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Sonnabend 26. Mai 1925

Unterhaltung unö ÄVissen

Seiloge des Vorwärts

Mamottenedes Hochzeit . Von Hans Hyan . Menuecken kommt fwlbc! Er beforgl erscht noch das Hochzeits- Voschent!... Ich bring n Schinken!"' Boutzl Der ZZierundzwanzigpfündig« flog auf einen Holzstuhl, daß das gebrechliche Möbel m ollen Fugen knockt«. Zodellene bedankte sich, und der Fleischermaxe kniff sie in ihre roten, runden Kacken. Sie war knapp 17 Jahre alt. klein und sehr rundlich, übrigens wahrscheinlich jüdischer Abkunft. Ihr schwarzes. in kein« Frisur zu bringendes Haar, aber auch ihre eminent« Finger- sertigkeit hatte ihr den doppelsinnigen Schemen(Spitznamen) ver- schafft. ?la, wie wa'n det jestan Amd , Lene? Ick sah dir doch an' Schles'chen Vahnhof mit sonne krumm« Reese rumtürmen.., Host'n orn'tlich beschnitten, ja?" Zodellene lacht«. Ihre Spezialität bestand darin, dos keusche, nen den Eltern strengbewocht« Judenmädchen zu spielen, dos, einen Moment unbeobachtet, an einer dunklen, möglichst ungeeigneten Stelle dem Drängen ihres Freiers nachgibt. Was soll ich d'n tun." sagte sie,ich lieb' doch mi mal de Iiden! Un denn machen se auch kein Halles, w«il se Angst ham vor ihr« Schickse!" Fleischermaxe vollbe sie umfosien und küssen. Aber Lene ver. stand keinen Spaß, sie gab ihm einen derben Stoß vor den Magen. ,/?ch Heirat doch Heitel" Olles, jlubsches Paket bist«! Du. vastchste! Mir konnste doch ecn jem! Wo ick dein Ollen sozusagen von' Block i«holt Habel" Indem kam der Bräutigam, Älamotteilede, ein wahr er Ries«, näher. Er hatte sich bis jetzt mit ein paarBriedern" aus seinem Athletenverein unterhalten. Wat is deim, Maxe?" Ach, der Zobdel will ma kenn Kuß nicht jem!" ..Wie?" fragte der Athlet, und sah mit seinem vierkantigen Gesicht, das selbst in den Augen die eigentümlich«, an Starrheit grenzende Ruhe dieser Art Menschen auswies, seine Braut an. Du willst'» keen Kuß jem', Lene?.. Jieich, sag' ick! Ileich jibbst'n«n! Maxe ist doch mein Fremd!" Was geht das mich an! Ich denk gar nich dran!" In dem Moment faßt« die Klaue ihres Bräutigams zu und zog die klein« Schwarz« heran, wie«in Hühnchen. Gleichgültig, ob er ihr weh tat. hielt er sie mit einer Hand bei den Armen sest und reichte mit der anderen das volle, jetzt von Zorn und Aufregung ge- rötete Gesicht der Kleinen feinem Freunde hin. Der gab ihr drei schallende Küsse. .Laß dir ja»ich insallen. beste setz' mietend wirst!" sagte Kla- mottenede,sonst sperr'» wa da uss'n Hängboden. Do kannst« denn als Ieist rumgehn!... Du weest, ich liebe dir sehr, un bist ja och'n proppret Mecchcn! Aber wat ich oalange, det muß jeschehen, sonst jchbts wat uss't Ooge!" Die sck�varzhaarige Zflem« wußte sich nicht zu lasten vor Wut. Sie spuckte nach Fleischermax« und rannte dann hinaus auf d«n Korridor. Draußen läutet« es! eine ganze Schar von Gästen kam. Darunter «in paar Geldschrankknacker, die wi« Kavalier« aussahen. Di« (Frauen gehörten sämtlich der Prostitution an,«ine war tzZ Jahre, aber noch sehr rüstig. Sic hießSchmalzelse". und rief, sowie ste eintrat: Ratierlich