Beilage
AND MEG A Der Abend 102
Donnerstag, 31. Mai 1928
Spalausgabe des Vorwärts
Besuch beim Zarismus. Die elektrische Stadtbahn
Ein Jugenderlebnis.
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Es war 1896 und ich ganze 14 Jahre alt; aber schon sechsmal hatte ich in Wien am 1. Mai Arbeiterzüge gesehen, zuerst Laub am Hut, dann die rote Nelke und ein blinkendes Abzeichen am Rod. Schon hatte ich auch öfter das Arbeiterwigblatt Glühlichter", die ,, Arbeiter- Zeitung " und die„ Bolfstribüne" gelesen. Da beschlossen meine Eltern, Verwandte in Russisch- Polen zu besuchen, auf deren Hochzeit ich als Einjähriger der jüngste Gast gewesen war, der auf dem Fußboden gesessen und die Großen am Kleidersaum gezupft
hatte.
Das Paßvisum des Kaiserlich Russischen Generalkonsulats bekam mein Vater als Kaufmann ohne allzugroße Schwierigkeiten. Mutter und Schwester fuhren voraus, wir beide erst mit dem billigen Sommersonderzug zur Gewerbeausstellung nach Berlin ( hin und zurück 20 M.!). Von der 14stündigen Fahrt erinnere ich mich noch, daß hinter Dresden feiner Flugsand hereindrang, den wir von früheren Reisen im bergigen und waldigen Desterreich nicht fannten; und daß in Jüterbog einige Mitreisende fich glänzend über ,, Jüdenbock" amüsierten. Der Geist der Zeit" scheint damals schon gelebt zu haben.
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Nach erledigtem Berlin samt Treptow , wo die Ausstellung mar und wo wir aus dem Gartenkonzert einer Marinekapelle immer wieder militärische Signale heraushörten, und nach einer Woche Sächsische Schweiz gings dann ganz durch Böhmen , Mähren und Schlesien nach Kratau, wo mitten in der Stadt die Burg Wawel thront, ein zugedeckter Weichselarm mit grünen Holzpfählen dem Darüberfahren wehrt, die Tuchhallen in schattiger Kühle eine Ahnung von Orientbasar geben und auf dem Kasimjersch Kaftanjuden mit Schläfenlocken wimmelten. Dann nahmen wir einen Fiater an die Grenze; weiter durfte er nicht, denn er hatte einen Paß weder für sich, noch für die Pferde: A bes tego jest zakasane( die 3 als f ausgesprochen, heißt das: und ohne das, ist es verboten"). Auf der guten Straße nach Warschau waren wir bald in Michalowice, wo der Schlagbaum die Straße sperrte. Im russischen Grenzhaus Kontrolle. Die Beamten sprachen russisch, taten als ob sie polnisch nicht verstünden, obwohl beide Sprachen sehr verwandt sind. 3wei harmlose, ganz unpolitische Reklambüchlein nahmen sie uns ab, indem sie was Don Zensura jeneralgubernator warschawa" murmelten. waren im Russischen Reich. Klägliche Bauernfuhrmerke, die 18 Jahre später als„ Panjewagen" in den deutschen Sprachschatz übergingen, standen da. Wir wollten unsere Berwandten überraschen, hatten uns nicht angemeldet, waren darum nicht abgeholt worden. Also auf die Streu im Wägelchen!
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Wir
Bis Slomnifi ging's auf der guten Straße weiter; aber dann bogen wir rechts in einen schwarzen Feldweg ein. Die Räder bis zur Achse im Schlamm ging's im Schnecentempo weiter. Endlich trafen wir in Raclawice ein dem historischen Schlachtort, auf dem Polen seine Freiheit und Held Roscinsto sein Leben verloren hat. Ein Berg erhebt sich da aus der Ebene, ein großes Holzkreuz stand oben das einzige Erinnerungszeichen an den Kampf, das vom Sieger Barismus erlaubt war. Im Speisesaal des Gutshofes aber sah man doch noch an der Wand den eintöpfigen weißen Adler im grünen Feld Bolens Wappen .
