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Ein trauriger Marsch.

Schlechte Musif für schlechte Bezahlung.

Da die ,, Freie Arbeiterunion" in der Deffentlichkeit kaum dem Namen nach befannt ist, so wollte sie wenigstens bei der Mai­feier einige Aufmerksamkeit auf sich lenken, und zwar durch Pauken und Trompeten. Also engagierte sie durch die Arbeiterbörse", War­schauer Str. 62, einen Rapellmeister" W., der mit zwölf Musikern, bei denen das Schlagzeug nicht fehlen durfte, dem Zuge der Freien Arbeiterunion" vom Spreewaldplatz nach dem Treptower Bart voranmarschieren und ihr nach beendeter Demonstration in einem Lokal aufspielen sollte. Als Honorar für sich und seine Kapelle wurden Herrn W. 80 m. angeboten, die erst nach längerem Han­deln auf 100 m. erhöht wurden. Auch dieses Entgelt war noch so gering, daß W. oiganisierte Musiker dafür nicht bekommen konnte. Er fand aber unorganisierte Mu­sitanten, denen es nicht darauf anfam, der Freien Arbeiterunion" für schlechte. Bezahlung schlechte Musik zu machen, selbst am 1. Mai. Um 11 Uhr sollte der Abmarsch beginnen. W., der erst einige Minuten vor der festgesetzten Zeit erschien, konnte unter den tausenden Maifeiernden, die auf dem Spreewaldplay zum Abmarsch bereitstanden, das kleine Häuflein der Freien Arbeiterunion" nicht finden, um so weniger, als er sich den Namen seiner Auftrag­geberin nicht gemerkt hatte. Aber da sah er seine Musiker, die sich marschbereit an der Spitze eines Zuges aufgestellt hatten. Ist das hier richtig?" fragte W. Jawohl," antworteten seine Leute. W. Schwang den Taftstod, der Zug setzte sich in Bewegung, aber furz vor dem Ziel merkte W., daß er gar nicht seine Auftrag= geberin, sondern einen anderen Zug hinter sich hatte. Inzwischen mußte die Freie Arbeiterunion" ohne Sang und Klang, ohne Baufen und Trompeten, sehr verstimmt und bedrückt, nach der Fest= wiese marschieren.

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Nach Schluß der Demonstration suchte und fand W. endlich die ,, Freie Arbeiterunion" in einem Treptower Lokal und erbot sich, den zweiten Teil seines Auftrages auszuführen. Da man inzwischen. andere Musiker gefunden hatte, wurde W. samt seiner Kapelle ohne Bezahlung fortgeschickt. Vor dem Arbeitsgericht forderte W. von dem Geschäftsführer der Arbeiterbörse" das vereinbarte Honorar, was aber entschieden abgelehnt wurde. Das sei ein trauriger Marsch nach Treptow   gewesen, sagte der Geschäfts­führer, er dente nicht daran, dafür zu zahlen, daß W. anderen Leuten aufgespielt habe.

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Das Gericht wies die Klage ab, weil es lediglich das Verschulden des Klägers sei, daß er seine Musik nicht vor dem Zuge seiner Auf­traggeberin gemacht habe.

Die Arbeitslosigkeit geht zurück.

Die Preisdiftatur der Kartelle als Hemmnis. Nach der Erhebung der Gewerkschaften, die dem Algemeinen Deutschen Gewerbschaftsbund angeschlossen sind, waren Ende April bei diesen 6,9 Proz. der Mitglieder arbeitslos und 4,1 Proz. Arzarbeiter, gegenüber 9,3 Prog. Arbeitslose und 3,6 Proz. Kurzarbeiter Ende März und 9 Proz. Arbeitslose und 3,6 Proz. Kurzarbeiter Ende April 1927. Der Rüdgang der Arbeitslosigkeit setzt sich also fort, auch gegenüber dem Stande des Borjahres. Auffallend ist die, wenn auch nicht erhebliche Zunahme der Kurzarbeiter. Man könnte daraus schließen, daß eine Kon­junkturpersteifung sich anfündigt. Untersucht man aber die Zahlen, dann ftellt man fest, daß die Kurzarbeit besonders start zu

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Friedrich Brühne  

einer der ältesten Vorkämpfer der deutschen   Arbeiter­bewegung, ist 72 Jahre alt, am Donnerstag gestorben.

