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Morgenausgabe

Nr. 267

A 137

45.Jahrgang

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Freitag

at sie aus 18. Juni 1928

Vorwärts

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Poincarés Programmrede.

Erst feste Mehrheit, dann Stabilisierung.- Zugeständnisse an das Elsaß  . 190 Vertagung der Amnestiedebatte.o

Paris  , 7. Juni.

In der heutigen Sigung der Rammer hielt zunächst Bouiffon, von der gesamten Linken mit lebhaftem Beifall begrüßt, seine An trittsrede Bouisson bezeichnete seine Wahl als einen Beweis für die Kontinuität der Arbeit bei dem Uebergang von der alten zur neuen Rammer. Am Schluß sprach er über das Elsaß, dessen

Bevölkerung überzeugt sein könne, daß das Parlament ihre Intereffen und Empfindungen stets respektieren würde. Allerdings müßten die Elsässer auch nicht vergessen, daß sie Bürger einer einigen und vor­teilbaren Republik   geworden seien.

Sodann verlas

Poincaré  

die sehr ausführliche Regierungserflärung.

Die Erklärung trägt in ihrer Gesamtheit einen ausgesprochen kennen, daß die Regierung nicht daran denkt, wirklich tiefgreifende

nüchternen und fachlichen Charakter. Indessen läßt sie er­

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Gerichtete Staatsanwälte.

Dienstentlaffung für Kußmann, Verweis für Caspary und

Die Regierungserklärung zur auswärtigen Politik p Nach einem Pariser   WTB.- Bericht hat die Stelle der Programmrede Poincarés über die auswärtige Politik fol­genden Wortlaut:

,, Der Krieg ist vorbei. Wir sind als Sieger, aber

hart mitgenommen daraus hervorgegangen. Nach jedem blutigen Konflikt ist es

Pelter.

In der Disziplinarverhandlung gegen die Staatsanwaltschaftsassessoren Dr. Kußmann, Dr. Caspary und Landgerichtsrat Pelzer ver­kündet der Vorsitzende gegen 6,45 Uhr abends folgendes Urteil: Dr. Caspary und Landgerichts­rat Pelzer erhalten einen Verweis; gegen Dr. Kußmann wird auf Dienstentlassung erkannt.

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hat mit dem Urteil des Disziplinarhofs einen vorläufigen Einer der blamabelsten Standale der Staatsanwaltschaft Abschluß gefunden. Man merkte bereits in den Verhand= Sache der Sieger, den Besiegten die Hand zu reichen, wenn diese bereit sind, ehrlich die Verträge zu beob- lungen, noch stärker in den Anklagereden, am stärksten aber in der Urteilsbegründung das ängstliche Bestreben, a chten und wenn sie nicht die peinliche Erinnerung an die die öffentliche Bedeutung des Standals, seinen Umfang Feindseligkeiten verewigen wollen. Aber außerdem ist es Sache Aber außerdem ist es Sache und seine Hintergründe nach Möglichkeit abzuschwächen. sämtlicher geprüften Völker, der Sieger mie der Besiegte, ia jogar der Neutralen, einzusehen, daß keines von ihnen sich voll kommen wieder erheben fann, wenn nicht alle sich gegenseitig durch eine progressive wirtschaftliche, intellektuelle und moralische Ver­ftändigung helfen. Frankreich   hat feine Gelegenheit vorübergehen Poincaré   hielt es für nötig, gleich am Anfang sein Berlangen lassen, zu zeigen, daß es den gewaltsamen Lösungen die schieds­nach geregelter 3usammenarbeit zwischen Barlament gerichtliche Lösung vorzieht, und daß es außerdem zu jeder und Regierung vorzubringen. Er wünscht, daß ihm die Kammer Annäherung bereit ist, vorausgesetzt, daß tein Hintergedante an getreulich Folge leistet. Die einzelnen Abschnitte seiner Er- eine Revision der Berträge die Rüdkehr zu freundschaftlichen Be­flärung find fast fämtlich von diesem autoritären Geiste erreichen Fragen internationalen Intereffes, die noch auftreten tönnen, füllt. In bezug auf die Behandlung der Beamtenfrage be­merkte Poincaré  , es sei unzulässig, daß Beamte, die dem Staate gegenüber bestimmte Verpflichtungen übernommen hätten, streit ten oder auch nur durch ungeordnete Manifestationen ihre Stellung tompromittieren. Die mit Spannung erwarteten

Reformen vorzunehmen.