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In dem nahen Städtchen Dzialoszyce im Krieg an die Bahn angeschlossen saben wir einen Bult( Regiment) russischer Reiterei in weißen Blusen, die auf Manöverritt waren. Auf heiternd war dieser Anblick für uns Wiener Kinder, die in der Furcht vor dem unausbleiblichen Krieg mit einem übermächtigen Rußland aufgewachsen waren, gerade nicht. Und niederdrückend war es, wenn wir so oft von den Verwandten hören mußten, daß wir nur ja nirgendwo und nichts über Rußland , Polen , Desterreich reden sollten, es sei zu gefährlich.
Nach ein paar Wochen fuhren wir zurüd; da machten wir unseren gepreßten Herzen Luft, indem wie den sonst gar nicht geschätzten f. und t. Doppeladler, als wir ihn zuerst wieder sahen, mit großem Hochgeschrei begrüßten, damit die russischen Grenzbeamten und-soldaten da hinten sich recht ärgerten! Die ausgleichende Gerechtigkeit schuf Beruhigung: hatten die Russen uns Reklambüchel weggenommen, so mußte Papa jetzt Zoll für den Tee zahlen, den die Verwandten uns geschenkt hatten.
Die Jahre gingen, ich war Student. Und als 1903 oder 1904 der Zarismus die finnischen Sonderrechte aufhob und neue Greuelfunde aus Rußland uns erregte, machten wir in Wien eine Demonstrationsversammlung. Referenten waren Abg. Dr. Ellen= bogen und für die Studenten ich. In der Versammlung waren viel Ruffen, Polen , Utrainer, Armenier, Georgier usw. Die zogen nachher zur nahen Barenbotschaft und die Polizei fonnte nicht hindern, daß Flüche und Kampflieder hinaufschollen. Es war die Zeit, wo auf eine Interpellation Daszynskis der Innenminister, ein Graf, im Parlament erklärte, die Regierung werde selbst. verständlich dafür sorgen, daß politische Flüchtlinge in Galizien ( dem Grenzland gegen Rußland , das der Minister natürlich nicht nannte), das Asylrecht unverkürzt genießen..
Mir aber sagte jemand noch Jahre später: Lassen Sie sich nicht einfallen, etwa nach Rußland zu fahren Sie stehen wegen einer Wiener Versammlung auf der schwarzen Liste!" r. bn.
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Die letzten Sklaven von Birma.
Zwischen Bengalen, Tibet , China und Siam liegt diese feltfame Provinz des indischen Kaiserreiches, die im Innern noch zahlreiche unerforschte Gebirge und Urwälder birgt. Gewaltige Pe= troleumlager liegen unter der Erde, und wenn es der Chemie erst gelungen sein wird, die dortigen Schweröle zu brauchbarem Triebmaterial für Schiffsmotoren zu verarbeiten, dann werden diese Bodenschätze, die schon lange die Aufmerksamkeit der Erdölmagnaten auf sich gelenkt haben, der Flottenbafis Singapur doppelte Bedeutung verleihen. 3war refidiert ein stellvertretender Gouverneur in der Hauptstadt Rangun am Irawadifluß, die berühmten Sägemühlen der Umgebung benußen für den Holztransport schon lange statt der ebenso berühmten Elefanten die billigeren Maschinen, die grandiose Shwe- Dagon- Pagode, die in ihrem heiligen Schrein acht Haare vom Haupte des Buddha birgt, ist im Nebenamt provisorische Festung für den Fall von Aufständen. Aber tief im Lande drinnen ist noch der alte Orient, und der Dienst in der Grenzpolizei spielt fich fern von den Schreibstuben unter oft recht abenteuerlichen Be gleitumständen ab. Bis in die letzten Jahre hinein bestand im Innern
In wenigen Tagen wird der größte Teil der Berliner Stadt-| Tagen der erste Ausbau der Elektrisierung zum Abund Ringbahn elektrisch betrieben werden. Die fauchenden Dampfschluß gelangen wird. lokomotiven werden nach und nach ihren Betrieb ein stellen und die Züge werden sich so geräuschlos und leicht in Bewegung setzen, wie der Berliner das auf seiner H- und U- Bahn schäßen gelernt hat.
