Stimmen der Parteipreffe. Zur Frage der neuen Regierung. Die Wiener „Arbeiterzeitung" unterzieht die Lage in Deutschland einer eingehenden Analyse. Sie weist darauf hin, daß die Weimarer Koalition unter Hinzuziehung der Deutschen Bauernpartei eine kleine Mehrheit hätte, be- zweifelt aber die Bereitschaft des Zentrums und der Demo» traten, auf eine solche Kombination einzugehen. Wenn aber eine Berständigung mit der Volkspartei nicht zustande kommt, was dann? Wenn eine solche Verständigung aber nicht möglich fem sollte— was dann? Dann bliebe kein anderer Ausweg als die Bildung einer Minderheitsr« gierung: entweder einer Minderheitsregie. rung der Sozialdemokratie, die tatsächlich von den Stimmen der drei bürgerlichen Mittelparteien— Demokraten, Zentrum, Volk spart ei— abhängig wäre, um die fi« bei jeder Abstimmung werben müßt«, oder einer Minderheitsregierung der drei bürgerlichen� Mittel par- teien, die in den meisten Fällen auf die Stimmen der Sozialdemo» kratie angewiesen, von der Sozialdemokratie abhängig wäre. Wir fassen zusammen: Eine reine Regierung der Bourgeoisie, «ine Bürgerblockregierung ist in diesem Reichstag nicht mehr möglich: dazu ist die Niederlage des Bürgerblocks zu schwer und sind die Gegensätze zwischen den Bürgerblockparteien zu groß. Eine reine Regierung des Proletariat». ein« Arbeiterregierung, ist noch nicht möglich: das ist die Folge der Spaltung des Proletariats. Eine Regierung wird also überhaupt nur zu bilden sein durch eine Kooperation der Sozialdemokratie mit den bürgerlichen Parteien, sei es in der Form der engeren oder der weiteren Koalition, sei es durch Bildung eurer Minderhcitsregierung entweder der Sozialdemo» kati«. die auf die Stimmen der bügerlichen Mittelparteien, oder der bürgerlichen Mittelparteien, die auf die Stimmen der Sozialdemo- kratie angewiesen wäre, lieber diese verschiedenen Möglichkeiten wird in der nächsten Zeit verhandelt werden. Es ist die Folg« der Stärkung der deutschen Sozialdemokratie durch das Ergebnis der Wahlen, daß in dem neuen Reichstag keine Regierung mehr möglich ist ohne unmittelbare Teilnahme oder doch mittelbare Unterstützung der Sozialdemokratie. Es ist eine Fosge der Schwächung des deut- schen Proletariats durch die unselige Spaltung, daß nicht eine Regle- rung der Arbeiterklasse möglich ist, sondern nur eine der verschiedenen denkboren Formen der unmittelbaren Koalition oder der mittelbaren Kooperation einer Arbeiterpartei mit Parteien der Bourgeoisie. Der Stettiner„V o l t s b o t e" macht auf die volks- parteiliche Erklärung aufmerksam, die von„Sicherungen" spricht, nnd auf die Erklärung des Zentrums, in der von . unverzichtbaren Grundsätzen" die Rede ist und fährt dann fort: � Demnach liegen die Dinge also so, daß das Jentrum strikte an seinen Grundsätzen festhält, und daß die Deutsche Dolkspartei bei einer Koalition mit der Sozialdemokratie noch besondere Zusicherungen go- macht haben will. Wenn man dann weiter bedenkt, daß die ..Kölnisch« Zeitung" mit ihrem Hinweis auf die bestehenden Gegen- sähe, die zwischen Sozialdemokratie und Vourgeoifie bei den den neuen Reichstag hauptsächlich beschäftigenden wirtschaftlichen und finanziellen Fragen vorhanden und unüberbrückbar sind, direkt ins Schwarze trifft, dann muß von u n f« r e r Fraktion verlangt werden, dqß fte die Angelegenheit mit der Großen Koa» ntion ganz besonders eingehend überdenkt