Einzelbild herunterladen
 
  

BERLIN Montag 21. Mai

1928

Der Abend

Erscheint täglich außer Sonntags. Sugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition: Berlin SW68, Lindenstr.3

Spätausgabe des Vorwärts

45. Jahrgang.

Muzeigenpreis: Die einfpaftige Nonpareillezeife 80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Bosscheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37536. Fernsprecher: Donhoff 292 bis 297

152 Sozialdemokraten!

Gewaltiger Vormarsch der Sozialdemokratie­Katastrophale Niederlage der Deutschnationalen

F Das Bild, das der Borwärts" heute morgen schon! von dem Wahlausfall gegeben hat, erweist sich als richtig. Es wird durch die weiter eingetroffenen Meldungen nur ver­pollständigt und verschärft.

Die Sozialdemokratie marschiert, und die KPD. in weitem Abstand, aber ungefähr in gleichem Schritt hinter­drein. Alles andere von der fleinen, belanglosen Wirt­schaftspartei und anderen Splittern abgesehen-geht den Krebsgang.

Die Deutsch nationalen erleiden eine Katastrophe. Sie behaupten zwar gerade noch die Stellung einer zweiten Partei, aber sie sind aus guten schlechte Zweite geworden. Im Mai 1924 waren sie die stärkste Fraktion, im Mai 1928 sind sie faum noch halb so start wie die Sozialdemokraten!

Nicht unerheblich sind auch die Verluste des 3entrums. Damit ist der Zusammenbruch des Bürger­blocks besiegelt.

Die Deutschnationalen verkünden die Lehre, daß man nur mit dem Bürgerblod den Margismus" schlagen fann. Das Experiment ist jetzt gemacht worden, den Erfolg sieht eher schon zum man. Er reizt nicht zur Wiederholung Lachen!

-

Während der Bürgerblock im Reich zusammengebrochen ist, hat sich die Preußentoalition ausgezeichnet ge­halten. Die führende Partei der Reichskoalition, die Deutsch­nationale Partei, fehrt schwer geschlagen aus dem Kampfe zurück. Die führende Partei der Preußenkoalition, die Sozialdemokratie, ist Siegerin auf der ganzen Linie.

Dieser Wahlausfall redet eine deutliche Sprache.

Der Gewinn der Kommunist en bleibt hinter den Er­wartungen, die die ersten Ergebnisse, besonders aus Berlin , brachten, weit zurück. Ihre Bäume wachsen nicht in den Himmel. Faßt man die ganze Wählerschaft, die teils sozial­demokratisch, teils fommunistisch gewählt und damit den Willen zum Sozialismus demonstriert hat, zu einer Einheit zusammen, so ergibt sich, daß rund drei Biertel davon der sozialdemokratischen Parole folgten, während rund ein Biertel einstweilen noch hinter Moskaus Fahnen marschiert. In der Einheitsfront des Proletariats" hat also die Sozial­demokratie die Dreiviertelmehrheit. Daß die ,, Ein­heitsfront des Proletariats" nicht zustande kommt, liegt einzig und allein daran, daß sich das eine Viertel der Dre i

piertelmehrheit nicht unterordnen will.

Die Sozialdemokratie ist entschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen, und sie ist auch st art genug dazu. Sie wird das Gewicht ihrer 152 Mandate in die Wagschale der kommenden Entscheidungen werfen.

Am 29. März sprach im Reichstag zur dritten Lefung des Etats namens der sozialdemokratischen Fraktion Genosse Otto Wels . Es war das bekanntlich die letzte Gelegenheit, bei der unsere Fraktion von der Tribüne des Reichstags aus zu den Wahlen Stellung nahm. Unter anderem führte Ge­noffe Wels aus:

Für das werktätige und schaffende deutsche Volk, für seine He­

Sie

bung aus den Tiefen, in denen es jetzt wandelt, werden wir den bevorstehenden Wahlkampf führen, als großdeutsche Republikaner, im Willen zur Macht, zur Sicherung der Demokratie und für den fozialen Ausbau der Republik . Wir werden den Kampf gegen ( nach rechts) im Bewußtsein der weltpolitischen Bedeutung des Wahlausfalles für die Bölkerverständigung, den Völkerfrieden und für den wirtschaftlichen Ausgleich zwischen den Bölkern Europas führen: unferer Verantwortung bewußt und zur Verantwortung

bereit.

Es versteht sich von selbst, daß die Sozialdemokratische Partei nach diesem Wahlausfall keine Ursache hat, von ihrer damaligen Erklärung zurückzutreten. Ihre Bedeutung wird vielmehr durch das Ergebnis des 20. Mai nur noch Berstärkt und unterstrichen.

47

Vorläufiges Gesamtergebnis

ohne Verwaltungsbezirk Reinickendorf .

