Demokratie hilf! <kin offizieller Notruf aus der Gowjet-Llmon. In der„Prawda" vom 3. Juni erschien, wie wir schon kurz mitteilten, ein über zwei Spalten langer Aufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Par- t e i Rußlands , der im Zusammenhang mit dem Kurs- Wechsel und den Korruptionsskandalen der letzten Zeit darauf schließen läßt, daß sich der Staats- und Parteiapparat in einer Krisis befindet. Inhaltlich besagt der Aufruf: Der wirtschaftliche Aufbau habe zwar große Fortschritte gemacht und die Landwirtschaft sei auf dem Wege zur Modernisierung, aber diesem Aufstieg setze sich nicht nur der internationale Kapitalismus und der Kulak entgegen, der schlimmste Feind sei der Bureaukratismus des Staatsapparates, feine Schwerfälligkeit, seine Rückständigkeit und seine empörende Langsamkeit,— das Erbe der alten Beamtenwirtschaft und die Folge der Unkultur der Massen. Die Arbeiterklasse stoße auf die zersetzten Glieder eines Staatsapparates, der zum Teil verrostet und verfault sei. Selbst in den Ge- werkschasten uhb in der Partei treffe man Fäulnis, De- amtenentartung, Zügellosigkeit, Trunksucht, böswillige Miß- achtung der Bedürfnisse der Volksmasien, eitle Liebedienerei den Spitzen gegenüber, Unwissenheit, Konservativismus und leere Routine an. Es sei kein Wunder, daß mit einem solchen Apparat ein erfolgreicher Kampf gegen den inneren Feind, gegen die Unterhöhlung durch die Schädling« und gegen die Mängel der Arbeiterklasse selbst nicht geführt werden könne. Als wichtigste Aufgabe wird demgegenüber die schöpferische Kritik von unten bezeichnet. Rur eine s y st e- matisch durchgeführte Demokratisierung der Partei und der Gewerkschaften, eine tatsächliche Wählbarkeit der Partei- und Gewerkschaftsorgane, die Möglichkeit, jeden Sekretär und jedes Bureau zu stürzen, könne dem bureaukratischen Druck, der Kompagnie- w i r t s ch a f t, der Beamtenlobhudelei, der Willkür, der spieß- bürgerlichen Selbstgefälligkeit und der Mißachtung der Inter - essen der Massen ein Ende machen. An positiven Forderungen für die Partei nennt der Aufruf: Freiheit der Kritik, freie Wahl der Parteiinterefien, größere Berantwortlichkeit der kommunistischen Führer und Beamten bei Verfehlungen strafrechtlicher und anderer Art, Erhöhung der Arbeitsleistung. Zur Reform der Gewerkschaften wird Haupt- sächlich verlangt: schärfster Kampf gegen die Verletzung der Gewerkschaftsdemokratie, Wählbarkeit der leitenden Organe, Entfernung aller bureaukratischen Elemente, die die Fühlung mit den Massen verloren haben, Trennung der Aufgaben der Gewerkschaftsorgane von denen der Wirtschaftsorgane. Hinsichtlich des Sowjetapparates heißt es, der Kampf müsse in erster Linie der Bureaukratie gelten, eine Vereinfachung des Veamtenapparates sei notwendig. Das Auffallende an diesen Forderungen ist. daß sie sich auf Dinge beziehen, die den Werktätigen Rußlands und den Mitgliedern der Kommunistischen Partei durch Gesetz und Statut garantiert sind. Der Aufruf ist das offizielle Eingeständnis, daß alle diese Gesetze nur auf dem Papier stehen und daß sich der heutige Staatsapparat Rußlands in nichts von dem des Zaren unterscheidet. Es ist das Eingeständnis dafür, daß der russische Arbeiter heute genau so unter derKnute steht wie in den Zarenzeiten, mit dem einen Unterschied, daß diese Knute heute den „Bürger" ebenso hart trifft wie den Arbeiter. Wenn der Aufruf diesen Mißständen gegenüber in den Verzweiflungsruf mündet: Demokratie hilf!, so ist das über die anderen Eingeständnisse hinaus das Ein- geständnis des Bankrotts der diktatorischen Methoden. Eine andere Frage ist es allerdings, ob dieser Notruf auch ehrlich gemeint ist. Wie war es doch, als die T r o tz k i, S i n o w j e w und Rädel diese Demokratie innerhalb der proletarischen, der kommunistischen Bewegung für sich in Anspruch nahmen? Die Knute des Zaren war die Antwort! Konsumvereinswahlen in Giuiigari. Stuttgart , 7. Jmn.(Eigenbericht.) Die Bertreterwahlen des Stuttgarter Konsumver- «ins hatten falzendes Ergebnis:
Gültig abgestimmt Davon entfallen auf Liste 1:(Soz.). Liste 2:(Neutral) Liste 3:(Komm.).
