DER SPRUNC ÜBER DEN SCHATTEN
15. Fortsetzung. „Raten Sie, was ich habe?" sagte jetzt der Junge und trat zurück. Er sah mich in fröhlicher Erwartung an und hielt die Hände auf dem Rücken. „Das schickt Ihnen Mutter." Er setzte«ine Kiste Zigarren auf den Tisch. „Oh— ich danke— Hildegard." „Warum rauchen nur die Männer so gern? Es ist doch gar nicht schön. Rauch im Munde! Brr!" Sie. schüttelte sich. „Das versteht bloß ein Mann," sagte der Junge und machte ein spaßhaft überlegenes Gesicht. Er hatte die Kiste geöffnet und tat, als wolle er sich selbst eine Zigarre anstecken. „Willst du wohl, dummer Junge!" Hildegard Junter schlug nach ihm. Er lacht« und bog sich mit seinem Stuhle zurück, als hätte er Furcht. „Du bist ein schöner Mann," spottete sie,„Ich Hab' sa mehr Kräfte als du." „Hildegard ist wirklich kräftig, Herr Fehlow." „So? Dann müssen wir uns mal messen, Fräulein Hildegard." Ich faßte den Jungen an einem Bein und in der Hüfte und hob ihn mit einem Ruck über den Kopf. Es war schwer; aber Hildegard Junker griff ohne Besinnen gleichfalls zu. Ihre Augen blitzten. Dreimal setzte sie an, aber dreimal versagte ihre Kraft. Nach dem dritten Mal war sie völlig erschöpft. Sie lehnte sich an die Brüstung und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Mit einem Ruck drehte sie uns den Rücken und stampfte heftig auf. „Aber Schwesterchen!" Der Junge trat zärtlich an sie heran. „Laß mich"! Es klang ganz hart. „Sie dürfen mir nicht böse sein, Hildegard, ich wollte Ihnen doch nicht weh tun!" „Ach, es ist zu dumm! Es ist ja kindisch!" Sie sah mich an, wischte mit dem Handrücken die Tränen ab und versuchte zu lächeln, während weitere Tränen flössen. Da nahm ich sie in den Arm�und küßte sie, und sie küßte wieder. Der Junge aber ging leise die Treppe hinunter. Wir hatten alle drei kein reines Gewissen mehr, als wir den Garten verließen. „Sie bleiben doch noch, Herr Fehlow?" Frau Junker kam uns entgegen.„Mein Mann erwartet Sie; er sitzt oben und liest gerade die Zeitung." Ich ging mit. Der Direktor streckte mir ohne ein Wort die Hand hin; eine kleine mollige Hand. Ich sah ihn zum erstenmal ganz aus der Nähe. Ein verarbeitetes Gesicht mit tiefen Falten. Ein Selfmademan, der sich durch eisernen Fleiß vom Buchhalter zum Direktor heraufgearbeitet hatte. Wir setzten uns alle um«inen Ecktisch. Die Frauen rückten ein Nähkörbchen heran. „Nun, wie gefällt Ihnen der Junge?" Der Direktor legte die Zeitung nieder. „Ich bin sehr zufrieden, Herr Direktor. Ich glaube, daß ihm nichts weiter fehlt als Anregung und eine ruhige Stütze. Er muß den Glauben an die eigen« Kraft gewinnen. Erziehung zum eigenen Willen,— das ist es; Wille ist das Weltübcrwindende." Dies war mein Lieblingsgedanke damals, und der Direktor schien sehr befriedigt davon. Er sah seine Frau an. Sie warf ihm einen verstehenden Blick zu. ,.Na, Hildeken, was sagst du?" Hildegard beugte sich rot werdend über ihre Arbeit: „Du willst mich» bloß wieder foppen, Vater; aber Herr Fehlow hat recht; das gilt für eine Frau so gut wie für emen Mann." „Aber eine Frau allein kann nie etwas Ganzes erreichen; es mutz immer erst«in Mann dazukommen!" Der Direktor blies den
Da nahm ich sie in die Arme und lüßte sie und sie Hißte wieder. Rauch seiner Zigarre scharf in die Luft; den Kopf zurückgebeugt, einen mächtigen Schädel mit dünnem, kurzem Haar. Ich wollte etwas erwidern; die Frauen verteidigen. Aber, was ich sonst nicht kannte: ich überlegte. Ich dachte an Hildegard Junker und wollte ihren Voter nicht verletzen. So nickte ich, als wäre ich völlig«inverstanden. „Ich glaube auch," sagte jetzt Frau Junker nachdenklich,„daß ein Mann mehr leisten kann als eine Frau. Der Mann ist im allgemeinen härter, und das mag auf der Welt ojt nötig sein. Wir Frauen sind mehr zum geduldigen Ausharren da. Mr müssen man6)es wieder ebnen, was die Männer ausgewühlt haben."
