Morgenausgabe
Nr. 249 A 128
45. Jahrgang
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Dienstag 29. Mai 1928 Groß-Äerlin 1© pf. Auswärts 15 pf. Die e i n 1 p a i t i g e Nonpareivezeile 80 Pfennig. Reklamezeile 6.— Reichsmart..Kleine Anzeigen" das fettge- oruckte Wort 25 Pfennig lzuläfsig zwei «ettgedruckte TVorte),«edes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Zeile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zelle 40 Pfennig. Anzeigen- annähme im Hauptgeschäft Linden- ÜrabeZ. wochentägl. von 8»/, bis 17 Uhr.
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Wo ist die„Ltalia"? Ltnbestäiigie SOS-:Kuf*.— Schwere Besorgnisse in Zialien.
Die angeblichen Zunkslgnale der�Zkalia". die in San Franziska ausgenommen wurden, find von der Radioslakion San Jranzisko als Funkruse von der Feraöslllcheu Universiläk ia Wladiwostok mit dem Kennzeichen A. 8 � R 03 festgestellt wor. den, die in vier Sprache» um Hilfeleistung für die„Zlalla" ersuchten. Die Meldung lautete: 8 O 8. AS. AR 03 Lenklustschiss .Ztalia" mit General Roblle an Bord in Rot . Lenkluflschiss mit Funkanlage auf 40 bis 45 Metern Wellenlänge ausgerüstet. Bitte helft sofort! Don Seattle wird hierzu gemeldet, dah keine der sechs amerikanischen Flotten- Funk st atlonen auf Alaska bisher einen Funkspruch der„Ilalia" aufgenommen habe. Dagegen würden Meldungen, die von der„Ei k l a dt M i l a n o" gefunkt werden, fortwährend empfangen. Za Ztaliea und besonders in Rom wächst inzwischen die Beunruhigung über das Schicksal der„3lalla" von Stunde zu Stunde. Jede Meldung, die auf Roblle Bezug hat. wird gierig von den Redaktionen und den amtlichen Stellen, die sich der An- fragen nicht mehr erwehren können, verfolgt. Man gibt aber troh- dem die Hoffnung nicht aus. daß sich doch noch alles zum Besten wendet. Die Bereitschaft der Skandinavier vnd R u s s e n, sich an der Suche mittelbar oder unmittelbar zu beleiligen, ist mii Befriedigung ausgenommen worden. Nobiles letzter Funkruf. Kopenhagen , 28. Mai. Wie.Extrabladet" über Oslo erfährt, ist die„Citta di Milano" oni Sonntag früh um M9 Uhr von Kingsbay aus in nördlicher Richtung in See gegangen. Bereits in der Nähe der Amsterdam-Insel flieh das Fahrzeug jedoch aus so f« st« s P o ck e i s, daß ein weiteres Vordringen unmöglich wurde. Infolge verschiedener Umstände kommt man jetzt immer mehr zu der Ueber- zeugung. daß di«„Italia " am Freitag, kurz nach 5 Uhr morgens, zwischen dem 77. und 81. Grad nördlicher Breite und 17. und 28. Grad östlicher Länge niedergegangen sein muß. Alle bisherigen Nachrichten, die von einem Auffangen von Notsignalen wissen wollen, werden von der„Citta di Milan o" als falsch bezeichnet. Den letzten Funkruf. Nobile? hat man demnach am Frei. tag früh gehört. Im Gebiet des Spitzbergensr Nordostlandes, lpo die„Jtalia* wahrscheinlich verunglückt ist. befinden sich mehrere norwegische Seehundfängerfahrzeuge. Die„Citta di Milano' will versuchen, mit einem dieser Fahrzeuge Verbindung aufzunehmen und
erfahrene Polarteute oeranlassen, mit Hunden ins Nordostlattd vor- zudringen. Die Hilfsexpeditionen. Am Spätabend des Sonnabends fand, wie aus Oslo gemeldet wird, in der dortigen italienischen Gesandtschaft ein« Besprechung statt, die bis in die späte Nachtstunde hinein dauert« und in der die Aussichten einer Hilfsexpedttion erörtert wurden. Man einigte sich dahin, von Kingsbay aus einen Vorstoß nach Norden zu oersuchen. Leiter der Expedition soll Riiser Larsen werden. Ein Motorschiff und ein Wisierslugzeug sollen zur Verfügung ge- stellt werden. A m u n d s e n und S v e r d r u p, die gerade aus einem Fest zu Ehren Wilkins