-Unterhaltung unÖ Missen
Beilage des VonvSrts
Coevorden . den 7. u. 8. Mat. Ztr Zu«, der mich nach Holland trug, fuhr den ganzen Tag durch blühende? Land. Leuchtendes Grün, standen die Wälder über üppigen Wiesen, auf denen Buntvieh und Pferde sich munter tummelten. Von weißen Blüten überregnet grüßten die freundlichen Häuschen friedlicher Heidebauern. Da und dort ragt« der schloß- artige Bau einer Spinnerei auf. Dann kam die Grenz«. Zusehends ändert« sich das Land. Anders gebaut waren die Häuser. Seltener wurden die Aecker und bald sah das Auge nur noch die langen Reihen geschichteten Tvrss, den fleißige Moorbauern abzustechen sich mühten. Auf dem Kanal, der ein helles Wasier neben der Bahn herführt«, drängten die Torfkähne sich. Große Torffchuppen erhoben neben jedem Bahnhof sich. Mit Tors hochbeladene Waggons schoben sich über die Gleise, imf, Torf, nichts als Torf. Dunkle Männer sah ich, die sich mühten» neue Gräben durch das Moor zu ziehen, andere packten den frischen Torf zu hohen lustigen Haufen, daß der Wind Ihn trockne. Soviel Arbeit sah Ich. soviel Muhe, um dieses feuchte Produkt der Erde zu trocknen, um aus unfruchtbarem Moorboden fruchtbaren Acker zu machen, und.mußte daran denken, wie leicht all die Mühe verloren ist. Ein kleiner, vom Wind aufgejagter Funke au» dem Schornstein vorbeifahrender Lokomotiven, ein achtlos weggeworfenes Streichholz, die Asche der Lagpcrmaschine. die das Moor entwässern hilft, kann Ursach« sein eines Brandes, der in Drenthe wütend die Arbeit vieler Monate zunichte macht, der eine ganze Provinz mit seinen Schrecken überzieht, die nur den Schrecken des Krieges ver» gleichbar sind. Don Coevorden bin ich nach Marienberg gekommen und ml« ich nun zur Rechten durch das Fenster blicke, sehe ich, ganz fern am Horizont, um ein« Nuance nur dunkler als der In herrlicher Klarheit aufstrahlend« Himmel, eine Rauchwolke emporgehen. Dort liegt K l a z i e na v e e n, der Ort, bis zu dem der Brand, von Norden kommend, vorgedrungen ist. Der Ort, wo man der Flamme Herr zu werden hofft. Zwanzig Minuten noch fährt der Zug, dann bin ich in Emmen. Dieser Ort war vor«vei Tagen unbewohnbar durch den unerträglichen Rauch, den der Wind vom Moor hertrieb. Jetzt steht als einzige Zeugin des Brandes eine abgekämpfte Feuerspritze auf dem kleinen Bahnhof. Ich steige aus und wandere der Rauch- wölke zu, die» ins Riesenhafte gewachsen, im Osten über dem Lande steht. Durch lichten frühlingshaiten Wald komme ich, der sich plötz- sich öffnet. Bor mir liegt E m ine n- E r f sche i d e n o e e n, der Ort, über den am Freitag die Flamm« in Kilometerbreite hinweg» gegangen ist. Schwarz liegt das Moor zu beiden Seiten der Straß«. Eingefallene Mauern abgebrannter Häuser erzählen von den Schrecken der letzten Tage. Die Straße ist noch bedeckt von der dunklen Asch«, die der Rest Ist Hunderter Torfhaufen, die zu beiden Seiten der Straße auf den Feldern standen. Menschen kommen mir entgegen, die aus winzigen Wägelchen das bißchen gerettete Haus- rat hinter sich herfahren und die nun in ihre vom Feuer verschonten Häuser zurückkehren. Andere, deren Häuser mit ollem wa» darin war niederbrannten, haben in Kirchen und Gemeindehäusern vor- läufig« Unterkunft gefunden. Weiter wandere ick). Don einem hohen Mast weht eine groß« rot« Fahne