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Morgenausgabe

Nr.242

A 124

45.Jahrgang

Böchentlich 85 Bfg., monatlich 3,60 m. im voraus zahlbar, Postbezug 4,32 m. einschl. Bestellgeld, Auslandsabonne ment 6,-M. pro Monat.

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Der Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend", Illustrierte Beilagen Bolk und Zeit und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wissen"," Frauen­ftimme", Technit", Blid in die Bücherwelt" und Jugend- Borwärts".

Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Donnerstag 24. maí 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die ein paltige Nonpareilbezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs mart. Kleine Anzeigen" das fettge orudte Wort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgebrudte Borte), jebes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Port 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen­annahme im Hauptgeschäft Linden Straße 3, wochentägl. von 8/2 bis 17 Uhr.

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Bombenanschlag in Buenos Aires  . Locarno   oder das andere...?!

Folgenschwere Explosion im italienischen Konsulat.

Buenos Aires  , 23. Mai.

Im dichtgefüllten Wartezimmer der Bahabteilung des italienischen Konsulats explodierte mittags eine Bombe mit furchtbarer Zerstörungskraft. Neun Tote find bereits zu beklagen. Die Zahl der Verletzten be­trägt 41. Die Bombe explodierte in einem Wand. schrank und riß ein 6 Fuß großes Loch in die Mauer. Man nimmt an, daß die Explosion auf Antifaschisten zurückzuführen ist. Von den Attentätern hat man eine

Spur noch nicht gefunden.

Zur Zeit der Explosion befanden sich im italienischen Konsulat 200 Personen, doch war Generalkonsul Capani abwesend. Mehrere in der Nähe des Wandschranks be­

findliche Personen wurden buchstäblich in Stüde  gerissen. Infolge der Explosion stürzte ein an der Außenseite befindliches Baugerüst zusammen und begrub mehrere Personen unter sich. Wenige Minuten nach der Explosion brach an dem Unglücksort Feuer aus, so daß die Rettungsarbeiten sich überaus schwierig gestalteten. Da infolge Chauffeurstreiks nicht ge. nügend Krankenwagen zur Stelle waren, wurde das Rettungswerk weiter behindert.

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Der Wahnsinn dieses Attentats ist flar: es hat höchst wahrscheinlich Unschuldige gemordet, vielleicht sogar über zeugte Antifaschisten und neuer Faschistenterror in Italien  mird die Antwort sein. Stellt man die alte Frage: Cui prodest Wem nüßt es?, so müßte man annehmen, daß nur Faschisten diesen Anschlag verübt haben fönnten. Aber anarchistische und sonstige Terroristen fönnen es auch gewesen sein.

Die Antifaschisten fordern die Republik  .

Paris  , 23. Mai.  ( Eigenbericht.)

Die Bereinigung der antifaschiffifchen Parteien in Paris   fündigt auch der italienischen Monarchie den Kampf an. Ein Aufruf an alle freiheitlich gefinnten Italiener erklärt, daß die Monarchie

in Italien   sich der Berfaffungsverlegung schuldig gemacht habe durch die glatte Annahme der Parlamentsreform" Mussolinis; es beginne eine neue Phase im Kampf für die Freiheit Italiens  , trafischen Republit enden tönne. die nur in dem Sieg der Freiheit und der Errichtung einer demo­

Der frühere Außenminister Graf Sforza äußert sich in der Der frühere Außenminister Graf Sforza äußert sich in der Presse, er sei außerordentlich ft o 13 darauf, daß bei der Abstim­mung über diese Parlamentsreform im Senat fo viele feiner Kol­legen gegen den Faschismus und für die Freiheit demonstriert haben. Das gäbe ihm die fefte Ueberzeugung, daß das italienische Bolt das faschistische Joch abschütteln werde, denn gerade durch feinen Terror habe der Faschismus der übergroßen Mehrheit der Italiener die unbedingte Notwendigkeit der Freiheit bewiesen. Die Greifin im Kerfer, weil ihre Göhne desertierten!

Junsbrud, 23. mai.

In Wittertolang im Pustertal   wurde die 72jährige Witwe Maria Dorner verhaftet und ins Kreisgericht Brigen gebracht. In der Wohnung der Witwe wurden ffundenlange Hausfuchungen vorge­nommen. Die beiden Söhne der Frau find fürzlich defertiert.