Die„Bremer B o l k s z e i t u n g" schreibt unter der Ueberfchrift:„Der Zwang zur Koalition": Uns«: nächstes aktuelles Wahlziel war derHinauswurfder Deutschnationalen aus der Reichsregierung, die Zertrümmerung des Bürgerblocks. Das ist nach dem Wahlersolge der Linken möglich und muß durchgeführt werden, sonst blieben ja letzten Endes die niedergerittenen Deuts chnationalen die Sieger des Wahl« kompfes. Nicht allein die Konsequenz des Wahlerfolges, sondern auch der Wille der Sl-l. Millionen Wähler zeigt uns, aus diesem Er- gebnis die politische» Konsequenzen zu ziehen. Meinungsverschieden. beiten bestehen darüber kaum in der Partei. Selbstverständlich wird es Genossm innerhalb der Partei geben, die sich gegen den Zwang zur Koalition wehren werden, wie sie sich auch nach der Bremer Bürgerfchastswahl dagegen aus Grundsatz oder Taktik gewehrt haben. Man kann aber heut« schon sagen, daß mindestens SS Proz. der Parteigenossen die Forderung vertreten, daß die Partei in die Regierung einzutreten, ja sogar die Führung der Relchsvegierung zu übernehmen habe. Es ist heut« nicht mehr wie bei�frü Heren koalitionsgelegeuheiten, daß die Partei als Lückenbüßer oder als Nochelfer in die Regierung.hineinschleicht", sondern diesmal geht sie nicht auf Wunsch der sich in Derlegenheiten windenden bürgerlichen Parteien, sondern kraft ihrer Stärke in die Regierung, und auf Grund von Bedingungen und Forderungen, die sie zu stellen hat. Das Bremer Parteiblatt macht schließlich darauf auf- merksam. daß durch den Ausfall der verschiedenen Landtags- wählen die Stellung der Sozialdemokratie auchimReichs- rat gestärkt wird. Sozialismus zur Herrschast bestimmt. Äandervelde über den Vormarsch der deutschen Sozialdemokratie. Paris , 24. Mai. (Eigenbericht.) Der hemalig« belgische Außenminister Vandervelde , der sich augenblicklich in Paris aufhält, äußert sich im.Exzelsior" in einem Interview über die Reichstagswahlen, mit denen Deutschland wieder den normalen Vormarsch nach links aufgenommen habe. Deutschland habe mit den Deutsch , lationaten, die nur wegen des R u h r t r i« g c s, des„schrecklichsten Krieges außerhalb des Ge- fetzes", solch« Macht erlangen konnten, das Experiment einer Rechts- regierung versucht. Das Resultat sei durchaus negativ gewesen. Die Entwicklung auch in den übrigen europäischen Ländern zeige, daß der Sozialismus mehr und mehr dazu bestimmt sei, die G e- schicke der Völker zu leiten. Diese Zlufgabe war ihm da- durch erleichtert, daß er durch die Existenz der Kommunisten von ideologischen Usbertriebenheiten befreit werde und sich daher ausschließlich einer fruchtbringenden praktischen und vernünftigen Arbeit hingeben könnte. Wenn jetzt die deutschen Sozialisten«nt- schloffen die Regierung übernähmen, könnt« bei der allgemeinen Linkeentwicklung in Europa der beste Erfolg für die allgemeine Der- ständigung erwartet«erden. Der joziaNstische Abgeordnete Paul Bonrour hat sich gestern in einer Volksversammlung in Paris auf das entschiedenste für die Teilnahme der französischen Sozialisten an der Regierung ausgesprochen. Nur so könnte verhindert werden, daß die Stabilisie- rung des Franken ausschließlich auf dem Rücken der Arbeiterschaft pollzoge» wnbe und pe neu« Enttäuschungen erleb«.
Oer große Lammer.
Auch der„Erbfeind" weint dem Bürgerblock seine Tränen nach. Bolschewistische Gelbstkritik. Mißstände nicht nur im Oonezbecken.