über da» Moor. Das Warnungszeichen, das das An- zünden von Feuer verbietet. Rechts über dem Kanal, der sich längs oer Straß« hinzieht, iteht die. Wolke, unter der das Moor noch brennt. Noch sind es Kilometer bis da und ich muß noch an vielen Häusern vorbei, deren Bewohner mit dem bloßen Schreck davon ge- kommen sind. Nun stehen sie in den Türen Ihrer Häuser und blicken interessiert In das brennende Moor. wo. je näher ich komm«, öfter und öfter Flammen auszüngeln, die wie rote Zungen den Horizont bedecken, über dem, in dichte Schwaben gehüllt, die Sonne steht. Die Ammoniakfabrik, um deren Erhaltung die Feuerwehr zwei Tage gekämpft. Nun ist das Feuer zwar abgedrängt, aber noch nicht erloschen. Um an die Branl stelle zu kommen, verlasse ich die Land- straße und gehe über das Moor, das unter meinen Füßen seltsam »achgibt. Manchmal quatscht es wie von Feuchtigkeit. Dann liegt da, brennende Moor in seiner ganzen Breite vor mir. Di« Sonne ist hinter dem Dunst und Rauch nicht mehr zu sehen. Doch da und dort, einige hundert Meter zur Rechten und einige hundert Meter zur Linken, lodern die brennenden Torfhaufen. Eine Lokomobile arbeitet unermüdlich daran, um Wasier in die Entwässerungsgräben zurückzupuinpen, ober ihre Kraft genügt nickst, das Moor unter Wasser zu setzen. Männer mit Eimern sind dabei, Wasser aus den Gräben auf das Moor zu gießen, um wenigstens die Flammen von dem Haus, da« hier steht, fernzuhalten. Am Weg«, hundert Meter von dem Hause, liegt ein Schrank auf dem Boden. Schritte weiter steht eine Karre mit Bettzeug und anderem Hausrat, den man nicht vergraben oder im Wasser be> wahren kann. Unter einem plötzlichen Windstoß schlagen die Fammen fünf und
mehr Meter hoch, so daß die Menschen, die wie gespenstische Schalt?» herumstehen, zurückweichen. Arbeiter erzählen von einem Kollegen. der auf dem Wege durch das Moor von den. Flammen abgeschnitten worden ist, und oer, um ihnen zu«ntgelzen, einen Kanal zu durch- schwimmen oersuchte, wobei er ertrank. Seinen Holzschuh hat man aus dem Wasser treibend gesunden. Ein Schisf, das nicht rechtzeitig aus dem Bereich des Feuers kam, ist verbrannt. Dutzende solcher Geschichten, die die Schrecke» der vergangenen Tage besser beleuchten als alles was ineine Augen sehen, werden mir erzählt, wie ich jetzt an der Brandstell« entlang wander« zum Hauptangrifsspunkt des Brandes. Hier erst, wo ganze Torfhaufen in hellen Flammen stehen, ist die Gewalt zu ersehen, mit der dos Feuer wütet, dos über Straßen und Kanäle hlnwcgsprong, um«in halbes hundert Häuser und Tausend« von Torfhaufen zu fressen. Das viele hundert Quadro!- kilometer Torfland mit Verderben überwog. Hier steht auch die aus allen Orten der Umgebung und die aus Amsterdam gekommene Feuer- wehr im Kampf gegen große Haufen brennenden Torfs, die wie frisch- ausgcstoßener Koks gegen den Himmel glasen. Kiiometerlang sind die Schlauchleitungen, die gelegt werden mußten, um das Wasser an den Brandherd heranzubringen. Nicht, um das Feuer zu löschen, sondern nur, um es beschränken. Nur, um den Boden zu nässen, die noch nicht angegriffenen Torshausen zu retten; denn was die Flamm« anfraß, das ist verloren. Und während die Feuerwehrleute, vom Rauch geschwärzt, unermüdlich ihre Schläuche gegen das schwelende Moor halten, stehen auch hier