Anständige Blätter verboten.

Italiengrenze, 23. Mai.( Eigenbericht.) Das Innenministerium hat eine Verordnung erlaffen, die neben anderen ausländischen Blättern die Einfuhr des Blattes der britischen Arbeiterpartei, Daily Herald", sowie des liberalen man­efter Guardian" nach Italien   verbietet.

Ein schweizerischer Faschistenknecht.

Im Großen Kantonsrat zu Bellinzona  , beantwortete der Chef des Polizeidepartements eine sozialistische Interpellation über die Auslieferung zweier italienischen Deserteure. In der Ant­wort wird dargetan, daß die llebergabe der beiden Deserteure eine Berlegung des schweizerischen Rechts war und im Gegensatz zu den landesüblichen Gebräuchen steht. Die Verantwor= tung fällt auf den Polizeikommandanten Ferrario, der infolge. deffen für einen Monat(!) vom Dienst suspendiert wurde und auch für diese Zeit kein Gehalt erhält.

Die neue Landtagsfraktion.

Die neugewählte Fraktion der preußischen Sozialdemokratie zählt folgende 136 Mitglieder( die neugewählten sind gesperrt gedruckt):

Wahlkreis 1, Ostpreußen  : Dr. h. c.   Otto Braun  , Ferdinand Mertins, Antonie Wohlgemuth  , Wilhelm Weidemann, Frau Annemarie Desterreicher, Franz Rudnigti.

Wahlkreis 2, Berlin  : Paul Hirsch  , Gertrud Hanna  , Otto Meier  , Erich Kuttner  , Gustav Sabath, Adolph Hoffmann  , Eduard Bachert, Helene Schmitz, Georg Maderholz, Karl Weiner. Wahlkreis 3, Potsdam II: Friedrich Bartels, Hermann Harnisch, Luise Kähler, Georg Klaußner, August heitmann, Willi Drüge müller, Mar Fechner.

Wahlkreis 4, Potsdam I: Wilhelm Giering, Elfriede Ryned, Wilhelm Krüger, Emil Stahl, Emil Saillat, Johann Bauer, Christoph König, Adolf Muschid.

Wahlkreis 5, Frankfurt   a. d. D.: Emil Faber, Wilhelm Baezel, Ernst Heilmann, Eugen Brüdner, Wilhelm Schadow  , Hedwig Wachenheim  , Karl Freter.

Wahlkreis 6, Pommern  : Theodor Hartwig, Aleg Runge, Richard Schallot, Karl Kirchmann, Wilte, Chriftian König, Richard Oswald  .

Hermann

Wahlkreis 7, Breslau  : Wilhelm Winzer; Adolf Thiele, Dr. Ernst Hamburger, Josef Lang, Gerhard Jalotta, Grögner, Karoline Kunert, Heinrich Rösler,

August August

Kleinert.

Wahlkreis 8, Liegnih: Hugo Gberle, Otto Fritsch, Dr. Hildegard Wegscheider, Mar Simon, Paul Lehmann.

Wahlkreis 9, Oppeln  : Julius Franz, Emanuel Nowad. Wahlkreis 10, Magdeburg  : Minna Bollmann  , Julius Roch, Ernst Brandenburg, Ernst Wittmaad, Hermann Kasten, Karl Blum, Karl Müller.

Wahlkreis 11, Merseburg  : Paul Frante, Wilhelm Wilhelm Christange, Reinhold Drescher, Aleg Möller. Wahlkreis 12, Erfurt  : Johannes Kleinspehn, Heinrich

Mehrhof.

Wahlkreis 13, Schleswig- Holstein  : Wilhelm Brecour, Thomafine Jensen, Paul Bugdahn, Jürgen Jürgensen, Hermann Beters, Gehro Riders.

Wahlkreis 14, Weser- Ems  : Walter Bubert  , Alwine Bellmann. Wahlkreis 15, Osthannover: Karl Gehrmann, Wilhelm Brandes  , Berta Kröger, Karl Helfenberger.

