lament, das bereits Macht gewonnen hat, ohne Anwendung von Gewalt, durch bloße Verfassungsänderung nicht ent» machten lassen. Jedes Parlament hat soviel Macht, wie es haben will. Auch ohne Artikel 54 kann der Reichstag einer Regierung, die ihm nicht gefällt, soviel Schwierigkeiten in den Weg legen, daß sie abtreten muß. Der Reichspräsident steht dann vor der Wahl, entweder zum Staatsstreich zu greifen oder eine Regierung zu ernennen, mit der der Reichs» tag zu arbeiten bereit ist. Auch der Reichstag der alten Zeit hätte dem Kaiser gegenüber diese Macht ausüben können, wenn er nur gewollt hätte. Aber weil die bürgerliche Mitte in Anbetung der gekrönten Autorität erstarrt war, ließ die deutsche Bolks» Vertretung alles über sich ergehen, bis die Katastrophe da war. Solche Spuren schrecken. Der Absolutismus eines vom Volke gewählten Reichs- Präsidenten, ausgeübt durch eine Beamtenregierung, ist ein Widerspruch in sich. Ein vernünftiger Reichs- Präsident und vernünftige Beamte werden sich auf ein solches Experiment gar nicht einlassen. „Das Deutsche Reich ist eine Republik . Die Staats» gewalt geht vom Volte aus." Dieser Grundsatz läßt sich nur durch das parlamentarische System verwirk- lichen, nicht aber durch die Wahl eines Reichspräsidenten, dem man das Recht gibt, sieben Jahre lang nach Belieben auch gegen den Willen des Volkes zu regterm. Für die Deutschnationalen ist ja auch der gewählte Reichspräsident nichts anderes als der Platzhalter für«inen glücklichen Erben. Der soll dann aus seinem Recht„von Gottesgnaden" regieren können, ohne sich um den Willen des Volkes zu kümmern.( j Die deutschnationale Forderung ist et« Anschlag auf die demokratische Republik . Wir stellen dagegen die For» derung: Mehr Macht dem Volte! was ins Praktische übersetzt heißt: Mehr Macht der Partei, die dem Volke alle seine politischen Rechte er- kämpft hat. Mehr Macht der Partei, die in der Kaiser- zeit für das parlamentarische System, für das gleiche Wahl- recht aller gekämpft hat, die aus den Trümmern der deutschen Throne die Republik gezimmert und der Mehrheit der jetzt vollberechtigten Staatsbürger, nämlich den Frauen, das Wahlrecht gegeben hat! Mehr Macht der Sozialdemokratie!
Siresemann S0 Jahre alt. Der Reichsaußenminister und Führer der Dolksoartei, Dr. Gustav Stresemann , begeht heute seinen 60. Ge- burtstag. Sohn einer Berliner Kleinbürgerfamilie hatte er erst für Achtundvierziger Ideale geschwärmt, war dann Nationalliberaler und Syndikus des sachsischen Industriellen- Verbandes geworden und wurde schon 1907 als Neunund- zwanzigjähriger in den Reichstag gewählt. Nach Basier- manns Tode wurde er, immer noch sehr jung, Führer der nationalliberalen Reichstagsfraktion, die an nationalistischer Kurzsichtigkeit mit den Konservativen wetteiferte. Er blieb nach dem Krieg und der Staatsumwälzung Führer der zur Deutschen Volkspartei umgewandelten nationalliberalen Partei, die unter den schwarzweißroten Fahnen verharrte, für ein Volkskaisertum schwärmte und die Verständigungs- Politik bekämpfte. Erst als der Ruhrkrieg zusammenbrach, erkannte Stresemann — seiner Partei voraneilend— die Richtigkeit der von der Sozialdemokratie befürworteten Außenpolllit. Er wurde Reichskanzler und blieb dann seit jetzt bald fünf Iahren deutscher Reichsaußenminister. Dem richtigen Erfassen des kritischen Augenblicks und der Energie, mit der er seitdem die Politik der Verständigung mit Frank reich betrieb, dankt er das große Ansehen, das er jetzt in der Well genießt Die Uebereinstimmung in einigen wichtigen Fragen der Außenpolitik ändert natürlich nichts daran, oaß