Ausführungen über die Währungsfrage

enthielten zunächst einmal eine Mahnung an die Kammer, das Budjenigen, die es selbst übernommen hat, ein und wird sie einhalten get zu bewilligen und nicht sein Gleichgewicht zu zerstören. Wenn

lichen Gefundheit" sprach, die der französischen   Währung zu rückgegeben werden solle, so geschah dies in der von ihm beliebten Weise seiner Anwendung der Sanierung als Locmittel: Erst sagte Poincaré  , er werde stabilisieren, wenn er eine ihm er­gebene Mehrheit habe, dann erklärte er ungefähr, er werde stabili­fieren, wenn die Rammer das Budget nach Wunsch der Regierung erledigt habe. 57115

Die Reformen, die von der Regierung ins Auge gefaßt worden sind, bemegen fich auf steuerpolitischem und sozia= Das Steuersystem soll elastischer gestaltet und den Bedürfnissen des einzelnen mehr angepaßt werden. Die Regierung will bei dem Ausbau des neuen 3olltarifs und der in seiner Folge noch mit fremden Mächten sich anschließenden 3ollab tommen stets die Interessen des französischen   Außenhandels för­dern. Sie will nach Kräften an der Hebung der französischen   Bro­duftion arbeiten. Was endlich die sozialen Reformen" anbetrifft, so versteht die Regierung darunter, abgesehen von dem Gesetze über die Sozialversicherungen, dessen Vollendung nun endlich der neuen Kammer obliegen foll, vor allem die Beseitigung der Wohnungsnot somie umfassende hygienische Maßnahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose usw.

Die außenpolitischen Ausführungen der Regierungs­erklärungen enthalten ein

allgemeines Bekenntnis zum Frieden und zur Annäherung der Völker,

die angesichts der die Menschen einander näher bringenden Fort­

schritte der Technit notwendig sei, ohne daß die Eristenz der einzel­nen Länder deswegen zu verneinen wäre. Die deutsch  - fran= zösischen Beziehungen werden im besonderen nicht berührt, ebenso wenig wurde die Reparationsfrage erwähnt. In innenpolitischer Hinsicht gab der Ministerpräsident die von den Elsässern erbetene Erklärung über die Aufrecht erhaltung der Schulgefeggebung ab und befundete die Absicht der Regierung, die fonfeffionellen Schulen im Elsaß un­bedingt aufrecht zu erhalten.

Die Regierungserklärung fand an einzelnen Stellen lebhaften, aber feinen einheitlichen Beifall. So begrüßte die Linte das Bekenntnis zur Laiengesetzgebung, die Rechte die gegen Revolution und Umsturz gerichteten Stellen.

Im Anschluß an die Erklärung fand eine lebhafte Debatte über den Antrag auf Freilaffung der kommunisti schen Abgeordneten statt.

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Es sprachen der sozialistische. Abg. Vincent- Auriol  , der Kom munist Berthon und der Elsässer Walther für die sofortige Bera­hung der Freilassungsanträge. Als Walther das Wort ergriff, entstand große Unruhe, so daß die Sigung unterbrochen wer den mußte. Nach Wiederaufnahme erklärte Walther, daß über die Tätigkeit der Abgeordneten Dr. Ricklin und Rossé nur in deren Gegenwart verhandelt werden könne. Das gesamte Elsaß erwarte, daß man den vom Schwurgericht Verurteilten dies zu billige, da es einer Tradition der Kammer entspreche. träge der Abgeordneten Walther und Uhry auf kommenden Donners­Die Abstimmung ergab die Bertagung der Erörterung der An­

tag mit 427 gegen 129 Sfimmen.

