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föelloge �litlwoch, 6. Juni 1928

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Die Leichensteine der Geschichte Ein Besuch im Preußischen Geheimen Staatsarchiv.

STöen*; Welch ein unpoetisches Wort! Ein schriller Vokal, >ann zwei harte, zungenbrecherische Konsonanten, die in ein mattes, wnlofes, nüchternes Verklingen überleiten. Das Gegenteil von tlkten? Natürlich: das Leben. Aber auch wieder nicht das Gegenteil. Kein Leben, das nicht tausendsache Möglichkeiten für künftigen Aktenstaub in sich trüge, keine Akten, die nicht möglicher- weise Niederschlag pulsierenden, leidenschaftlichen Lebens sein könnten. Leben: das ist der Born der Akten. Akten: dos ist ein Denkmal des

Magazingebäude. Lebens und eines der umfangreichsten solcher Denkmäler des Lebens steht in Dahlem bei Berlin und nennt sich Preußisches Geheimes Staatsarchiv. Das klingt etwas gefährlich. Man wittert ein von Fallgruben und Selbstschüssen umzogenes Gelände, auf dem eine ständige Kriminalwache untergebracht ist. Aber dos Beiwort Geheim ist nicht gar so tragisch aufzufassen. Es Hot einen gewissen dekorativen Charakter und in Wahrheit ist das Preußische Geheime Staatsarchiv durchaus ein öffentliches Institut, das, min- destens im Prinzip, jedermann Zutritt gewährt und sogar mit einer gewissen Großzügigkeit Einblick in sein Material nehmen läßt. Während in England zum Beispiel die entsprechende Jahreszahl 2802 lautet, stehen in Dahlem alle Akten bis 1870 den Benutzern uneingeschränkt und ohne daß eine besondere Erlaubnis nötig wäre, zur Verfügung. Um Einblick in die Akten der letzten SO Jahre nehmen zu können, bedarf es ministerieller Genehmigung. Praktisch wird die Genehmigung zwar nur in den allcrseltensten Fällen ver- weigert, ober immerhin ist sie nicht nur eine leere Formalität, denn möglicherweise beziehen die angeforderten Akten sich ja auf noch lebende Personen, und es ist verständlich, daß solche Familien- und Prozeßdokument« neueren Datums, nur mit einer gewissen.Vorsicht ausgehändigt werden. Das Preußische Geheime Staatsarchiv erfüllt zweierlei Auf- gaben. Einmal sammelt es das Aktenmaterial der Brandenburgischen Provinzialbehörden und insofern ist es nur eines der vielen Archive, deren jede preußische Provinz mindestens eines hat. zum anderen aber ist es Z e n t r a l a r ch i v der preußischen Ministerien und Staatsbehörden, die in einem regelmäßigen Turnus von 10 Jahren chre Aktenbestände abliefern und insofern ist es die Fortsetzung des alten Geheimen Staats- und Kabinettsarchivs. In einem der Erdgeschoßzimmer sind die Archivkataloge auf- bewahrt. Vielhundert dicke- Wälzer Ich werfe einen Blick ins Repertorium 24. Aktenkonvolut gewechselter Schreiben zwischen Kanzler Pruckmann und den Anhaltischen Räten in puncto Jnter- positionis des»iedersächsischen Kreises" heißt beispielsweise einer der viel tausend Titel, die allein in diesem Band zu finden sind.

Das Innere des Magazins. Dann lasse ich mich durch die Magazine führen: endloser Weg an entlos vielen Regalen vorüber. Eingaben, die irgendwann einmal die Rathenower Schuster-, die Rüdersdorfer Bäckerinnungen an die maßgebenden Stellen richteten, Urkunden über Emigranten, die zur Zeit der Französischen Revolution nach Preußen flohen, ost- prcußische Aemteraklen: das alles und hunderttausend anderes dazu lagert hier.Wie sie so sanft ruhen", geht es mir durch den Kopf. Aber sie ruhen gar nicht so sanft, wie man glauben möchte, die Akten nämlich, und im Benutzungssaal treffe ich ein verhällnismäßig reges Leben tief über Aktenfaszikel gebeugter Interessenten an. In einigen der Säle wurden mir die Prunkstücke des Archivs gezeigt. Die prominenten Sachen: ein Londbuch Kaiser Karls IV., das Original einer mit vielen Kardinalssiegeln belasteten Wlaß- «künde aus dem Mittelaver, ein Druckexemplar der Lucherjcheu