Hunderte von Schaulustigen untätig und blicken zu. Kaum jemand hilft den Menschen, die ihr Hab und Gut aus den Häusern bringen, um es zu retten. Nicht ein- mal der Brandmeister vermochte mit seiner Autorität einen der im Auto Hergekommenen dazuzubringen, ihm sein Auto zu leihen, um vom Nachbarorte«in Teiephongejpräch durchführen zu können. Es ist ja nicht das Hab und Gut derer, die von Scheveningen , Amster- bom und anderen Orten hierherkamen, um eine Sensation zu er» leben, dos hier verbrennt, es ist ja nur das Gut anner Bauern, die ein Bierteliohr oder mehr umsonst gearbeitet haben und die oben- drein ihr Heim verloren. An immer mehr Stellen züngeln nun, wo die Dunkelheit her- einbricht, die- Flammen auf. Den Schlauchleitungen nachgelicnd, komme ich zum Kanal, an dem die Spritzen stehen. Eine Motor- spritze steht auf einem Kahn, andere am jenseitigen Ufer. Eben ist man dabei, mit Hilfe eines Schiffes neue Schlauchleitungen über den Kanal zu ziehen. Stück wird an Stück geschraubt, bis ein neuer Mund bereit Ist, mit ungeheurem Druck das Wasser in das Moor zu spritzen, das zu trocknen, Sinn der Arbeit der Menschen ist, die hier wohnen. Neben den Motorspritzen, die mit lautem Getöse arbeiten, stehen in dichten Kolonnen die Automobile der Neugierigen und Reporter. Hundert« von Fahrrädern stehen dabei. Gestern sollen soviel Automobile hier gewesen sein, daß alle Straßen verstopft waren, so daß selbst die Feuerwehr Mühe hatte, vorwärts zu kommen. Dunkler noch wird es. Gespenstisch merden die Umrisse der Menschen, die die Glut umlagern. Höher lecken die Flammen am Horizont. Rot ist der Himmel. Weiter dehnt sich nun, da auch das kleinst« Feuer sichtbar wird, der Brandherd. Die Auto» derer, die nur zum Schauen kamen, kurbeln an. Die Radfahrer sitzen auf. Nur einige Unentwegte bleiben, um der Feuerwehr zuzusehen, die in der kommenden Rocht noch Gewaltiges zu leisten hat. Ein Lastauto, dos Benzintanks für die Motorspritzen herangebracht hat, nimmt mich mit zu meiner Station. Mit flottem Tempo rattert der Wagen voran. An Häusern kommen wir vorbei, vor deren Türen fremder, hierher geretteter Hausrat sich türmt. Die Lichter der Straßenlaternen spiegeln sich in stillen Kanälen. Durch Erica kommen wir, wo schon die Menschen unberührt hinter ihren erleuchteten Fenstern sitzen. Nach Nieuw-Amsterdam führt der Weg. Stockfinster ist es nun, aber je dunkler es ward, desto heller wird der Widerschein des Feuers am Horizont. Ein Auto kommt uns entgegen. Männer fitzen darin, die zum Feuer wollen. Sie halten uns an und fragen nach dem Weg. Fragen-»-!» es nch lohnt, sie möchten das Schauspiel gern sehen. »O. es lohnt noch," sagt der Chauffeur. .Und der Weg?" .Fahren Sie nur immer dem Schein nach, dann fehlen sie den Weg nicht." .Danke." .Bitte." Das Auto fährt weiter mft denen, die, ein Schauspiel zu sehen, ihre Nochtruhe opferten. Ob sie wohl Verständnis haben für die. die in dieser Stunde nicht wissen, wohin sie sich betten sollen, well das Feuer sie gegen ihren Willen um ihr Obdach brachte. Ilnd ob wohl morgen der ersehnte Regen kommt, der den Menschen hilft im Kampfe gegen das Feuer? Fröstelnd ziehe ich mich auf dem offenen Wagen zusammen. Am Himmel steht immer noch der helle Schein der Flammen. Das Moor brennt. Eine Woche schon. Erich Grisar .