anderen Wunsch, als in herzlichem Vertrauen die zahl­reichen Fragen internationalen Interesses, die no chauftreten können, zu studieren, sei es im Völkerbund, sei es im Verlauf täglicher Aus. Sprachen zwischen den Regierungen der gesamten Welt. Frankreich  verlangt von niemand etwas, es sei denn die Einhaltung der ihm gegenüber eingegangenen Berpflichtungen. Es hält die­und wünscht, daß man ihm gegenüber sich in gleicher Weise verhält, nichts mehr. Wir haben immer bei allen Gelegenheiten und erst noch jüngst anläßlich der Verhandlungen über die Tangerfrage bewiesen, daß wir zu einer wohlwollenden Prüfung und entgegenkommenden Lösung bereit sind, wenn man von uns nichts verlangt, was unsere Sicherheit oder unser Recht auf Reparationen berührt. Dieser Geist hat die ganze Re­gierung fortwährend beseelt, und in diesem Geist wird fie morgen wie gestern die diplomatischen Probleme, die die an­deren Nationen uns noch unterbreiten förnten, behandeln."

vom

Man merkt es dieser sorgfältig abgewogenen Erklärung an, daß sie das Ergebnis einer gemeinsamen Stili sierung durch Poincaré   und Briand   darstellt. Die schwungvollen allgemeinen Wendungen stammen Außenminister, die juristischen Vorbehalte vom Minister präsidenten. Das Motto der Einhaltung der Verträge" kommt in diesen wenigen Zeilen nicht weniger als dreimal vor. Es hat sogar den Anschein, ols ob die ausdrückliche Zurückweisung Gedankens einer Friedens revision in letter Stunde eingeschaltet wurde, und zwar als Echo auf die Rede Mussolinis.

des

Andererseits beweist gerade die Erwähnung der Neu­regelung der Tanger  - Frage, daß die französische   Regierung einer Nach prüfung bestehender Berträge nicht grundsäglich abgeneigt ist. Bei dieser Gelegenheit hat Boincaré genau die gleiche Formel gebraucht mie schon in seiner Rede von Carcassonne  : vorbehalt­lich der Sicherheit Frankreichs   und seines Rechtes auf Repa­Die Bereitschaft zu Verhandlungen über die fünftigen großen außenpolitischen Probleme ist in der Erklärung ausdrüdlich betont worden. Der nächste Schritt wird darin bestehen müssen, daß man so schnell wie möglich in Deutschland   jene verhandlungsfähige Regierung bildet, die uns seit drei Monaten fehlt.

rationen.

Bruch in Württemberg  .

Die Bürgerblockverhandlungen gescheitert.

Stuttgart  , 7. Juni( Eigenbericht)

Die Verhandlungen der bürgerlichen Parteien Württembergs über die Neubildung einer Regierung find an der Hal­fung der Volkspartei gegen den bisherigen Staatspräsidenten Ba­3ille als Kultusminifter gescheitert. Da die Deutschnationalen daran festhalten, daß der bisherige Staatspräsident wenigstens als Kultusminister erhalten bleibt, besteht vorläufig teine Aussicht, daß die Berhandlungen wieder aufgenommen werden. Es ist nicht aus­geschloffen, daß man jetzt versuchen wird, eine Regierung auf an­derer Basis, als sie anfänglich erstrebt wurde, zustandezubringen. Die für Freitag in Aussicht genommene Wahl des Staats­voraussichtlich nochmals vertagi werden und erft zum Be­präsidenten dürfte in Anbetracht der ungeklärten Verhältnisse

ginn der kommenden Woche stattfinden.

Deshalb beginnt auch ganz im Stil der verurteilten Angeklagten die Urteilsbegründung mit einer ausfallen­den und erregten Polemik gegen die haltlosen" Pressean­griffe. Offenbar ist dem Disziplinarhof ganz aus dem Ge­Dächtnis gekommen, daß überhaupt erst durch die Presse, namentlich durch den ,, Vorwärts", die Verfehlungen des Herrn Kußmann auf gedeckt worden sind, wegen derer iegt seine Dienstentlassung erfolgt ist. Ohne den Borwärts" würde auch heute die Welt noch nichts wissen von jenen Zusammenhängen, die zwischen den Staatsanwäl­ten Kußmann und Pelzer einerseits, dem von den Deutsch­nationalen Leopold und Bacmeister finanzierten Spio­nagebureau Knoll andererseits bestanden haben. Ohne den Vorwärts" wäre bis heutigen Tages nicht bekannt der seltsame Toilettengang des Staatsanwalts Pelzer, der die Aushändigung einer streng geheimen Denkschrift an Knoll ermöglichte. Ohne den Borwärts" wäre nichts be­fannt geworden über die durch Kußmann vermittelte Geld­hergabe an Schlichting zur Beschaffung unsauberen Materials gegen Gevering und vieles andere.