Thesen, das Rotisikationsexemplar des Friedens von Oliva. Auch Schriftstücke Friedrichs des Großen sind vertreten. Ein zeichnerischer Entwurf zum Beispiel, der sich um den Grundriß Sanssoucis be- müht, dann ein Eingabenbuch, das Fridericus mit Randbemerkungen zo versehen pflegte.Das geht nicht an," lese ich etwa neben dem Gesuch eines Magistratsbeamten. Ein kurzer Bescheid. Aber der Bescheid eines Mächtigen. Und vielleicht haben die vier knappen Worte damals eine ganze Welt von Hoffnungen und Entwürfen zertrümmert. Aus dem Jahre 1785 stammt die Urschrift des von Franklin und Adams unterzeichneten ersten Handels- und Freund- schaftsvertrages mit den Vereinigten Staaten . Auch Bismarcks Entlassungsgesuch, ein von säuberlich-sorgsamer und uncharakteristi- scher Hand niedergeschriebenes und nur von des Kanzlers markigen Zügen unterzeichnetes Schriftstück liegt hier aus. Von literarischem Interesse ist die Urschrift des Fehdebrieses, den der Kaufmann Koelhaze(so unterzeichnet er sich), dieser Gerechtigkeitsfanatiker und Querulant in einem(aber vielleicht kann man gar nicht das erste ohne das zweite fein!) im Jahre 1534 an den Junker von Zaschwitz und an ganz Kursachsen richtete und der später den Stoff für Heinrich von Kleists Michael Kolhaas abgab. Aus allen Zeiten stammen Askanier- und Päpsteurkunden, beispielsweise ein auf Papyros geschriebenes Papstdokument aus dem Jahre 1024. Aktenfriedhof. Nun ja, aber doch auch ein geschichtlicher Rück- blick aus den brondenburgisch-preußischen Staat. Das Archiogebäude in Dahlem mit seinen sechs Stockwerken ist groß und geräumig. Es ist viel drin aber es geht auch noch viel hinein. Alles ist hier auf Zuwachs eingerichtet, auf Dokumentenzuwachs, den die Träume und Wünsche, die Herzschläge der Zukunft, auch wenn sie noch so brausend waren, in braver Biederheit den Magazinen und Regalen einstmals liefern werden. Hans Bauer.

Mac Mahon und Hindenburg . Eine gesdiichtlicfac Warnung. Di« deutschnationalen Wahlplakat« mit dem Bilde desRetters" Hindenburg , auf denenmehr Macht für den Reichspräsidenten" ge- fordert wird, waren nicht nur als übliche Wahlparole dieser Partei zu werten, die mit stiren Versprechungen an die Wähler so unehrlich ist, daß ihr Tausende den Rücken gekehrt haben. In diesem einen Punkte ist ihre Politik einmal ernst gemeint, wenn sie auch prakttsch aussichtslos ist. Ein« Beschränkung der Regierungsgewalt des Volkes und des. Reichstags nach ihrem Sinn« hätte eine Bewegung herausgeführt, wie sie Deutschland noch nie erlebt hat. Auch Hindenburg wird als Stratege von dem Schicksal seines Kollegen, des besiegten französischen Feldherrn Mac Mahon , wissen, besten Ab- treten als Ministerpräsident vom Parlament erzwungen wurde, als er sich zumPlatzhalter der Monarchie" mißbrauchen ließ. Die Weltgeschichte gefällt sich manchmal in solchen Parallelen, die aber hier nicht dem Zufall zuzuschreiben sind, sondern der Zwangsläufig. keit der Dinge, wenn sie gegen Natur und Volksrecht verstoßen.

