische Organisation. könnte hier viel Gutes stiften. Zum Beispiel Tuen- man 0as große Zuckerindustriegebiet Argentiniens , wo nach dem Wort« des sozialistischen Abgeordneten dieses Gebiets auf der cineii Seite ein feudales Industrieregim« herrscht, auf der anderen Seit« aber Unwissenheit, Alkoholismus und Syphilis die vielfach noch indianisch durchsetzte Bevölkerung beherrschen. Zwölf Stunden Ar- beit, 24 beim Schichtwechsel— das ist heute noch Regel, obgleich der Achtstundentag Gesetz ist. Erst jetzt erwachen diese Arbeiter. aber noch haben sie alle Laster der Unterdrückten an sich und dazu all« Grausamkeiten der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu trage», vor allem eine ungeheure K i n d e r st e r b l i ch k e i t. Die Arbeiter wohnen noch in Häusern, die den Fabrikbesitzern gehören. Streiken sie, dann werden sie mit ihren Familien auf die Straße gesetzt, wenn sie eine sozialistische Zejtung kaufen, werden sie ent- lassen, kurz, der Kapitalismus lebt sich hier noch in seiner ganzen Waldursprünglichkeit aus, und es find 20 000 Arbeiter, die unter solchen Umständen dauernd arbeiten, und 80 000, die während der Zuckerrohrenlle tätig sind. Alles das spielt im subtropischen Klima. Für Europäer«ine Hölle. Auch sie muß vom Sozialismus erst in einen brauchbaren Erdenfleck gewandelt werden. Und solcher Riesenaufgaben gibt es in Argentinien etliche. Ein Beispiel nur: Beim Bau des Elektrizitätswerls in Buenos Aires steht ein Arbeiter völlig frei auf einem Gerüst-35 Meter hoch. Uns schwindelt«, da wir ihn sahen: auch der führend« Ingenieur erklärte, er würde ihm das nicht nachmachen. Aber warum ist das Gerüst offen, wo doch eine schützende Latte Unglück verhüten könnte? Warum? Niemand wirft diese Frag« auf! Es ist einfach so. Arbeiter- knochen sind billig. Aufbauarbeit für den Sozialismus!
Muckie, Mugie, Mucke. Bon Erna Büsing. Weit draußen vor der Stadt wohnten sie, Muck%e, Much « und Mucke. Es waren drei ganz verschiedene Lebewesen, obwohl ihre Namen, alle drei wurden als Kosenamen ersonnen, gewissermaßen gleichen Klang hatten. Mucke, sogt« ein« Mutter zu ihrem Sohn, Mugie, nannte ein Mann sein« Frau und Mucki«, rief em Schau- steller seinen Bären. Aber, was der wichtig« Punkt dieser Geschichte ist. alle drei, Mucke, Mugie und Mucki«, wurden das Schicksal eines Menschen. L Mucke wurde von serner Mutter, die zeitig Witwe geworden war, unter Sorgen großgezogen. Die Frau quälte sich von früh bis spät, sie kannte weder Sonn- noch Alltag, damit ihr Sohn etwas lernte, damit ihr Sohn etwas wurde. Früh ward ihr Körper kraft- los, tiefe Fallen kamen in ihr blosse« Gesicht doch stimmten dies« Anzeichen dauernder Ueberarbellung und Ermüdung sie nicht un- wirsch. Im Gegenteil, ihr Herz stand voller Freud«, im stolzen Be» wußtsein der selbst gestellten Aufgab«. Di« Frau dacht« der Zu- kunft und empfand die Last der Gegenwart nicht. Mucke wuchs heran. Er war ehrgeizig, er war begabt, und bald verließ er das kleine Haus. In die Stadt kam er, er wurde etwas und— das Haus da well draußen, ach, an da« dacht« er nicht gern«. Es war so klein, so unbedeutend wie seine ganze Dergangenhell. Er aber wollte vorwärtsblicken, um seiner selbst, mn seines Macht- rausches willen. Er kannte kein« Gefühlsduselei, er wollt« sich nicht irgendwie belasten lasten. Hart wollte er sein, und Wefenskälle, nun, die konnte man sich angewöhnen. Das verspürt« die Mutter gar bald, doch hatte sie tausend Eni- schuldigungen für den Sahn. Sie wußte e«, all' die vielen Sorgen- jähre halten ihr den Geist eingeengt, ihr Gesichtstreis war ein kleiner geworden. Si« konnte doch ihrem Sohn kein« Vertraute, kein« Be- rarerin sein, sie kannte nicht die groß« Stadt, sie kannte nicht das " Leben da draußen. Jedoch bald bemerkt« die Mutter es sehr deuttich und bitter zugleich, daß er si« absichtlich bei Seit« schob, sie mißachtet«. Trotzdem wollt« sie keinen Zorn in sich hochkommen lasten, aber dem Jammer, dem könnt« si« nicht wehren, der erfüllle sie ganz. Und nun verfiel di« einfache Frau darauf, sich zu verstellen. Theater zu