Daß bei der Aufdeckung einer so ängstlich geheim gehaltenen Beziehung wie der zwischen Kußmann und Knoll einzelne unrichtigkeiten unterliefen, ändert nichts an der Tatsache, daß das im Vorwärts" gegebene Bild dieser Beziehungen durch die Disziplinarverhandlung in allen wesentlichen Punkten als richtig erwiesen wurde. Bir möchten einmal umgekehrt an den Disziplinarhof die Frage ftellen, welches Material zur Dienstentlaffung des Herrn Kuß­mann ohne die Aufklärungsarbeit des Borwärts" über­haupt vorhanden gewesen wäre?!

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Freilich geht die Urteilsbegründung, wo sie von den Be­ziehungen zwischen Kußmann und Knoll spricht, ängstlich um den Kern der Sache herum. Sie verurteilt nur, daß Kußmann diese Beziehungen seinen Vorgesetzten ver­ich wiegen hat, zumal es sich um seinen intimen Freund handelte. Daß der Bertrauensmann" der Staatsanwalt­schaft gleichzeitig der Vertrauensmann und Materiallieferant der Deutschnationalen Partei und Presse war, das erscheint dem Disziplinarhof offenbar so unwesentlich, daß er hiervon in den Urteilsgründen gar nicht redet. Uns erscheint dieser Punkt nach wie vor der Kernpunft der ganzen Ange­legenheit. Für uns schafft feine Dialektik die Tatsache aus der Welt, daß die schuldigen Staatsanwälte im Fall Barmat ihre Tätigkeit nicht im Dienste des Rechts, sondern im Dienste der deutsch   nationalen Heypropaganda gegen die Sozialdemokratie ausgeübt haben. Wenn der Vertreter der Anklage, Oberstaatsanwalt Dr. Schönfeld, als ſeinen Eindruck bezeichnete, daß ,, nicht so sehr Knoll Hilfs­arbeiter der Staatsanwälte, als vielmehr die Staatsan= wälte die Hilfsarbeiter Knolls gewesen seien", so trifft diese Bemerkung ins Schwarze.

Kußmann ist nun allerdings erledigt. Für diesen ehe­maligen Schüßling rührt sich selbst im deutschnationalen Lager faum noch eine Hand. Wobei übrigens daran erinnert wer­den soll, daß es ehemals nicht nur die deutschnationale, son­dern ganz hervorragend auch die kommunistische Presse war, die sich schützend vor Kußmann stellte und den Vorwärts" wegen seiner Enthüllungstätigkeit in allen Tonarten anpöbelte. Welch Glück für die ,, Rote Fahne" und Welt am Abend", daß ihre Leser ein so furzes Gedächt­nis haben!

Pelzer und Cafpary dagegen sind sehr, sehr milde davongekommen. Herrn Caspary mag zugestanden werden, daß er dem strupellosen Größenwahn eines Kußmann innerlich erlegen ist. Immerhin: ein Assessor, der sich unter dem alten System derartige Dreiftigkeiten gegen sein Mini­fterium herausgenommen hätte, wäre glatt geschwenkt worden!

Beit ernster aber als der Fall dieses überheblichen jungen Mannes liegt der des an Dienstjahren viel älteren Staats­Wie er dort sich als Vertreter der forrekteften Korrektheit anwaltschaftsrats Pelzer. Es darf nicht vergessen werden, welche Rolle Pelzer im Fall Höfle gespielt hat. geriert, wegen eines formalen Versehens sofort mit einer