Die„Prawda*, das Zcntralorgan der russischen Kommunistischen Partei, schreibt unter der lleberschrift»A l a r m": „Die GPU. , das Zentralkomitee der Partei und die zentrale Kontrollkommission, haben in der letzten Zeit am Organismus unserer Partei, Sowjet, und Gewerkschastsorganisationen eine große Anzahl van Eiterbeulen aufgestochen. Man denke nur an Schachty , Artemowska, Rjaschk und Smolensk . Der Eiterherd von Schachty hatte am weitesten um sich gegriffen. Es war das Signal. Die Lehren, die wir aus der Schachty -Asfäre ziehen werden, gelten im gleichen Maße auch für die anderen Eiterherde, ix. a. auch für den von Smolensk . Schachty befindet sich irgendwo in der Fern«, Smolensk aber ganz in unserer Nähe. Und während äußerlich alles da in bester Ordnung schien, fraß unter der Oberfläch« Fäulnis und Entartung. Sehen wir uns die Spitzen der Parteiorganisation an. Der Sekretär des Gouvernemonts-Dollzugsrats, seine Dureaumitglkeder. der Leiter der Agitation, der Leiter der Handelsabteilung, der Vor sitzende der Gouvcrnements-Gewerkschaftskommission, der zweite Bor sitzende des Vollzugsrats, der Sekretär des Bezirksvollzugsrats u. a. m.— ein schönes„Bukett", nicht wahr— Suff, geschlechtliche Ausschweifung, völlige Losgelöst- heit von der Arbeitermasse, Entartung des Sowjet- und Parteiapparats, Beschönigung der krankhafte» Erscheinungen, ein unerhörter Druck— das ist das Kennzeichen all dieser Leutchen. Vollständige Partei- invalidität!" Die Tätigkeit der anderen Gruppe leitender Parteimitglieder trug bereits rein kriminellen Charakter. Ihre Saufgelage waren von sinnlosen Schießereien begleitet und arteten in Orgien aus. Für die Saufgelage mußten die Bestechungsgelder der Untergebenen herhalten, die sich ihrerseits dadurch schad- los hielten, daß sie Schmiergelder von den Bauern ent- gegennahmen. Die Anstellungen wurden davon abhängig gemacht. ob die Betreffenden an den Orgien teilnahmen. Exzesse mit Prosti- wierten und Veruntreuungen waren an der Tagesordnung. Mit den Prioathändlern wurden die engsten Beziehungen unterhalten: die Restaurants mußten sich Zechprellereien im weitesten Umfange gefallen lassen. Sobald sich irgendein führendes Parteimitglied eines Verbrechens schuldig machte, bekam es eine andere Anstellung, die im Vergleich zur früheren eine Beförderung darstellte. Drei solcher Fälle schildert die„Prawda" ausführlich, weitere deutet sie nur an. Wie sah es aber in den Fabriken aus. Da ist z. B. dl« F a b ri t „Ä a t u s ch k a". Sie beschäftigt 500 Arbeiter, darunter 200 Kommunisten, 80 Mitglieder der kommunistischen Jugend, S Mitglieder des städtischen Vollzugsrats, 3 Mitglieder des Bezirkskomitees der Partei, mehrere Mitglieder des Gouvernementsrats der Getos rk» schaften, ein Präsidialmitglied der Gewerkschaften und ein Mitglied des Zentralkomitees des Holzarbeiterverbandes. Trotz dieser großen Anzahl von Kommunisten herrscht in der Fabrik ein unglaubliches Terrorregime. Die Arbeiter wage» nicht zn mucken. Tonangebend find die Meister- Kommunisten, der Gehilfe des Fabrikdircktors, der Prodnktiouslefter. Der Gehilse des technischen Leiters, ein Kommunist, erpreßt gleich anderen von den Arbeitern Schmiergelder, die Arbeiterinnen müssen mit ihrem Körper herhalten, eine von ihnen begeht zweimal Selbst- Mordversuche, Vergewaltigungen von Arbeiterinnen sind an der Tagesordnung. Besonders arg treibt es der Meister Timofejeff, Mtglied des Bureaus der kommunistischen Zelle, und Schuporis. gleichfalls Kommunist Widersetzen sich die Arbeiter oder Arbeite- rinnen den Wünschen der Allgewaltigen, so wird ihnen mit Ent- lassung gedroht: es bleibt aber nicht bloß bei Drohungen. Die einzige Rettung in dieser Atmosphäre des Terrors sind die Schmiergelder. Führen die Arbeiter Beschwerde, so fliegen sie einfach hinaus, lind dieser unglaubliche Zustand konnte bestehen. obgleich der kommunistischen Zelle der Fabrik sowohl der Sekretär des Gouvernementsvollzugsrats als auch der Letter der Presse- obteikung angehörten.„Diese ganze Bande." Lest man n. a. in der
