Der Abend™
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Spätausgabe des„ Vorwärts
45. Jahrgang.
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152 Sozialdemokraten!
Gewaltiger Vormarsch der SozialdemokratieKatastrophale Niederlage der Deutschnationalen
F Das Bild, das der Borwärts" heute morgen schon! von dem Wahlausfall gegeben hat, erweist sich als richtig. Es wird durch die weiter eingetroffenen Meldungen nur verpollständigt und verschärft.
Die Sozialdemokratie marschiert, und die KPD. in weitem Abstand, aber ungefähr in gleichem Schritt hinterdrein. Alles andere von der fleinen, belanglosen Wirtschaftspartei und anderen Splittern abgesehen-geht den Krebsgang.
Die Deutsch nationalen erleiden eine Katastrophe. Sie behaupten zwar gerade noch die Stellung einer zweiten Partei, aber sie sind aus guten schlechte Zweite geworden. Im Mai 1924 waren sie die stärkste Fraktion, im Mai 1928 sind sie faum noch halb so start wie die Sozialdemokraten!
Nicht unerheblich sind auch die Verluste des 3entrums. Damit ist der Zusammenbruch des Bürgerblocks besiegelt.
Die Deutschnationalen verkünden die Lehre, daß man nur mit dem Bürgerblod den Margismus" schlagen fann. Das Experiment ist jetzt gemacht worden, den Erfolg sieht eher schon zum man. Er reizt nicht zur Wiederholung Lachen!
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Während der Bürgerblock im Reich zusammengebrochen ist, hat sich die Preußentoalition ausgezeichnet gehalten. Die führende Partei der Reichskoalition, die Deutschnationale Partei, fehrt schwer geschlagen aus dem Kampfe zurück. Die führende Partei der Preußenkoalition, die Sozialdemokratie, ist Siegerin auf der ganzen Linie.
Dieser Wahlausfall redet eine deutliche Sprache.
Der Gewinn der Kommunist en bleibt hinter den Erwartungen, die die ersten Ergebnisse, besonders aus Berlin , brachten, weit zurück. Ihre Bäume wachsen nicht in den Himmel. Faßt man die ganze Wählerschaft, die teils sozialdemokratisch, teils fommunistisch gewählt und damit den Willen zum Sozialismus demonstriert hat, zu einer Einheit zusammen, so ergibt sich, daß rund drei Biertel davon der sozialdemokratischen Parole folgten, während rund ein Biertel einstweilen noch hinter Moskaus Fahnen marschiert. In der„ Einheitsfront des Proletariats" hat also die Sozialdemokratie die Dreiviertelmehrheit. Daß die ,, Einheitsfront des Proletariats" nicht zustande kommt, liegt einzig und allein daran, daß sich das eine Viertel der Dre i
piertelmehrheit nicht unterordnen will.
Die Sozialdemokratie ist entschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen, und sie ist auch st art genug dazu. Sie wird das Gewicht ihrer 152 Mandate in die Wagschale der kommenden Entscheidungen werfen.
Am 29. März sprach im Reichstag zur dritten Lefung des Etats namens der sozialdemokratischen Fraktion Genosse Otto Wels . Es war das bekanntlich die letzte Gelegenheit, bei der unsere Fraktion von der Tribüne des Reichstags aus zu den Wahlen Stellung nahm. Unter anderem führte Genoffe Wels aus:
Für das werktätige und schaffende deutsche Volk, für seine He
Sie
bung aus den Tiefen, in denen es jetzt wandelt, werden wir den bevorstehenden Wahlkampf führen, als großdeutsche Republikaner, im Willen zur Macht, zur Sicherung der Demokratie und für den fozialen Ausbau der Republik . Wir werden den Kampf gegen ( nach rechts) im Bewußtsein der weltpolitischen Bedeutung des Wahlausfalles für die Bölkerverständigung, den Völkerfrieden und für den wirtschaftlichen Ausgleich zwischen den Bölkern Europas führen: unferer Verantwortung bewußt und zur Verantwortung
bereit.
Es versteht sich von selbst, daß die Sozialdemokratische Partei nach diesem Wahlausfall keine Ursache hat, von ihrer damaligen Erklärung zurückzutreten. Ihre Bedeutung wird vielmehr durch das Ergebnis des 20. Mai nur noch Berstärkt und unterstrichen.
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Vorläufiges Gesamtergebnis
ohne Verwaltungsbezirk Reinickendorf .
Sozialdemokraten... 9111 438( 152 Mandate)
Deutschnationale
Zentrum
4 359 586( 73 . 3705 040( 62
"
Kommunisten
3232 875( 54
Demokraten
1 492 899( 25
P
( 16
80057( 0
Linke Kommunisten..