genommen hat und zwar von 4,1 auf 5,2 Broz. bei den Berg arbeitern, was jedoch dort eine mit der Jahreszeit zusammen­hängende Erscheinung ist. Im Borjahre betrug der Prozentjak Ende April sogar 7,3 Proz. Bemerkenswert ist aber, daß bei den Bergarbeitern gleichzeitig die Arbeitslosigkeit von 2 Broz. auf 1,6 Broz zurüdging. Eine Zunahme der Kurzarbeit ist auch bei den Steinarbeitern, den Metallarbeitern und den Maschinisten und Heizern bei gleichzeitiger Ab= nahme der Arbeitslosigkeit festzustellen, was mit der teilweifen Inbetriebnahme im Bauberufe zusammenhängen dürfte. Eine wesentliche Berschlechterung des Arbeitsmarfies ist Dor allen Dingen in der Tegtilindustrie eingetreten. wo 6.2 Proz.( 4,8 Proz.) Arbeitslose und 14,8 Brez.( 10,7 Prez.) Kurz arbeiter gezählt wurden. Auch in der Schuhindustrie hat sich die Arbeitsmarktlage weiter verschlechtert. Es wurden gezählt 11,2 Broz.( 10 Proz.) Arbeitsiche und 34 Proz.( 31,1 Proz.) Kurz arbeiter. Damit sind wir in der Schuhindustrie an die Krisen zahlen des Jahres 1926 wieder herangekommen. Diese Ber­schlechterung in den beiden Industrien ist aber eine Ausnahme: erscheinung und hängt zusammen mit der Preispolitik Der Unternehmer in diesen Industrien. In allen anderen Industrien ist die Arbeitslosigkeit teilweise sogar sehr erheblich zurück­gegangen. Ohne die Preisdiftatur der Kartelle würde die Arbeits­losigkeit noch viel schärfer zurückgehen.

Die Barzeichnung auf die fünfprozentige französische   An­leihe hat Poincaré   einstellen lassen, nachdem 10 Milliarden Franken gezeichnet worden sind. Mit kurzfristigen Schatzwechseln kann die Anleihe noch bis zum 8. Juni gezeidynet werden.

Ein zu fünf Jahren Zuchthaus perurteilter füdslawischer Kom munist entfloh aus der Gefängnisflinit. Sein Wächter tötete fich darauf selbst

dole Die Reichskanzlei.

Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Heute mittag ist der Grundstein für das neue Haus der Reichskanzlei gelegt worden. Fünfzig Jahre zuvor ist sie, auf einen Antrag Bismards hin, geschaffen worden. Das Palais, in dem sie bis heute Unterkunft fand, ist freilich viel älter; es gehört zu den Repräsentationsbauten, die Friedrich Wilhelm I.   seinen Beamten auferlegte, um so eine neue Stadterweiterung, die Wilhelmstraße, ordentlich und würdig gestaltet zu sehen. Damals, zwischen 1738 und 1739, hat ein Graf von der Schulenburg sich nach dem geltenden Geschmack des französischen   Barocks das Haus bauen lassen, das

heute eines der bemerkenswertesten Denkmale der berlinischen Architektur aus der Zeit der ersten Könige ist. Eine feftliche, schloß artige, hochüberdachte Mitte, umspannt mit zwei zum Landhaus gemilderten Flügeln, einen feierlichen Vorhof, der sich nach der Wilhelmstraße zu öffnet, dort, wo sich die Straße zum strengen Biered des Plazzes erweitert. Hinter dem Hause dehnt sich ein großer, parkhafter Garten, der bis an die heutige Friedrich- Ebert Straße reicht; in ihm blieben noch einige massive und fnorrige Gesellen aus Urwaldzeiten bewahrt.