Aus dem Qben des kleinen L. Bon Lotte Arnheim. De? kleine Inowrazlaw(wir wollen ihn kurz den kleinen I. nennen), war ein rothaariger Lausejunge, der absolut nichts mit sich anzufangen wußte, wenn seine Taschen ohne Geld waren. Heute nun kam ihm der rettende Gedanke, sich einmal selbst zu belauschen und da« zu Papier zu bringen, was in ihm wühlte und gärte. Er krempelte sein Inneres vorsichtig um und fand darin das Verlangen nach der gewürielten Krawatte im Schaufenster des Union-Klubs, einige säuberlich zusammengerollt«, boshaft gepfefferte Sachlich- ketten und In einer ungestörten Ecke eine dicke glatte Kugel: das Phlegma. Nach eingehender Musterung packte der Keine I. diese Scherzartikel wieder fort, sah nicht«in, worum man nicht ebenso gut wie sich selbst auch andere belauschen könne, nahm ein umfangreiches Diarium, schrieb mit gespreizter Feder und gerunzelter Stirn .S« l b st e r l a u s ch t e s" auf die noch keuschen Seiten, ergriff Mantel und Hut und begab sich ins nächst« Caft. » Der kleine 5. betrieb sein« Studien unter der Voraussetzung, daß auch der unzugänglichste Mensch unwillkürlich momentelong sein wahres Gesicht zeigt, wenn man ihn in Wut versetzt. Er ver- stand es geschickt, sein« long ausgestreckten Bein« sich mit denen der Vorübergehenden verheddern zu lassen, mit wie zufällig umstürzen- den Tassen und Gläsern nichtsahnende Anzüge zu verderben, samt- liche vorhandene Zeitungen zu konfiszieren, die«r selbst zwar nnt keinem Blick streifte, deren Besitz ihm aber erfreullcherwesie die un- erfüllten Wünsche anderer verkörperte. * Der kleine 5. strahlte. Man schenkt« ihm heut« entschieden Be- achtung. Das Diarium auf dem Schreibtisch würde schon voll werden von all den wütenden Blicken, gezischelten Bemerkungen, kirschrot herausgebrüllten Drohungen. Sogar eine Ohrfeige hatte man ihm gewidmet..... * Am Nebentisch saß ein« Dame. Sie stützte lässig d?n Kops in die hohl« Hand und blickte traumverloren In eine Ecke, m der es nichts zu sehen gab als ein« große Leer«. Aber gerade diese große dunkle Leere bot Berwandte», schmeichelte dem Blick.... Der klein« I. begriff solch törichte Versunkenheit nicht und be- schloß frivol, sie zu stören. Cr setzte sich mit dem Hut aus dem Kops an ihren Tisch, ohne.zu grüßen oder um Erlaubnis zu fragen, liebkost« den zierlichen Rehpinscher der Dame al» den allerliebsten Mops, den er je im Leben gesehen, blies ihr übelriechenden Zigarrenrauch gerade ms Gesicht und ergriff zu guter Letzt ihr Hand- täschchen, um sich der Puderquast« zu bedienen. » Die Dame schenkte ihm einen leicht befremdeten, uninteressierten Blick, dessen wunderbarer Ernst den kleinen I. seltsam berührte. Es durchschoß ihn. daß alles, was in dieser Frau vorging, der Mühe wert sein müsse. gÄwcht zu werden. Er konnte es nicht ver- hindern, daß sich fein Rücken zu einer beinahe korrekten Ver- beugung herabbog, daß sein« Hand mechanisch den Hut vom Kops nahm. Er sah lang« in dieses Gesicht, dessen edle Ruh« schwer er- warben schien, und es passierte ihm etwas ganz Neues, Schreck- liches: Er. der klein« kam sich völlig belanglos vor. * Der klein« I. entfernte sich m einer eigentümlichen Verfassung und mft unbezwinglicher Sehnsucht nach irgendeincpi freundlichen Lächeln. Unterwegs hatte er dos Gefühl, als ob sich seine zusam- mengefoltet« Seele longsam entrollt« und die dicke glatte Kugel in fernem Innern sich unruhig hin- und herbewegte. Er schenkte einem kleinen Jungen