Reichspart.f.d.Mittelft. 1 391 133( 23
Nationalsozialisten
Deutsche Bauernpartei.
USP. ASP..
PP
806 746( 12
480 613( 8
Völkisch- national. Block
264 565( 0
"
Landbund.
Chriftl.- Nat. Banern. Volksrecht
20 725( 0 65 246( 0 199 491( 3 770 100( 13 480 978( 2
"
O.KOESTER
489 M. d. R.!
Nach den bisherigen Ergebnissen wird der neue Reichstag troh höherer Zahl der Wahlberechtigten nicht, wie allgemein erwartet wurde, mehr fondern weniger Abgeordnete zählen als der alte, nämlich nur 489 gegen bisher 493.
Gelbkreuzbehälter explodiert.- Zwölf Tote und achtzig Schwervergiftete.
Am Sonntagnachmittag gegen 5 Uhr explodierte auf dem Fabrikgelände auf der Peute, einer Hamburger Elbinsel, ein sieben Meter langer eiserner Tank, gefüllt mit Phosgen, einem Gasgemisch, das aus dem Kriege unter dem Namen ,, Gelbkreuz" bekannt ist. Es handelt sich dabei um eine Firma Stolzenberg, Handelsund Industriegesellschaft Müggenburg, deren russische Gifigasbeziehungen im Vorjahre aufgedeckt werden konnten. Der Nordwind trieb mehrere Kubikmeter des Gases nach Süden in die Ortschaften Ober- und Niedergeorgswerder bis nach Wilhelmsburg hinein. Viele Menschen liegen in Erstickungskrämpfen. Zwölf Todesopfer sind bereits gemeldet. An hundert Personen sind in die Krankenhäuser eingeliefert worden.
Die gefährdete Stadt.
Hamburg , 21. Mai. ( Eigenbericht.)
Die Auswirkungen der Katastrophe sind noch feineswegs zu übersehen, da der schwache, aber wechselnde Wind die Gasmengen zusammenhält. Die Polizei und die Feuerwehr bemühen sich, das Gas ins Wasser abzuleiten, stellen Ammoniak und Gasmasken als Schuhmittel zur Verfügung. Von Berlin aus werden Gasmasken angefordert. Die Rettungsarbeiten werden sehr erschwert, weil das Gelände von Wasserarmen stark durchkreuzt und nur wenige Brüden vorhanden sind. Die Bewohner der anliegenden Ortschaften find aufgefordert worden, ihre Wohnungen zu räumen. nach neueren Meldungen find inzwischen noch weitere Ortfchaften geräumt worden, weil befürchtet wird, daß noch weitere Behälter mit Giftgas explodieren.
Krankenhaus geschafft werden. Im Laufe des Abends verstärkte sich die Gefahr; die Feuerwehr mußte ein zweites Mal zur Unfallstelle ausrücken, nachdem man Nachmittag angenommen hatte, die Gefahr beseitigt zu haben. Von der Veddel und aus Wilhelms burg wurden zahlreiche neue Erkrankungen gemeldet. Die Feuerwehrleute arbeiteten unter großer Lebensgefahr, da die zur Vsrfügung stehenden Gas- und Rauchmasken die Gefahr nicht beseitigen. Der Wind drehte schließlich nach Südosten um und trieb die Wolke über Wilhelmsburg . Bon 20 bis 30 Stellen zugleich wurden Bergiftungen gemeldet. Alle verfügbaren Krantenautos sind nach der Beddel und Wilhelmsburg unterwegs. Der Arbeitersamariterbund machte seine Kolonnen Hamburg und Wilhelmsburg mobil. Der Harburger Polizeipräsident hat in der Nacht eine Hundertschaft der Hamburger Bolizei zur Unterstützung bei der Räumung angefordert. Die Einwohner der am meisten bedrohten Gemeinden werden in Der Wind trieb die Gaswolfe am Boden vor sich her den Auswandererhallen der Hamburg- Amerika- Linie untergebracht. über den Hofe- Kanal zur Müggenburger Straße. In einem Ein anderer Teil findet in den Krankenhäusern Unterkunft. Um Boot auf dem Kanal wurden zwei junge Angler von der Gaswolfe| 2 Uhr nachts meldet das St.- Georgs- Krankenhaus überrascht und mußten befinnungslos abtransportiert werden. Am 32 eingelieferte Vergiftete und zahlreiche Obdachlose. jenseitigen Ufer des Hofe- Kanals wurde ein Plazmeister, dessen Frau und sein Sohn vergiftet. Auch ein Wächter mußte vergiftet ins Bon den Bergifteten sind, wie bereits gemeldet wurde, inzwischen