Dies Haus, Wilhelmstraße 77, hat mannigfaches Schicksal erlebt; 1795 fam es in den Besitz des Fürsten   Michael Radziwill. Von dessen Erben, die sich nicht einig werden konnten, wurde es vom Reich ermorben und dem Fürsten Bismard zur Wohnung über­wiesen. Bismard hat dann auch seine neugegründete Reichskanzlei, deren Beamtenstab, den Kanzleidiener inbegriffen, nur drei Mann umfaßte, hier untergebracht. Unter Bismards Nachfolgern er­weiterte fich das Arbeitsgebiet der Reichsfanzlei, wuchs die Beamten schaft. Während des Krieges, in dem Maße, wie die Demokratie sich in die Regierung hineintaftete, wurde das Haus der Reichs­kanzlei ein Treffort der Abgeordneten und anderer Wahrnehmer der streitenden Interessen. Wilhelmstraße 77 war das politische der streitenden Interessen. Wilhelmstraße 77 war das politische Hauptquartier gegenüber dem militärischen der Obersten Heeres. leitung. So festigte sich die Gewöhnung, daß auch der Wille des erwachenden Volfes in den Räumen der Reichskanzlei zum Vortrag fam; so hat Scheidemann  , als Unterstaatssekretär der letzten kaiser: lichen Regierung, in Bismards Haus seine schwere Arbeit verrichtet. lichen Regierung, in Bismards Haus seine schwere Arbeit verrichtet. Als schließlich der Umsturz des unmöglich gewordenen alten Staates erfolgt war, wurde der Apparat der Reichstanzlei erst von den Boltsbeauftragten und dann von den neuen Regierungen in An­spruch genommen, wurde damit das behagliche Barockpalais, deffen Anlage für Feste und Geselligkeit erfolgt war, ein Forum und Sturmplatz all der plöglichen und lauten Ballungen des Uebergangs. Bom November 1918 bis in die ersten Monate des folgenden Jahres hinein war das Haus der Reichskanzlei fein gemütlicher Aufenthalt. An die breite Mitteltür pochten eines Winterabends die Matrosen, drangen ein und durchsuchten das Haus nach Ebert. Es dauerte nicht lange, und der Gesuchte trat den wilden Männern, die in ihren weißen Schafpelzen gar nicht zivil aussahen, entgegen und brachte sie mit einigen seiner flaren und starken Säge zur Besinnung. Aus dem Eckfenster des linken Flügelbaues haben Ebert  und Scheidemann   zu den lebendigen Mauern gesprochen, zu den Genossen, die aufmarschiert waren, um Spartafus abzuhalten; fie standen zu Tausenden, dicht geballt vor dem Haufe der Reichskanzlei,

Verfilmte Psychoanalyse.

Geheimnisse einer Geele"- Ulfa  - Pavillon.

Bor ungefähr einem Jahr erlebte dieser Film seine Urauf führung im Gloriapalast. Zum ersten Male versuchte man, das unbewußte Seelenleben filmisch zu gestalten, aber trotz des großen Interesses, das der Film erregte, standen ihm viele Zuschauer ver ständnislos gegenüber. Jezt mill man auch den Laien, der wenig oder gar nichts von der Freudschen Psychoanalyse tennt, durch einen einführenden Vortrag, in dem Dr. Thomalla die Grundbegriffe dieser Wissenschaft auseinanderlegt und so die nötigen Bedingungen für das Verständnis schafft, an dem Thema interessieren.

Eigentlich ist diese Einführung nicht notwendig, da die alle Momente berücksichtigende Regie von G. W. Pabst und der Haupt­darsteller Werner Krauß   so eindrucksvoll und so flar das Pro­blem entfalten, daß feine Unklarheiten übrig bleiben. Dinge, die der als Bausteine des Traumlebens zuerst dem Laien unverständlich sind, werden im zweiten Teil, der die Analyse des Arztes schildert, völlig werden im zweiten Tiel, der die Analyse des Arztes schildert, pöllig geflärt, und dieser Wunsch nach Klarheit geht so weit, daß die Hand­lung darunter leidet. Bielleicht bringt man überhaupt nicht dem Film, sondern der Psychoanalyse Mißtrauen entgegen und will nicht an dem sinnvollen Aufbau des Traumes glauben. Schließlich aber haben die Heilerfolge der Psychoanalytiker diese Wissenschaft gerecht­fertigt.

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t.

Schaljapin   ist erkrankt. Die heutige Aufführung der Mar­garethe" in der Städtischen Oper mußte deshalb auf Montag, 21., verschoben werden.

die Wilhelmstraße, den Wilhelmplatz und alle seine Zugangsstraßen füllend und unangreifbar abriegelnd.

Tag und Nacht gab es in dieser Burg der Revolution, in diesem Vorpostenhaus der neuen Ordnung, feine Ruhe; Truppen famen, Gefangene wurden eingebracht, die Reporter der halben Welt stürmten ohne Unterlaß, während, heinahe nur nebenbei, die stürzende Fülle der drängenden Regierungsgeschäfte erledigt wurde. Kein Wunder, daß oft genug Gespenster   umgingen; mal wurden Kanonen gemeldet, die vom Brandenburger Tor   her Gruß senden

sollten, mal räusperten sich Dachschützen, mal drohte ein Angriff aus dem Part und mal hieß es, daß die Schutztruppe ihre Maschinen­gewehre einpace.