ist noch nich fertich.'t Mtiagessen!.. Jebt ma mal so lange'n Schmalzstulle!" .Mußte dir selber holen," sagte Lene, denn so recht traute sie sich doch nicht hinaus in die Küche. Indem kmnSarah", wie die Jüdin allgemein genannt wurde. mit der Suppe herein. Zodellene und Älainottenede setzten sich mitten an den langen, weiß gedeckt«» Tisch und das Mahl begann. Sekt jibbt et nich! Der war nich zu finden in den Keller!" sagte derBlaue", ein gewesener Polizeibeamter,aber Roiwein is »nostenboch vorhanden!" Also orn'tlich saufen, vastehst'o!" setzte der Bräutigam diese Erklärung fort,un det een«. det muß ick jetzt schon sagen, et is' ne Hochzeit, wie et sich vor unsan Stand jeheert. Jekoost i» so jut wie jarnicht morden. Ab«r da is allens! Sowie mein FreundMen- necken" uff de Bildsläche ascheint, seht de Zeremonie vor sich!" Die Braut lobte die Gerichte, besonders den Fisch, den Sarah gleich danach brachte. Den hatte die Jüdin kaufen müssen und natürlich daran verdient. Si« kam daraus an Zodellene» Stuhl, die sich zuerst vorsichtig umsah. Dann aber stießen die beiden Frauen miteinander an, und Lene sagte: Det macht jantschtl Man muß sich doch aussprechen! Man weiß doch denn, wodran man is. Prost Sarah!" Du sollst leb«n und gesund sein," sagte die Jüdin so laut, daß alle es hören mußten. Indem tarn Mennecken. Das war ein Junge von 18 Iahren, der in einer sehr zweifelhaften Freundschaft zu vielen der hier anwesen- den Männer gestanden hotte, während sie im Gcjäisgniz in gemein- schaftlicher Haft saßen. Mennecken zählte zu den gefährlichsten Taschendieben, und es war bezeichnend ftlr die Art seines.�Zessins", daß er nicht nur so, solcher» auch schlankweg ,cher Paragraph" genannt wurde. Er ging auf die Braut zu, küßte ihr in gelungener Parodie seiner gewöhnlichen Opfer die Hand und sagte, seine Stimme noch höher stellend, als sie ohnehin war: Mein gnädiges Fräulein, ich bitte tausendmal um Verzeihung, aber mein Freund, der Gras Möchtegern, hat mich solange ausge- halten. Hier diesen Brillantring schickt er Ihnen, und er bittet Sie. dieses Andenken zu tragen, solang», bi, er selbst imstande ist, sich Ihnen persönlich zu nähern!" Alles brüllte vor Lachen. Zodellene steckte den Ring an. ein prächtiger Brillant suntelle da im Gold«. Doch war er ihr zu groß. Flestchermax« meinte: .Libb'n her! Ich lassv dir endern." Schiteten," sagt« Lene,den jeb' ick meinen Edewacht, der »asteht det ooch un kann Brillantringe vasetzen." .�all'n Rachen!... de Zermoni« besinnt!" Ein ehemaliger Bolksschullehrer, der jetzt als Flebbenschustor alle möglichen un- sicheren Kantonisten mit nachgemachten Ausweispapieren versorgt«, hatte sich feinen Pafetot angezogen, vorne ein Stück weißes Papier hineingesteckt, als Bässchen, und trat nun, al» Pastor, auf einen Stuhl. Geklebte Anwesende," begann er mit«iner öligen, den pasto- raken Tan sehr gut imitierenden Stimme. Wir begehen heute ein schönes und ein heiliges Fest, wir»er- Heirat«» unsere Freundin Helen« mit unserem geliebten Fxeund« fSbuoäftl Sie P eine rein« Jungfrau,«_

Kaspar Hauser . Eine Erinnerung an den 26. Mai 4829.