und Eyelsons weilten, als die nor» wegische Regierung an sie die Frage richtete, ob sie an die Spitze einer hilssaktton für Nobile treten wollten, erklärten sich sofort dazu bereit. Di« Worte Amundsens wurden im Hinblick auf den zwischen ihm und Nobile schwebenden großen Streit von der Gesellschaft mit brausendem Beifall aufgenommen. Der norwegische Fliegerleutnant Luetzow-Holm ist am Montag früh von horten mit einem Marineslugzeug nach Tromsö Gestartet. Dort wird er sich mit seiner Maschine auf den Seehunds- änger„Hobby" einschiffen, der sofort nach Kingsbay auslaufen soll. Die„Hobby" soll als Ausgangspunkt für die Erkundungsflüge die» nen. Di« eigentliche Hilfsexpedition soll erst abgehen, wenn Luetzorv- Holm sein« ersten Flüge beendet hat. Man will zu diesem Zweck ausländische Flugzeuge, vermutlich deutsche oder italienische, benutzen. Der Dampfer„Braganza" hat Befehl erhalten, von Tromsö nach Kingsbay zu gehen. Der Kapitän des Dampfers wird sich mit dem Führer der„Citta di Milano. ms Benehmen setzen. Di«„Braganza" soll das Gebiet nördlich von Spitz- bergen absuchen. Man wird wahrscheinlich ausländische Flugzeuge, wenn möglich, deutsche oder italienische, für eine zweit« Hilfsexpedition heranziehen. Amundsen voller Hoffnung. Roald A m u n d s« n erklärte einem Vertreter von Norsk Tele- grambyran u. a.: Man muß nicht gleich das Schlimmste annehmen. Selbst wenn es der„Jtalia" nicht gelungen sein sollt« zu landen, kann sich das Luftschiff drei oder vier Wochen in der Luft halten, und die Besatzung verfügt über Lebensmittel für vier bis sechs Wochen. Es ist möglich, daß es der Besatzung in dieler Zeit gelingt, mit den zivilisierten Gegettden in Verbindung zu treten. Die norwegische Regierung wird ganz bestimmt alles, was in ihren Kräften steht, tun, um der„Jtalia" zu Hilfe zu kommen.
Oer französische Parteitag. Leon Blum gegen dieVerherrlichungBriandS undHerrlots. Paris , 28. Mai. Der sozialistische Iahreskongreß in Toulose beschäftigte sich mit der Haltung der Partei gegenüber den Nachbarparteien. Es machten sich zwei Strömungen geltend: Die eine, vertreten durch Z y r o m s k i und Löon Blum, die für die Unabhängig- k e i t der Partei nach rechts und links eintritt und eine aus- gesprochen oppositionelle Haltung der Kammersraktion sor- dert. Die zweite Strömung, vertreten durch Kahn und M o n- t a g n o n. will, wie Paul Boncour in seiner Rede zum Ausdruck brachte, der Partei nach rechts die Türen öffnen. Paul Boncour nimmt an dem Kongreß nicht teil, und Löon Blum erklärte, daß er Reden über di« Parteitaktik nicht anerkenne, die nicht auf dem Parteilag selbst gehalten werden. Die Rede Blums gipfette in der Rechtfertigung der Haltung der Fraktion in der vorigen Wahl- Periode und forderte für die neue Periode die gleiche Haltung. Blum protestierte dagegen, daß herriot der Mann des Dawes-Plans genannt werde, herriot habe bis Ende 1923 der Regierung PoincarSs und der Ruhrpolitik das Vertrauen ausgesprochen. Das Abkommen von London wäre nicht möglich gewesen ohne die Vorverhandlungen der französischen mit auswärtigen So» z i a l i st e n. Auch gegen die Verherrlichung B r i o n d s wandte sich Blum, indem er sagte, gewiß träte Briand jetzt für internationale Verständigung ein. aber man könne doch nicht vergessen, daß 1921 Briand der Mann gewesen sei, der Düsseldorf und Duisburg be- setzt und zwei Iahrcsklassen mobilisiert habe. Zur Besprechung des Brüsseler Kongreßprogramms her Inter - nationale wird der Nationalrat der Partei(Parteiausschuß) am 14. Juli zusammentreten. Am dritten Derhandlungstag trat ein Redner stark dafür ei», daß die französischen Sozialisten, wie voraussichtlich ihr« Genossen in Deutschland , in die Regierung eintreten. Ein anderer Redner erklärt« sich für möglichst eng« Zusammenarbeit mit den Kommu- nisten. Der Elsässer N a e g e l e n erklärte, daß Deutschlands Der» zicht auf Elsaß-Lothringen von den Kommunisten und Autono- „listen aufs Spiel gesetzt worden sei. Die Autonomiebewegung sei eine lokale Bewegung, die mit einem Colmarcr Urteil nicht