Sozialdemokraten... 9111 438( 152 Mandate)

Deutschnationale

Zentrum

4 359 586( 73 . 3705 040( 62

"

Deutsche Volkspartei . 2 669 549( 44

Kommunisten

3232 875( 54

Demokraten

1 492 899( 25

P

Bayerische Volkspartei 936 404

( 16

80057( 0

Linke Kommunisten..

Reichspart.f.d.Mittelft. 1 391 133( 23

Nationalsozialisten

Deutsche Bauernpartei.

USP. ASP..

PP

806 746( 12

480 613( 8

Völkisch- national. Block

264 565( 0

"

Landbund.

Chriftl.- Nat. Banern. Volksrecht

20 725( 0 65 246( 0 199 491( 3 770 100( 13 480 978( 2

"

O.KOESTER

Otto Braun .

Der Sieger von Preußen.

489 M. d. R.!

Nach den bisherigen Ergebnissen wird der neue Reichstag troh höherer Zahl der Wahlberechtigten nicht, wie allgemein er­wartet wurde, mehr fondern weniger Abgeordnete zählen als der alte, nämlich nur 489 gegen bisher 493.

Giffgas über Hamburg .

Gelbkreuzbehälter explodiert.- Zwölf Tote und achtzig Schwervergiftete.

Am Sonntagnachmittag gegen 5 Uhr explodierte auf dem Fabrikgelände auf der Peute, einer Hamburger Elbinsel, ein sieben Meter langer eiserner Tank, gefüllt mit Phosgen, einem Gasgemisch, das aus dem Kriege unter dem Namen ,, Gelbkreuz" bekannt ist. Es handelt sich dabei um eine Firma Stolzenberg, Handels­und Industriegesellschaft Müggenburg, deren russische Gifigasbeziehungen im Vorjahre aufgedeckt werden konnten. Der Nordwind trieb mehrere Kubikmeter des Gases nach Süden in die Ortschaften Ober- und Niedergeorgswerder bis nach Wilhelmsburg hinein. Viele Menschen liegen in Erstickungskrämpfen. Zwölf Todesopfer sind bereits ge­meldet. An hundert Personen sind in die Krankenhäuser eingeliefert worden.

Die gefährdete Stadt.

Hamburg , 21. Mai. ( Eigenbericht.)

Die Auswirkungen der Katastrophe sind noch feineswegs zu übersehen, da der schwache, aber wechselnde Wind die Gasmengen zusammenhält. Die Polizei und die Feuerwehr bemühen sich, das Gas ins Wasser abzuleiten, stellen Ammoniak und Gasmasken als Schuhmittel zur Verfügung. Von Berlin aus werden Gas­masken angefordert. Die Rettungsarbeiten werden sehr erschwert, weil das Gelände von Wasserarmen stark durchkreuzt und nur wenige Brüden vorhanden sind. Die Bewohner der anliegenden Ortschaften find aufgefordert worden, ihre Wohnungen zu räumen. nach neueren Meldungen find inzwischen noch weitere Ort­fchaften geräumt worden, weil befürchtet wird, daß noch weitere Behälter mit Giftgas explodieren.

Krankenhaus geschafft werden. Im Laufe des Abends verstärkte sich die Gefahr; die Feuerwehr mußte ein zweites Mal zur Unfall­stelle ausrücken, nachdem man Nachmittag angenommen hatte, die Gefahr beseitigt zu haben. Von der Veddel und aus Wilhelms­ burg wurden zahlreiche neue Erkrankungen gemeldet. Die Feuer­wehrleute arbeiteten unter großer Lebensgefahr, da die zur Vsr­fügung stehenden Gas- und Rauchmasken die Gefahr nicht beseitigen. Der Wind drehte schließlich nach Südosten um und trieb die Wolke über Wilhelmsburg . Bon 20 bis 30 Stellen zugleich wurden Ber­giftungen gemeldet. Alle verfügbaren Krantenautos sind nach der Beddel und Wilhelmsburg unterwegs. Der Arbeitersamariterbund machte seine Kolonnen Hamburg und Wilhelmsburg mobil. Der Harburger Polizeipräsident hat in der Nacht eine Hundertschaft der Hamburger Bolizei zur Unterstützung bei der Räumung angefordert. Die Einwohner der am meisten bedrohten Gemeinden werden in Der Wind trieb die Gaswolfe am Boden vor sich her den Auswandererhallen der Hamburg- Amerika- Linie untergebracht. über den Hofe- Kanal zur Müggenburger Straße. In einem Ein anderer Teil findet in den Krankenhäusern Unterkunft. Um Boot auf dem Kanal wurden zwei junge Angler von der Gaswolfe| 2 Uhr nachts meldet das St.- Georgs- Krankenhaus überrascht und mußten befinnungslos abtransportiert werden. Am 32 eingelieferte Vergiftete und zahlreiche Obdachlose. jenseitigen Ufer des Hofe- Kanals wurde ein Plazmeister, dessen Frau und sein Sohn vergiftet. Auch ein Wächter mußte vergiftet ins Bon den Bergifteten sind, wie bereits gemeldet wurde, inzwischen