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Morgenausgabe

Nr. 255

A 131

45.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Freitag

1. Juni 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

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Es friselt in Frankreich  .

Marin- Gruppe gegen Radikale. Gegenseitige Kriegserklärungen der Flügel­parteien der Regierung Poincaré  .

Paris  , 30. Mai.  ( Eigenbericht.)

Bevor noch restlose Klarheit geschaffen ist über die Fraktions­und Mehrheitsbildung in der neuen Kammer, tauschen bereits die rechten und die linken Flügelparteien der jezigen Regierungs­Coalition die

schlimmsten Kriegserklärungen

aus. Die republikanisch- demokratische Union  ( Gruppe Marin) verlangt in einer Entschließung, daß die künftige Zusammensetzung der Regierung, des Präsidiums der Kammer und der Kammeraus­schüsse deutlich dem Siege Rechnung tragen müßte, den die überzeugten Anhänger der ,, Nationalen Union" davongetragen hätten. Nicht ohne Grund wurde diese Entschließung von den Ra= dikalen als Kriegserklärung aufgefaßt und entsprechend beant wortet. In einer Gigung des radikalen Parteivorstandes erklärte Daladier  : ,, Wenn die Rechte die Regierung übernehmen will, soll sie

es tun, aber fie muß dann mit unbeugfamer Feindschaft ber Radikalen rechnen. Wir sind bereit, den Fehdes handschuh aufzunehmen."

Unterrichtsminister Herriot   selbst verstärkte diese Erklärung noch, indem er betonte, die radikale Partei, als die Verstärkung des demotrafischen Willens Frankreichs  , müffe auch in der neuen Kammer die Achse der politischen Tätigkeit bilden: Wenn wir es verstehen, zu wollen und zu handeln, werden wir bald Meister der Lage sein."

Im übrigen zeigen sich die Radikalen sehr unzufrieden mit dem Ausgang des sozialistischen   Parteitages in Toulouse  . Schon Daladier   glaubte gestern an ihre Adresse die Frage richten zu müssen, ob sie durch ihre ,, bewußt glänzende folierung" die Rechtsorientierung in der neuen Kammer erleichtern wollte.

Pefing und Tientsin vor dem Fall?

Internationale Verteidigungsmaßnahmen in Tientsin.  - Amerifa macht nicht mit.

London  , 31. Mai.  ( Eigenbericht.)

Aus Tokio   eingetroffene Meldungen deuten darauf hin, daß bie Räumung von Pefing und Tientsin durch die Truppen der chinesischen   Nordarmeen unmittelbar zu er­warten ist. Obwohl die Möglichkeit besteht, daß die natio­

nalistischen Truppen bei ihrem Vormarsch auf Deking auf die Be­fehung von Tientsin   verzichten werden, sind in Tientsin fieber­hafte Borbereitungen zur Berteidigung der dortigen internationalen Siedlung in Angriff genommen worden. Eine 18 kilometer lange Berteidigungslinie befindet sich im Ausbau. Sie soll von ausländischen Truppen befeht werden. Das Oberkom­mando hat der japanische General Arai übernommen. Das geplante gemeinsame Borgehen sämtlicher ausländischer Staaten, die in Tientsin   Truppen besitzen, ist allerdings, wie es scheint, ge­scheitert, da die Bereinigten Staaten unabhängig vorgehen" wollen.

Un Militärkräften unterhalten in Tientsin  : Japan   5000 Mann, 12 Feldgeschühe, 16 Flugzeuge; Amerika 4000 Mann, 18 Kanonen und 12 Flugzeuge; Großbritannien   1500 Mann, 2 Kanonen; 3talien 380 Marinesoldaten, Frankreich   2000 Mann und 14 Feldgeschütze.

Tschangtfolin beginnt zu räumen.

Tofio, 31. Mai. Nach Berichten aus dem japanischen Hauptquartier foll Mar schall Tschangtfolin beschlossen haben, Beting zu räumen.

Die Not Deutschösterreichs.

Wieder feine Dollaranleihe.

Wien  , 31. Mai.  ( Eigenbericht.)

3m Nationalrat teilte Bundeskanzler Dr. Seipet mit, daß infolge der Bertagung des amerikanischen   Senats dessen Zuftim­mung zu der großen Anleihe Desterreichs nicht gegeben werden fönne. Die Anleihe müffe infolgedeffen um ein halbes Jahr ver­

Ein Teil feiner Truppen sei bereits auf dem Rückzug nach Mut. den. Die japanischen Behörden rechnen daher mit der unmittel bar bevorstehenden Besetzung von Beting durch die Süd­chinesen.: chinesen.

Spannung an der Adria.

Das Abkommen von Nettuno  .

Bon Hermann Wendel  .

