Einzelbild herunterladen
 

Morgenausgabe

Rr. 223

A 113

45.Jahrgang

Böchentlich 85 Bfg., monatlich 2,60 m. im vorauszahlbar, Boftbezug 432 m2. einschl. Bestellgeld, Auslandsabonne ment 6.-M. pro Monat.

*

Der Borwärts" erscheint wochentag Hich zweimal, Sonntags und Montags einmal, bie Abendausgaben für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend", Jilustrierte Pellagen Boll und Zeit und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wissen"," Frauen Stimme, Technit". Blid in bie Bücherwelt" und Jugend- Borwärts".

Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Sonnabend

12. Mai 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die ein paltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs­mart. Kleine Anzeigen" das fettge orudte Wort 25 Pfennig( zulässig zwei jettgedruckte Borte), redes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengeluche das erste Wort 15 Biennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmartt Belle 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen­annahme im Hauptgeschäft Linden ftraße 3. wochentägl. von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstraße 3

Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Fernsprecher: Tönbofi 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin  

Boltschedkonto: Berlin   37 536- Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitentaffe Lindenstr. 8

Achtung! Achtung!-Wahlmanöver! Megito im Wahlkampf.

Staatsbürgerlicher Wahldienst."- Technische Nothilfe für Nichtwähler!

Eine geheimnisvolle Angelegenheit ist im| Biele zum mindesten recht dunkel find. Hat man sich denn Gange. Zuerst berichtete ugenbergs Telegraphen- vergewiffert, ob und in welchem Sinne die zugesicherte Union über sie, etwas später fam BTB. etwas schüchtern ,, lleberparteilichkeit" gewährleistet ist? Welchen Grund hinterdrein. Es wird unter der Ueberschrift: Gründung haben die nicht genannt sein wollenden Wohltäter, die angeb­eines staatsbürgerlichen Wahldienstes" folgendes berichtet: lich nichts anderes als eine beffere Wahlbeteiligung erzielen Bei den letzten lokalen Wahlen hat der Prozentsatz der Nicht wollen, ihre Namen zu verschweigen? Wollen fie wähler in erschreckendem Maße zugenommen. Wirksam bekämpft hat dadurch die Unterstützung von Kreisen erreichen, die sich sonst diese Erscheinung bei den hamburger Bürgerschafts- sehr vorsichtig ihnen gegenüber verhalten müßten- wahlen der überparteiliche Hamburger Wahl und ist ihnen dieses Manöver nicht schon beim offiziösen dienst", eine Erscheinung, Telegraphenbureau gelungen?

in ihrer Art ähnlich der technischen Nothilfe..

Bergiftung des öffentlichen Lebens.

Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Der Kampf zwischen Staat und Kirche in Merit o ist zu einer aktuellen Frage im Wahlkampf in Deutschland   geworden. Man versteht es ohne weiteres, wenn die deutsche   katholische Kirche  und die deutschen   katholischen Parteien, den Anweisungen von Rom   folgend( von sich aus haben sie nichts getan, sondern jahrelang geschwiegen!), eine Protestbewegung gegen die angeblichen Religionsverfolgungen in Merito organi­fieren. Es ist aber nicht ohne weiteres verständlich, daß sich diese Protestbewegung gegen bestimmte Parteien und Be­völkerungsschichten in Deutschland   richten tann. Sie entwickelt sich hier zu einer regelrechten antisozialisti­schen und antisemitischen Heze, was jeder feststellen fonnte, der die Protestkundgebung der Berliner   Katholiken im Friedrichshain   besucht hat. Wie kommt man dazu? Was haben namentlich die Juden mit dem Bürgerkrieg in Merito zu tun? Die logische oder beffer gesagt psychologische Er­flärung liegt in folgendem: man protestiert nicht nur gegen die merikanische Regierung, sondern auch gegen das an­gebliche Komplott des Schweigens" in der ganzen Welt. hinter diefem ,, Komplott" sollen nun, Antifleritalis­mus", Sozialismus" und Freimaurerei  " stehen. Wenn aber der wildgewordene Kleinbürger und es ge= schieht alles, um ihn wild zu machen! das Wort Frei­ maurerei  " hört, dann reagiert er sofort: also Juden! Der merikanische Präsident Calles wird in der Propaganda­literatur als Judensohn" bezeichnet. Und wenn der ehrwürdige Jefuitenpater gegen die Weltpresse" spricht, so aufrufen seine Zuhörer: Judenbande!", und der Redner weist folche zurufe mit keinem Borte, mit feiner Geste zurück!