An diesem Tag« war es nämlich an einem Pfingstmontag als Kaspar Hauser , das.Lind von Europa", wi« ihn die päda- gogische Nachwelt in pomphafter Weise nannte, in Nürnberg aus- tauchte und von da an der Gegenstand zahlloser Zeitungsberichte, vielfacher Broschüren und wissenschaftlicher Abhandlungen wurde. Sein seltsames Schicksal wurde auch poetisch ausgeschmückt und fand seinen Weg von Gutzkow (Die Söhne Pestalozzis") bis zu den Leierkasten und Bilderbogen. Der wertvollste Beitrag der Hauser­literatur ist die Schrift Anselms von Feuerbach, der seit 1817 Ge- richtspräsident in Ansbach war und mit edler, tief menschlicher An- teilnähme für den Findling eintrat. Es steht fest, daß der junge Mensch bei seiner Ankunft in Riiniberg in körperlicher wie seelischer Be- ziehung ganz abnorme Erscheinungen zeigte: äußerlich glich er einem Jüngling von 17 Iahren, in der geistigen Entwicklung aber war er einem Kinde von wenigen Jahren gleich und stand in mancher Hinsicht aus der untersten Stufe des Begriffsvermögens. Roch seinen eigenen Erinnerungen hatte er etwa von seinem vierten Jahr« an bis kurz vor seinem Auftreten in Nürnberg in einem kleinen finsteren Räume sitzend gelebt, war täglich mit Master und Brot versorgt und von Zeit zu Zeit gewaschen worden. Ein paar hölzerne Pferdchen und einige Bänder gaben ihm die einzige Unterhaltung. Sein« Nahrung blieb in den ersten Rürn- berger Wochen trocken Brot und Wasser: gegen alles andere reagierte seine physische Natur mit unechörter Empfindlichkeit. Sein neu- ernannter Vormund, Freiherr von Tucher, beauftragte den be- konnten Profestor Doumer mit der Erziehung Kaspars. In diese glückliche Zeit fällt der erste Mordversuch(Oktober 182») wie ein böser Schatten auf den aufblühenden Geist des liebenswerten Iüng- lings. Wegen der Krankheit seines Lehrers kam Hauser Ende 182g in die Famllie des Kaufmanns Biberach und im Sommer 1880 in die persönliche Obhut seines Vormundes. Ein halbjähriges ruhiges, von Fleiß und glücklichen Erfolgen- ausgefülltes Leben folgte, und hier wie bei Daumer zeigte sich das tindlich-gute Gemüt Kaspars vo» der reinsten und schönsten Seit«. Mitten in diese gedcch- lichst« Entwicklung trat das Verhängnis in Gestalt des exzentrischen Lords Stanhope ein. Der Lord war ein Mann, der die Richtung aus das ganz Ungewöhnliche geinein hatte mit seiner Schwester, der durch ihre orientalischen Phantasien berühmten Lady Esther Stan- Hope. Die Schicksal« und persönlichen Eigenschaften Kaspars mußten ihn für den Lord in höchstem Grade iiüerestant machen, zumal bereits die abenteuerlichsten Vermutungen über den Ursprung des Findlings aufgetaucht waren. So schloß sich der Lord sofort und lebhast der Meinung an, daß Kaspar von hoher Abkunft sei. Er ließ sich in der Folge den Jüngling gerichtlich zusprechen, reiste mit ihm nach Ungarn , weil er aus einigen ungarische» Worten in Kaspars Iugendsprache irrtümlicherweise den Schluß zog, dieser sei der Sohn eines ungarischen Magnaten, verlor aber bald das Jnter- est« für seinen Schützling wie es psychologisch im verlause solcher Exaltatione-n ganz folgerichtig ist uich gab ihn In da» Haus des Lehrers Meusr in Ansbach , der