Als elektrisches System wurde Gleichstrom von 750 Volt Spannung mit 3. Schiene gewählt, ebenso wie bei der Hoch- und Untergrundbahn und bei der Hamburger Hochbahn .
Der Strom wird von den Elettromerten bezogen, deren Das ungemein rasche Emporwachsen Berlins hatte zur Folge, Zentralen auf der mitteldeutschen Braunkohle errichtet sind; sie stellen daß die Berkehrszunahme bei weitem die Bevölkerungszunahme das Werk Trattendorf zur Verfügung. Die Berliner städtischen Elek
Einer der neuen elektrischen Züge
Stromes erfolgt in einem westlichen und einem östlichen Knotenpunft, in Halensee und Markgrafendamm, in Form von 50periodigem Drehstrom von 30 000 Bolt Spannung. Von dort aus laufen im Bahndamm verlegte Kabel zu den einzelnen längs der Bahn verteilten Unterwerfen, in welchen der Drehstrom auf Gleichstrom umgeformt
überholte. Während vom Jahre 1875 bis 1920 die Einwohnerzahl| trizitätswerke speisen aus dem bekannten, von der AEG. gebauten Berlins von eineinviertel Millionen auf vier Millionen stieg, Klingenberg- Wert in Rummelsburg . Die Abnahme des steigerte sich die Zahl der jährlichen städtischen Fahrten von 32 auf 1424 Millionen. So erwuchsen dem hauptsächlichsten Verkehrsmittel, den Stadt-, Ring- und Vorortbahnen jüngere Geschwister, die elektrische Straßenbahn, die hoch und Untergrundbahn, der Omnibus, die mehr und mehr den Verkehr an sich zogen. Während der Inflation gewann allerdings die Stadtbahn wieder große Beliebtheit, da sie als ftaatliche Unternehmung sich der Geldentwertung in der Tarifpolitit nicht so rasch anpassen fonnte, wie die anderen, damals noch privaten Verkehrsgesellschaften. Im Jahre 1923 beförderten die Stadtbahnen annähernd 60 Proz. des gesamten Groß- Berliner Verkehrs. aber die Ziffer fant mit der Stabilisierung der Wirtschaft und betrug Ende 1927 mur mehr etwa 20 Pro3. Die Stadtbahn war technisch überaltert, mit den unvermeidlichen Nachteilen des Dampfbetriebes behaftet und im Vergleich mit den neuen Verkehrsmitteln nicht mehr wettbewerbsfähig.