Es ist, wie meistens im Leben, alles gemächlich vorübergegangen und mehr oder weniger ernste oder komische Erinnerung geworden. So etwa, wenn damals aufgeregte Gruppen mit schrecklichem Geschrei vorüberzogen und ihnen voran ein Magerer sprang und trähte, der heute wohlbestallt und-beleibt als Generaldirektor fizt. Oder viele Monate später, als eines Nachts groteske Rebellion durch die Wilhelmstraße schlenferte und Herr Kapp sich im Haufe der Reichskanzlei zurechtfinden wollie. Es gab ein wüftes Durch einander, dessen Unklarheit das nahe Ende vorausfagte. Während­dessen spielte vor dem Haufe eine Militärkapelle vom Heil des Sieger­franzes und tuschte auf den vorbeispazierenden Ludendorff. Nach furzen Karnevalstagen flogen fie alle wie Spreu vor fegendem Besen, flapperte mit sämtlichem Gebein im Vorraum des berühmten Kongreßfaales ein Knappe Scherls, der sich schwarzweißrot auf Pressechef geschminkt hatte und nun durch das Rettungsbad einer Kaltwasserheilanstalt wieder zurückwechseln mußte.

Behn Jahre hat der neue Staat inzwischen überwunden; der Siz der Regierung blieb das Haus der Reichskanzlei. Die Geschäfte, die durch solche Zentralisierung dauernd wuchsen, benötigten Raum. Das Haus wurde zu eng. Statt der drei Beamten Bismards gibt

es heute deren 35 und obendrein ein stattliches Personal von An­gestellten und Arbeitern. So wurde ein Erweiterungsbau not­menbig; er soll auf das Grundstück zu stehen kommen, das, als Lücke zwischen dem sinnvollen Barockhause und dem höchſtunsinnigen Palais Borsig, die Einheit der Straßenwand von jeher gestört hat. Die Aufgabe, diesen Neubau zu entwerfen, war feine leichte. Es gefunden werden, es mußte zugleich ein geräumiges und wesentlich mußte Anschluß an die kapriziöse Bescheidenheit des alten Hauses überladene Fassade der Borsigschen Pseudorenaissance stillzulegen. höheres Bureauhaus hingestellt werden. Außerdem galt es, die Durch einen Wettbewerb ist ein ausgezeichneter Entwurf gefunden worden. Sein Urheber heißt Jobst Siedler  . Entgegen einer üblen Gewöhnung soll diese Planung auch ausgeführt werden; ein ver= nünftiger Entschluß, für dessen Zustandekommen fich Staatssekretär Bünder entschlossen eingesetzt hat.

Ein fachlicher, aber mohlgegliederter 3medbau, mit dem alten Hause gut verankert und durch eine turmartige Ueberhöhung rhythmisch betont, wird allen Anforderungen der Reichskanzlei, der umfassenden Zentrale der Reichsregierung, Genüge schaffen. Diesem Haus seiner Nachfolger hat der Reichskanzler Marg heute den Grundstein gelegt.

Bewegungsschrift.

Robert Breuer  .

Wir besigen für zwei Ausdrucksformen des Menschen, für Wort und Ton, schon seit undenklichen Zeiten die Möglichkeit, sie schriftlich aufzuzeichnen. Für den Ausdruck des Körpers dagegen, obwohl er der ursprünglichste jedes lebendigen Wesens ist, fehlt bisher eine Schrift. Schon seit dem fünfzehnten Jahrhundert sind allerdings Versuche gemacht worden, den Kunsttanz wenigstens durch bestimmie Zeichen zu notteren. Aber diese Schrift gab umständlich und dabei höchst unvollständig die Absichten der Tanzkomponisten" wieder. Immer wieder famen neue Tanzschriften auf; aber immer wieder wurde von den Fachkreisen erkannt, daß feine von ihnen praktischen Wert hatte.

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Erst in allerneuester Zeit wurden einige Versuche gemacht, die oder vielmehr: vielleicht zu einer wirklich brauchbaren Tanzschrift Bewegungsschrift führen werden. In der Jutta­Klamt Schule gab Otto Boleman- n eine Einführung in eine dieser Schristen, in die Vischer- Klamtsche Choreographie. Sie baut fich aus verhältnismäßig einfachen Elementen auf, indem sie von drei Bewegungsfreisen ausgeht, einem wagerechten und zwei diesen senkrecht schneidenden und zueinander rechtwinklig stehenden. Auf diese Kreise werden alle Bewegungen zurückgeführt. Die Schrift will in erster Linie die Möglichkeit geben, einfache Körperbewegungen z. B. des Ausdrucks, bei der Arbeit, oder auch bei Sport und Gym­nastik schriftlich festzuhalten. Doch soll es auch möglich sein, sehr tomplizierte Tänze in ihr aufzuzeichnen. Eo wenig man ohne Borkenntnisse nach einem anderthalbstündigen Vortrag über den Wert und die Zweckmäßigkeit unserer Notenschrift urteilen könnte, so wenig tann man das über diese Tanzschrift fun. Die Grundideen schienen jedoch auch dem Laien recht einleuchtend.