Dr. Strese- mann unser politischer Gegner ist. Er steht an der Spitze der Partei, die Herr S t e g e r w a l d für die„real- tionärste von allen" erklärt hat und in der die großkapi- talistischen Einflüsse so stark sind, daß er selbst, ihr Vorsitzen- der. sich einmal in öffentlicher Rede darüber beklagte. Herr Stresemann ist aber auch— zum Unterschied von seinen meisten Parteigenosien— ein kluger polltischer Gegner und als solcher uns willkommen. Besaßen die anderen seine Gewandtheit, so könnte der gegenwärtige Wahlkampf auf einem höheren geistigen Niveau geführt werden. Da» Schlimmste in der Politik bleibt eben doch die Dummheit, und daß er die gegen sich hat. das ist die größte Ehre, die ihm zu seinem 90. Geburtstag widerfährt. Auf die Glück- wünsche, die ihm heute seine deutschnationalen Bürgerblockgenossen entgegenbringen werden, darf man einigermaßen gespannt sein. Oer Glückwunsch der preußischen Regierung. Ministerpräsident Genosse Dr. Braun hat an den Retchsoußen- nrmister Dr. Stresemann folgendes Glückwunschtelegramm ge- richtet: Zur Dollendung de» 6«. Lebensjahr« v-flbermttfl« ich Ihnen Zugleich im Namen des preußischen Swatsinimsteriums. herzlichste Glückwünsche. Möge es Ihnen vergönnt sein, noch viel« Jahr« in bester Gesundheit auf Ihrem verantwortungsvollen Posten zum Wohle unseres Vaterlandes zu wirken und Insbesondere Är« auf die Verständigung der Völker gerichtet« Friedens- Politik zu vollem Erfolg« zu führen.
Zum Kall Zakubowski. Lakubowski kein Mörder?- Verhaftung dreier mutmaßlicher Täter. Neustrellh, S. Mai. Wie die„Landeszeitung für beide Mecklenburg" erfährt, sind der Leiter des Landeskriminalamts Neustrelitz . Regierungsrat Steiding, und der als wissenschaftlicher Berater herangezogene Kriminalpsychologe Dr. Hans von Hentig-Mienchen auf Grund ihrer Ermittlungen in der Sache Zakubowski zu folgendem Ergeb- ms gekommen: Di« neu festgestellten und sorgfältig durchgeprüften Tatsachen führen zu der Vermutung, daß der im Jahre 1925 wegen Mordes an seinem angeblichen Kind« verurteilt« und hingerichtete russische Kriegsgefangen« Zakubowski der Mörder nicht gewesen lein kann. Drei der vermutlichen Täter wurden oerhastet und dem Amtsgericht Schönberg zugeführt.
Verantwortung! Proletarier, wie wählst Du? Proletarier machen 60 Proz. des deutschen Volkes aus. Wäre das Proletariat einig, so hätte seine Partei, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands , bei den letzten Wahlen die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten.
De? polltischen und sozialen Reaktion, den monarchisti- schen Verschwörungen, dem Iustizstandal, dem Terror auf dem flachen Lande, den wucherischen Zöllen, der Alleinherrschaft der Großkapitalisten, kurz der Polllik des Besitzblocks wäre damll ein Ende gemacht! Der Besitzblock hat aber bei den Wahlen des Jahres in den Reihen des Proletariats selbst zahlreiche unbewußt« Helfer gefunden.
Von der Gesamtheit der proletarisdien Wähler stimmten:
Proletarier, dt« von ihrem Wahlrecht telnen Ge- brauch gemacht haben. Proletarier, die für die Nationalisten gestimmt haben. Proletarier, die khre Stimmen der Kirche abgegeben haben. Proletarier, die sich durch die kommunistische De- magogl« verführen ließen. st« find alle für die Herrschaft de» vesttzblock» über ihre Klasse verantwortlich. Durch ihre Stimmenthaltung oder durch fassche Ab- stimmung hat sich die proletarische Mehrheit in der Wähler- schast in die sozialistische Minderheit im Reichstag verwandelt. Arbeiter, Arbeiterinnen? Sorgt dafür, daß bei den kommenden Wahlen all« eure Klasiengenosien, alle Proletarier
sozialdemokratisch wählen!
