Beilage
Montag, 21. Mai 1928.
H22
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
Crispien
Künstler
Heimann
Litke
Aufhauser
Bohm- Schuch
Dr. Mofes
Lowenstein
Wendt
Heinig
Ernst Toller als Operndichter.
Opernuraufführung in Braunschweig .
Vorher:„ Das Echo von Wilhelmstal", Ballettoper in zwei Akten von M. Kannengießer, ein sehr harmloses Spiel aus der napoleonischen Zeit, zu dem Franz Mitorey, der Braunschweiger Generalmusikdirektor, gefällige Musik geschrieben hat. Nachher: als Frucht eines langen Theaterabends die nun begründete Hoff nung, daß der junge Friedrich Wildens der Mann sein werde, den Typ der musikalischen Komödie, der Spieloper( die nicht immer Lustspieloper sein muß) zeitgemäß zu erneuern; und für die Stunde die Sicherheit, daß er diesmal mit der Wahl des Textes einen befonders glücklichen Griff getan hat. Dieser Text ist eine Dichtung von Ernst Toller : Die Rache des verhöhnten Lieb= habers."
Ernst Toller , wir tennen ihn als revolutionären Dramatiker, dem Dichter und Betenner aus sozialem Wirkungswillen; aus Schwalbenbuch fennen wir ihn als zarten Lyriker. Nun gibt er uns mit leichter Laune, nicht ohne Wiz, ein gereimtes Bersspiel, eine Geschichte des Kardinals Bandello hat den Stoff geliefert, sie spielt im Benedig des sechzehnten Jahrhunderts. Trog ein paar Gegen wartsanflängen: es weht fein heutiger Wind in der Luft dieser Bühnendichtung. Lorenzo, verliebt, wie nur in der Renaissance junge Edelleute waren, wird von Elena, die er bis in die Intimität ihres Ankleidezimmers verfolgt, mit falter Berachtung gestraft, schwört ihr Rache und vollzieht sie auf nicht eben ritterliche Art:
lockt die Frau- selbstverständlich Frau eines anderen- gelegent lich eines glänzenden Festes in eine Falle oder, gerade heraus gejagt, in sein Bett. Doch der Zweck, der sich, gewiß nicht unwillfbmmen, ihm jetzt erfüllt, wird sozusagen nur Mittel zum 3wed mit grausamer Rache. Erst als der Prahler, Neid und Bewunderung weckend, den Blicken seiner Freunde, unter ihnen dem Ehemann Giuseppe, das Objekt seines Sieges preisgegeben hat, den Körper der leberwundenen, deren Gesicht nur durch einen Schleier verhüllt
hält bittere Klagen des verliebten Generals darüber, daß Josephine nicht zu ihm nach Italien tam, sondern, wie Napoleon erfuhr, sich mit einem jungen Freund amüsierte. Ich rechnete damit," schreibt der junge Gatte ,,, daß Du am 13. in Mailand , sein würdest, und Du bist noch in Paris . Ich martete mich in dem Gedanken daran. Ich unterdrücke ein Gefühl, das meiner unwürdig ist. Der Ruhm geUnsterblichkeit, die das Herz nicht befriedigt. Was Dich anbetrifft, nügt nicht zu meinem Glück; er schafft eine Stimmung von Tod und so möge die Erinnerung am mich Dir nicht hassenswert sein. Es ist mein Unglück, daß ich Dich zu wenig fennen gelernt habe, daß Deine, daß Du mich nach den Männern beurteilst, die Dich um
geben. Mein Herz hat niemals etwas Durchschnittliches gefühlt. Es leugnete selbst die Liebe. Du hast es mit einer grenzenlosen Leiden fchaft erfüllt, mit einem Wahnsinn, der es erniedrigte. Der Gedanke an Dich war in meiner Seele stärker als der an die ganze Welt. Für mich war jede Laune von Dir heiliges Gesetz. Dich jehen zu fönnen war meine größte Freude. Du bist schön, anmutig. Deine süße und himmlische Seele spiegelt sich auf Deinem Gesicht wider. Ich bete alles an Dir an. Wärest Du naiver und jünger gewesen, selbst würde ich Dich weniger geliebt haben. Alles gefiel mir die Erinnerung an deine Verfehlungen und an die beschämende Szene, die zwei Wochen vor unserer Hochzeit stattfand. Dein Bild
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war immer an meinem Herzen. Nie verging ein Tag, ohne daß ich es anjah, nie eine Stunde, ohne daß ich es betrachtete und mit Küffen bedeckte. Du aber, Du hast mein Bild sechs Monate behalten, ohne es aus seiner Verborgenheit hervorzunehmen. Nichts entging mir. Ich aber werde trotzdem nur Dich lieben, und von allen Rollen
ist dies die einzige, die ich nicht ausfüllen fann.... Leb wohl, Josephine , bleibe in Paris . Schreibe mir nicht mehr. Aber achte wenigstens mein Heim. Tausend Dolche zerreißen meine Seele; stoße sie nicht noch tiefer hinein." Napoleon war 26 Jahre, als er diesen Brief an die 33jährige Josephine schrieb.
