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Morgenausgabe dann 19

Nr. 269

A 138

45.Jahrgang

Böchentlich 85 Pig., monatlich 3,60 m. im voraus zahlbar, Postbezug 4,32 m. einschl. Bestellgeld, Auslandsabonne ment 6,- M. pro Monat.

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Der Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend", Illuftrierte Beilagen Bolk und Zeit und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Wissen"," Frauen Stimme"," Technif", Blid in die Bücherwelt" und Jugend- Borwärts".

Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Sonnabend

9. Juni 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die ein ipatige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Retlamezeile 5.- Reichs­mart Aleine Anzeigen" das fettge­orudte Mort 25 Pfennig( zuläffig awei fettgebrudte Worte), jebes meitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Bfennig, tebes weitere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmart! Belle 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Beile 40 Pfennig. Anzeigen. annahme im Hauptgeschäft Linden. ftraße 3, wochentägl. von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstraße 3 Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin  

Rechtsblock trotz Bolfsentscheid!

Schwabenstreiche des Zentrums.- Bazille macht Kultus!

Stuffgarf, 8. Juni.  ( Eigenbericht.)

Der Württembergische Landtag   wählte am Freitag nachmittag entgegen den anfänglichen Erwartungen den bisherigen Innenminister Bolz( 3.) zum Staatspräsidenten Don Württemberg. Vor der Wahl gab im Namen der sozialdemokrati schen Fraktion deren Vorsitzender, Abgeordneter Ulrich, folgende Erklärung ab:

,, Die Landtagswahl vom 20. Mai bedeutet eine Ber. trauensfundgebung für die Sozialdemokra. tische Partei und eine Niederlage der seitherigen Regierungs­toalition. Die sozialdemokratische Fraktion als die stärkste des neuen Landtages hat daher die Bildung einer Regierung ge fordert, in der sie gemäß dem Willen und den Erwartungen des württembergischen Boltes nach ihrer Stärke vertreten sein würde. Die 3entrumspartei, mit der die Sozialdemokratie zu diesem Zwecke in Verbindung getreten ist, hat nach 14tägiger Frist turz vor Beginn der heutigen Sigung mitgeteilt, daß fie im Zusammenwirten mit Bürgerpartei und Bauernbund eine der rungsbildung vorzunehmen beschlossen habe und die Wahl des späteren Erweiterung durch andere Parteien zugängliche Regies Herrn Bolz zum Staatspräsidenten vorschlage.

nehme. Das Zentrum habe dieses Amt nicht erstrebt, und er hoffe, es bald an einen anderen abtreten zu können. Er lade alle Kreise des Landtages zur Mitarbeit ein und werde bemüht sein, ruhig und fachlich zu arbeiten, um eine Berschärfung der Parteigegenfäße zu vermeiden.( Buruf des Abg. Keil: Eine größere Berscharfung der Parteigegenfäße ist gar nicht bentbar!") Sodann teilte Bolz die neue Minifterlifte mit. Er werde das Minifterium des Innern übernehmen, sein Sentrums­follege Beyerle das Juftig und Wirtschaftsministerium, der Deutschnationale Deblinger das Finanzministerium und der Deutschnationale Bazille das Kultusministerium. Die Nennung des Namens Bazille rief einen Entrüftungssturm hervor, wie er wohl selten im Württembergischen Landtag zu hören war und löste sofort

zwei Mißtrauensanträge

aus. Der sozialdemokratische Antrag lautet: Die Re­gierung befißt nicht das Vertrauen des Landtages." Er wurde mit 40 Nein- Stimmen( Bentrum, Deutschnationale, Bauernbund, traten, Demokraten, Kommunisten) bei vier Enthaltungen( Deutsche Christlicher Boltsdienst) gegen 36 Ja- Stimmen( Sozialdemo: Boltspartei) abgelehnt. Der demokratische Antrag lautete: ,, Der Kultusminister Bazille hat nicht das Vertrauen des Land­tages. Für diesen Antrag stimmten 40 Abgeordnete, und zwar die ganze Linte einschließlich der Deutschen Volkspartei  . Dagegen stimmten 39 Abgeordnete von der Rechten, vom Zentrum und vom Chriftlichen Volksdienst, während sich ein Abgeordneter dieser letzteren Gruppe der Stimme enthielt. Da Ent­haltung als Nein zählt, war der Antrag mit Stimmengleichheit ab­gelehnt.

Bostichedkonto: Berlin   37536.