Schlachigeschrei der großen(Schlange. Und die Antwort der Betrogenen. Herr Echlange-Schöningen, die deutschnational« Primadonna. reist im Lande umher und hält Wählerversammlungen. In Ham» bürg deklamierte er: „Unsere Gegner sind nicht die Kommunisten. Die Sozialdemokratie ist die größte revolutionäre Partei, gegen die die Rechte kämpfen muß." Bravo , Herr Schlange! In Magdeburg sang er als Heldentenor: „Wir stehen mitten in der Revolution, Revolu- tionen werden nicht durch Kompromisse beendet. Die« n d- gültige Entscheidung muß einmal ausgetragen werden. Wenn wir einmal aus den politischen Schützengräben treten, dann müssen wir den Willen und die Entschlossen- heit zur letzten Entscheidung haben." Aus zum letzten Gefecht. Herr Schlange! Leider steht die Zahl seiner Zuhörer im umgekehrten Verhältnis zum Pathos leiner Reden. In Magdeburg hörten sich 150 Zuhörer seinen Schlachtgesang an— und nicht einmal die wollten mit ihm aus dem Schützengraben steigen. Sie riefen:„Aufwertung! Aufwertung! Hundertprozentiges Aufwertung»- versprechen!"
Anleih edikiaiur Köhler— Schacht. Wohnungsproleten dürfen zusehen, wie Lesuiteu Auslands, anleihen erhalten. Di« Berawngsstelle des nun bald verflossenen Herrn Reichs» finanzministers Dr. Köhler hat sich bewogen gefunden, den deutschen Stadien endlich eine Abschlagszahlung aui den von diesem onge- meldeten ausländischen Anleihebedars gnädigst zu bewilligen. Die Anleihediktatur Köhler— Schacht läßt dazu amtlich melden: „Die Beratungsstelle für Auslandskredite befürwortete in ihrer gestrigen Sitzung den Antrag des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, im Laufe der nächsten Zeit eine Sommel - an leih« deutscher Städte in Höhe von ungefähr 1 7 Ii M'l- klonen Dollar an den Auslandsmarkt zu brürgen Die Be- ratungsstelle wird dafür Serge tragen, daß alle die Städte, die im Rahmen der Anleihe der Girozentrale zu berücksichtigen sind, a n- teil mäßig nach Maßgabe der von der Beratungsstelle besür» warteten Beträge an dem Erlös der Anleihe teilnehmen. Ferner befürwortete die Beratungsstelle die alsbaldige Ausgabe von A n- leihen der Städte Berlin und Frankfurt a. M. Die Feststellung der endgültig den Städten im Rahmen der An- leihe der Girozentrale zufassenden Beträge und die endgültige Fl-st- stellung der aus Berlin und Frankfurt a. M entfallenden B e. träge ist noch vorbehalten. Für den Herbst(!) ist die Ausgab« eines zweiten Teils der Anleihe des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes und die Ausgabe eim.Z«r wenigen Einzelanlelhen großer deutscher Städte vorgesehen." Die Wissenschaft hat sich zu dieser verrückten Auslands- anleihepolitik des Köhler-Schocht-Kollegiums schon in so vernichtender Weise geäußert, daß wir die weitere Entwicklung nur noch der Der- änderung der deutschen Machtverhältnisse durch die bevorstehenden Wahlen überlassen können. Wie verrückt dieses System ist. das beweisen die jetzt schon in die Dutzende angewachsenen, ohne jegliche Kontrolle aufgelegten ausländischen Kirchenanleihen, deren letzte jetzt in Holland vom Jesuitenorden gezeichnet werden soll. Die Priester vom Heiligen Herzen Jesu in Düsseldorf können in Holland zum Kurse von 99 Proz. eine 7p"?' zentige Dbligotionsaitleih« über 900 000 Gulden auslegen lassen. Die deutschen Jesuiten haben es beim Reichsbankprästdenten und der Beratungsstelle des Herrn Reichssinanzministers Dr. Köhler doch leichter als die Millionen Wohnungsproleten, die in Deutschland vergeblich auf die Erleichterung der Wohnungsnot durch die Zulassung von ausländischen Wohnungsbauanleihen hosftn.
