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Beilage Freitag, 25. Mai 1928.

1928. AH MEM

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Das Urgeheimnis der Natur.

Tatsächliches und Problematisches zum Verjüngungsproblem./ Von Dr. Julian Marcuse.

Am 1. Juni 1889 hatte die Pariser Biologische Gesellschaft einen Organs ein, eine Erscheinung, die in der gesamten Biologie als sensationellen Tag, der 72jährige Gelehrte Brown- Sequard  , gesetzmäßig anzusprechen ist. Wird also der Samenleiter unter einer der bedeutendsten Physiologen seiner Zeit, überraschte die bunden, dann hört zuerst die Samenbereitung des Hodens auf und ahnungslose Schar der Erleuchteten mit der Erklärung, er sei, nach allmählich veröden die Samenkanälchen. Dagegen tritt aber eine dem er sich eine Zeit lang den Ertraft von tierischen Hoden eingest arte Bermehrung der oben genannten interstitiellen sprigt habe, förperlich und geistig verjüngt, Kraft und Lebensfrische Gewebezellen auf, und da diese, wie bereits des näheren seien neu erstanden. Diese Eröffnung hatte eine ungeahnte Wirkung. ausgeführt, die Träger der Geschlechtsmerkmale find, blieben letztere Die einen lachten über den sich selbst verjüngenden Professor und wie der Geschlechtstrieb an sich uneingeschränkt erhalten, nur die sahen seine Ausführungen für einen Scherz an, die anderen erblickten Beugungsmöglichkeit war erloschen. Aus der Vermehrung dieser in ihnen einen geistigen Berfall. Bierzig Jahre vorher hatte ein ebengenannten Zellen leitete Steinach eine erhöhte Tätigkeit deutscher Forscher, der Göttinger   Professor Berthold, ein ähn- und Wirksamkeit dieses Hodenabschnittes ab und unter Berüd liches Schicksal erfahren, als er über Versuche berichtete, die er mit sichtigung des Umstandes, daß jeder Mensch zwei Keimdrüsen besitzt, der Ueberpflanzung von Hoden aus ihrer normalen Lage auf eine tam es zu der in die Praxis übernommenen Nuzanwendung: Wenn andere Stelle des Körpers vorgenommen hatte. Bei hierzu ver- die eine interstitielle Drüse ihre Tätigkeit erhöht, müsse ein fördernder wandten Hähnen fand er eine scharf hervortretende Stärkung ihrer Anteil auf den Samenbereitungsapparat des anderen Hodens aus­männlichen Eigenschaften sowohl hinsichtlich, der Stimme mie des geübt werden. Das, damit schloß er die Kette dieser tiefgründigen Fortpflanzungstriebes, der Kampfluft, des Wachstums der Kämme Forschungsversuche, müsse auch dann gelingen, wenn die Keimdrüsen und der Bartlappen. bereits ihre Funktionen als Zeugungsmittler eingebüßt haben. Er führte nun an frühzeitig gealterten Menschen die Unterbindung eines Samenstranges aus, und die im Tierexperiment gewonnenen Beweisschlüsse fanden auch beim Menschen ihre lückenlose Bestäti­gung, die Begattungsfähigkeit stellte sich bei diesen Männern ein Diese Versuche bildeten aber nur eine Zwischenstufe in Steinachs Vorgehen, Wege zur Beeinflussung der Altersvorgänge zu bahnen. nicht die Beugungsmöglichkeit war das Problem, als vielmehr die Umstellung des Gesamtorganismus im Sinne einer Wiederbelebung von Kraft, Elastizität und Frische, mithin einer Art von Ber­jüngung, die nicht nur im Aussehen, sondern auch in der Wieder­herstellung geistiger Fähigkeiten, vor allem des Gedächtnisses und der Konzentrationsfähigkeit, ihren Ausdruck zu finden hatte.

Die Innere Gefretion".

Mit diesen beiden grundlegenden Versuchen waren die rätsel­haften Vorgänge innerhalb gewiffer Drüsensysteme des menschlichen Organismus gelüftet worden, bis zu ihrer Erhellung aber als Innere Sefretion" bedurfte es noch eines weiten mühjamen Weges. Wohl tannte man längst drüsige Organe, deren Bellen Stoffe abfondern, und sie durch Ausführungsgänge entweder auf die Haut( Talg, Schweißdrüsen und ähnliche) oder in den Darmkanal ( Magen, Darm- und Bauchspeicheldrüse) entleeren, daß es aber auch eigengeartete Drüsen gibt, die ihre Säfte nach innen, an das Blut abgeben und damit den Gesamtorganismus beeinflussen fönnen, war eine Entdeckung von folgereichster Tragweite. Mehr und mehr hat fich gezeigt, daß die bedeutsamsten Borgänge des Lebens unter dem unmittelbaren Einfluß der inneren Drüsensekretion stehen, daß die Entwicklung des Kindes im Mutterleib, sein Wachstum, seine see lischen Funktionen, ja daß das ganze spätere Geschlechtsleben von ihnen gelenkt und geleitet wird, und mit diesen Offenbarungen war auch die Schwelle zum Verständnis des Alterns und des damit ver­bundenen Prozesses beschritten.