„Eine Frau gehört vor allem ins Haus!" fiel der Direktor ein und legte den Arm schwer auf den Tisch.„Nicht wahr, Hildegard, du wirst vor allem eine tüchtige Hausfrau?" Hildegard Junker nickte mehrmals: begeistert.„Man muß alles selber kennenlernen, damit man die Mädchen beaufsichtigen kann und sie einem nichts vormachen."
— Laß doch, du hast doch immer das Richtige gefunden— „Sie haben doch Schwestern, Herr Fehlow, die denken doch sicher auch so?" fragte Frau Junker. Ich dachte an meine Schwestern, die jetzt statt meiner morgens und abends das Wasser in den Garten schleppten und tagsüber in der Schneiderstube saßen..La. die denken auch so." log ich. Im gleichen Augenblick siel mir ein, daß ich eigentlich nicht das mindeste davon wußte, wie die Schwestern dachten. In Pommern werden die Frauen nach so etwas nicht gefragt.
Copyright 193t by.Der Bücherkreis G. rn. b. H." Berlin SW 61. Der Direktor ließ das Thema nicht fallen.„Ein Jammer, wenn man das mit ansieht!" fuhr er plötzlich aufgeregt fort,„ein Elend und grenzenloser Leichtsinn— diese Flittchen in den Fabriken. Nichts können sie, einen Kochtopf haben sie kaum gesehen. Aber ständig dummes Zeug im Kopf. Ohne Bräutigam geht's nicht. Frei wollen sie sein. Frei! Als wenn unsereins frei wäre. Arbeiten und arbeiten bis in die Nacht rein. Dabei hat man die schwere Verantwortung. Was diese Menschen so arbeiten nennen! Keine Ahnung haben sie. Nur Rechte wollen sie haben; wenig arbeiten, aber viel Geld und viel Vergnügen." Er atmete stoßweise. „Auf die Straßen laufen und Skandal machen, das können sie. Bei uns ist auch wieder so was im Gang«: ich riech es schon immer. Aber wartet man, wir werden'» euch schon eintrichtern." Der Direktor war immer erregter geworden. Jetzt legte seine Frau begütigend ihre Hand auf seinen Arm: „Aber, ober, Männchen, du sollst dich doch nicht so aufregen. Du weißt, wie dir das schadet. Laß doch, du hast doch immer noch das Richtige gesunden." „Ba— ter!" lachte Hildegard, zog die Stirn hoch und machte große Augen. Ich hätte jetzt sagen müssen, was ich dacht«; ich fühlt« das; und ich dachte, daß man auch den Arbeitern nicht verdenken könne, für höheren Lohn zu kämpfen; ich würde es auch tun. Aber ich sagt« nichts.„Wie Hildegard Junker lachen kann! Wenn sie mein wäre!" „Sie müssen sich nicht wundern, Herr Fehlow," wandte sich Frau Junker mir zu, ,cha» ist das Steckenpferd meines Mannes." Sie lachte. „Ach was, Steckenpferd," fuhr er auf,„das versteht ihr eben nicht. Da» sind die wichtigsten Fragen einer gesunden Zukunft. Aber die Frauen..." „Ja, ja, Männchen, wir wissen schon. Aber wir wollen hier doch zufrieden beisammen sein." „Gut, gut, gut," murmelte der Direktor, ruhiger werdend; „aber weiß Gott , da» verfolgt einen bis in den Schlaf rein. Herr Fehlow wird mich verstehen. Er studiert ja." Wieder nickt« ich und widersprach nicht. Unser heimliches Glück schien ohne Grenzen. Ich zitterte nach den Stunden des Beisammenseins. Ich kam mir besser und reiner vor. Ich ging in keine Kneip« und verkehrte mit niemand; ich fürchtete. Reines zu zerstören, Hildegard Junker und mich zu be- schmutzen. Wild stürzte ich mich in die Arbeit. Und auch in meinem Denken ging«in« Beränderung vor sich. Vielerlei Zweifel waren in den letzten Jahren in mir gewochsen, jetzt ober gewann der Gedanke Macht, daß es doch ein« ewige Wahrheit gibt, und daß dies« Wahrheit in der Wissenschaft ruht. Ich berauschte mich in den Wandelgängen der Bibliothek an den Worten:„Zieh deine Schuhe aus, das Land, woraus du gehst, ist heiliges Land." (Fortsetzung folgt.)