sein« restlichen paar Groschen, ohne dafür Sorge zu tragen, daß dieser sie im nächsten Moment wieder fallen lassen mutzt«, eilt« nach Haus«, nahm das Diarium vom Schreibtisch und warf es mit einer an ihm unbekannten impulsiven Hast in« Feuer. _" Dante Gabriele Rossetti . Zu seinem-100. Geburtstage am 12. Mai. Ein italienischer Maler namens Gabriel« Rossetti kam mit 21 Iahren nach Neapel und wurde dort Konservator am könlg- lichen Museum. Er hängte die Malerei an den Nagel und ergab sich mft um so größerem Eifer der Dichtkunst. Er war«in sanfter und frommer Mann, dieser Rossetti , ober was da um ihn her vor- ging, das konnte ihn unmöglich gleichgüllig lassen. In Neapel herrschte unter der dekadenten Bourbonendynastte eine abscheuliche Mißwirt- schaft. Italien war überhaupt in lauter kleine Territorien zerrissen, ein Sprelball der Ausländer. Da war der Kirchenstaat , da war Habsburg. Rossetti wurde der Wortführer der Revolution, jener Bewegung, die sich das»Junge Italien" nannte. 1820 kam die Bombe zum Platzen. Noch war es zu früh zu einer Einigung Italiens : die Reaktion siegte mit der brutalen Gswall der Bajonette. Der Mufeumsbeamte suchte Zuflucht auf einem englischen Schiff, das im Hafen lag, und das ihn nach Malta «ntsührt« und 1824 nach London . Hier, in dem berühmten Asyl aller politischen Flücht- ling«. ließ er sich als Sprachlehrer nieder und wurde Professor an »Kings College". Obgleich guter Katholik, fuhr er fort, den Papst o!s Beherrscher des durch und durch verrotteten und allem natio- nalen Fortschrftt feindlichen Kirchenstaats anzugreifen. Dante er- schien ihm als der Borkämpfer für die Cinigung Italiens . Nach ihm, feinem Abgott, nannte er sein zweites Kind Dante Gabriel ». Vom Vater erbte der Junge wohl die malerische und lyrische Begabung, aber nichts von seinem revolutionären Tempera- ment. Das England, in dem er aufwuchs, hatte seine radikale Tradition gründlich verleugnet. Seit der französischen Revolution war es der Hort der Reaktion geworden, der das wüste Treiben der »Heistgen Allianz" auf dem Kontinent segnete. Man hatte alle Hände voll zu tun, um das jung« Jndustrieproletariat, das unter einer unbe- schreibstchen Ausbeutung körperlich und seelisch litt, im Zaum zu . Das Bürgertum entwickelte in dieser Zeit unerhörten materiellen Aufschwungs, die man die„Diktorianische Aera" nennt, jene widerwärtige heuchlerisch« Frömmigkeit und Sfttsamkeit. mit der man alle Laster und Schwären am Volkskörper zudeckte: jene Scheinhelligkeit, an der die angelsächsische Welt bis auf den heuttgen Tag krankt. Wer in dieser muffigen Atmosphäre auch nur ein Wort von
..Rückkehr zur Natur" äußerte, wurde von allen Betschwestern in Hosen und Unterrock In Acht und Bann getan. Ueber Religion und Polftik zu reden, galt als Zeichen mangelnder Kinderstube. Man schwindest« sich im besitzenden Bürgertum ein« Wolke von Schönheit und Edelmut vor, in der man sich gegen das gemeine schlechte Volk, gegen den»Pöbel", abschloß und einhüllte. Der Hospoet T e n n y» s 0 n blies dazu seine lyrische Schaimei. Indessen gab es doch ein paar kluge Köpfe, die dieser Schwindel anwiderte. Bezeichnender- weise waren es Künstler, nicht Politiker. John R u s k i n trat auf und sein Freund William Morris und forderten, daß man wenig- sten» in der Kunst wieder ehrlich sein solle, wenn man es schon im Leben nicht sextig brachte. Die Bewegung, die Ruskin ins Leben rief, ist der vergleichbar, die— offenkundig