Die Arbeiterschaft hat in ihrem Ausstieg sehr häufig Gelegen- heit gehabt, aus der Geschichte zu lernen, ihr« Kampfesort und die Beweiskraft ihrer Schlüsse aus großen Vorbildern zu erhärten, aber nie war sie so unvorsichtig wie ihre Gegner, die aus der Geschichte nicht lernen können und wie ein Mops den Mond anbellen. Zur Aufhellung der Köpfe, die vielleicht begreifen könnten, wel- chenBärendienst" sie ihremRetter" erweisen, sei hier oas Schick- sol des berühmtenKollegen" aufgezeichnet: Die endzüllige Staatsform Frankreichs nach dem Kriege 1870/71 war noch nicht geklärt. Monarchisten und Nationa- listen hatten ihre verschiedenen Thronprätendenten bereit, während die Republik beim Volk immer beliebter wurde. Nachdem der kluge Thiers mit großem Geschick den Krieg liquidiert hatte, erhielt er 1873 von den Monarchisten den bekannten Fußtritt. Ihm folgte durch reine Zufallsmehrheit derRetter" Mac Mahon , der Platzhalter des Thronanwärters Grafen von Chambord. Schon hatten die Monarchisten einen entsprechenden Gesetzentwurf verein- bart, als plötzlich Chambord durch seine Weigerung, die Trikolore, die Farben der Republik , anzunehmen und sich zu Zugeständnissen und Bürgschaften zu verpflichten, alle monarchistischen Projekte zum Scheitern brachte. Bei dieser Lage der Dinge beschloß die Rechte, um wenigstens die konservatio-klerikalen Interessen zu wahren, sich mit den ge- mäßigten Republikanern zu verständigen. Das Ergebnis der Wahlen nach der 1875 beschlossenen Ver- fassung der Republik befriedigte die Rechtsparteien nicht. Es wur- den nur 170 Konservativ«, dagegen 360 Republikaner in die Depu- tiertenkammer gewählt. Um das Ergebnis umzustoßen, drängten die Ratgeber Mac Mahons ihren Präsidenten zu ganz ähnlichen Schritten, wie wir sie heute alskalten Putsch" bezeichnen: Ver- tagung der Kammer auf einen Monat, Auflösung, Verlängerung der Neuwohlsrist. Ausnutzung der gewonnenen Frist zu einem großen Beamtenschub(Wechsel von 45 Präfekten). Auch die Vorbereitung der Neuwahlen unter Einwerfung des Einflusses des Präsidenten wie es auch bei den jetzigen Wahlen in Deutschland geschieht mißbrauchte die überparteilich« Stellung des Staatsoberhauptes. Wir begegnen hier schon der spitzfindigen Behauptung, daß der Präsident berechtigt sei, auch gegen die Mehrheitseiner Ratgeber zu wühlen",seine Politik zu machen",den Untergang des Landes zu verteidigen",die republiqu« revisahle"(d. h. die Republik , die wieder in eine. Monarchie verwandelt werden kann) zu verteidigen. Als die Wahlen aber dann doch gegen ihn ausfielen, versuchte der Präsident einGeschäftsministerium" gegen die Mehrheit zu bilden. Die Kammer weigerte sich, mit diesem Kabinett in Be- ziehung zu treten. Schließlich mußte Mac Mahon nachgeben. Im Jahre 1879 wurden die Ergänzungswahlen für den Senat auch zu einein Siege der republikanischen Mehrheit gewandelt. Die sieg- reiche republikanische Partei verlangte die Entfernung oller Mon- orchisten und Klerikalen aus der Verwaltung und den höheren Justiz- und Armeestellen. Mac Mahon trat ab, weil er die Neu- ernennungen nicht vornehmen wollte. Das war der Erfolg, den die Rechte in Frankreich mit ihrer Taktik erreicht hatte, die schärfste Gegenbewegung der Republik . Derselbe Borgang könnte sich in Deutschland ereignet habet, und hätte zweifellos denselben Endeffekt gezeitigt, wie es die Wahlen bewiesen haben.?tur von den deutfchnationalen Bolksverderbern freilich kann man nicht verlangen, daß sie etwas hinzulernen.

WAS DER TAG BRINGT. miinmimiinimimiminiMimiiuuimmiimmnniiminimminiiminniiinniimiimiiimmiiiinmniiiniiiiimiiiiiinmnminmiiiiiiiiiiiiniiiiiiimiiimimimmiMiiniimiiiiiiiiiiiiiiiiuiin Schiller war es, nicht Goethe! ImTagebuch" schreibt einG oe t h e- K e n n e r": Nicht Koch, sondern Stresemann hat heute über das Schicksal der Deutschen Demokratischen Partei zu entscheiden. Heute! Morgen schon kann der Riß zwischen Demokratie und Volkspartei so groß sein, daß alle Künste Stresemanns vergeblich wären. Er muß es wissen und schnell handeln, der Goethe- Kenner: Was Du von der Sekunde ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit zurück." Scheen! Is aber von Schiller !