WAS DER TAG BRINGT. iiiiiiiiiimiiiiiiHiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiniiiiniiiiiiiiiniiiitiiinmiiiiinmimiiiiiiiiiniiiiiininminHimimniiiiiiniinraiiiiiiiiiiniinnmtiiimiiiiiimimiiiiiinimiimHniiiMninniiinniiiinmiR
Der falsche Standesbeamte./ Als die Bewohner von L e n g n a, einem Städtchen in der Schweiz , eines schönen Morgens aufwachten, da war mit einem Teil von ihnen eine seltsame Veränderung vor sich gegangen. Als Ehe- männer und Ehefrauen, als Väter und Mütter von Kindern, mit denen alles in der besten Ordnung war, hatten sie sich am ver- gangenen Abend zu Bett gelegt: Zufriedene Nutznießer eines beschaulichen Eheglücks, und� nun hatten sich die fürchterlichsten Dinge herausgestellt. Ein Lustspielmotiv war in ihr ernstes Leben ein- gedrungen, die ausgefallene Idee eines Humoristen hatte Gestalt angenommen, sich ihrer als Puppen bemächtigt und sie, die streng nach Sitte und Recht, nach altem Brauch und getreu den Gesetzen, durch ihre Tage zu wandeln meinten, als liederliche Junggesellen und Konkubinen, als Väter und Mütter einer Schar unehelicher Kinder enthüllt.* Wie dies? Nun, die Eheschließungen vor Jahr und Tag, die waren richtig vorgenommen, die Jaworte gesprochen und protokolliert und kein« Zeremonie war versäumt worden, die Stempel unter den Dokumenten waren echt und die Unterschriften nicht gefälscht. Und doch war über Nacht von einem hohen Herrn der Regierung, der sich im Dorf aufgehalten hatte, eine kleine Unstimmigkeit entdeckt worden. So einwandfrei der Standesbeamte das Zlmt der Menschen- zusammensührung auch gehandhabt hatte, es war nicht seines gewesen. Cr Halle mit der Gebärde eines Standesbeamten dessen Arbeit geleistet und manch einer mag ja meinen, daß er dann recht am Platze gewesen sei, aber doch war er zu seiner Tätigkeit gar nicht befugt gewesen. Er war hineingeschmuggelt worden in sein Amt. Niemandem war das noch ausgefallen, bis dann der fremde Herr von der Regierung kam. Es konnte kein Zweifel sein: Hunderte von Ehen, die in Lengna abgeschlossen wurden, entbehrten der Rechtsgültigkeit. Eis genügten Nicht dem Gesetz— und das war diesem pleinlich genug und es sann darauf, wie es sich wohl umstoßen könnte, damit es die Ehen nicht umzustoßen brauchte. Denn Gesetz ist eine sehr seriöse Angelegenheit, deren Würde Schaden leidet, wenn ihre Konsequenzen, sich in Schwantoerwirrungen und Humoreskcnocr- Wicklungen bemerkbar machen. Nicht auszudenken, daß 5iundcrte von wackeren Eheleuten sich bislang in freier Liebe zugetan waren und jetzt etwa auf den Gedanken kommen konnten, die Nutz- anwendung aus deren Unoerbindlichkeit zu ziehen. Das alles durfte nicht sein und da hat man dann also nachträglich schließlich doch der Tätigkeit des falschen Standesbeamten die Weihe der Gesetzlich- keit erteilt. Am besten für alle Teile, für die Eheleute, für das Gesetz und für den Standesbeamten selbst würde es ja gewesen sein, wenn dieser stillschweigend sein Amt wie bisher zu aller Zufriedenheit weitergeführt hätte. Aber wofür kämen dann hin und wieder die fremden Herren von der Regierung in die entlegenen Dörfer? Hans Lauer. Die Zeugnisverweigerung der Lebensgefährtin. Di« Strafprozeßordnung gestattet den ollernächsten Verwandten. dem Verlobten, dem Ehegatten, die Aussage vor Gericht zu ver>