Am
Sonnabend gab uns das Erwin- LendvaiQuartett aus Leipzig in der Stadthalle eine Kostprobe für Tenören fundierte Doppelquartett hat ein Recht, sich den Namen Hannover . Das stimmlich in den. Bässen noch besser als in den Lendvais beizulegen, wie auch der Meister selbst diese Ehrung vollauf verdient. Neben seinen aus ganz verschiedenen Entstehungszeiten ausgewählten sieben Chören konnten weder die vier Tondichtungen von Richard Strauß noch die des durch seine Lukas- Passion so schnell berühmt gewordenen Leipzigers Kurt Thomas fich als ebenbürtig behaupten. Er ist ein Ganzer, und neben dem unvergeßlichen Uthmann der einzige Komponist, der speziell für die Arbeiterchöre als Bollwertiger in Betracht kommt. Daß er meist schwer eingängig ist und felten auf den ersten Anhieb hinreißend wirkt, ändert an seinem hohen Niveau nicht das geringste. Man wird ihn verstehen und lieben lernen. Trotzdem er als Tondichter mit beiden Füßen in der modernen Wirklichkeit steht, ist er mit seiner rücksichtslosen, ganz unromantischen Kraft dermaßen in der alten Kunst, speziell Sebastian Bach , verankert, daß vieles wie eine Fortsetzung dieses Größten anmutet. Kompromisse gibt es bei ihm nicht. Gesunde Knochen, sauberes Blut, aber fein fofettes, lockendes Fleisch. Er darf es verschmähen.
Bei Strauß schaut, wenigstens bei innerlicheren Problemen,
"
etwas die platte Liedertafelei heraus, so in ,, Liebe" und Brauttanz". trotz aller technischen Bollendung und aparter Klangreize, immer Wo aber der Text dramatisch und farbenreich wird, da gibts dann Meisterstückchen wie„ Wächterlied" und namentlich„ Sudud". Auf dieser Straußischen Seite, also Gelegenheitstompofitionen, wenn auch allerhöchsten Ranges, stehen die schön kolorierten und prachtvoll flingenden Schifferlied" und Abendtrunk" von Kurt Thomas . Ueber die Leistungen des Quartetts ist kein Wort des Lobes zu hoch. Wer die Riesenschwierigkeiten des A- capella- Gefanges ohne Dirinicht erstaunt gewesen sein, daß neben so vielem Vollendeten auch manche direkte Entgleisungen und Verwirrungen vorkamen. Der etwas trompetenartig helle Tenorklang, der diesen polyphonen Gesängen wenig Abbruch tut, gleicht durch seine vollendete Technik, speziell das wunderbare Piano, wieder alles aus. Ein müheloses,
ift, fühlt er sich wieder im Gleichgewicht seiner Kräfte, fühlt sie sich worden. Es ist das Industriemuseum, an dessen Eingang eine Tafel genten fennt( der geistige Führer ist Walter Hänel), der wird
endgültig bezwungen.
Das Londoner Induftriemuseum. Ein eigenartiges Museum ist von dem englischen Ministerium des Innern in London geschaffen darauf hinweist, daß 1926 806 Arbeiter getötet und 139 157, haupt fächlich im Fabrikbetrieb, verletzt wurden. Nach einem Bericht der Deutschen Medizinischen Wochenschrift" wird hier an zahlreichen Maschinen aus allen möglichen Betrieben, die vom Beschauer in Bewegung gesetzt werden können, die Gefahr für den Arbeiter auf
Eine pikante Segualaffäre aus der Welt der Berwöhnten: was hat an diesem Residenztheaterstoff Ernst Toller gereizt? War es nur, daß er ausruhen wollte für ernstere, dringendere Aufgaben? Die undelikate Sache, die er als Dichter zu der seinen macht, ist mit viel Feingefühl und Formgefühl behandelt; aber durch die Lust am Spiel klingt dennoch auch ein aufrührerischer Ton. Die Rache des gezeigt, auch sind die Mittel angegeben, ihnen zu begegnen. Ein Trinflied"). Die Beweglichkeit der Stimme, die Stilsicherheit, Ver
anderer Teil des Museums führt die verschiedenen GewerbefrankLiebhabers wird zur Radikalkur, durch die eine hochnäsige dumme heiten vor und erläutert auf großen Photographien ihre Verhütung Gans gründlich geheilt wird in einer Ghe, die keine iſt, geheilt und Bekämpfung. Die Fürsorgeabteilung enthält u. a. Siggelegen vom heuchlerischen Dünkel ihres Verheiratetjeins. Nicht eine In- heiten für Arbeiter, einen Raum für erste Hilfe bei Verlegungen, stitution, doch ihr Mißbrauch, ihr Heiligenschein wird bloßgestellt, eine mustergültige Fabrikküche, sowie Garderoben, Wascheinrichtunden allzu Moralisch- Korrekten auf lustige Art die Waffe entwunden, die sie aus der Not ihrer Ehetugend machen.