nun keinesialls zu der Mission geeignet war, eine so eigenartige und norsichtig zu behandelnde Natur wi« die Kaspars zu entwickeln. In wahrhaft wohlwollen­der Freundschaft blieben besoirdors drei Männer: Professor Daumer , Freiherr von Tücher und Zlnselm von Feuerbach dem Findling zu- getan: in der Frau des Kausmonns Biberach. in Lord Stan-hope und seinem Anhang und dem Lehrer Meyer erwuchsen ihm später die eifrigsten Gegner, die sehr geneigt waren, in Hauser nur«inen schlauen Betrüger zu vermuten. Am 11. Juli 1833 wurde Kaspar während eines Spazier- ganges im Hofgarten zu Ansbach von einem unbekannt gebliebenen Manne tödlich verwundet. Drei Tage daraus erfolgte sein Tod: ober bis zum letzten Augenblick blieb er der arglose, gutherzige Mensch, welcher er gewesen. Mit rührender Dankbarkeit nahm er von seinen Freunden Abschied. Am 20. Dezember wurde er zu Ans- dach beerdigt. Die Nachforschungen über Hauserg Herkunft waren mit seinem Tode nicht abgeschlossen. Man verfolgte verschiedene Spuren, und

es bildeten sich förmliche Parteien seinetwegen. Einige wollten in ihm das reine Urbild unverfälschter menschlicher Güte erkennen., andere sahen in ihm einen halbblöden Bauernburschcn oder gor einen abgeseimten Betrüger. Besonders interessant ist deshalb das Buch Daumers über seinen Schützling. Daumer, ein Poet und Völkerpsychologe, Mystiker wie Justin»? Kerner und dernatur- gemäßen Lebensweise" zugetan, mußte die Erscheinung Kaspar Hausers als von ganz ungewöhnlicher Bedeutung empsmden. Die abnorme Entwicklungsgeschichte dieses Jünglings mochte dem Gelehrten in vielen Fällen als willkommenes Beweismittel für seine Behauptungen gelten. Deshalb ist er wie kein anderer mit der ganzen Literatur über die Housersche Frage vertraut, und um jo mehr ist seiner Vermutung Gehör zu schenken, Kaspar Hauser sei der älteste Sohn der Grohherzogin Stephanie von Boden gewesen. In einer Denkschrift an die Königin Karoline von Bayern(eine badische Prinzessin) spricht Anselm von Feuerbach die gleiche Ver- mutung offen aus. Tatbestand ist, daß der Großherzogin Stephanie (Tldoptivtochter Napoleons , Tochter der Iosephine Bcauharnois aus erster Ehe) in ausfälliger Weise zwei Prinzen 1812 und 1817 starben, während die zwei Prinzessinnen in irischer Gesundheit auswuchscn. Auch Vehs« hat in seiner Geschichte der deutschen Höse den Fall Hauser ausführlich behandelt. Die Reichsgräfin von ksochberg war mit dem Markgrasen von Boden vermählt und ging daraus aus, ihre Nachkommen auf den Thron zu bringen. Dies konnte nur geschehen, wenn die Söhne der Grohherzogin beseitigt wurden. Und das geschah. Der Großherzog Karl starb ohne männliche Erben (wie man sagt, an Gift) und ebenso sein Nachfolger und Neffe, der Markgraf Ludwig, der das Erbfolgcrecht der Markgrafen von Hoch- berg anerkannte. Es würde zu weit siihren, wollten wir die zahl- reichen und überraschenden Tatsachen aufzählen, die Daumers Hypv- these unterstützen und dafür sprechen, daß Hauser der auf die Seite geschaffte älteste Sohn der Großherzogin Stephanie war, an besten Stelle ein fremdes sterbendes Kind in die Wiege gelegt wurde. So soll der Knabe auf einem Jagdschloß in der Nürnberger