" Troß aller Bemühungen der Wissenschaft tann Italien   seine Bevölkerung nicht ernähren. Italien   be darf der Ausdehmung, sonst tommt es zu einer Explosion. Ich vermag an die humanen Ideen der Pazifisten nicht zu glauben." Mussolini  .

In Belgrad  , in Agram, in Laibach, in Spalato, in Ra­guja erregte Rundgebungen: Nieder mit Italien  ! In Rom  , in Mailand  , in Bologna  , in Venedig  , in Bari   erregte Kund­gebungen: Nieder mit Südslawien! Dort versuchen natio­naliftische Studenten die italienischen, hier faschistische Hoch­schüler die südslawischen Konsulate zu stürmen, dort wird das Bildnis Mussolinis verbrannt, hier das Porträt des Königs Alexander zerfetzt, dort die italienische Fahne be­schimpft, hier die füdslawischen Farben entehrt. Polizei und Gendarmerie zu Fuß und zu Pferd, Angriffe auf die Menge und Verhaftungen hier wie dort, und die südslawische Re­gierung protestiert in Rom  , die italienische in Belgrad  . Warum der ganze Wirbel? Weil das Kabinett Butitsch e= witsch angefündigt hat, daß es jetzt endlich das Ab= tommen von Nettuno  , das am 10. Juli 1925 von den Unterhändlern beider Staaten unterschrieben wurde, zur Ra­tifizierung der Stupschtina zuleiten werde. Die Mamelucen­fammer Mussolinis hat den Vertrag längst genehmigt, aber wenn ihn die südslawische Regierung bisher in der Schublade behielt, hatte sie, wie man sieht, einigen Grund dazu.

Zu einem Teil fließt die Entrüftung gegen die Kon­ventionen DON Nettuno aus innerpolitischen

Quellen. In Sübslawien hat sich in den legten Monaten

eine merkwürdige Parteischichtung vollzogen. Mit Ausnahme der größten slowenischen Gruppe, der Christlichsozialen, die mit Radikalen und Demokraten in der Regierung figen, stehen alle Parteien, die sich im wesentlichen aus den ehemals österreichisch- ungarischen Gebieten refrutieren, die Serben Nach einem Telegramm aus offizieller Quelle besteht die ebensogut wie die Kroaten   und Slowenen, gegen die Gerben des früheren Königreichs, die sogenannten Serbianer". Da Aussicht, daß der Rückzug des Marschalls Tschangtfolin und die Serbien   bei der südslawischen Einigung eine ähnliche Rolle schnelle Räumung der Städte Peking   und Tientsin zur Wiederspielte wie Preußen bei der deutschen   Einigung, behauptet herstellung des Friedens in China   führen könnte. In gut: Die Opposition nicht zu unrecht, daß in dem jungen Staat unterrichteten politischen Kreisen Japans   ist man der Ansicht, daß nur einseitig ferbianische" Interessen zur Gel­die Südchinesen wahrscheinlich die große Mauer nicht über tung fämen. Daß jezt die Konventionen von Nettuno   auf fchreiten werden. Die einzige gegenwärtig existierende Gefahr der Tagesordnung erscheinen, liefert der Opposition Gelegen­fei, daß die in voller Auflösung zurückflutenden nord chinesischen heit, über eine auswärtige Politit aus der Erbschaft des alten Soldaten Unruhen anstiften. Man hält jedoch die zum Schutz der Baschitsch herzuziehen, die, die Bedürfnisse der nicht­Ausländer ergriffenen Maßnahmen für hinreichend. ferbianischen Landesteile vernachlässigend, nach der Aegaeis statt der Adria   starre und dem griechischen Hafen von Salonit den Borzug vor dem füdslawischen von Spalato gebe. Gelingt es, mit Entfachung dieser Erregung das Kabinett zu stürzen, um so besser für die Opposition!

Japanisches Ultimatum an die Nordtruppen.

Tingfau, 31. Mai. Der Kommandeur der dritten japanischen Division General Jasumitsu, der hie in der vergangenen Woche von den Nord. truppen, ohne einen Zeitpunkt hierfür festzusetzen, verlangt hatte, sich sieben Meilen von der Stadt zurückzuziehen, hat an die chinesi­schen Generäle ein Ultimatum gerichtet, in dem er sie auffordert, die Stadt bis zum 1. Juni spätestens zu räumen. Alles läßt darauf schließen, daß das Ultimatum erfüllt wird.

