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BERLIN Montag 14. Mai 1928

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Der Abend

Erfcheint täglich außer Sonntag 6. Sugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition: Berlin SW 68, Lindenstr. 3

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Nr. 226

B 112

45. Jahrgang.

66 Anzeigenvreis: Die einfaltige Nonpareillezeite

Spätausgabe des Vorwärts

80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Voßschecktonto: Vorwärts- Berlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37536. Fernsprecher: Donhoff 292 bis 297

Appell an die Bischöfe.

Kanzelpropaganda und Wirklichkeit.- Reichsschulgesetz und Aufwertungsbetrug

Unter den Sparern gärt es gewaltig. Sie spüren, was der Bürgerblod für sie geleistet" hat. Mit Elendsrenten müssen sich die Opfer der Inflation abfinden und dabei noch zusehen, wie zu dem Reichtum mancher Nuznießer der Inflation bereits neue große Bermögen in die Hände der Nuznießer der Stabilisierung gekom­men sind. Die Wirtschafts- und Steuerpolitik des Rechts blods, an dem das Zentrum teilnahm, hat diese Entwidlung bewirkt. Bie ein Schritt der Berzweiflung mutet es an, wenn die Sparer in Nordbayern jetzt mit ernst em, deshalb aber um so eindringliche­rem Protest sich an die katholischen Kirchenfürsten wenden, die jetzt von den Kanzeln herab wieder auffordern, Zentrum und Bayerische Boltspartei zu wählen. Das Schreiben stellt nach einer kurzen Würdigung der Lage der Sparer fest:

,, Und so stehen wir Rentner und Sparer, die nicht wir, sondern die bürgerlichen Parteien an unserem Unglück schuldig sind, heute verlassen da; verlassen von ünserer derzeitigen Regierung, verlassen aber auch von unseren Volksvertretern, die wir besonders auch auf ihre nicht eingehaltenen Versprechungen hin im Jahre 1924 gewählt haben."

Dem Zentrum und der Bayerischen Boltspartei aber rufen die Sparer zu:

Euer Berhalten gegen die Rentner und Sparer geht gegen jedes menschliche Gewissen! Ja unsere katholischen Parteien find zum größten Teil schuld daran, daß mit der über­eiligen Annahme des sogenannten Aufwertungsgesetzes vom 16. Juli 1925 der deutsche Mittelstand mit einem Schlag vernichtet worden ist und daß dessen emsige Arbeit und Sparsamkeit in den nimmersatten Rachen des Großfapitalismus, des Wucher und Schiebertums geworfen wurden.. Unchristlich und den moralischen Grundsäßen widersprechend haben sich auch unsere katholischen Minister und die leitenden fatholischen Staatsmänner dem leidenden Volke gegen­über benommen.

Aber das Zentrum und die Bayerische Boltspartei appellieren jetzt an das ,, christliche Gefühl der Sparer, indem sie an das Reichsschulges eg erinnern. Ist das ein ernsthaftes politisches Argument? Die Sparer bezweifeln es. Sie sagen auch warum sie es bezweifeln müssen:

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,, Auch wir Rentner und Sparer, wir zollen dem Reichsschul­gefeß Hochachtung, aber wir empfinden es auf das tiefste und auf das härteste, das es fich zurzeit in ein gewolltes Unterdrückungs. gefeh ausgewirkt hat, gegen die jetzt schon mit so viel Blut und Tränen geträntte Aufwertungsfrage...

Und hier möchten uns Ew. Bischöfliche Gnaden gestatten, daß wir Rentner und Sparer einmal von der Aufstellung von Tatsachen abweichen und eine Vermutung uns auszusprechen erlauben, nämlich dahingehend, daß

es weder den katholischen noch den protestantischen Parteien des Reichstages daran gelegen gewesen sein dürfte, das Reichsschulgesetz zu sanktionieren, sondern daß sie es gerne in so schleppender Weise solange hingezogen haben, um es dann als eine neue Wahlparole ausgeben und damit das jetzige blutgetränkte Aufwertungsgefeß, bzw. die Revision desselben, noch­mals mit aller Leichtigkeit und Sicherheit unterdrücken zu fönnen."

Hart werden den Angeklagten die Worte in den Ohren flingen, die sie einst selbst für die Sparer gesprochen haben. Am 6. Januar 1924 hatte noch der Kardinalerzbischof von München gefagt: Bor Gott und eurem Gewissen seid ihr verpflichtet, das entwertete Boltsvermögen nach Kräften aufzuwerten." Aehnlich hat Prälat Schofer in einem Wahlaufruf im November 1924 fich für die Auswertung eingesetzt. Das alles scheint jetzt vergessen zu fein. Der Brief erinnert an die zahllofen Todesfälle, die auf die unzureichende Aufwertung zurückzuführen sein dürften. Ins­

besondere aber auf die 43 000 Selbstmörder, die die katholische Kirche

nach ihrem Glauben jegt sogar der ewigen Berdammnis

preisgibt. Nicht das Reichsschulgefeß, das weitere 500 Millionen Mart jährlich verschlingen soll, würde das Volt beffern; feine ( Fortsetzung auf der 2. Seite.)