Wahlkreis 16, Südhannover: Robert Leinert  , Rosa Helfers  , Rarl Stephan, Albert Behrends, Johannes Lau, Karl Schröder, Karl Müller, Bernhard Boelder.

Wahlkreis 17, Westfalen- Nord: Karl Severing  , Willi Michel, August Meyer, Friz Doht, Math. Jakobs, Frau Walter.

Wahlkreis 18, Westfalen- Süd: Franz Klupsch, Karl Otter, Anna Oventrop, Nikolaus Ofterroth, Julius Bräuter, Friz Kahl, Frizz Fries, Karl Grabe, Wilhelm Hansmann.

Wahlkreis 19, Heffen- Naffau: Hans Mardwald, Albert Grzesinsti, Baul Röhle, Otto Haese, Valentin Traubt, Richard Wiet, Dr. Nölting, Berta Jordan, Karl Kraft.

Wahlkreis 20, Köln- Aachen: August Haas, Frau Kirschmann­Röhl, Philipp Fries  , Emil Forst.

Wahlkreis 21, Koblenz  - Trier  : Josef Kleinmeyer, Math. Nonn. Wahlkreis 22, Düsseldorf  - Ost: Hermann Meyer, Frau Christ mann, Beter Berten, Wilhelm Enz, Karl Obermeyer  . Wahlkreis 23, Düffeldorf- West: Wilhelm Schluchtmann, Fried­rich Lewereng, Ernst Müller. Landesliste: Otto Hörfing, Siegfried Rosenfeld, Benno Chajes  , Richard Lohmann.

Preußen gegen die Standesherren. Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt.

Gegen die drei Urteile des Landgerichts Münster   im Prozeß der Standesherren Herzog von Arenberg  , Fürst Salm Salm und Fürst Salm Horstmar um Aufwertung ihrer Rentenan und Fürst Salm Horstmar um Aufwertung ihrer Rentenan sprüche aus den Jahren 1920 bis einschließlich 1923 ist vom preußischen Fistus Berufung bei dem Oberlandesgericht Hamm eingelegt worden. Die Urteilssprüche gestanden den drei Standes. herren 40 Broz. ihrer Rentenansprüche zu. Für den preußischen Staat bedeutet das, daß allein in diesen drei Einzelfällen insgesamt 250 000 Mart zu zahlen find.

Bemerkungen zum Colmarer   Prozeß.

Bon Hermann Wendel  .

Die fünfzehn in Colmar   angeklagten Autonomisten ge­riießen den Vorteil, nicht wie in deutscher Zeit ähnlichen Ver­gehens Beschuldigte von den roten Roben des Reichsgerichts, sondern von Geschworenen, also von Laien und Landsleuten, abgeurteilt zu werden. Es ist schwer vorstellbar, daß der ale­mannisch gesunde Menschenverstand der Jury nicht zu glattem Freispruch kommen sollte, denn fläglicher ist selten eine politische Anklage zusammengebrochen als diese. Mitläufer der autonomistischen Bewegung im Elsaß  , waren Die Ridlin und Genossen, zum Teil Führer, zum Teil einer Verschwörung gegen die innere Sicherheit des Staates angeklagt. In der dreiwöchigen Verhandlung erwiesen sich die einzelnen als alles mögliche, als Starrtöpfe, als Higlöpfe, als Querköpfe; auf der Hand lag, daß sie gegen eine oft un­fähige Verwaltung redlich geraunzt, geschimpft und gespuckt hatten; auch hob sich der flerikale Kern der ganzen Bewegung zum Greifen deutlich hervor. Aber noch von dem verbissensten dieser Unzufriedenen gilt höchstens Schillers: ,, Kühn war das Wort, weil es die Tat nicht war!" Für eine Ver­schwörung, ein Komplott blieb auch der winzigste Beweis aus. Trotz seiner Selbstsicherheit steckte der Staatsanwalt in feiner guten Haut, da ihn seine Belastungszeugen bis auf die Knochen bloßstellten. Neben Polizeibütteln, die, auf Nr. 00 geflemmt, Autonomistenversammlungen belauschten, von ,, autonomistischer Malerei" fabelten, Albrecht Dürer   für einen Untertanen Hindenburgs hielten und auch sonst wie orientalische Märchenerzähler wirkten, trat ein freiwilliger Lockspigel Namens Riehl   auf, der ungefähr das verächt­lichste Eremplar dieser verächtlichen Menschengattung dar­stellt. Indem er Frankreich   im Gossenton anpöbelte, Gelder für autonomistische Blätter hergab, zu Gewalttaten aufputschte, hatte er die Autonomisten ans Messer liefern wollen; aber auch sein Eifer und Geifer war umsonst verschwendet.