in seiner Industrieausfuhr aber einer gleich hoch entwickelten tschechoslowakischen Industrie gegenüberstehend von weit überlegener Konturrenz größerer Industriestaaten gar nicht zu reden! So ist dieses Land andauernd auf Auslands Prebit angewiesen, und die, die es in aufgezwunge­ner, unerträglicher Selbständigkeit" erhalten wollen, müssen ihm stets wieder Geld leihen. Wenn man jetzt wieder einmal mit einer zunächst nur wirtschaftlichen" 3usammenfassung Tschecho= schoben werden. Genoffe Dr. Bauer wandte sich gegen den Ber  - flow atei Deutschösterreich Ungarn fommt, lo so fuch des Bundeskanzlers, die Tragweite dieses schweren miß werden die Desterreicher von einem solchen Blan nichts wissen erfolges verkleinern zu wollen. Er erklärte, dieser Zwischenfall wollen, der dazu geeignet und bestimmt ist, den Weg zum zeige die unmögliche Lage Defterreichs gegenüber dem Ausland. Anschluß zu verbauen. Die Bundesregierung frage ganz allein die Verantwortung für die

Berzögerung der Anleihe, weil sie das Parlament nicht recht­zeitig informiert habe. Wenn die Bundesregierung im vorigen Jahre Verhandlungen wegen der Ernährungskredite, die Desterreich in der Nachkriegszeit nehmen mußte, eingeleitet und fich bereit erklärt hat, eine vorzeitige Abzahlung zu beginnen,

fo hätte die Regierung auch darauf hinarbeiten müſſen, einen Zustand

herbeizuführen, in dem Desterreich nicht dauernd in der Gefahr schwebe, in seiner Kreditpolitik vom Einspruch irgendeines Stantes behindert zu werden.

Diese Debatte und was ihr zugrunde liegt, zeigt wieder einmal aller Welt, was der Frieden von St. Germain ge­schaffen hat: einen Alpenstaat fast ohne Kohle, mit viel zu schmaler Ernährungsbasis, auf Rohstoffeinfuhr angewiesen,

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Aber in weit höherem Maße steckt hinter Nettuno   ein schwerwiegendes außenpolitisches Problem. Das Abkommen, um das es fich handelt, umfaßt 31 Konventio­nen und ist Teil des gesamten füdslawisch- italienischen Ber­tragswerts, das sich auch auf den Konventionen von Santa Margharita und Belgrad   aufbaut. Da bei der Regelung einer langen Reihe von ökonomischen und sozialen Fragen, zu denen das Recht der Ansiedlung, der Freizügigkeit, des Handelsbetriebs gehört, Gleichberechtigung beider Partner vorgesehen ist, scheint dieses Wert harmlos, aber nicht nur der füdslawische Nationalismus schmäht das Abkommen von Nettuno  , weil es die Lösung der Agrarfrage in Dalmatien  erschwere und die italienische Durchdringung des slawischen Ariaufers begünstige, sondern auch sozialistische Kritit nennt die Verträge eine Schande und Blamage, mehr, eine schwere Gübslawien, eine Etappe des Weges, auf dem der öfonomische und soziale Schädigung für serbisch- kroatisch- flowenische Staat wirtschaftlich und politisch zum Basallen Italiens   werde. harmlos, wie die ganze Balkanpolitit des Faschismus harm los ist. Das Italien   Mussolinis steht heute wie ein über­heizter Dampftessel unter gefährlich hohem Druck, und alle­mal in solchen Fällen gilt Diktaturen die auswärtige Politik Nicht zuletzt deshalb deliriert das Fascio von einer römi­als Ventil, angesammelte Spannung verzischen zu lassen.

In der Tat sind die Konventionen von Nettuno   so wenig

Dem flagenden Seipel aber wird es nur ein schwacher Troft sein, daß das rote Wien seine Dollar anleihe hat, auf die man den Staat mit seiner Bürger- schen Weltpolitit großen Stils, deren Voraussetzung blodregierung wieder ein halbes Jahr warten läßt!

Untersuchung polnischen Wahlterrors.

Im Verwaltungsausschuß des polnischen Landtages gab der Innenminister, General Stiadkowski, zu, daß die Re­gierung bei den Sejm   und Senatswahlen die Kandidaten unterstüt habe, die sich zu einer Zusammenarbeit mit der Re­gierung bereit erklärt hatten. Obgleich sich der Minister gegen die Bildung eines außerordentlichen Ausschusses zur Prüfung der Bahlmißbräuche aussprach, wurde do ch beschlossen, eine solche Kommission einzusetzen.

die Verwandlung der Adria in ein italienisches Meer sei. 3mar fizzen an der ,, anderen Rüfte" auf 500 Kilometer Länge reichs der Serben, Kroaten   und Slowenen weht von Suschat bis Cattaro  , aber südlich davon haben sich die Italiener in Albanien   wie in einem bombensicheren Unterstand ein­gegraben, und eifrig trachtet Mussolinis Staatskunst alle Nachbarstaaten Südflawiens, Ungarn  . Rumänien  , Bulgarien  , Griechenland  , neuerdings auch die Türkei  , fest an die faschistische Politit zu binden. Daß das nächste Biet dieser Erpansionsbestrebungen Dalmatien   ist, daraus macht man in Italien   gar kein Hehl.

nur Subflamen, teine Italiener, und die Fahne des König