Die Heidekate von Palingen.

Zum Justizmord an Jakubowski.

Obwohl sich der Oberstaatsanwalt Müller in Neustrelit noch| fonnte, und die Meineidsausreden ausgeheckt wurden. Die elende immer gegen die Annahme wehrt, daß der angebliche Mörder Ia tubomsti einem Justizmord zum Opfer gefallen ist, schreiten die Untersuchungen der Kriminalpolizei weiter fort. Gegen die mutmaß­lichen Täter nogens, Blöter und Kreuzfeld wurde schwer belastendes Material gesammelt. Es haben weitere Berhöre statt­gefunden, über deren Ergebnis im Interesse der Untersuchung Einzelheiten noch nicht gesagt werden können. Heute finden im med lenburgischen Staatsministerium entscheidende Beratungen statt. Es ist bezeichnend, daß die Rechtspresse gegen den Leiter der Lan­deskriminalpolizei Steuding heftigste Vorwürfe erhebt, weil er sich um die Aufklärung des ganzen Falles Verdienste erworben hat. Unsere Bilder deuten das Milieu an, in dem die Untat geschehen

Leichenfund am Großen Fenster".

Mord und Selbstmord.

Am Sonntag wurde in der Nähe des Großen Fensters" die Leiche eines noch unbekannten Mannes, die wohl schon mehrere Wochen im Waffer gelegen haben mag, aus der Ha­ vel gelandet. Der Tote, der nach der Halle in Zehlendorf ge­bracht wurde, ist etwa 30-40 Jahre alt, 1,70 groß und unterfekt, und trug einen grau- grün- rot gesprentelten Jafett­anzug, weißes Oberhemd mit blauem geblümten Schips. Matounterzeug und schwarze Schnürschuhe. Um den Leib war ein grauwollener Schal gebunden, an dem ein schwe­rer Granifffein befestigt war.

Dieser Leichenfund veranlaßte die Alarmierung der Mordkom­mission. Ein Arzt glaubte nämlich, am Halse des Toten, der wohl schon mehrere Bochen im Waffer gelegen hat, Strangula. tionsmertmale zu erkennen. Der Verdacht eines Verbrechens

Der Hintertreppenroman der Anastasia Völkische Rowdys im Wahlkampf

Berichte im Innern des Blattes

Heidefate von Balingen und die Züge des gesuchten Frizz No­gens lassen deutlich erkennen, in wie verwahrlosten sozialen Ber­hältnissen diese Menschen lebten, die an der Mordtat beteiligt waren oder um sie gewußt haben, und dann den der deutschen Sprache unfundigen Jakubowfti mit Meineiden der Fehljustiz preis­gaben. Es nugte Jakubowski nichts, daß er noch vor der Hinrichtung feine Unschuld beteuerte und auf die wirklichen Täter hinwies; da mals fand feine weitere Untersuchung mehr statt. Erst mußte das Haupt des Unschuldigen fallen, erst mußten Jahre über dem Justiz­mord hingehen, bis aus dem Gewirr von Lügen die Fäden sichtbar wurden, die Jakubowskis Unschuld und die Schuld der anderen ans Tageslicht brachten.

wurde dadurch bestärkt, daß an der Leiche mit einem graugrünen Schal ein schwerer Granitpflasterstein befestigt war und daß der Arzt meinte, dieser Stein fönne wohl erst nach dem Tode des Mannes an den Leib angebunden worden sein.

Der Mann ist noch nicht bekannt. Er mag etwa 25 bis 40 Jahre alt gewesen sein, ist 1,75 groß, hat dunkelblondes Haar, bartloses Gesicht und vollständige Zähne und trug dunkelgraugrün­lichen Anzug aus kräftigem dicken Stoff, weißes Einsatzoberhemd, Gummifragen mit blaugeblümtem Schlids auf Zelluloidhalter und braune hohe Schnürstiefel. In der Tasche des Rockes stat eine graue weiche Schirmmüte.. Das Taschentuch des Toten ist M. oder Ngezeichnet, sein Trauring E. m. 31. 5. 25. Mitteilungen zur Feststellung der Persönlichkeit und zur weiteren Aufklärung, an die Mordkommiffion im Simmer 93 des Polizeipräsidiums.

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An der Mühlendamm- Schleuse landete am Sonntag vormittag, gegen 10% Uhr die Leiche einer unbekannten weiblichen Berson, die auch 3-4 Wochen im Waffer gelegen haben muß. Die Leiche wurde dem Schauhause zugeführt. Die Tote ist etwa

35 Jahre alt, 1,70 groß und fräftig, hat dunkelblondes Haar und

trug ein blaugelbes Frottétleib, weißen Prinzeßrod, blauen Trikotschlüpfer, weißes Hemd ohne Zeichen, graue Strümpfe und schwarze, spige Spangenschuhe. Mitteilungen zur Feststellung der Persönlichkeit an die Vermißtenzentrale im Polizeipräsidium.