Wahlfahrt zum Wahltag.
Film, Grammophon und Lautsprecher im Dienst der Aufklärung.
Die Wahlpropaganda aller Parteien nimmt immer mehr einen technischen Charakter an. Nicht mehr nur öffentliche Bersammlungen, plafate und Flugblätter werden zur Aufrüttelung der Wähler benutzt, jetzt kommen auch das Auto, das Kino, der Lautsprecher und das Grammophon hinzu, hier und da wird sogar das Flugzeug schon in den Wahldienst gestellt. Bon einer wochenlangen Wahlfahrt mit dem Wahlauto durch das rheinisch- westfälische Industriegebiet erhalten wir folgende anschauliche Darstellung. Starten agitatorischen Erfolg haben unzweifelhaft unsere großen Kraftautomobile, die mit Radio, Lautsprecher und Rinseinrichtung versehen sind. Eines dieser Wahlautos begann mit seinen Filmvorführungen und Ansprachen an der holländischen Grenze in Gronau , fuhr durch das Industriegebiet um Hamm und Dortmund bis in das Bergische Land . Durch viele Bergarbeiterfolonien, an Zechen- und Fabriktoren, auf Marktplätzen nahm es Aufstellung gerade zu Zeiten des Schichtwechsels und des regen Stadtverkehrs.
Mit Mufit voran...
Ein Musik ft üd, von einer einfachen Grammophonplatte durch den Lautsprecher wiedergegeben, läßt die Vorübergehenden aufhorchen, lockt Männer, Frauen und nicht zuletzt auch die Kinder aus den Häusern und Stuben. Mittels des Mikrophons hält der Ansager vom Führersitz des Autos eine furze Ansprache, legitimiert fich gewiffermaßen vor den Umstehende erklärt den Zwed und die Absicht unseres Kommens und fordert zu fleißiger Arbeit auf, damit er 20. Mai ein Siegestag für die Sozialdemokratische Partei werde. Dann sprechen Löbe, Otto Braun, Wels, Hermann Müller
Franken, Marie Juchacz oder andere unserer bekannten Führer von der Grammophonplatte durch den Lautsprecher zu den Berfammelten. Die Reden werden unterbrochen durch Musikstücke und Gesangchöre; mit sozialistischen Weisen schließt die Kundgebung.
In langsamer Fahrt geht es dann weiter zur nächsten Ede, zum nächsten öffentlichen Platz der Stadt. So werden
täglich 15 bis 20 Bersammlungen im Freien improvisiert. Hunderte, in den Großstädten Tausende nehmen daran teil und hören die Mahnungen unserer Führer, am Wahltage unferer Partei ihre Stimme zu geben.
Die Wirkung ist gewaltig, denn der Lautsprecher ist auf nahezu einen Kilometer zu hören!/
Abends wird in Versammlungssälen oder Rinotheatern unser Wahlfilm vorgeführt, nachdem am Nachmittag durch den Laut sprecher diese Vorstellungen noch besonders bekanntgegeben worden sind. Auch auf Wählerversammlungen, die an dem Tage abgehalten
G
Balls- Kine
werden sollen, wird noch besonders durch den Lautsprecher aufmert. fam gemacht.
Die Bevölkerung nimmt mit startem Interesse an diesen Rundgebungen teil, unsere Parteifreunde sind davon begeistert und helfen besonders als Lotsen, die Autos durch alle Winkel der Arbeitersied lungen und durch die engen Gassen der inneren Stadt zu führen.
Einige rauflustige Hakenkreuzler, die mit giftigen Blicken die Kundgebungen verfolgen, oder einige schwankende Kommunisten, die die Besatzung des Autos anpöbeln, werden von der Bevölkerung und von unseren Genossen in Schach gehalten; ihr Verhalten erhöht nur den Reiz dieser neuzeitigen Wahlfahrt, die wesentlich zum Erfolg am 20. Mai beitragen wird.
Der Jockeilehrling mit dem Tip.
Wie Dumme darauf hineinfielen.
Eine aufregende Gerichtsverhandlung spielte sich heute in Moabit ab. Jm korridor werden die Zeugen von Krämpfen befallen, im Gerichtsjaal erzählt ein 23jähriger Jodellehrling feine Betrügereien und muß plötzlich hinaus geführt werden, weil er vor Aufregung fich übergeben muß. 52 3eugen find es, fleine Berkäuferinnen, Schuhmachermeister, Installateure, alles kleine Leute, die auf den Jodeilehrling hineingefallen waren. G. ist aber in Moabit bereits ein alter Bekannter. Jm Jahre 1925 ift er wegen ähnlicher Betrügereien zu 1 Jahr 6 Monate Gefängnis verurteilt worden. Die Folge davon war nur eine noch größere Abgefeimtheit.