Der Abstieg des Lebens steht in seinen äußeren wie inneren Erscheinungen in unlösbarer Verbindung zu den gestaltenden Ele: menten des Aufstiegs. Was als Aufbaumaterial verwendet worden ist, schwindet im Lauf der Zwederfüllung, die Bausteine verlieren an Halt und Dichtigkeit, ihre Abnüßung bereitet Verfall und Untergang vor. Diese aufbauenden Kräfte werden in der Ent­wicklung des menschlichen Organismus an seinem bedeutsamsten Wendepunkt sichtbar, das ist die Geschlechtsreife oder Pu­bertat mit ihrer dreifachen schicksalsbestimmenden Einflußsphäre, der Reifung des Körpers( Wachstum, Behaarung), Reifung des Geistes( Betätigungstrieb), Ermachen des Geschlechtslebens. Gefmüpft sind diese großen Umwälzungen an das Reifen der Keimdrüsen, in ihnen offenbart sich das Walten eines Naturgesetzes, das Kindheit, Pubertät, Reife und Alter in sich gegenseitig ablösenden Perioden umschließt.

Träger des sproffenden Lebens.

Diefe Entzifferung eines Urgeheimnisses der Natur, vor dem Jcheu und ehrfurchtsvoll frühere Zeitalter standen, wies die Wege, die der forschende Geift zu gehen hatte. Die Reimdrüsen als Träger sproffenden Lebens mußten theoretisch betrachtet auch die Antriebsmittel zu seiner Wiedererweckung oder zur Eindämmung fortschreitender Abbauveränderungen hergeben können, und so er­stand das Bersuchsfeld der wissenschaftlichen Uebertragung ihrer Aus­fcheidungsprodukte auf den alternden Körper. Tierversuche leiteten sie ein. Bei den kastrierten Fröschen und Ratten blieben alle förper­lichen und psychischen Geschlechtsmerkmale auf findlicher Stufe stehen. Wenn Steinach, der Begründer der modernen Verjüngungs­versuche, aber einem fastrierten Männchen die herausgeschnittenen Hoden an irgendeiner anderen, gleichgültig welcher Stelle im Körper, mieder einnähte, so entwickelten sich die Tiere zur vollen Männlich keit. Aus diesen Versuchen konnte also mit Eicherheit der Schluß gezogen werden, daß die Keimdrüsen besondere Stoffe enthalten, die an das Zentralnervensystem auf dem Wege der Blutbahnen abge= geben werden und sie, wie Steinach es bezeichnet ,,, erotifieren". Sie zeitigten aber noch einen anderen sehr bedeutsamen Befund. Als man nämlich die Hoden, die auf der neuen Unterlage ange­wachsen waren, mikroskopisch untersuchte, stellte es sich heraus, daß in ihnen die samenbildenden Kanälchen völlig verfümmert waren, während die Zwischensubstanz stark zur Ausbildung gelangt war. Es hatten sich also bei den operierten Tieren die männlichen Eigenschaften voll entfaltet, ohne daß sich in den Hoden auch nur eine einzige Samenzelle entwickelt hatte. Aus dieser Tatsache folgerte Steinach, daß die Erzeugung der chemischen Stoffe für die innere Absonderung und die Erzeugung von Samenzellen zwei von ein­ander unabhängige Funktionen der Geschlechtsdrüse find. Der eine Anteil der Geschlechtsdrüse liefert die Samenzellen für die äußere Absonderung, der andere die chemischen Stoffe, die auf dem Wege innerer Ausscheidung zur Entwicklung der förperlichen und geistigen Geschlechtsmerkmale bestimmt sind, die wir zur Zeit der Pubertät auftreten sehen.

Die Erhaltung von Kraft und Jugend.

Diese Stoffe aus dem interstitiellen Anteil der Keim­brüse( interstitiell zwischen den die Hoden durchziehenden Ka­nälchen liegend) den Zweden der Erhaltung von Kraft und Jugend­lichkeit dienstbar zu machen, dazu bedurfte es eines weiteren Fort­fchrittes der bisherigen Ergebnisse, und dies erreichte Steinach auf folgendem Wege: Eine Drüse mit äußerer Absonderung stellt ihre Tätigkeit ein, wenn man ihren Ausführungsgang unterbindet. Als Folge dieser Aufhebung der Funktion tritt eine Bertümmerung des

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Die Berjüngung vorläufig noch unerreichbar.