Laurent brachte den Antrag ein, Paul B o n c o u r die Teilnahme an der französischen Völkerbundsdelegation zu verbie» t e n, da bei der veränderten Kammerzusammensetzung dies« Funk. tton unerwünscht sei, besonders m einer Zeit, wo die Erörterung der Rheinlandfrage kommen werde. Grumbach erwidert«. dah er eben von Besprechungen mit Berliner sozialistischen Freunden gekommen sei. Diese empfänden es nur angenehm, wenn auch ein Sozialist der sranzösischen Völkerbundsdelegation an- gehöre. Dieser NeichstagSwahl muß Rheinlandräumung folgen! Parts, 27. Mai. Victor Bäsch bespricht in der„Volonte " die Angriffe, di« wegen seiner Rede in Berlin gegen ihn gerichtet wurden. Er habe, so er- klärt er, die Gründe auseinandergesetzt, die ihn und seine Freunde bis jetzt davon abgehallen hätten, die sofortige Rheinland - räumung mit der gleichen Energie und Leidenschaft wie seiner- zeit die Räumung des Ruhrgebiets zu fordern. Die Antwort, die die deutschen Wähler jetzt gegeben, zeige, welche Pflicht zu erfüllen sei, nämlich mit alle» Kräften für die Rheinlandräumung zu kämpfen. Bäsch schließt: Die Art und Welse, wie man die Mobilisierung der deutschen Schuld durchführen kann, ist Sache der Finanzleute, aber nicht die unsrige. Unsere Ausgabe ist, unseren Mitbürgern zu beweisen, daß die Stunde gekommen ist, aus dem Körper Deutschlands den Dorn der fremden Truppen auszuziehen, und daß die Stunde gekommen ist. unsere Nachbarn von dieser Kelle zu befreien. Diese Aufgabe«erden wir erfüllen, selbst aus die Gefahr hin, von unseren Nationalisten angerempell zu werden. Reparationsberatung in Paris . pari». 28. Mai. Nach einem Kommuniqut der Reparationskommission hat sie die Berichte des Generalagenten Parker Gilbert und des Kommissars für die deutschen Eisenbahnen L o v e r v« über die Durchführung des Sachverständigenplans bzw. über die Lage der Reichseisenbahn» geselljchaft entgegengenommen.
Fehler auf Fehler! Nach dem(Zolmarer Llrteil. Die deutsche Oeffentlichkeit sollte sich bei der Betrachtung elsässischer Vorgänge stets und grundsätzlich besondere Zu- rückHaltung auferlegen. Je weniger man in Deutsch - land über das Elsaß schreibt und spricht, desto größer ist der Dienst, den man damit den Elsässern erweist. Allerdings gibt es Augenblicke, in denen man selbst bei größter Zurückhaltung nicht schweigen kann, nicht schweigen darf. Das ist angesichts des U r t e i l s im Colmarer Auto- nomistenprozeß der Fall. Bevor wir ober zu diesem Urteil Stellung nehmen, möchten wir gewissermaßen Richtlinien für die Behandlung der elsässischen Probleme durch die deutsche Sozialdemokratie formulieren: 1. Elsaß-Lothringische Fragen sind grundsätzlich innerpolitische Fragen Frankreichs . Das er- gibt sich schon aus dem Rheinpakt von L o c a r n o, den mit Ausnahme der Völkischen und der Kommunisten alle beut- scheu Parteien, einschließlich der Deutschnationalen, als eine Grundlage der Außenpolitik des Reiches anerkannt haben. 2. Das deutsche Volk interessiert sich naturgemäß aus historischen und kulturellen Gründen weit m e h r für das Schicksal des Elsaß als für das Schicksal irgendeines anderen französischen Gebietes. Niemand wird Deutschland daraus einen Vorwurf machen können. 