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G.'s Unglüd war, daß er einen Onfel, einen Trainer, hatte. Eo mußte auch er einer werden, tofte, was es wolle. Als der Bater, ein Schriftfeher, jest in angesehener Stellung in einem Zeitungsbetriebe die Mutter ist Benfionsbefizerin ihn nach Beendigung der Gemeindeschule in einen Papierladen gab, brannte der kaum Fünfzehnjährige den Eltern durch, ging nach Hoppe. garten, wo er befreundete Jodeilehrlinge hatte und wurde selbst Jodeilehrling. Eines Tages die Lehrzeit war fast beendet- machte aber der Unionflub ben Trainer darauf aufmerksam, daß G.'s Vertrag von dessen Vater nicht unterschrieben jei. Der Trainer fuhr zum Bater, diefer blieb aber hart, und so fonnte der Jodei lehrling nicht Jockei werden.
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Während der Inflationszeit befand sich G. im Auftrage seines Baters außerhalb Berlins . Im Jahre 1924 tehrte er nach Berlin zurück, und bald darauf begannen auch seine Betrügereien; da er nicht Jodei sein tonnte, wurde er Buchmacher auf eigene Faust, und beschloß den ersten Abschnitt seiner Laufbahn mit einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr 6 Monaten. Im März 1927 verließ er das Gefängnis, wohnte anfangs bei den Eltern, fühlte sich aber dabei nicht wohl, zog nach Hoppegarten und verfiel in sein
68 Pilger ertrunken. Schiffstatastrophe im Persischen Golf.
London , 16. Mai. Nach einer Meldung der Chicago Tribune" aus Teheran fließ am Dienstag abend im Persischen Golf ein Segelschiff, auf dem fich 72 Pilger, darunter zahlreiche Frauen, befanden, mit einem Dampfer 3ufammen, der ohne Licht fuhr. Das Segelschiff fant innerhalb weniger Minuten. Nur vier Personen fonnten
altes Lafter. Er nöpfte den Leuten Geld ab, um für fie zu wetten. In Wirklichkeit lebte er aber in Saus und Braus, da feine Buchmachertätigkeit ja seine einzige Einnahmequelle war. Vor Gericht erklärt er heute, daß der einzige Grund für seine Betrügereien feine festspielige Geschlechtsfrankheit gewesen sei.
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G. betrieb seine Sache äußerst raffiniert. Er spielte auf die Sucht der Leute in leichter Weise zu„ Geld zu machen". Bestellte fich eine Visitenkarte, auf der zu lesen stand:„ E. Saalbach , Jockei, Hoppegarten ", knüpfte vor Wettannahmestellen Bekanntschaften an, verschaffte sich Adressen von Leuten, gab fingierte Raufaufträge, mietete Bimmer und Läden zur Einrichtung von Wettannahmestellen, überbrachte seinen Opfern Briefe von Bekannten, er spielte bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung den Spender, um auf diese Weise Beziehungen anzufnüpfen, veranlaßte auch die vielen Damen, mit denen er freundschaftliche und sonstige Beziehungen unterhielt, zu wetten benußte mit einem Wort jede Gelegenheit zu seinen Betrügereien. So erbeutete er etwa 1200 bis 2000 Mart. Man begreift einfach nicht, wenn man hört, mit welcher Leichtigkeit die Opfer auf den Schwindler hineinfielen. Filialleiterinnen von Tabakläden, Zeitungsverfäufer an Kiosken, Schneider, bei denen er seine Anzüge reparieren ließ, ein Arzt, zu dem er seine er= frankte Betannte führte im Gerichtsforridor feiftet er heute ärztliche Hilfe den Zeuginnen alle gaben G. Geld und erhielten statt dessen alte, gefälschte Wettfcheine. Wenn es darauf antam, fette er zu der Zahl der Wettfumme einige Nullen hinzu. Ja felbst die Wertgegenstände nahm er seinen Mienten ab, um sie zu verpfänden oder zu verkaufen. Auch seine tranfe Braut verschonte er nicht.
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Vor Gericht macht der Jüngling einen ziemlich jämmerlichen Eindruck. Allerdings behaupten einige Zeugen, daß er es nicht gewesen sei, ber sie betrogen. Anscheinend treibt noch ein anderer Jodeilehrling ähnlichen Unfug.