von seinen Ideen be- einflußt— Ferdinand Avenarius mit seinem„Kunstwart" dreißig Jahre später bei uns entfacht hat. Beide stnd gewiß sympathisch und prÄgen allerhand Richtiges: nur sie fangen nicht beim Wessnt- lichen an— bei der sozialen Frage. Sie bauen ihren ästhetischen Zukunftestaat aus Modder anstatt auf Felsen. So taten sich In London im Jahre 1848 sieben junge und be- geisterte Künstler zusammen und gründeten eine»Präraffaeli- tische Bruderschaft". Sie versprachen sich das Heil von einer Kunst, die an die Anfänge der Renaissance in Italien anknüpfte, an die liebenswürdigen und frommen Meister vor Raffael . Die ahnungslosen Schwärmer übersahen dabei zweierlei: daß die Kunst des 15. Jahrhunderts in Italien keineswegs primitiv und kindlich, sondern im Gegenteil schon recht raffiniert und unreligiös ist,.und ferner, daß es mehr 4» naiv ist, einen historischen, d. h. toten Sftl wieder lebendig mächen zu wollen. Nur eine vollkommen rat- und führerlose Zeit kann auf einen solchen Uüsinn versallen. Die..Bruderschaft" hatte ein Borbild: die„Nazarener ", jene j deutschen Maler in Rom. die unter Cornelius, Overbeck und Schnorr von Carolsfeld «ine Gesellschaft zur Rettung der heftigen Kunst vor Verwestlichung und Berührung mit der Gegenwart gegründet, in» zwischen ober langst Schiffbruch erlitten haben. Indessen für die englischen Künstler wirkt« dieses Programm der»Nazarener " un-
gemein anfeuernd. Leiter der.Bruderschast" wurden John Everett M i l l a i s. Holman Hunt und unser italienischer Einwaiftzerer Dante Gabriele Rossetti . Er zog die Bewegung auch literarisch auf. in Form einer Zeitschriit, die sich„Ger m" nannte— zu deutsch „Keim". Es hat sich nichts Gescheites aus diesem„Keim" entwickelt: nach vier Nummern ging er«in. Aber auch aus der Erneuerung der.Kunst nach astitalienischem Rezept ist nichts Gescheites geworden. Kein Mensch versteht heute mehr, daß man wegen dieser schalen, flauen, blutleeren Malerei einmal ein solches Geschrei gemacht hat. Der schwindsüchtige Typ des Florentiners Botticelli hat es ihnen angetan, der den Tod einer dekadenten Gesellschaft so erschütternd angedeutet hatte in den Tagen des Sozialrevolutionärs Savonarola . Aber diese englischen Frauen um 1880, ob sie sich nun griechisch oder italienisch yd« biblisch geben, wirken nur peinlich: die gewaltsam unterdrückte Sinn- llchkeft, die Erschloffung einer verfaulten Klasse, die sich nicht offen auszusprechen wagt, schwelt in ihnen unter einer mystischen Maske. Sie stnd durch und durch Kinder ihrer Zeit und ihrer Gesellschaft. Sie find echt viktorianisch. Burne Jones und Waller Crane hoben dann später wenigstens äußerlich an Rossetti und seine Prä- raffacliten angeknüpft. In der heutigen englischen Knnst ist kaum mehr etwas übrig geblieben von der„Bruderschaft", trotz ihrer so überaus edlen Ab' sichten. Immerhin ist der Fall Rossetti— Dante Gabriele ist auch als Lyriker in frommen, weitab gewandten und wirklichkeitsfernen Sonetten hervorgetreten— psychologisch recht interessant Dr. Hermann Hieber.
. 375 ovo 000 ovo 000 Reichsmark. Nach einer Berechnung des j amerikanischen„Bureau of Internal Revenue" beträgt der Reichtum der Vereinigten Staaten zurzeit 2� Trillionen Dollar. Das Ein- kommen der 117 Millionen Einwohner im Jahre IS27 betrug nahezi: SO Billionen Dollar, das bedeutet env Plus von 43 Proz. fett dem Jahre 1021, in dem das Einkommen auf 63 Villwnen Dollar ver« enichlagt wurde,