Das landwirischast„feindliche" Preußen Notaktionen für Pommern - Hilfe für Anliegersiedier. Weil Preußen unter der sozialdemokratischen Fühning iu den letzten Iahren gut« Politik gemacht hat, muß die preußische Regie- rungspolitit für den Stimmenfang der Wähler von allen Rechts- blockparteien schlechtgemacht werden. Ganz besonders natürlich von den Deutschnationalen, die mit der Landwirtschafts„feindlichl«it" der preußischen Regierung nicht genug— allerdings vergeblich— krebsen können. Jetzt zeigt sich auch bei der Wetterschädenaktion für Borpommern, daß Preußenregierung und preußische Provin- zen, die zusammen mit dem Reich insgesamt 12 Millionen Mark für Notstandsdarlehen an vorpommersche, durch die letztjährigcn Uir- wetter geschädigte Landwirt« bewilligt haben, ihr« Anteile den Land- wirten voll ausgezahlt haben, daß aber das Reich, in dem der Landbundminister Dr. Schiel« für die Landwirte zu sorgen hat. diesen erst einen Teilbetroa hat auszahlen lassen. Dm pommerschen Pächtern wurden aus Staats- und Reichsmitteln 1,2 Millionen Mark verlorene Zuschüsse zur Zinsverbilligung zur Verfügung gestellt. Und jetzt wurde in Anwesenheit des von dcn Großagrariern so heftig befehdeten neuen Leiters der Preußenkosse. Dr. Klepper, vom Oberverteilungsausschuß der Provinz Pommern beschlossen. 30 Proz. ihrer Gesamtentschädigung als voll verlorene Zuschüsse zu gewähren, wodurch die Lage der Pächter er- heblich erleichtert wird. Das preußische Landwirtschaftsministerium hat ferner den Lein. deskulturbehörden neue Anweisungen zugehen lassen, die die be- sonders für die landwirtschaftlichen Handwerker wichtige AnNegersiedlung noch stärker fördern als bisher. Diesen Handwerkern soll, besonders wenn sie in der Landwirtschaft er- fahren«, arbeitsfähige Söhne haben, im Wege der Anliegersiedlung die Möglichkeit zur Vergrößerung des landwirtschaftlichen Betriebes bis zu einer selbständigen Ackernahrung gegeben werden. So sieht die landwirtschafts„feindliche" Politik der Preußenregierung in der Praxis aus, jener Preußenregierung, die der Land- Wirtschaft im Laufe der letzten Jahre erheblich größere Sum- m e n hat zukommen lassen, als Preußen aus der Landwirtschaft an Steuern herausholen konnte. Die Deutschnationalen können unbesorgt sein: der Dauermerit, was ihm die Preußen- regierung war, auch wenn die Itzenplitze und Zitzewttze noch so sehr schreien.._____ Oeuischnaiionale Kommunalpoliiik. Irreführende Behauptungen deutschnationoler Wahl« flugblätter. In einem ihrer neuesten Wahlflugblätter schreibt die Deutsch - nationale Dolkspartei in einer Polemik gegen die„sozialistische Re- gierung" in Preußen(in der bekanntlich zwei Sozialdemokraten neben sechs bürgerlichen Ministern sitzen) u. a.: .... sie(die preußisch« Regierung) hat sich neuerdings vor- genommen, die bewährte Selbstverwaltung m den Gemeinden in Scherben zu schlagen, Umgemeindungen usw. vorzunehmen, gegen die sich die Bevölkerung mit Recht wehrt." Hierzu bemerkt der Amtliche Preußisch« Pressedienst: Diese Vor» würfe sind in jeder Hinsicht grundlos und verraten auch eine merk- würdige Unkenntnis der talsächlichen Derhällniss«, Umgemeindungen werden nämlich nicht durch Verwaltungsakte der preußischen Regie- rung vorgenommen, sondern durch gesetzliche Maßnahmen, also durch Gesetze, die nur im Landtag und nur bei Zustimmung der Mehrheit der Volksvertreter ergehen können. Doppelt absurd ist es, in diesem Zusammenhang von der Selbstverwaltungsfeindschaft der preußischen Regierung zu sprechen, denn all« ihre Umgemcindungs- gesetze dienen ausgesprochen dem Zweck, an die Stelle von leistungs- chwachen Gemeinden größere, leistungsfähiger« und modern durch- organisierte Gebilde zu setzen und damit den Selbstvenvaltungs- g«danken zu stärken! Zlurupa, stellvertretender vorslhender des Rates der Volks- kommissare in der Sowjetunion , ist im Alter von 58 Iahren in Moskau gestorben. Er gehörte früher zu den engsten Freunden Trotzkys, sagte sich aber im vergangenen Jahr von ihm los. Die deutsche Regierung hat ihr Beileid auegesprochen. Sein Nach- folger ist vorläufig Ordshonokids«, Vorsitzender der Zen - traten Kontrollkommission der Bolschewistischen Partei.