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Der Kapitän a. D. Fischer, ehemals Erster Offizier auf dem Linienfchifffreuzer Derfflinger", flagt vor dem Schöffengericht Berlin- Mitte gegen den Verfasser des im Verlag Dietz Nachf. ere fchienenen Buches Warum die Flotte zerbrach.", den chriftlichen Arbeiter Richard Stumpf und gegen den verantwortlichen Redakteur der Bossischen Zeitung", Dr. Misch, wegen öffentlicher Beleidigung. Fischer fühlt sich durch folgende -Stelle des Buches gekränkt:
Auf der Schanze stehen zwei Boften mit Gewehr. Es joll da eine böse Sache vorgekommen sein. Der erste Offizier Mar Fischer hat eine Tracht Prügel erhalten, was bei uns große Genugtuung hervorruft, denn Mag war früher bei uns an Bord und durch seine Ungerechtigteit verhaßt. Der Haupttäter erhielt 18 Jahre Zuchthaus. Auch auf anderen Schiffen ift ähnliches passiert. Ein Wunder ist dies wahrhaftig nicht! Benn man sieht, wie verächtlich die Leute oft behandelt werden, focht einem das Blut."
Der Angeklagte Stumpf legte auf Veranlassung des Vorsitzenden Er hatte die Entstehungsgeschichte seines Buches dar. bereits in den letzten Tagen vor der Kriegserklärung mit der Führung von Tagebüchern begonnen und sie während des ganzen Krieges bis zum Zusammenbruch fortgesetzt. Als er in der„, RheinMainischen Zeitung", einem Zentrumsblatt, las, daß der Reichstag einen Untersuchungsausschuß gebildet habe, und daß dieser Ausschuß alle aufforderre, Feldpostbriefe und Tagebücher aus der Kriegszeit vorzulegen, schichte er der Rhein- Mainischen Zeitung" seine Tage bücher ein. Durch Bermittlung des Zentrumsabgeordneten Joos wurde er darauf vor den Ausschuß als Sachverständiger geladen. Seine Tagebücher waren als ganz besonders wertvoll angesehen, da es die einzigen waren, die ununterbrochen während der ganzen Kriegszeit geführt wordest waren und von einem Angehöriger der Mannschaft stammten. Vor dem Untersuchungsausschuß erklärte Stumpf, daß er die Schuld am Zusammenbruch dem Offizierkorps zuschreibe.
Später wurde er aufgefordert, seine Tagebücher zu ver öffentlichen. Der katholische Verlag in Frankfurt , in dem die Rhein- Mainische Zeitung" erscheint, wollte aber nicht das Ge schäftsrisiko übernehmen. Als dann der Zentrumsabgeordnete Joos an ihn nochmals mit dem Ersuchen herantrat, die Tagebücher doch zu veröffentlichen, traf er auf Bermittlung des Reichstagsabgeord neten Dittmann eine entsprechende Bereinbarung mit dem Berlag Diek. Hier erschienen sie auch mit großen Kürzungen.
Stumpf erklärte, daß er damals allen Grund gehabt hatte, zu glauben, daß das Gerücht über den Borfall mit dem ersten Offizier Fischer, von deren Richtigkeit sämtliche Dffiziere, Unteroffiziere und Mannschaften überzeugt waren, den Tatsachen entspreche. Daß darüber allgemeine Genugtuung geherrscht habe, halte er auch heute noch aufrecht.
Der angeklagte Redakteur Dr. Misch erklärt seinerseits, daß es nicht nur das gute Recht der Zeitung, sondern auch die Pflicht gewesen sei, gerade diese Stelle, die vom Untersuchungsansschuß des Reichstages als besonders charakteristisch für die Kluft, die zwischen Offizieren und Mannschaften bestand, gehalten wurde, zu veröffentlichen. Die Tagebücher des Angeklagten Stumpf erscheinen auch in der offiziellen Ausgabe des Untersuchungsausschusses. Und so ist es das Recht eines jeden, einzelne Stellen aus den Tagebüchern zum Abdruck zu bringen. Als die„ Bossische Zeitung" sich vor dem Schiedsmann bereit erklärt habe, von dem Kläger Fischer eine Berichtigung entgegenzunehmen, habe dieser auf einer Bestrafung be standen. Das Gericht versucht, Bergleichsverhandlungen herbeizuführen,
Gerüsteinsturz im Norden.
Zwei Bauarbeiter schwer verletzt.
Auf dem Gelände der städtischen Gasanstalt in der Sellerstr. 16/31 ereignet sich am Mittwoch vormittag ein Gerüfteinffurz, bei dem zwei Bauarbeiter schwer verletzt wurden. Die Feuerwehr schaffte die Berunglückten in das Birchow- Krankenhaus.