kommunistischen„Jugend-Prawda" vom N. Mai.„wurde von dem Borsitzenden des örtlichen Holzarbeiterverbandes, dem Präsidialmitglied der Gewerkschaften Demidow gedeckt. Er hielt sich als Mätressen 3 Arbetterinnen und oerfolgte mit seiner Liebe eine vierte." „Wenn die Kommunisten in Schachty, " sagt die„Prawda".„in ihrem Kampf gegen die Weißgardisten durch das Fehlen der kulw- rellen und technischen Qualifizierung machtlos waren, so gibt es für die Kommunisten in Smolensk auch diese Rechtfertigung nicht; ihnen stand kein weißgardistischer Feind gegenüber," Nicht anders als auf der Fabrik„Die Rolle" sah es auf der Fabrik„3 a rz e w o" aus. Jeder neu eintretende Arbeiter. ebenso derjenige, der eiye qualifizierte Arbeit erhielt, war gezwungen. dem Meister 30 bis SO Mar k Schmiergelder zu zahlen. Die Arbeiter waren über dieses„Naturrecht" empört. Doch weder die Partei noch die Gewerkschaftsorgane hatten ein Ohr für sie. Und erst auf dem Lande! Die führenden Kommunisten unter- hielten hier die engsten Beziehungen zu den Banditen. Veruntreu- ungen, Saufgelage, geschlechtlich« Ausschweifungen schlimmster Art waren an der Tagesordnung. Mit den Dorfkulaken wurde gemein- same Sache gemacht, die Dorfarinut dagegen unter ungeheuren Steuerdruck gesetzt, ihr Hab und Gut gepfändet. Die Banditen wurden begünstigt und selbst mit Munttion versehen. Die Entartung der Kommunisten ging sogar so wett, daß die kommunistische Jugend sich an der Verbreitung konterrevolutionärer Flugblätter beteiligte. Ja, selbst Gericht nnd Staatsanwaltschaft blieben von der allgemeinen moralischen Infektion nicht verschont. Eingeleitete Verfahren wurden niedergeschlagen, die Ermittlungen zugunsten der Verbrecher geführt Das Parteiblatt„Der Weg des Arbeiters" durfte Veröffentlichungen, die für die führenden Leute ungünstig waren, nicht bringen: es hatte jegliche Fühlung mit den Arbeitermassen verloren. So tonnten all diese Kommunisten, ehe« mals selbst Arbeiter, sich nun in ihren leitenden Stellungen trotz ihrer Schandtaten sicher fühlen. Eine Arbeiterdemokratie, die eine Kontrolle über sie ausgeübt hätte, gab es nicht So kommt die„Prawda" zu der Forderung der Arbeiterdemo- trotte und der schärfsten Selbstkritik. Dies ungefähr der Inhalt des ausführlichen Artikels der „Prawda". Stärker als es hier geschehen, kann man die Zustände in Sowjetrußland nicht geißeln. Das Zentralorgan der Konnnu- nistischen Partei sagt selbst, daß es sich hierbei nicht um einen Einzel- fall, sondern um eine allgemeine Erscheinung handelt. Man versteht, daß der Donez -Prozeß von diesen Ckterbeulcn ablenken soll! Bekenntnis zum Faschismus. „Italien hat der Welt den Weg gewiesen." Das führende Blatt der Deutschnationalen , die„Kreuz-Zeitung ". veröffentlicht einen Auffatz von o. B i n z« r- Dresden, der nach einer Verherrlichung Mussolinis und seiner Taten mit den Worten schließt: Das taufe, tdjach geschmähte und vieltausendsach mißverstandene faschistische Italien hat der Welt den Weg gewiesen, wie die demoliberale Mentalität einer überwundenen Vergangen- hett Platz machen muß einer Neuorganisation des Staates, deren oberstes Gesetz nicht die Souveränität des Volke», sondern die des Staates ist. � Der Verfassung von Weimar haben die Deutschnationalen schmähend nachgesagt, daß sie fremden Vorbildern nachgemacht sei, die für Deutschland nicht paßten. Nun ist glücklich das fremd« Barbild gefunden, das für Deutschland paßt, und» zugleich das Rezept wie man künftige Wahlblamagen vermeiden und einen hundertprozentig deutschnationalen Reichstag schaffen kann. Es fehlt nur noch der Marsch ans Rom beziehungsweise Berlin . Wann wird er angetreten? Dos Angleichungsgejeh für die Eisenbahnordnuvg, wodurdftnes« Bestimmungen in Deutschdsterreich mit denen im größeren Deutsch- land vereinheitlicht werden, hat der Nationalrat in Wien e i n st i m- mig angenommen.