4!05 1693 1689
Vor drei Iahren 3492 1437 1467 639
Die Liste t konnte also die absolut« Mehrheit aller Stimmen auf sich vereinigen. Von den 388 Dertretersitzen werd«n auf die Liste 1 voraussichtlich etwa 213, aus die beiden anderen 88 und 87 entfallen._ Die Westgemeinden protestieren. Vor einiger Zeit ist dem Preußischen Landgemeindetag West (Sitz Münster i. W.) die Geschäftsführung des Deutschen Land- gemeindetag« zuaunsten reaktionärer Größen abgejagt worden. Die Tagung des Westverbandes in Münster , die von weit über 1669 Haupt- und ehrenamtlichen Gemcindevertretern besucht war, hat zu' diesen Vorgängen einstimmig folgende Entschließung gefaßt: Die Geschäftsführung de» Deutschen Landgemeindetage» ist sechs Jahre lang durch den Preußischen Landgemeindetag West in anerkannt einwandfreier Weise geführt worden. Gegen die Art und Weise, wie die Entziehung der Geschäft« gegen- über dem Westoerband erfolgt ist, legen wir Protest ein. Die Folgerungen daraus zu ziehen, behalten wir uns vor. Die jetzige Regelung der Geschäftsführung de« Deutschen Landgemetnedwg« gibt uns zu schwer st«n Bedenken Anlaß. Theater des Westens . „Was ist denn nur mit Balduin?"' Ein neue« Max-Adalbert -Stück. Verfasser Walde» mar Frant«. Altmodische Schwanktechnik. Dementsprechend- Regie. Kern des Ulks: Van de Veldes berühmte Erotisterung der Ehe. Ssdflsb-st« unverwüstlich« Mundo krobatik entfesselt Lachstürme. ' tv,
Abschiedsparade.
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/rMeine Herren, ich dante Ihnen für die Wahlhilfe.- Weggetreten!!" Lngenögender St. Solchard-Abschluß. platonische Rüge für Llngarn.— Lteber Italiens Rolle wird geschwiegen.
Genf . 7. Juni. (Eigenbericht.) Mit zwei Resolutionen beerdigte der Lölkerbundsrat am Donnerstag die St.- Gotthard-Angelegenheit, zu- gleich aber auch die Hoffnung der internationalen Arbeiterschaft, daß der Angelegenheit völlig auf den Grund gegangen werde. Die erste Resolution, die sich mit der St.Äotthard-Angelegen- heit im engeren Sinne besaht, spricht Ungarn die Mißbilligung he» Rate» au». weil es die St.-Gotthord-Angelegenhcit einzig und ollein noch den geltenden Eisenbahnregeln, ohne sich um die Adressaten des Kriegsmaterials zu kümmern, erledigt Hobe. Der Rot bedauert, daß der Adressat des Kriegsmaterials nicht mehr festgestellt werden kann und erinnert daran, daß jedes Ratsmitglied das Recht Hab«, ein außerordentliches Zusammen- treten des Rates zu verlangen. Der Rat macht außerdem aus die Wichtigkeit einer Kontrolle de» Waffenhandels aufmerksam. Die andere Resolution, die dazu bestimmt ist, in ähnlichen Fällen ein schnellere» Arbelten de« Rot » zu ermöglichen, gibt dem Dölterbundssekretär da» Recht, im Falle der Notwendigkeit allen Beteiligten einen dringenden Wunsch des Rats auszusprechen, und zwar wünscht der Rat, daß diese Länder alle notwendigen und nützlichen Maßnohmen ergreifen, um«ine Gefährdung der Untersuchung oder der Regelung der be- treffenden Frage durch den Rat zu verhindern. Es wäre falsch, in den beiden Resolutionen das einzige Grabgeläute der St.-Gotthard-Asfäre zu sehen. Es gehören dazu auch die sehr scharfen unzufriedenen Reden gegen da» Uniersuchungs- ergebnis. die die Vertreter der kleinen Entente und Paul Bon- cour zur Beruhigung ihrer heimischen Bevölkerung in der öfsent- lichen Sitzung hielten. Es gehören dazu auch die Abweisungen, die Chamberlain und».Schubert den Andeutungen Bon- cours, daß man nunmehr bei ähnlichen Fällen zum Jnvesti- gationsverfahren zurückgreisen müsse, erteilten. Ungarn begnügt« sich mit der Bemerkung, daß in dem Bericht de» Dreier- tomttees alle» stünde, was es zu sagen hätte, und daß es im übrigen als NIchtratsmltglied nicht verpflichtet fei, für die Reso- lution zu stimmen, die ihm«inen sanften Backenstreich gibt, lllalien schwieg. So berechtigt die Kritik der Bertreter der Kleinen Entente am Unterslichungskomitee, so berechtigt der Spott Boncours über die formol-Iuristischsn Ergebnisse der Untersuchung waren, so wenig waren sie dennoch geeignet, zufriedenzustellen: denn bei aller Kritik und bei aller Auszählung von anfechtbaren Einzelheiten im Bericht des Dreierkomitees