Die Bezeichnung des als Unternehmens eines ,, Staatsbürgerlichen Wahldienstes" läßt jedoch schon Unter Mitwirkung namhafter Persönlichkeiten des Wirtschafts- aus dem sorgsam gewählten Schaffell eine spißes Wolfsohr lebens ins Leben gerufen, war es Aufgabe dieses Verbandes, jeden hervorfugen. Staatsbürgerlich" ist im Sprachgebrauch der Richtwähler ohne Unterschied der Partei zur Wahlurne zu bringen. Deutschnationalen ein Bort, das den Gegenja au Der Hamburger Wahldienst" tonnte als Erfolg eine Bahimehr- margistisch" bedeuten soll. Allem Anschein nach handelt beteiligung von 10 bis 15 Broz. gegenüber den vorlegten Hamburger es sich um die Organisation eines rechts parteilichen Bürgerschaftswahlen für sich buchen. Schlepperdienstes, für die offiziöse Reflame gemacht worden ist!

Für die bevorstehenden Wahlen sind deswegen ähnliche Ber bände in Berlin  , Köln  , Frankfurt   a. M., Dresden  

Der Hamburger Wahldienst" war eine ausgesprochen gegen die Linfe gerichtete Einrichtung, die es selber als ihr Biel   bezeichnete, die Kräfteverhältnisse in der Hamburger Bürgerschaft entscheidend umzugestalten." Wenn alle wählten, so hieß es damals, so müsse ,, das Bürgertum fiegen".

und Stuttgart   ins Leben gerufen worden. Ihr Programm lautet: Kampf dem Nichtwähler." Werbungen jeglicher Art zur Hebung der Wahlbeteiligung sind vorgesehen. Im einzelnen ist ge­plant: 1. Berpflichtung des Rundfunks für häufige und eindringliche Hinweise auf die Wahlpflicht. 2. Pressepropaganda. 3. Aufdrud Der Fahrscheine der städtischen Berkehrsmittel am 19. und 20. Mai: Geht zur Wahl!" 4 Berteilung von Flugblättern und Handzetteln Zu diesem Zwede wurden alle Autobefizer an verfehrsreichen Buntten, Bahnhöfen, Stammtischen usw. mit gefordert, ihre Wagen für die gute Sache" zur Berfügung eindringlichen Mahnungen. 5. Rraftwagenschleppdienst 3 stellen. Geholfen hat es allerdings nicht! am Wahltage. 6. Rinoreflame zur Wahlpflicht.

Die Ausführung dieses Planes hat ein geschäftsführender Aus­schuß übernommen. Größte Bahrung der Rechtlichkeit und strenge Durchführung der Ueberparteilichteit ist von allen Seiten zugesichert und gewährleistet.

Mit Rücksicht auf die Besonderheit der Berhält. alise wird jedoch davon abgesehen, mit Namen die dem Wahldienst und dem Arbeitsausschuß nahestehenden Person­lichkeiten zu nennen."

Was schleicht denn dort im Busch herum? Es ist un­erhört, daß sich das halbamtliche MTB. dazu hergibt, einer anonymen Gesellschaft Borschub zu leisten, deren

Um Mitternacht meldet MTB.   zu dieser mysteriösen An­gelegenheit noch folgendes:

Zu der Mitteilung über die Gründung eines Staatsbürgerlichen Bahldienstes in Berlin   ist festzustellen, daß es fich um eine mit ahdienstes in Berlin   ist festzustellen, daß es sich um eine Mit­teilung des

Berliner   Wahldienstes, Cintstraße 20,

handelt Bersehentlich ist diese Quelle bei der Uebermittlung an die Zeitungen durch uns nicht angeführt worden.