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Banktonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Distonto- Gesellschaft, Depofitentasse Lindenstr. 8

Parlament, wehre dich!

Landtagseröffnung mit Prügel und Radau.

In der gestrigen Eröffnungssigung des neugewählten Preußischen Landtags haben sich widerwärtige und beschämende Szenen abgespielt, die sich im Interesse des Ansehens der parlamentarischen Demokratie auf keinen Fall wiederholen dürfen.

der Welt seit jeher Sitte, daß die erste Sigung vom ältesten Zunächst eine Bemerkung: es ist in allen Barlamenten Mitglied eröffnet und geleitet wird, bis der vom Hause gewählte reguläre Präsident fein Amt antritt. Bisher galt das als eine Selbstverständlichkeit. Seitdem es aber Parteien im Parlament gibt, die das Rowdytum für eine be­sondere Tugend halten, muß man sich fragen, ob man an dieser Einrichtung des Alterspräsidenten   länger festhalten soll: denn sie wirkt sich als eine Art Brämie für Rüpel aus, die die Schwäche und Hilflosigkeit eines achtzigjährigen Greises mißbrauchen, um im Barlamentssaal die tollsten Exzesse aufzuführen.

Schon während der Rede des 84 jährigen Posa­domsty, die doch wahrhaftig feiner Partei mehetun fonnte, gefielen sich einige Kommunisten darin, mit finnlosen ber bereits vom früheren Landtag her sattsam bekannte Rom­Zwischenrufen und Gebrüll die Stimme des Alten zu über­tönen. Besonders tat sich dabei, neben einigen Neulingen, munist Kasper hervor. Wenn ihn schon die fast fünfzig Jahre Altersunterschied, die ihn von Bosadowsky trennen, nicht hemmten, so hätte er sich doch durch die frühere ge­meinsame Richtungszugehörigfeit zu einer anständigen Tonart bewegen laffen follen: zu einer Zeit, in der Bosadowsky noch deutschnationaler Abgeord­neter war, gehörte nämlich besagter Rasper dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenver­band an. Aber offenbar will Kasper durch besonders brutales Benehmen seine politischen Anfänge vergessen lassen. Nach diesem verheißungsvollen Auftakt gab es sogleich

Die fozialdemokratische Fraktion erblidt in diesem Beschluß eine Mihachtung des durch das Wahlergebnis zum Ausdrud gefommenen Bolkswillens, für deren Auswirkungen das Zen­trum die Verantwortung vor dem Volfe zu tragen hat. Unter erneuter Betonung ihrer Bereitwilligkeit zur verantwort lichen Mitarbeit schlägt die sozialdemokratische Frattion ihrerseits für das Amt des Staatspräsidenten den Abgeordneten e il por. Bon den 80 abgegebenen Stimmzetteln entfielen auf den bis herigen Innenminister Bolz( 3.) 39 Stimmen, Keil( S03.). 22, Schred( Komin.) 6, Ströbel( Bauernbund) 1, während 12 3ettel unbeschrieben und mithin ungültig waren. Bolz hatte die Mehr­het ter gültigen Stimmen erhalten. Er wurde mit den Stim.rung das Bertrauen des Landtages besitzen muß, tatsächlich nicht eine unerhörte Steigerung. Die Kommunisten beantragten

men der Deutschnationalen, des Bauernbundes, des Zentrums und des Christlichen Volksdiensies gewählt

Bol nahm nach erfolgter Wahl sofort das Wort zu einer Erklärung, deren einzelne Säge von stürmischen Protest. rufen aus den Parteien der Linken begleitet wurden. Er sagte, daß er das Amt einem politischen Gebot folgend an

Ruhe im besetzten Defing.

Weitere Todesopfer des Attentats von Mukden  . Peting, 8. Juni. Die füdchinesischen Truppen haben morgens 10 Uhr in voller Ruhe und Ordnung Peting in Befih genommen.

London  , 8. Juni.  ( Eigenbericht.)

Eine Meldung aus Peking   besagt, daß mehrere tausend Mann von der Kuomintschun- Armee des Generals Feng Yu Hsiang den südlichen Teil Betings besetzt haben. In der Stadt ist Kriegszustand, verkündet. Durch den Uebergang Befings an die Südarmee ist bisher eine Störung nicht eingetreten. Ein offizielles Telegramm aus Muf den besagt, daß Wutschun­fcheng, der Gouverneur der Provinz Hei Lung Kiang, und Mote Hu, ein früherer Zivilgouverneur Tschangtfolins, an den Folgen ihrer beim Bombenattentat erlittenen Wunden gestorben sind. Die Meldung enthält eigentümlicherweise nichts über das Befinden Tschangtfolins.