schwieg man stch hartnäckig über die Feststellung au», daß die fünf Waggon» in B e r o n a ihre Frachtbriefe erhalten hotten, in Verona plombiert worden wären und ein Teil der Kisten italienische» Fabrikat war. Die Andeutungen, daß Ungarn doch der Empfänger de» Kriegsmate- rials gewesen sei. au« der Zusammensetzung der Ladung der fünf Waggons und aus der Richternntllung des Adressaten zu ton- strmeren, hätten erst dann zu einem wuchtigen Vorwurf gemacht werden können, wenn«in Ratsmitglied gewagt hätte, darauf hinzuweisen, daß die italienische Regierung, die hauplaktionär an der als Absender in 5rage kommenden wassenfabrik la Verona ist. über den Adressaten genau Bescheid wissen muß. Schuberts Verwahrung gegen Soncours Verallgemeinerungen. Gens. 7. Juni. (Eigenbericht.) Die Sprecher der Kleinen Entente und der Sprecher Frankretch» bemühte» sich am Donnerstag in ihren Reden, au* der St. Begründung ihrer Ab
neigung gegen eine sofortig« Abrüstung zu kon- struieren. Paul Boncour erklärte, daß nach der Entwicklung dieser Affäre die Abrüstung erst beginnen könne, wenn Garan- t i e n für ein wirksame», sofort eingesetzte« Jnoestigations- verfahren gegeben seien. Der deutsch « Staatssekretär von Schubert erwidert« auf diesen Paffu, der Boneourschen Rede: „Die teilweise Ergebnislosigkeit unseres Enquete- j Verfahrens in diesem Einzelsall ist noch kein Grund, die Tauglichkeit de» Verfahren« selbst zu bezweifeln. Der Bertreter 11 Frankreich« Hot das Thema der vorliegenden Resolutionen in einen bestimmten Zusammenhang mit der Frage der Abrüstung gebrocht und dabei insbesondere die Garantie eines ivirffames Jnvestiga- tionsversahrens zu einer der Boraussetzungen der Ab- rüstung gemacht. Wenn in dieser Hinsicht wirtlich eine Abhängig- keit de» einen Problems von dem anderen besteht, so ist die Frage ja vollkommen geklärt, da kein Zweifel darüber besteht, daß da» Jnoestigotionsverfahren geregelt ist und daß diese Regeln in Kraft sind. In dieser Hinsicht irgendwelche gegenteilige Folge- rungen aus dem isolierten Fall St. Gotthard zu ziehen, scheint nicht die Ansicht Herrn Paul Boncour« zu sein. J-denfoll» kann aus dem Vorfall von St. Gotthard kein Moment hergeleitet wer- den, das als Behinderung des endlichen Beginns der allge- meinen Abrüstung bewertet werden dürfte.
Moskauer Prozeßbarbarei. Zvölfstvndentag am Schachty-Sericht. ZNo»kau, 7. Juni. Die Angeklagten im Schachty -Prozeß. die in den letzten drei Tage« bis'AS Ahr schlafen durften, müssen jetzt wiedrr um 5 Uhr ftüh«msskcheu und 12 Stunden hindurch mit einer zwei- stündtgen Unterbrechung den enormen physische« und geistigen An- strengungen de» Prozesse, standhalten.
probeangriff in Peking . Japanisches Unternehmen— chinesischer und amerikanischer Protest. Peking . 7. Juni. Am Mittwoch führte das im Diplomatenviertel gelegene japa- nische Bataillon«inen Probeangriff in der belobtesten Straß« Pekings, Thatomen, aus. Mit oufgepftanztem Bajonett stürmte die japanische Infanterie Straßenbahnwagen und Auto- mobile. In kürzester Zeit war die Straße geräumt, die Läden ge- schlössen. Gleichzeitig manöverierten japanische Flugzeuge über der Straß«. General Pen erhob Einspruch gegen derartig« Ma- nöoer und wies darauf hin, daß sie das friedliche Leben stören und unnötig« Panik hervorrufen. Desgleichen legte auch der nvrdomerikanifche Gesandte dagegen Einspruch beim japanischen Oberkommando ein. Ob Tschangtsolln lebt oder tot ist, weiß man noch immer nicht: die japanische Herrschaft in der Mandschurei läßt Klarheit nicht zu.
Die Rede Venesch» hat in ihrer stark gekürzten Wiedoraqbo den falschen Eindruck erweckt, al» hätte er die Notwendigkeit, die Landesverteidigung aufrechtzuerhalten, gegen Deutschland betont. Er hat das nur gegen Ungarn getan: wir haben deshalb keinen Anlaß, dies« Rod« abfällig zu beurteilen. vor dem Schösseugericht in Hannover wuch« heut« der frühere Generalsekretär der Deutschnationalen Volkspartei Erich Hensell in Hannover wegen Beleidigung der Republik und de» früheren Reichsnünister» des Aeußern Rathenau in drei Fällen zu einer Gesängniistrafe von fünf Monaten verurteilt. ibgeordneter olden- verzichtet,