Der Dampfbetrieb hatte die Grenze seiner Leistungsfähigkeit erreicht, es gab nur einen Ausweg: Elektrisierung. Bereits 1903 hatte die Union - Elektrizitätsgesellschaft, die später in der AEG. aufging, den elektrischen Betrieb auf der Strecke nach Lichterfelde - Ost eingerichtet und 1914 lagen Pläne und Probeausführungen für das
Wagen der Holzklasse
ganze System vor. Der Krieg zerschlug die Projekte, die Inflation wälzte neue Schuttmassen über die Trümmer, und erst die letzten Jahre brachten einen neuen und endgültigen Plan, in dessen Ausführung wir nun stehen. Auf den Nordstrecken( Bernau , Oranienburg , Belten) ist der elektrische Betrieb bereits im Gang, auf der Stadt- und Ringbahn sind die Arbeiten beendet, so daß in diesen
Wagen der Polsterklasse
und der Bahn zugeführt wird. Als Fahrleitung dient, wie bei der Untergrundbahn, eine seitlich vom Fahrgleis etwas erhöht angeordnete, in isolierenden Porzellanblöden gelagerte dritte Schiene. Für den elektrischen Betrieb wird gänzlich neues Wagen material verwendet werden. Jeder Wagen hat auf jeder Längfeite vier breite Schiebetüren und faßt insgesamt einschließlich der Stehpläge bequem 200 Reisende. Die kleinste Zugeinheit, der Viertel szug, wird aus einem Trieb und einem Anhängerwagen bestehen; in Stunden stärkeren Verkehrs werden zwei oder vier solcher Einheiten zu einem Halbzug bzw. Vollzug zusammengesetzt, deren letzterer 1600 Personen zu befördern vermag. Die Verfürzung der Fahrzeiten gegenüber dem jetzigen Dampfbetrieb um rund 25 Proz. wird gewährleistet durch das schnellere Anfahren und durch die höhere Fahrgeschwindigkeit. Ferner wird man mehr Züge fahren fönnen. Die fürzeste Zugfolge, jett 2 Minuten auf der Stadtbahn und 5 Minuten auf der Ringbahn, wird auf 1% Minuten bzw. 2½ Minuten reduziert werden. Der Verbesserung des Betriebes wird sich die Verbilligung zugefellen; man spart an Kohle, an Personal, an Kosten für das Rohmaterial. Die Elektrisierung der Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen bringt somit die Lösung des wichtigsten Verkehrsproblems von Groß- Berlin.
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immer noch das Kennzeichen orientalischer Wirtschaftsformen, die| fäffig wird, obwohl in britisch Indien den Eingeborenen im allSlavere i; die Engländer hatten sie natürlich längst offiziell ab gemeinen der Besitz von Feuerwaffen verboten ist; indes, der geschafft, und es gab darüber sehr überzeugende Dekrete, die mit Dschungel fann auch ohne Feuerwaffen tödlich werden. Jetzt ist die vielen anderen Papieren das Schicksal teilten, Papier zu sein und dritte Expedition zurückgekehrt, die die Grenzpolizei zur„, endgülPapier zu bleiben. Es blieb schließlich nichts anderes übrig, als tigen" Befreiung der Sklaven ausgeschickt hatte, und ihr Führer, durch eine Strafexpedition die Sklavenhalter zu Räson zu bringen. J. T. Barmard, versichert, daß es nur noch freie" Birmaneser Die erste Expedition verlief ohne besondere Zwischenfälle, aber die gebe. Das klingt um so tröstlicher, als die Sache 400 000 Goldmark zweite, die im Jahre darauf, 1927, abgeschickt wurde, wurde auf gekostet hat, soweit allein die Barentschädigungen für die dem Gebiete des Stammes der Lahpai in einen Hinterhalt gelockt früheren Herren der Sklaven in Frage kommen. Aber Barmard und verlor einen englischen Offizier. Die Zahl der Sklaven betrug gibt selbst zu, daß zahlreiche Stämme sich sehr feindlich und hinterhier fast zehn Prozent der Gesamtbevölkerung, und es ist klar, daß hältig gezeigt hätten, und der Verdacht ist nicht von der Hand zu die Abschaffung der Sklaverei erhebliche Störungen des Wirtschafts-| weisen, daß die Entschädigungssummen in vielen Fällen umsonst gefüges mit sich bringen mußte, mochte es auch noch so primitiv sein. bezahlt worden sind. Birma hat ein paar papierne Defrete mehr, Und mit einer Bevölkerung von 40 000 Menschen soviel waren und im nächsten Jahre wird die Grenzpolizei wohl wieder einen be es in diesem Distrikt ist nicht zu spaßen, wenn sie einmal auf- waffneten Spaziergang in die wilden Bergwälder unternehmen.
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