Und aus dieser, alles in allem, sehr luftigen Dichtung hat Friedrich Wilckens , Schrefer- Schüler, frisch- fröhlicher Mujifant, mit Blid für die Bühne, Ohr für die Oper begabt, eine Oper gemacht, die sich sehen und hören lassen kann. Was von ihrer Wiedergabe durch das Braunschweiger Landestheater nicht behauptet werden soll. Klaus Pringsheim .
Ein unbekannter Brief Napoleons an Josephine Einen bisher unbekannten Liebesbrief Napoleons aus den ersten Wochen nach seiner Heirat mit Josephine veröffentlicht Walter Geer in seinem soeben in London erschienenen Werk ,, Napoleon und seine Familie". Der Brief ist 1925 im Schloß Sagan in Schlesien entDeckt worden. Der Brief war seit mehr als einem Jahrhundert verSchollen. Er ist aus Bologna nom 26. Juni 1796 datiert und ent
gen usw. In einer weiteren Abteilung wird die wichtige Frage der günstigsten Beleuchtung bei der Arbeit an Modellen anschaulich erläutert. Unzweckmäßig angelegte und dadurch gefährliche Einrichtungen werden ebenfalls vorgeführt.
,, Robinson" der erste Zeitungsroman in Forfiehungen. Nach englischen Forschungen scheint, wie die Literarische, Welt" berichtet, der erste Roman, der in einer Zeitung in Fortsetzungen veröffentlicht wurde, der ,, Robinson Crusoe " gewesen zu sein. Und zwar findet man diesen Vorabdruck in den Nummern vom 7. Oktober 1719 bis zum 17. Oftober 1720 der London Post". Wenn auch die Publikation dieses Buches sich über ein ganzes Jahr erstreckte, verstand der damalige Herausgeber der Zeitung es doch sehr geschickt, durch Abbrechen der Fortsetzungen im spannendsten Augenblick das Interesse der Leser immer wachzuhalten. Später war es bekanntlich Dickens , der fast alle seine Romane in alimonatlichen Fortseßungen in Zeitschriften veröffentlichte, und sein ganzes Leben hindurch verfolgte ihn die Vorstellung von dem Drucker, der die fällige Fortjezung erwartet,
tonreines hohes Chor- C ist auch nichts Alltägliches( in Lendvais
teilung der Farben und der Reichtum des Ausdrucks stempeln das ,, Lendvai- Quartett" zu einer erstklassigen. Vereinigung, auf die unsere Arbeitersänger mit Stolz als eine der ihrigen blicken dürfen.
H. Mr.
3m Theater am Schiffbauerdamm findet am Mittwoch, 8 Uhr, die
75. Aufführung von Galsworthys" Zigarettenkasten" statt.
Eine Schauspieler- Nachtvorstellung von ran theit der Jugende findet im Renaissance- Theater zugunsten der Wohlfahrtskassen der Bühnengenossenschaft Donnerstag, abends 11, Uhr statt.
Mag Scheler ist in Frankfurt a. M. im 55. Lebensjahre geftorben. Dis bor kurzem hatte er als Profeffor der Philosophie und Soziologie in Köln gewirft. Edheler war ein moderner Metaphysiker, dessen Philosophie den Statholizismus Borsvanndienste leistete. Da er gleichzeitig scharfer Analytiker und fünstlerisch empfindender Literat war, sind seine Schriften, die phae nomenologisch und soziologisch gerichtet sind, nicht ohne Neiz.
Amundsen über die Jfalia"-Expedition. In einem Interview über den Flug der Italia " erklärte Roald Amundsen : Die Mitteilung, daß Mikolaus IL- Band nicht auszufinden sei, habe ihn überrascht. Er selbst habe das Land während der Maud- Expedition besucht, auf der Inselgruppe eine Schlittenfahrt unternommen und Signalstangen errichten lassen. Man müsse annehmen, daß die, Stalia" die Inselgruppe bei nebligem Schneewetter überflogen habe