Die Sache wird immer dunkler. Auf alle Fälle verdient sie, bei Tageslicht noch genauer betrachtet zu werden!

Der Kampf um Tsinanfu.

Schweres Ringen zwischen Chinesen und Japanern.

Condon, 11. Mal.( Eigenbericht.)

3n Condon eingetroffene Einzelheiten der Uebergabe Tsinanfus an ble Japaner zeigen, daß die Japaner die Stadt erst nach heftigem Kampf befehen konnten. Die Chinesen des Generals Fengischangwu leifteten verzweifelten Widerstand und machten nicht weniger als zehn Gegenangriffe gegen die eindringenden Japaner. Dieser Widerstand war eine Zeitlang fo erfolgreich, daß der japa­nische Kommandeur fich gezwungen fah, aus Freiwilligen Sturmtolonnen zusammenzustellen, die mit Handgrana. fen gegen die Grenze zwischen Fremdenfiedlung und Eingeborenen­ftadt stürmten. Die Japaner geben ihre Verlust in Tsinanfu jo an: 21 Soldaten, 13 3ivilpersonen tot, 79 Soldaten, 9 Zivilpersonen verwundet, 28 3ivilpersonen vermißt.

Der Mordanschlag auf Karl Seik. 3wei Jahre Zuchthaus für den Täter.

Wien  , 11. Mai.  ( Eigenbericht.) In dem Prozeß wegen des Revolver attentats auf Bürgermeister Gen. Seiz wurde am Freitag mittag der Angeklagte Richard Strebinger des Mordverfuches sowie der Uebertretung gegen bie förperliche Sicherheit, begangen badurch, daß er nach dem Schusse auf den Bürgermeister auch noch zwei Schüsse gegen die Menge abfeuerte, schuldig erfannt und zu zwei Jahren schweren Serters, verschärft durch einen Fasttag vierteljährlich, sowie wegen unerlaubten Waffentragens zu 10 Schilling Geldstrafe ver urteilt.

In der Begründung führte der Berfigende aus: Der Angeklagte Ift nicht geiftestrant und auch nicht finnesverwirrt gewesen. Er gibt gu, mit einem Revolver auf den Bürgermeister gefchoffen zu haben, bestreitet aber die Absicht des Tötens, er habe ihm bloß einen Dent zettel geben wollen. Mit einem Revolver gibt man

teine Dentzettel. Aus den Umständen und aus der Waffe geht die Absicht, zu töten, hervor. Es ist also der Mordversuch erwiesen. Als erschwerend wurde nur der Zusammenfall eines Ber brechens mit zwei Uebertretungen angefehen, als mildernd das Ge­ständnis des Tatsächlichen, sowie, daß der Person des Bürgermeisters fein Schaden zugefügt wurde und schließlich die hochgradig pinchopathische Beranlagung des Angeklagten.

Die deutsch  - polnische Schaufelpolitik. Die Fauft der Neuwahlen muß Wandel schaffen. Seit Wochen wird zwischen dem deutschen   Reichskabinett und der polnischen Regierung hin und her geraten, wer eigentlich die Schuld an der ewigen Berschleppung der deutsch  - polnischen Handels­vertragsverhandlungen trägt. Für Deutschland   ist es außer Zweifel, daß sich die Parteien des Rechtsblocks vor den Wahlen nicht die Gegnerschaft des Reichslandbundes zuziehen wollen und daß deshalb die auf Abbau amtierende Rechtsblockregierung die Handelsvertrags verhandlungen bewußt sabotiert. Die Männer der polnischen Regie rung sind gewiß feine unschuldigen Lämmer, aber Hausmachtpolitit ist den deutschen   Bürgerblodparteien wichtiger als die Rüdficht auf die deutsche   Konjunktur, die noch nie so dringend wie jegt freund lichere Handelsbeziehungen zu dem für Deutschlands   Industrie lauf­fräftigen Polen nötig hatte. Dafür verschieben die Groß. agrarier, die auf Kosten der deutschen   Steuerzahler für jede Tonne 50 M. in die Tasche stecken, soviel Roggen wie mög. lich nach Polen  , nach demselben Bolen, über das ihr nationales Herz täglich die größten Kofodilstränen vergießt. Wenn Deutsch  lands Konjunktur durch eine vernünftige Handelspolitik einigermaßen gehalten werben foll, wenn die deutsch  - polnischen Handelsvertrags verhandlungen entlich mit Erfolg zum Abschluß gebracht werden sollen, dann muß am 20. Mai abgerechnet werden.