weigern. Gehört aber auch die Lebensgefährtin zu den„aller- nächsten Verwandten"? Der Wiener Vezirksrichter Dr. Hauke sagte „ja", und als eine» Tage« ihr Lebensgefährte B. wegen Mißhand- lungen, die er ihr zugefügt hatte, bestraft werden sollte, sprach der Richter ihr das Recht der Zeugnisverwcigerung zu und erachtete auch ihre Verzeihung als rechtsgültig. Obgleich der Staatsanwalt gegen eine derartige Gleichstellung der Lebensgefährtin mit einer kirchlich angetrauten oder staichesomtlich anerkannten Frau als etwas Widerrechtliches und Anormalisches Einspruch erhob, kehrte sich der Richter nicht daran: er war eben ein modern eingestellter Mensch. Der Senat des Landgerichts hob aber das Urteil auf und verurteilte den Angeklagten zu 24 Stunden Arrest. So forderte es nach Ansicht des Senat» das Gesetz und wohl auch die„Moral". Eine reichlich unmoralisch« Moral. Ein ländliches Drama. Da» friedliche Dorf Jsle Adam in der Nähe von Paris wurde zum Schauplatz eines blutigen Dramas. Die Frau des Fisch- Händlers Val- hatte sich in ihrem Nachbar Demare verliebt und auch Gegenliebe gefunden. Eine» schönen Tages waren beide aus und davon. Frau Valä hatte aber auch ZOOO Franken mitgenommen. Einen Monat später kehrten die Liebenden heim, sie zu ihrem Mann, er zu seiner Frau. Alles war verziehen, der Friede schien hergestellt. Doch nicht ganz. Val6 forderte von seiner Frau die Rückgabe der 3000 Franken, die sie Demar« als Mitgift bei ihrer Flucht aus dem Hause des Mannes dargebracht hatte. Demarü wollte aber von der Rückgabe des Geldes nichts wisse». Das Ehepaar Vale brütete Rache. Der Mann kaufte mit Wissen der Frau einen Revolver; diese vereinbarte mit Demarä ein Stelldichein, forderte von ihn, er- neut die 2000 Franken und als Demarö sie mit brüsken Worten ab- wies, stürzte aus dem Gebüsch der Mann hervor. Es entstand ein« wüste Schlägerei.„Was," schrie Demare,„ich schulde dir 3000 Franken, du schuldest mir noch dafür, dqß ich mich mit deinem Weibe abgegeben habe." Da zög Frau Valä au« der Tasche ihres Mannes den Revolver und schoß ihren früheren Liebhaber nieder. Die Liebesdiebin soll 100000 Dollar zahlen. Eine Nichte des vor 25 Jahren ermordeten Präsidenten der Vereinigten Staaten M a c K i n l e y namens Mac Kinleiz-Baer, macht durch eine Klage vor Gericht von sich reden. Sic verlangt von einer Frau Ender 100 000 Dollar Entschädigung dafür, daß sie ihr ihren Gatten abspenstig gemacht hat. Die Ehe wurde bereits im Jahre 1900 geschlossen. Im September 1923 soll, so behauptet die Klägerin, Frau Ender begonnen haben, ihren Gatten aus Schritt und Tritt zu verfolgen und Einfluß auf ihn auszuüben; sie wirst ihr auch vor, ihren Gatten Geld geliehen und teure Geschenke gemacht zu haben. Frau Endcr erklärt diese Beschuldigungen als völlig haltlos und behauptet ihrerseits, daß die Klägerin ständig angetrunken sei und sich den Verlust der Liebe ihres Gatten selbst zuzuschreiben habe, denn sie veranlaßte seine Juternierung in eine Irrenanstalt, aus der er sofort wieder als völlig gesund entlassen wurde. Wie der erbauliche Streit der beiden„Damen " vor Gericht ausgehen wird, steht noch dahin.