Auslegung des Schachty  - Prozesses.

Die Erfiärung Kalinins.

Mostau, 8. Juni 1928.

Der demokratische Abgeordnete Scheef stellte zutreffend fest, daß die Forderung der Verfassung, wonach die Regie­

sei. Da nur 39 Stimmen gegen das Mißtrauensvotum abgegeben worden feien, stehe vielmehr fest, daß Bazille das Ber: trauen des Landtages nicht befize. Mit dieser Feststellung ging

man auseinander.

Am Dienstag, dem 19. Juni, wird der Lanidag eine Erklärung der neuen Regierung entgegenehmen.

30 bel und Brohn, die auf Grund eines Reichsgerichts­urteils Festungsstrafen in Gollnow   verbüßen. Alle Parteien waren vorher unterrichtet, die sofortige Besprechung und Annahme des Antrages war eine Selbstverständlichkeit. Nach der Geschäftsordnung genügt allerdings der Wider­spruch eines einzigen Abgeordneten, um zu verhindern, daß ein nicht auf der Tagesordnung befindlicher Antrag sofort beraten werde. Kein Deutschnationaler, fein Nationalsozialist widersprach. Da erhob sich plöglich und unerwartet von der hintersten Reihe der Rechten ein einzelner Widerspruch. Es war, wie man später erfuhr, der etwa acht Jahren schon die Deffentlichkeit beschäftigt hat, als er, damals Ministerialrat im Reichsarbeitsministerium, den damaligen preußischen Landwirtschaftsminister, Genossen Otto Braun  , verleumdete.

tigen Absichten befaffen könne. Falls gegen deutsche Ingenieure und Industrielle ein Verdacht bestünde, so würde die Sowjetunion   die Frage ihrer Heranziehung zur Mitarbeit revidieren. Indes arbeite jetzt in der Sowjetunion   eine beträchtliche Anzahl deutscher  Technifer und Ingenieure, auf die der Prozeß nicht den gechriftlich- nationale" Bauernabgeordnete Bonfid, der vor ringsten Schatten werfe. Der Oberste Gerichtshof   werde die Angelegenheit gerecht prüfen und sich durch keinerlei politische Mo tive leiten laffen, sondern lediglich durch das Sowjetrecht. Würden sich die Deutschen   als schuldig erweisen, so würden sie wie jeder An­geklagte nach dem entsprechenden Gesetzesparagraphen verurteilt werden. Ich glaube," sagte Kalinin  , wenn der Prozeß zu Ende ist, wird die deutsche öffentliche Meinung einsehen, daß mit der Belangung der Deutschen   keinerlei politische Zwecke verfolgt werden, und daß ihre Belangung unvermeidlich war. Durch die Ge­richtsverhandlung wird der Zwischenfall erledigt werden."

Parlamentsfrach in Belgrad  .

Gieben Oppofitionelle ausgeschloffen.

Belgrad  , 8. Junt.

Dieser Widerspruch war eine sinnlose Gehässig= feit. Praktisch wurde dadurch zwar nur eine Verzögerung von nicht einmal 24 Stunden erreicht. Politisch betrachtet, war diese Demonstration eines Außenseiters eine Verlegung der elementarsten Anstandspflicht und obendrein eine Heraus­forderung des gesamten Landtages, nicht nur etwa der Kommunisten allein.

Nun spielte sich eine efelhafte Szene ab: während ein Teil der Kommunisten die wildesten Schimpfworte ausstieß, denen der Alterspräsident hilflos gegenüberstand, begaben sich etwa 12 bis 15 von ihnen unter Führung eines Jünglings in Rot- Front- Uniform langfam, ohne eine Spur von äußerer Erregung, nach der rechten Seite des Hauses. Dann stürzten fich pier oder fünf Mann auf Bonfid und schlugen abwechselnd mit Fäusten auf ihn ein, bis er schließlich stark blutend verschwand. An fich war das feine Helbentat: die Kom­munisten hatten Bonfid, als er zur allgemeinen Berblüffung seinen Widerspruch erhob, u. a. Feiger Hund!" zugerufen. Aber ist es ein Beweis der eigenen Tapferfeit, wenn man zu fünf Mann, mit zehn weiteren Freunden als Rückendeckung, über einen einzelnen herfällt?