-

Wir müssen gestehen: es widerstrebt uns tiesinnerst, uns mit solchen Auswüchsen der politischen Unmoral zu befassen. Es wird aber unumgänglich notwendig, daß wir einige ernste Worte des Protestes und der Warnung aus­fprechen: so geht es wahrhaftig nicht weiter!

Vor allem aber wollen wir hier einwandfrei feststellen, mit welchen untauglichen Mitteln diese ganze Greuelpro­paganda arbeitet. Wir stimmen mit Herrn Mariaur S. J. überein, wenn er( im Flugblatt Beitfragen" Nr. 93) sagt: beweisen." Wir erklären aber, daß Herr Mariaux und seine ,, Es ist mitunter schwierig, bestimmte Einzelnachrichten zu ,, glaubwürdigen" Quellen wie auch die anderen Antreiber der Greuelpropaganda auch in den Fällen unwahr heiten fagen, in denen die Wahrheit leicht nach­weisbar ist. Um das zu beweisen, brauchen wir uns nur an das Organ der römischen Kurie ,, L'Osservatore Romano  " zu menden. In diesem Blatt finden wir in der Nummer Dom 5. Mai eine Notiz, die allein genügt, um das gesamte Netz der Lüge und der Fälschungen mit einem Schlage zu zerreißen. Die Ueberschrift der Notiz lautet: Auch die Rommunisten unzufrieden!"( ,, Anche i communiste mal­contenti"); in der Notiz wir die kommunistische In­formation aus Merito zitiert, aus welcher ganz klar hervor geht, wie feindlich die Kommunisten Calles und seiner Re­gierung gegenüberstehen. Das Blatt des Vatikans benutzt die Kommunisten als Zeugen dafür, daß in Merifo die politische Sklaverei herrscht. Das ist ein verhängnis­voller Fehler der Regie. Die fatholische Propaganda be hauptet sonst, daß hinter Calles und feinen Berfolgungen gegen die katholische Kurie die Kommunisten stecken! Lügen haben wahrhaftig furze Beine!

"

Es ist zweifellos eine bewußte unwahrheit, wenn in der fatholischen Propagandaliteratur immer von der kom= munistischen Organisation Crom" gesprochen wird. Was ist dieses geheimnisvolle Crom"? Die Bezeich­nung ist aus Anfangsbuchstaben zusammengesetzt und ent­spricht unserem ADGB.". Crom" ist die große gewerf­schaftliche Organisation, die von den Kommunisten am schärfften bekämpft wird. Die Sachlage wird besonders einleuchtend durch die Tatsache geklärt, daß die ,, Crom" in Verbindung steht mit den amerikanischen   Gewerkschaften, die bekanntlich besonders kommunistenfeindlich sind, und daß bei der Gründung der Crom" der verstorbene Gompers so­zusagen Pate gestanden hat. Gompers hat auch Calles unterstützt und ihn seinerzeit als Präsidentschaftskandidaten empfohlen, was damals großes Aufsehen erregt hat. Des­halb hat Calles nach seiner Wahl zuerst die Vereinigten Staaten   besucht und nicht Sowjetrußland, wie es in der Propagandaliteratur behauptet wird, und wo er überhaupt nie gewesen ist. Sein Wirtschafts- und Arbeitsminister Mozones, der anerkannte Führer der merikanischen Arbeiterbewegung, ist auch fein Kommunist, mas Herr Mariaur und die anderen leicht feststellen fönnten, sondern ein von den Kommunisten besonders gehaßter Reformist". Mozones pollte zwar vor Jahren Sowjetrußland besuchen, hat aber feine Einreiseerlaubnis bekommen. Alles das sind leicht tontrollierbare Tatsachen!

Es wird von der tyrannischen Diftatur" von Calles, diesem Nero von Merito" gesprochen, insbesondere von