Gegend unter Zlussicht eines aus Ungarn stammende» Mannes gelebt haben, wodurch sich dann auch die ungarischen Reminiszenzen Kaspars leicht erklären lasten. Die Gegcupariei, weiche In Hauser nur dm abgefeimte» Betrüger erkennen wollte, suchte ihre Argumente da­durch zu unterstützen, daß die geistige Entwicklung des Findlings später nicht über das Maß mittlerer Befähigung hinausging. Aber gerade dies ist ja ein Beweis gegen die Annohme der Simulation. Anfangs verneehrte Kaspar seine Begrisse in erstaunlich rascher Weise, weil sein Gehirn eben noch die größte Empfänglichkeit für alle Ein- drücke besaß. Exaltierte Menschen, die an der Sonderbarkeit seines Geschickes nicht genug hatten, wollten nun auch nach ein ganz un- gewöhnliches Genie in ihm sehen, und als dann das erste heftige Bedürfnis seiner nach Anschauungen dürstenden Seele gestillt war, und er im rapiden Aneignen neue? Begrisse nachlieh, mochte man daraus wieder«inen Angrissspunkt gegen ihn. Merkwürdig in der Geschichte des Streites um Kaspar Hauser erscheint, daß auch Anselm von Feuerdach, der am 23. Juli 18ZZ starb. Opfer seines Eifers in dieser Sache gewesen sein soll. Sein Sohn Ludwig schreibt darüber:Das Publikum schrieb die Ursache seines Tades einer Vergiftung wegen seiner Teilnahme an Kaspar Hausers Schicksal zu." Hundert Jahre sind seitdem verflossen. Kaspar Hauser ist ein pädagogischer Begriff geworden, ein Muslerbeispiel für den Wert und die Notwendigkeit menschlicher Erziehung. Wer sich ober frei von pädagogischer Wissenschast und ihren Dogmen mit den sym- pothischen Gesichtszügen des Findlings besaßt Feuerbach fügt seiner'Abhandlung ein Porträt Kaspars bei oder sich in die unvergleichlich schöne Darstellung Wallermanns in seinem gleich- natziigen Roman vertieft, der wird nur inniges Mitleid spüren mit dem Unglücklichen, den eine tiefe Ironie zuEuropas Kinde" stempelt und dem doch olle unverdiente und unerwartete Roheit seiner Mitwelt den Zug allerimurster Herzensgüte nicht vertreiben konnte. Dr. Schufte r.

Des Sprechers offen gebliebener Mund fuhr, wie die Gesichter oller übrigen, noch der Tür herum, gegen die offenbar mit einem Säbel kräftig gepocht wurde. Aufmachen!" Soll'n wa?" fragt« Fleischermaxe lest« .Kommt druss an, wi« viele't stich." sagte der ehemalige Stein- kustcher. Bor allen Dingen laßt mir raus!" flüsterte mit wildem Blick Mennecken. Unsinn, hinten sind s« ooch!" meinte Lene,krauch unter'n Dstch, und wenn se uns fiebben(Ausweispapiere nachsehen), bann türmst du daweilel" Schlag« donnerten gegen die Tür. Tateleben öffnet«. In der nächsten Minute war das Zimmer voller Beamten. Al» alle ausstanden, sagte einer der Kommissare: Schmeckt euch woll so, was?! Na, laßt man, ihr sitzt bald wieder bei Rumfustch un blauen Heinrich!" Nun kamen noch einig« Schutzleute nach, die vorher draußen Poften gestanden hatten. In dem Moment fuhr es wie eine Katze unter dem Tisch hervor, einem besonders großen Wachtmeister zwischen den Beinen durch. Der stürzte. Und im Tmnult, der darauf entstand, entkam Men­necken. Dafür müßt ihr alle mit aus, Präsidium l" schrie der Kommissar. Aber er nahm doch bloß die mit, die kein« Papiere hatten.