Diese Berjüngungsturen, die in einer Reihe von Fällen einwandfreien physiologischen Umgestaltungen des Organismus mit stärkerem Spannungszustand der Haut, Hebung des Gesamt­ſtoffwechsels, Ansteigen der Musfelfraft, Senfung des erhöhten Blut­druckes führten, haben die Methode Steinachs berühmt gemacht. gleichzeitig aber auch, wie bei jedem Neuland, die überschmenglichsten Borstellungen eines Lebenselixiers entstehen lassen. Gefördert wurden sie durch ärztliche Geschäftspraktiken, vor allem aber durch waghalsige Experimente eines russischen Chirurgen Serge Vo­ ronoff  , der anschließend an Steinachs Versuche dazu über gegangen ist, Eierstöcke und Hoden von Affen direkt auf den Men­

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schen zu überpflanzen. Diese an verlebten Multimillionären aus­geführte Methode geführte Methode die hierzu benötigte Affenfarm befindet sich in unmittelbarer Nähe des Spielernestes Monte Carlo  - scheidet sich streng von den ernsten Forscherwegen, die Steinach gegangen ist. Auch er hat bei Beginn seiner Versuche und den ersten verblüffend wirkenden Ergebnissen eine Periode übertriebener Hoffnungen durch­gemacht, inzwischen hat aber die dem verantwortungsvollen Forscher innewohnende Kritik eingesetzt und die Grenzen menschlichen Han­delns erkennen lassen. Die Verjüngung bleibt vorläufig noch ein unerreichbares Bunderland und vernünftige Lebensweise, Körper­pflege und Leibesübungen behalten bis zur Gestaltung eines Para­dieses auf Erden ihre alte unverwüstliche Kraft für die Erhaltung der Gesundheit und die Abwehr der Altersschäden.

Methusalem   auf Cypern.

Er lebt auf der fernen Mittelmeerinsel, die eine englische Kron­tolonie ist, und war ein Zeitgenosse Napoleons I., wie er heute ein Beitgenosse Einsteins ist. Ein und ein Drittel Jahrhundert glitten an ihm vorüber, Kaiser, Staaten und Völker stiegen auf und gingen unter, Goethe starb, Darwin   störte den einen Teil der Natur­forschung, Einstein den anderen, aber für den alten Neger Joseph, der jetzt 132 Jahre alt ist, blieb von all dem nichts Inter­effanteres übrig als die Blumen in dem Garten der Terra- Sanda­Kirche in Limassol  , denen seine tägliche Arbeit gilt. Der schwarze Methusalem   geht noch ohne Stock, und wenn er auch schlecht sehen tann und hochgradig schwerhörig ist Ohr brüllen so fühlt er sich doch ganz wohl. Seine Zähne sind längst den Weg aller Zähne gegangen, doch Berdauungsstörungen tennt der alte Knabe nicht; er faut eben mit seinen ganz hart gewordenen Kieferrändern und hat noch nie über Schwierigkeiten Gartenarbeit beim Essen geklagt. Joseph ist viel auf den Beinen läßt sich nicht im Lehnstuhl abmachen und er hofft, sein Gärtner­amt noch etliche Jahre ausüben zu können. Sehr redselig ist er nicht, wie verfichert wird, und das ist kein Wunder, denn im Alter Don 132 Jahren hat man wohl so ziemlich alles gesagt, was ein

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man muß ihm alle Worte ins

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Mensch in seinem Leben zu sagen hat. Manchmal erzählt er von den Kriegen des großen Korsen, die seine Jugendjahre stark beeindruckten; Napoleons   Stern ging unter, ehe Joseph das heutige Alter der Großjährigkeit erreicht hatte. Wir wüßten nichts von dem unwahr­scheinlichen Greis, wenn Cypern nicht englisch wäre; aber weil es englisch ist, haben zwei Aerzte den Alten in offiziellem Auftrage untersucht, alle inneren Organe intakt gefunden und erklärt, Joseph tönnte noch gut und gern zehn Jahre und länger weiterleben.

Die Mode des diesjährigen Sommers

Ein neues Pariser   Modell. Die Jacke ist marineblau und weiß kariert. Die Revers sind marineblau, ebenso die Taschen und der Rock.

Ein neues Modell, gleichfalls aus Paris  . Vorbild scheint die Tracht eines Lands­

knechtes aus dem

Mittelalter zu sein.