Der hat's erfaßt! Siehst Du, darauf kommt es doch an: es wird nicht viel geredet bei den Deuifchnationalen, ober gehandelt!" Na ja. es fragt sich nur: womit!"Wahrer Jakob." Morgans ehrlich verdiente lagesgelder. Es muß doch«in eigenes Gefühl sein für«inen Milliardär. gleich anderen Sterblichen gelegentlich einmal gerade so viel zu verdienen, wie ein Mam, zum Leben nötig hat. Dies beglückende Gefühl ist vor kurzem dem reichsten amerikanischen Bankier Ion Pierpont Morgan zuteil geworden. Er hat einen ganzen Tag wng die Lasten eines Geschworenen tragen, über kleine Diebe und Be- träger von der Höhe seiner Milliarden zu Gericht sitzen müssen. Das erstemal in seinem Leben! Denn gewöhnlich, wenn er gerade an der Reihe war, befand er sich auf unausschiebbaren Reisen oder genoß die Ruhe seines unbelasteten Gewissens. irgendwo in irgendeinem irdischen Paradies. Als er aber die kleinen-Diebe und Betrüger über ihre Lebensmühfale erzählen hört«, die sie zu Ver- brechern gemocht hotten, da fühlte er sich plötzlich auch selbst ganz klein, als einfacher Sterblicher, und, nachdem er seine schwere Tagesarbeit erfüllt hatte, begab er sich zur Gerichtskaif« und erhob die ihm zukommenden 5 Dollar 12 Cents Tagcsgelder. Das war ehrlich verdientes Geld. Ob Ion Pierpom Morgan an diesem Tage fürschuldig" oderunschuldig" gestimmt hat. ob er die kleinen Diebe und Betrüger ins Gefängnis geschickt oder sie der Freiheit zurückgegeben l)at, darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. Mor- gon selbst braucht wederBetrüger" nochDieb" zu sein: er besitzt ja seine Milliarden. Ein Ooldgräherschicksal. Als mehrere Knaben bei D 0 b b i n s in Kalisornie« in einem Flusse badeten, tauchte einer von ihnen auf den Grund. Er stieß dabei mit dem Kopf an einem Gegenstand. Mit Hilf« seiner Käme- raden holte er ihn an die Oberfläche es war ein Eimer, gefüllt mit Goldstaub. Der unleserliche Name eines Goldgräbers stand daran, sowie die Jahreszahl 1868. Der Eimer war mit einer Lehm- fchicht verschlösse� die de» Schatz oerwahrt hatte.-

Welch eine Tragödie sich hier abgespielt hat, kann man an- gesichts der Romantik unglaublicher Goldgröberschicksale nicht er- raten. Was trieb den Goldsucher, seinen Schatz im Flusse zu ver- stecken? War er am VerHungen, zu schwach, ihn noch weiter zu schleppen? Hatte Fortuna ihm nach einem Menschenalter voller Enttäuschungen endlich gelächelt? Und war sein Glück dennoch nur eine Fata Morgans ein grausames Trugbild...? Die Schleier solcher Trgödien werden nie gelüftet.' Romantik der Mochsee. Eine abenteuerliche Seefahrt, deren Wirklichkett die ousschwci- fendste Phantasie in den Schatten stellt, machte die amerikanische Bark«Stcrlin" aus Seattle in den Vereinigte» Staaten die neun Monate von Australien unterwegs war. Dieser schnelle Segler kroch kürzlich mit seiner Weizenhdung in den Londoner Hajen wie ein flügellahmer Adler, der einen Zufluchtsort vor dem Swrine sucht. Don den sechs großen Masten, die unter vollen Segeln derSter- ling" einen malerischen Anblick verliehen, waren drei wie Streich- Hölzer dicht an Deck abgebrochen. Der erste Offizier Mackenzie wurde getötet, als der Sturm am wildesten tobte, und das Schiff war arg mitgenommen, als es ohne«in Segel in die Themsemün- dung einlief. Es verließ Adelaide am 16. April 1927 und geriet in schlechtes Wetter, sobald es tiefes Wasser erreichte. Nachdem es Kap Horn umsegelt hatte, begegnet« es Hunderte von Meilen weit Eisbergen, von denen einer hundert Fuß hoch war.Bei den Falk- land-Infeln war es am schlimmsten," erzählt« der Kapitän.Es herrschte bittere Kälte. Ringsum nichts wie Eisberge. Es ist ein wahres Wunder, daß der Sturm uns nicht zerschmetterte. Der Hauptmast ging zuerst. Spieren und Segel bildeten ein wirres Durcheinander. Mein Maat wurde van einem fallenden Holz er- schlagen. Der Koch war durch Trümmer in seiner Klicke ein­gesperrt. Stundenlang rollten die Wellen über Deck. Dann gao der Besanmast nach. Eine Ewigkeit waren wir den tobenden Ele- menten preisgegeben. Fock- und Toplcgel gingen in Fetzen. Als die Haupilucke eingedrückt wurde, wickelte sich der Matrose Larsen in Stücke der zerrissenen Segel und pflockte sich in die Oefi- nung, wie jener Bursche in Holland , der den Deich stopfte. So hinderte er das Eindringen des Wassers ins Schiff. Der Brot- winncr-Topmast brach, und die Funkantenne verschwand i» den Wogen. Ein Rettungsboot noch dem andern wurde fortgerissen. Endlich hörte der Sturm auf, ebenso plötzlich wie er begonnen, und dieSterlin " trieb tagelang auf dem Meer«. Notfegcl wurden ge- hißt, und schließlich erreichte sie St Thomas in Weftindien. Von dort nahm ein holländischer Schlepper sie nach London Der Jüngste der Besatzung war der Funker Anderson aus Adelaide , der seine erste Seereis« machte. Als der Sturm am wildesten tobte, blieb er treu auf seinem Posten und schickte SOS-Rufe aus, doch erhielt cr teio« Antwort."-->