Homer in der Siraßenbahn. Von Willy Dlumenthal. Der Alltag ist nicht nüchtern. Selbst der täglich« Weg zum Beruf ist voller Wunder. Da sitze ich wie immer am Morgen in der IIS", die von westlichen Gefilden allmählich den Regionen de» Wedding» zusteuert. Dementprechend ist auch da» Publikum:Ge- mischt", würde der Spießbürger sagen. Mein Gegenüber ein Arbeiter. Kleidung rechtschäbig". Kein Kragen. Bor sich aus dem Päd«» hat er noch dazu«in ziemlich unförmiges Bündel liegen, aus dem Eisen- stücke hier und da herausrogeu. Emer von denBeladenen" also,

denen für ihr hiesiges Elend ewiges Hosianna im Jenseits neripra6,en wird. Und neben ihm ein ganz anderer T»p: Auiqezwirbelter Kaiser- Wilhelm-Schnurrbart. Ueberhaupt, der ganze Man» ausgczwirbclt. In ein zugeknöpftes, gehrockariigcs Etwas gehüllt. Liest ein Rechts- blatt, MarkeUntertan". Fühlt sich in der Republik sichtlich unwohl, die ihn neben einen Arbeiter zu sitzen zwingt.(Dos märe ihm untc'' Wilhelm nicht postiert.) Seine Füße sind genötigt, an ein Eisenbündel zu stoßen. Psui! Run kommt das Wunder. Der'Arbeiter zieht ein Büchlein heraus. Mein geübtes'Auge erkennt sogleich: e? ist eines der kleine» Belhagen-iind-Kiasing-Bäiide. Ich werde neugierig. Was liest der Abgerissene? Und ick erblicke den Titel:Homers Odyssee". In der Uebersetzung von Voß. Er beugt einmal da« Buch etwas herab, und da kann ich auch sehen, wo ungefähr er halt. Mitten auf dem unendlichen Meer,»mheult von der Sknlla und Charnbdis, treibt sein Held wohl jetzt dahin. Zluf der Fahrt nach dein Wedding liest dieser Mensch die Abenteuer de» göttlichen Dulders Odysteiis. Da sehe ich in sein Gesicht: Blaß, gute matte Augen, van Brillen- gläsern umrahmt. Das Antlitz eines Geistigen! In der Pank« straße muß er absteigen. Noch ein liebevoller Blick!n das Buch, dann klappt er es zu und schiebt es in feine Racktofche. Er ergreiii den schweren Eisenstoß Ist wieder i» der Wirklichkeit. Schleppt sich 'hinaus. DerGroßköpsige" rückt sich breitspurig zurecht. Blickt an- gewidert demKerl" nach. Aber oben im Dichterparnaß wird der alte Boier Homer In diesem Augenblick über«ine gut« und treue Seele gelächelt haben...._ fimmibafea Entsetzliche Vorgange werden aus Sydney ge- meldet. Es handelt sich um ein« Schlacht zwischen zwei Kannibale,,- stammen, Papuas, die auf der Neinen Insel Morigio zi. Neu- Guinea gehörig Kausen . Um die Weihnachtszeit de» vorigen Jahres waren neun Männer des«inen Sa»nibalenstommes von dem anderen Stamm gesangen und erschlagen worden. Die Blutrache, die unter den Papuas herrscht, befahl dem Stamme, zu dem die Erschlagenen gebärten, gegen den anderen Stamm mit aller Grau­samkeit vorzugehen. Es kam zu wilden, graiienhasten Kämpfen, die mit der völligen Vernichtung des angegriffenen Stammes endig- ren. Die siegreichen Papuas ließen nach beendetem Kampf fünf- hundert Körper der getöteten Feind« zerstückeln: die Leichenteile wurden dann verspeist. Da die englischen' Regierungsbeamte» die Insel über die Feiertage verfassen hatten, konnien Menschen- srejser ihrer grgiisigen Lust frönen, ohne von jemand gehindert zu werden. Die eingeborenen schwarzen Polizisten hatten selbst mit Vergnügen an dem seltenen Schnwus teilgenommen.