spielen. Keiner der Bekannten sollt« von ihrer Traurigkeit tr'- fahren, und so erzählt« si« von ihrem Sohn, nicht von dem großen, von dem kleinen. Sie sagte::,Für eine Mutter Reibt der Sahn, und mag er noch so all werden, immer das Kind." All« Erinner cm- gen an ihre» Sohne« Kindhell rief sie wach und langweilte damit den Schlächter, den Milchmann, den Bücker. Man hört« geduldig zir, wie da» der Koufleut« Art ist und locht« insgeheim über die All«, bi« kein« Gegenwart und kein« Zukunft mehr kannte. Sie aber ändert« ihr« Taktik nickst, denn sie wollte ihre Enttäuschung nicht zeigen, und zugleich meinte sie, es sei Lieb« zu Muck«, wenn sie Verberg«, wie selbstsüchtig er sei. l\L Mugie war die Frau eines Belehrten. Lustig« Freund« von früher hallen ihr diesen Spitznamen gegeben, und ihr Mann nannte sie auch Mugie, au» zarter Rücksichtnahme. Mugie hatte einst durch'» Leben gelocht und getolll, bis ihr da» ewige Jubilieren reichlich über- drüssig wurde. Do sucht« st« instinktw di« Ruhe ai» willkommene Abwechselung, und si« fand den Gelehrten. Der verliebt« sich in sie, und er bot ihr di« Ehe an. wie e» sich für ihn, seiner Erziehimg und feiner Weitanschauung gemäß, geziemte. Mugie ward Frau: si« fand da» neu« Leben und dies«, Vergrabensein weitab von der Stadt, einfach entzückend. Der Mann lebte nur semer Arbell und seiner Frau.' Sie trog teure Kleider, und er freut« sich darüber, sie trug Luxusschuhe und die modernsten Handtaschen, und er war froh, sie war doch für ihn die Welt, bracht« Leben und Gewohnhell der großen Stadt zu ihm ms Zimmer. Aber es kam, wie es kommen mußt«. Mugie langweilte sich bald. Si« mußt« von Abwechslung zu Abwechflung taumeln, und da sie nur diese« Abmechslungsbedürfni» als Gesetz anerkannte, ging si« eines Tage». Sie ging aufgeräumten Sinnes und wundert« sich nicht einen Augenblick darüber, daß sie so leichten Herzens ging. Na, sie hatte doch in ihrem Leben Dergleichsmöglich- kellen, aus wieviel urgemütlichen Cafös hatte sie sich schon weg- gewöhnt! In dem Mann aber waren Begriff«, Gefühl« und Gedanken durcheinandergepurzelt. Ein unbändiger Haß stieg in ihm aus, ur- plötzlich haßt« er alle Frauen. Er schrieb schlecht über sie, er füllte sogar Spalten der Skondotbiätter mit seinen Anwürfen gegen di« Frauen. Seiner Arbeit kam er nach ohne Lust, nur aus Der- antwortungsgefühl heraus, und dos bloße Verantwortungsgefühl macht niemals froh und innerlich entspannt, es ist ein« eiserne Klammer, di« ein Menschenleben umwürgt. Der Mann wurde mürrisch, und Mugie lachi« und las sogar dann und wann seine Abhandlungen, der Abwechslung halber. III. Einem Bärenführer gehört« Mucki«. Er war ein malaiischer Kragenbär, schwarz sein Fell, weiß sein Kragen. Brett war sein Kopf, und in seinen Schädel ging allerlei hinein, gar schnell lernte er mancherlei Kunststückchen wid— das Tanzen. Er tanzte nicht so plump und ungeschickt wie ein Braunbär, ihm lag mehr die Grs- teste, denn er war der geboren« Clown. Und sein Herr ließ ihn tanzen, auf der Straß«, aus Rummelplätzen, m Biergärten stets vor armen Leuten. Die sind dankbar für Entspannung und frei- gebig in Freudenstlmden. So oerdiente Mucki ihm recht schönes Geld. Als der Bär abgenutzt war. wurde er böse, da kaufte ihn irgendein Garten als Schauvbjckt. Der vormalige Besitzer bekam einen schönen Batzen Geld: mit ihm begründete er �inen Altkleider- Handel, und setzt raucht der ehemalige Bärenführer dick« Zigarren mit Leibbinden, und renommierend erzählt er von Mucki« und sagt zum Schluß:„Schließlich wurde er böse, nun, Muckie war ja auch kein Mensch, Mucki« war doch ein Bär— und Bären sind un- berechenbar."__
Das Kaiserdenkmal. Wie sage ichs meinem Kinde? Dieser Tage geriet ich vor einem kleinen Jungen, der mir allzu neugierig mit Fragen zusetzte, in eine nicht geringe Verlegenheit. Die Ursache bildete ein pompöses K o i I e r d e n k m a l mit fliigel- spreizenden Adlern, maulausreißenden Löwen, begeisterten Kriegern, Szeptern, Schwertern, Kronen und Kanonen. Obendrauf thronte ell, bronzenes Götzenbild, will sogen der verherrlichte Monarch zu