"

Jsweftija" veröffentlicht den ausführlichen Tegt der Erklärung Kalinins auf dem Kongreß der Kollektiowirtschaftsbetriebe über die Beziehungen zwischen der Sowjetunion   und Deutschland   im Zusam. menhang mit dem Schachty  - Prozeß. Kalinin   betonte, diese Bezie­hungen könnten durch Einzelfälle wie Berhaftungen von Staats: bürgern eines der beiden Länder eine Aenderung nicht erfahren. Er amei vom Ausschluß Bedrohten das Wort. Beide erklärten, daß fie der eigenen Freunde und Nachbarn des Angegriffenen: da

wies die Vermutungen als ungeheuerlich zurück, die Sowjet regierung habe die Beschuldigung Deutscher   fünstlich konstruiert, und erklärte unter Hinweis auf die zehnjährige Politik der Sowjetunion  gegenüber Deutschland  , es gebe nicht die geringste Beranlassung zu Ferartigen Bermutungen. Es würden drei Personen gerichtlich be langt, gegen die fonfrete Beweise vorlägen, obwohl gegen eine größere Anzahl Personen Indizien vorhanden seien. Die Beziehun gen zu Deutschland   müßten fich durch diesen Prozeß nicht nur nicht verschlechtern, sondern verbessern. Auch die Behauptungen, die Sowjetunion   wolle durch den Prozeß die deutsche   Industrie und die deutschen   Firmen tompromittieren, wies Ralinin mit aller Ent­schiedenheit zurüd. In der Sowjetunion   werde vielmehr, wie Aus­jagen von Sowjetführern ergeben, die deutsche Industrie. Die eine Schädigungsarbeit nicht beabsichtige, hoch geschätzt. Es werde nicht ge glaubt, daß der führende Teil der Industriellen sich mit derar

Für die heutige Sigung der Stupschtina waren in und vor dem Haus besondere Sicherheitsmaßnahmen getroffen. um Demon­ftrationen au verhindern. Gleich nach Verlesung des Protokolls provozierte die Opposition eine längere Debatte über das Protokoll. Hierauf beantragte der Präsident, daß sieben Abgeordnete der Oppofition wegen ihres Verhaltens in der letzten Sigung für je drei Sigungen ausgeschlossen werden. Die Opposition nahm diefen Antrag mit stürmischem Protest auf. Der Präsident erteilte sich dem Beschluß der Mehrheit nicht unterwerfen würden, weil diefe Mehrheit von der Polizei und nicht vom Bolle gewählt worden sei. Sie würden nur der Gewalt weichen. Das Haus beschloß mit großer Mehrheit, diese Abgeordneten, Anhänger der Rabitsch- Bribischewitsch- Bartei, auch zwei serbische Agrarier, für je drei Sigungen auszuschließen. Sofort danach schloß der Bor­le drei Sigungen auszuschließen. Sofort danach schloß der Vor­figende die Sihung.

Bei dem Attentat auf Premierminister Tanaka follen Abg. Mat. fumura durch Dolchstich ins Bein und ein Geheimbeamter leicht ver­legt worden sein, als sie den Täter zu überwältigen suchten.

Ein Beto des Präsidenten Coolidge   hat das Zuftanbekommen eines Gefeßes verhindert, wodurch die während des Krieges errichtete große Nitrogen fabrit am Muscle Shoals   Staudamm des Tennessee  - Flusses in staatlichen Betrieb genommen werden sollte.

fein

Noch auffallender war aber das Berhalten ftanden oder faßen sie, zum Teil mit Stahlhelmabzeichen ge= schmückt, diese Frontsoldaten" in unmittelbarer Nähe, aber fein Bauernabgeordneter, tein Deutschnationaler, Völkischer rührte sich, um den Einzigen zu schüßen oder auch nur um auf die Kommunisten beruhigend zu wirken. Mit schlotternder Angst betrachteten diese schwarz- weiß- roten Helden die ganze Szene, die mindestens zwei Minuten dauerte! Später allerdings, als der Berletzte mit verbun­denem Kopfe in den Saal zurückkehrte, da drängten sie sich um ihn und schüttelten ihm solidarisch die Hand. Bfui Teufel! Der Herr Bonfid tann nach seinem provokatorischen Ber­Mitleid beanspruchen. Eine ganz halten feinerlei andere Frage ist aber die, ob das Fauftrecht mit der verstärkten kommunistischen   Fraktion feinen Einzug ins Barlament halten darf. Der Herr