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War die Verhandlungsleitung feineswegs einwandfrei, so unterschied sie sich doch zuweilen vorteilhaft von der mancher politischer Prozesse in Deutschland  . Da einer der Angeklagten betonte, er fei ein guter Franzose, aber vor allem Pazifist, fiel der Präsident lebhaft ein: ,, Alle guten Franzosen sind es mit Ihnen!" Wann wäre je an deutschem Richtertisch ein solches Bekenntnis erflungen? Aber dieses Wort liefert zugleich den Schlüssel zum Verständnis der psychologischen Hintergründe des Prozesses. Die Justiz steht hier nicht im Dienst der überkommenen zentralistischen Staatsauffassung Frankreichs  , die auch durch eine Nabelschnur mit dem demokratischen Gedanken verbunden ist, denn wie die große Revolution den Zentralismus schuf, fo Dermummten sich alle gegenrevolutionären Borstöße seitdem föderalistisch, regionalistisch, autonomistisch; noch 1871 während der Kämpfe gegen die Kommune lautete das beliebteste Schlagwort der Versailler   Reaktion, man müsse Paris   déca­piter et décapitaliser, enthaupten und enthauptstadten. Aber ebensoviel an gesundem Pazifismus lebt in der Abwehr des Autonomismus, weil in Frankreich   jedermann und gerade der Linksgerichtete, der Demokrat, der Radikale, der Sozialist, fürchtet, daß durch jene Bewegung das Elsaß  aufs neue zum Herd werde, an dem sich ein deutsch  - franzö fischer, ein europäischer, ein Weltkrieg entzündet. In der Tat müssen einem Franzosen eigentümliche Gedanken kommen, wenn zweitausend frühere Korpsstudenten auf ihrem Ber­ liner   Kommers fingen: 0 Straßburg  , o Straßburg  , dir schwör'n wir in den Tod: Bald weht auf deinen Zinnen die Fahne schwarzweißrot!" oder wenn vor acht Tagen ein deutschnationaler Hauptmann, der Geheimrat Qua az, von der Hoffnung quaaßte, daß einmal wieder die deutsche  Flagge vom Turm des Straßburger   Münsters weht!"

Daß die autonomistische Bewegung aus Deutschland  moralische und materielle Unterstützung erfahren habe, ist im Colmarer   Prozeß nicht bewiesen worden und bleibt auch um so unwahrscheinlicher, als die Angeklagten glaubhaft be­teuerten, daß niemand unter ihnen an eine Lostrennung des Elsasses von Frankreich   auch nur gedacht habe, und daß sie samt und sonders Franzosen von ganzem Herzen" seien. Aber schon der bei einem von ihnen aufgefundene Brief, in dem ein Berliner   Direktor der Hugenbergschen ,, Telegraphen Union" Ratschläge für die Gründung eines autonomistischen Blattes erteilt, ist ein vollgültiger Be­weis, daß in Deutschland   allerhand Volk schmuzige Finger in die elsässischen Dinge hinzustecken versucht. Hierzulande gedeihen Blätter und Vereine, meist dem Firmenschild nach ,, unpolitische", zum Teil von deutschvölkischen" Elsässern ge­leitet, die planmäßig den Revanchegedanken schüren, indem sie das Elsaß als ein von Frankreich   schnöde vergewaltigtes und seine Befreiung durch Deutschland   ersehnendes Land hin­stellen. Das Wissenschaftliche Institut für Elsaß­Lothringen" in Frankfurt   fördert solche Bestrebungen, wenn es etwa alle einstigen Studenten der Universität Straßburg  zu einer ficher nicht pazififtischen Gedent- Rundgebung zu­fammenfaßt. Ein böseres Raliber sind die Heimat­stimmen" des Elsässers Dr. Robert Ernst in Berlin  , die