3. Auch als rein innerpolitisches französisches Problem besitzt Elsaß-Lothringen insofern eine internationale Bedeutung, als eine dauernde Krise in dem ehemaligen Reichsland schließlich eine Mißstimmung zwischen dem deutschen und dem französischen Volke hervorrufen würde, was mit einer Belastung der gesamten europäischen Politik gleichbedeutend wäre. Wenn sogar die Londoner„Times" dieser Tage im Zusammenhang mit dem Autonomistenprozeß betonte, daß Elsaß-Lothringen in seiner Eigenschaft als hervorragendes Kampfobjekt des Weltkrieges von 1914—1918 alle Signatarmächte des Verfailler Vertrages besonders inter- essiere, so gilt das selbstredend erst recht für Deutschland . Von diesem dreifachen Gesichtspunkt ausgehend, fühlen wir uns verpflichtet, unser sorgenvolles Er st au nen über die Kurzsichtigkeit der französischen Politik im Elsaß zum Ausdruck zu bringen. Die Verhaftung der Autonomisten- führer, zumal am Weihnachtsabend, war ein erster s ch w e- r e r F e h l e r. Die Erhebung der A n k l a g e wegen„Komplotts gegen die Sicherheit des Staates" war ein zweiter» noch größerer Fehler. Und schließlich das Urteil, das die Geschworenen am Donnerstag gefällt haben, war ein d r i t- ter, noch schlimmerer Fehler. Eine monatelange Stimmungsmache der Pariser Presse bis weit in die Kreise der Linken hatte den Eindruck zu er- wecken versucht, als hätten die elsässischen Autonomisten m i t reichsdeutschem Gelde auf die Lostrennung des Elsaß von Frankreich hingearbeitet. Die Beweisauf- nähme hat aber nicht die Spur eines Beweises für diese Behauptung erbracht. Alle Angeklagten ohne Aus- nähme haben mit Entschiedenheit betont, daß sie-n i e m a l s an eine Losreißung von Frankreich , geschweige denn an eine Wiederangliederung an Deutschland gedacht hätten. Dennoch ist die Existenz eines„Komplotts gegen die Sicherheit des Staates" von den Geschworenen bejaht worden. Angesichts der geradezu jämmerlichen Dürftigkeit der Beweisaufnahme ist dieser Schuldspruch nur so zu er- klären, daß die Geschworenen — wie es tatsächlich geschehen sein soll— sorgfältig unter den innerpolitischen Gegnern der autonomistischen Bewegung ausgesucht worden waren. Die Staatsanwaltschaft selbst hat eine Haltung eingenommen, die ein Widerspruch in sich war. Monatelang hatte sie nach außen hin den Eindruck zu erwecken versucht, als hätte sie eine g e- fährliche separatistische Verschwörung ent- deckt. Noch in den ersten Tagen der Gerichtsverhandlung ge- bürdete sich der Oberstaatsanwalt wie ein Mann, der den Kampf gegen den schlimmsten Landesverrat mit allen Mitteln aufzunehmen entschlossen sei. Am Schlüsse der Verhandlung aber beantragte er— die M i n d e st st r a f e. Ist das nicht an sich schon das Eingeständnis des eigenen Fiaskos? Hat man sich etwa eingebildet, mit einem milden Ur- teil würde man den Slutonomismus empfindlicher treffen als mit schweren Zuchthausstrafen für die Angeklagten? Das würde ein schwerer Irrtum sein: mit Strafen, ob leicht oder schwer, läßt sich der Autonomismus überhaupt nicht bekämpfen. Wer den frondierenden und dickschädligen Charakter dieses alemannischen Volksstammes kennt, der mußte wissen, daß es nichts Gefährlicheres gibt, als elsässische Märtyrer zu schaffen. Das kaiserliche Preußen-Deutschlond hat in fast fünfzigjähriger Herrschaft Fehler auf Fehler in Elsaß- Lothringen begangen. Es hat das traurige Kunststück fertig- gebracht, aus einem deutschsprachigen Volksstamm eine fran- zösisch fühlende Bevölkerung zu machen. Man behandelte die Elsässer von vornherein als franzosenfreundliche Hochverräter, was sie ursprünglich gar nicht sein wollten, mm» schuf Mär-