Pferde. Und der Platz, auf dem die ganze Geschichte aufgebaut war, hieß„Platz der Republik". Das war aber wahrfchein- lich nur ein Zufall. Während ich nachdenkliche Betrachtungen darüber anstellte, weshalb man ausgerechnet diesen Platz um das Kaiserdenkmal mit seinem barbarischen Prunk auf den Namen der Republik umgetauft hatte, gesellte sich ein kleiner Stepke von 8 Jahren zu mir und fragte, vertraulich wie Kinder sind: „Was i st' n da zu sehen?" „Siehst du denn das nicht?"—„Nee," erwiderte er, indem er mich erwartungsvoll anblickte. Ich war also zu einer Antwort gezwungen, wenn ich mich vor ihm nicht blamieren wollte. Ich überlegt«, wie ich dem Knirps die historisch« und symbolische Bedeutung dieser Dekoration aus Granit und Erz verständlich machen könnte, ohne einen revublikanischen Sprachiebler zu be- sehen. Ich dachte an die punkbafte Kaiserzeit vor dem Kriege mit ihren Paraden. Galacouren und„Heil dir im Siegerkranz ". Dann rollte der Eedonkenfilm weiter, und es knisterten die heroischen Folgen jener Zeit auf: Schützengraben, Gasgranaten und Flgmmen- wcrfer, Trommelfeuer und zerfetzte Menschcnleiber. Dann sah ich wieder dos ahnungslose kleine Menschlein vor mir und wußte plötzlich nicht, wie ich ihm die Scheußlichkeit dieses ganzen antiquierten Krempels erklären sollte I Und wußte schließlich keinen anderen Ausweg aus der Klemme, als daß ich möglichst gleichgültig die Achseln zuckte und versetzte: „Was da zu sehen ist?— Nichts!" Der Kleine hat wohl— und mit Recht— eine längere Geschichte erwartet. Er war sichtlich enttäuscht. Er studierte das Denkmal nun seinerseits, und meine Antwort schien ihm etwas unglaubwürdig. Er sagte:„Das ist aber doch was! Da ist'n Reiter— und da sind Soldaten— und da sind Kanonen— und—.* „Richtig," unterbrach ich ihn schnell.„Aber trotzdem ist da nichts dran, mein Junge! Das sind olles Dinge, die uns heute nichts mehr angehen. Früher ist das wohl mal was gewesen, aber beut« ist es aar nichts mehr." „Warum nicht?"
„Weil wir die Kaiser und König« abgeschafft haben! Wir brauchen si« nicht mehr! Früher, als wir diese Leute noch hatten, da wollten sich die Menschen lieb Kind bei ihnen machen und haben ihnen solch« Sachen hergebaut. Heute aber sind wir alle gleich und brauchen vor niemandem mehr aus dem Bauche zu kriechen. Versteht du das?" Der Kkeine war ein helläugiges Bürschchen. Er nickte.„Wenn wir was zn Hause nicht mehr brauchen, werfen wir es auch weg!" „Na also." 1 „Aber," fuhr er nachdenklich fort,„warum stebt'n das noch hier, wenn man es nicht mehr braucht?" Sapperment, das hatte ich nicht erwartet! Ja, worum stebt das eigentlich nach hier? Was sollte ick dem Iungchen darauf antworten? Glücklicherweise wurde er in diesem'Augenblick von seiner Mutter abgerufen und lief davon. Und ich wurde einer peinlichen Auseinandersetzung m-t dem Achtjährigen überhoben. Aber ich mache mir ein Vergnügen daraus, seine Frage msiler- zugeben! Ich habe nämlich seit diesem Etlebnis, wenn ich ein Kaiserdenkmal selx— und es braucht durchaus nickt auf einem „B'atz der Revublik" zu stehen.— das kitzliche Gefühl einer ge- wisten republikanischen Halbheit, eines Widerspruchs zwischen Außen und Innen, der nicht gut ist, besonders was unseren jungen Nachwuchs angeht. Wir erzählen unseren Kindern— oder sollten es wenigstens tun—> daß wir uns seit zehn Jahren für em freies Volk hallen und die Ketten, die Fürsten und Herren uns auf- erlegten, abgeschüttelt hoben. Und dabei haben wir die protzigen Standbilder dieser Fürsten und Herren noch auf allen unseren Straßen und Plätzen stellen l Warum eigentlich? frage ich mit dem Achtjährigen. Kinder denken bildhaft— also auch„standhaft". Und wenn sie nicht grade auf den Kopf gefallen sind, machen sie sich leicht einen verkehrten Reim auf das, was si« sehen und wo» ibnen gesagt wird! Auch ist es pefährilich, einem Kind« bei solchen Geleaenheiten die Antwort schuldig bleiben zu müssen! Mir scheint, auch hier ist eine Arbeit für einen neuen republikanischen Reichstag, den wir nun hoffentlich bekommen werden! Peter Polier.