In unmittelbarer Nähe der Gasometer wird zurzeit von der
Induftriebaugesellschaft ein Neubau aufgeführt, der schon ziemlich weit gediehen und von einer großen Baurüftung umgeben ist. egen 11 Uhr, als gerade eine mit Bausteinen beladene eiserne Lore über das Gerüst geschoben wurde, gaben plötzlich mehrere hölzerne Streben nach und ein Teil des Gerüftes stürzte frachend zufammen. Zwei Bauarbeiter, der 32jährige Steinträger Hermann Seidel aus der Kösliner Str. 5 und der 53jährige Maurer Fritz und unter den Hölzern begraben. Die zu Hilfe gerufene Feuermehr befreite die Berunglückten aus ihrer entfeßlichen Lage und sorgte für ihre Ueberführung in das Virchow- Krankenhaus. Seidel hat schwere Rückgratverletzungen und Mews Kopf- und innere Vers legungen erlitten.
Schlamm versinken. Die Siedlung des erwähnten Besizers wurde Mews aus der Benther Str. 28 wurden mit in die Tiefe geriffen von den Insassen bereits geräumt.
" Italia " auf der Nordpolfahrt.
Die„ Italia ", die am Dienstag miffag um 1.20 Uhr in Kingsban zu einer neuen Erkundungsfahrt aufgeftiegen ist, hat am Abend des gleichen Tages nach Rom folgende drahtlose Mitteilung gegeben: wir fahren seit 14 Uhr über Padeis. Seit 1% Stunden sind wir in Nebel eingehüllt. Wir sind infolgedeffen tiefer gegangen,
Die Schuldfrage fonnte bisher noch nicht geflärt werden, doch besteht die Vermutung, daß die Rüstung für die schwere Belastung zu fchwach war. Die Baupolizei ist mit der Untersuchung noch beschäftigt.
gerettet werden. Die übrigen find fämtlich er- fo daß wir jeht 150 Meter über dem Spiegel des zugefrorenen Selbst Spanien für den Achtstundentag!
frunten.
Die Erde bebt.
3n Kärnten treten Erdriffe auf.
Am Nordabhang des Betzenberg- Maffios find große Erbrutsche erfolgt, die auf die andauernden Regengüffe der letzten Wochen zurückzuführen fein dürften. Bielleicht stehen fie auch im Zusammenhang mit dem Erdbeben in den Südalpen. Bei Feistritz rutscht feit einiger Zeit ein Gelände von etwa brei Joch in die Tiefe. Seit 10 Tagen beobachtet ein dortiger Besizer, daß starte LärchenStämme samt der Wurzeln emporgehoben und dann unter ungeheurem Kragen auseinandergeriffen wurden. Unter der Erdoberfläche zeigt sich blauer Lehm und roter Sand, der angeblich von Steinfohlen durchseßt i st. Ueberall treten Quellen hervor und heben das Erdreich murfartig in die Höhe, während Stein broden im Umfang von drei Rubikmeter berabſtürzen und im
Meeres fliegen. Die Sichtigkeit wechselt zwischen 2 und 15 kilometer. Es bietet sich uns ein prachtvolles Schauspiel dar. An Bord ift alles wohl." Kingsbay, 16. Mai.
General Nobile hat das Nordkap von Spizbergen etwa nach 5 Uhr passiert und flog in der Richtung auf das Franz- Josefs- Land . Wenn das flare Wetter anhält, wird Nobile zweifellos bis Lenin Land weiterfliegen, das er im Laufe des heutigen Tages erreichen tönnte. Später hat General Nobile folgende Botschaft an den italienischen Unterstaatssekretär der Luftfahrt Balbo gefuntt: Bir haben mit einem Gegenwind von etwa 30 Kilometer in der Stunde zu kämpfen, was unsere Geschwindigkeit auf ungefähr 50 Stunden filometer herabsetzt. Der Nebel hat auf der Luftschiffhülle eine Eistrufte gebildet, wodurch das Luftschiff erheblich schwerer geworden ist. Sonst steht alles gut. Bisher murde teine Spur von Land entbedt. Das Gis ist fefter als beim Nordkap von Spitzbergen . Es scheint sich für einen Marsch wenig zu eignen.
Wie aus Madrid gemeldet wird, hat die spanische Regierung beschlossen, das Washingtoner Abtommen über den Achtstundentag zu ratifizieren, doch hängt die Ausführung dieses Beschlusses von der Annahme des Abkommens durch Deutschland , England, Frankreich und Italien ab.
Es ist ziemlich blamabel für industrielle Großmächte wie Deutschland und England, sich von dem Lande Primo de Riveras beschämen zu lassen. Frankreich und Italien haben bereits unter den gleichen Bedingungen ratifiziert. Wann endlich wird man in der deutschen Republit so weit sein.
Dr. Sirejemanns Befinden ist nach wie vor ernst. Eine afute Lebensgefahr besteht jedoch im Augenblick nicht, da die Nierentätig feit heute normittag wieder leicht eingesetzt hat