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Beilage

Mittwoch, 20. Juni 1928.

A0/ 10 98.199 99 Der Abend

Was wir im Ausland sahen

Eine Studienfahrt Berliner   Gemeindearbeiter.

Am Tage der Reichstagswahl nachmittags verließen zwölf frei| gewerkschaftlich organisierte Berliner   Gemeinde- und Staatsarbeiter die Reichshauptstadt, um nach der Tschechoslowakei  , Ungarn   und Desterreich zu fahren. Ihre Aufgabe war, die Lage der arbeitenden Bevölkerung dieser durch die Friedensverträge von St. Germain und Trianon geschaffenen selbständigen Staaten zu studieren, und ihr besonderes Augenmerk auf die kommunalen und staatlichen Betriebe und Einrichtungen zu richten. Im besonderen kam es darauf an, genügend Material für eine gute Berichterstattung zu sammeln, um so das Bildungs- und Versammlungswesen des Verbandes zu be­leben und zu vertiefen und um die Betriebsräte zu befähigen, ihre Betriebseinrichtungen mit denen ausländischer städtischer und staat­licher Betriebe zu vergleichen. Zu gleicher Zeit aber auch sollten brüderliche Beziehungen mit den in Frage fommenden Arbeitern und ihren Organisationen angeknüpft und, wo sie schon bestanden, besonders gefestigt werden.

Für die ganze Reise waren 14 Tage vorgesehen, so daß zu einem längeren Aufenthalt an einem Ort nicht allzuviel Zeit ver­blieb. In der Hauptstadt der tschechoslowakischen Republik wurde die Delegation vom Kollegen Ksandr vom tschechischen Gemeinde­und Staatsarbeiterverband begrüßt. Die Stadtverwaltung von Prag   hatte, einem Antrage der tschechischen Kollegen folgend, genügend Autos zur Verfügung gestellt, so daß schnell von Werk zu Werk gefahren werden konnte. Prag   hat sich ein neues Gaswerf errichtet, das in seinen technischen und seinen Wohlfahrtseinrich­tungen als vorbildlich in jeder Beziehung angesprochen werden darf. Ein neuer großer Straßenbahnhof mit anschließenden Woh­nungen für Bedienstete wurde gezeigt. Eine Reihe anderer Be­triebe folgte. Abends sprach in einer kleinen Zusammenkunft für die tschechische Sozialdemokratie Langer und als Vertreter der deutschen Sozialdemokratischen Partei Pe131, zweiter Bürger: meister in Aussig  . Da gab es wieder viel Neues. Die Notizen auf dem Block der wissensdurstigen Berliner   schwollen merklich an.

Draußen, weit vor der Stadt Prag  , liegt eine große Heil­und Pflegean st alt, die eingehend besichtigt wurde. Nachdem einige historische Bauten und der Hradschin gezeigt wurden, besuchten die Delegierten im Haus der Sozialdemokratie die Parteibuchhand lung. Am nächsten Tage besichtigte die Delegation die zwischen

schaffen. In der Budapester Gemeindeverwaltung haben sie sich bereits wieder weitestgehenden Einfluß zu verschaffen gewußt. Auf den Gebieten des Wohnungsbaues, der sozialen Hygiene, der Fürsorge und der Wohlfahrt sind sie führend. Ein wundervoller Geist und

Schloß Chovustovice, in dem jetzt ein Heim für tuberkulose Kinder eingerichtet ist. prachtvolle Siegeszuversicht beseelt alle. Mit Stolz werden uns gut eingerichtete, zum Teil mustergültige kommunale Werke und andere Einrichtungen gezeigt. Die Budapester Wasserversorgung ist groß angelegt. Ein leistungsfähiges Gaswerf mit neuesten technischen Einrichtungen findet fachmännische Bewunderung.

Start gefestigt und gut ausgebaut ist die Gewertschafts­bewegung. Fast jede Organisation verfügt über ein eigenes Ge­schäftshaus. Mit einer guten Meinung über die neu gefräftigte ungarische Arbeiterbewegung verlassen die Delegierten die ungarische Hauptstadt.

Nach überaus herzlichem Abschied geht es nach Wien  . Hier find Partei und Gewerkschaften frei in jeder Beziehung. Das von der österreichischen Sozialdemokratie in diesen Notzeiten erschaffene Neue Bien" muß auch den Abgeſtumpftesten begeistern. Die sozia­listische Stadtverwaltung greift auf Grund ihrer Macht überall scharf durch. Sie läßt es sich nicht nehmen, trotz des nur allzu großen Andranges der Besucher jede Besuchergruppe offiziell zu begrüßen. Der Eindruck ist ganz allgemein:

Hier wird eine großartige Aufbauarbeit geleistet. Wenn von den Berliner   Delegierten auch nicht alles fritillos hin­genommen wird( die freigewertschaftliche Bewegung ist bei rund Millionen Einwohnern in 55 Verbände zersplittert), so wird doch den österreichischen Genossen die allergrößte Anerkennung für ihr

явс

Spalausgabe des Vorwärts

Werf nicht versagt. Ob man beim Reimannshof am Margareten­gürtel( Gemeindewohnungsbau) beginnt, oder die Wiener   Bäder ( Amalien- und Kongreßbad, Kinderbäder) besichtigt, ob man die schon berühmt gewordene Kinderaustauschstelle oder die Kinderheilstätte ,, Baumgärtnerhöhe" sieht ob man mit dem Direktor des Heimes für erziehungsbedürftige Kinder der Stadt Wien   durch die pracht­vollen Räume des Schlosses Wilhelminenberg" geht, oder eine zum Altersheim umgewandelte riesengroße Kaserne besichtigt, allüberall staunt man über die Erfolge dieser zielbewußten einheitlichen kommu­nalen Arbeiterpolitik. Der Besuch Wiens ist die Krönung der Studienfahrt.

"

Was sonst noch in fleineren städtischen Betrieben der besuchten drei Länder gesehen wird, vervollständigt das Bild:

Die Arbeiterbewegung ist ein mächtiger internatio. naler Faktor, der überall wirkt und schafft. Riesenkräfte werden lebendig gemacht. Neben dieser erfreulichen Feststellung drängt sich aber auch sofort die große Schwierigkeit der mitteleuropäischen Zerrissenheit auf. Alle Teilnehmer der Studienreise fühlten deutlich das Unglück der nationalen Gegenfäße( der Harmworth- Rothermeer­Rummel in Ungarn  , die Zerrissenheit der sozialdemokratischen Be wegung in vier nationale Gruppen in der Tschechoslowakei  ), das sich nach dem Baltan zu immer stärker entfaltet, und wie ein Gespenst den europäischen   Frieden bedroht. Die große Bedeutung des Inter­nationalen Arbeitsamtes, das sich in immer stärkerem Maße für die Bereinheitlichung der sozialpolitischen Gesetzgebung einseßt, ist den Teilnehmern der Reise durch die Verschiedenartigkeit der sozialen Gesetzgebung auf dem Kleinen geographischen Raum der drei be­suchten Länder start ins Bewußtsein getreten.

Auf der Fahrt von Hallein  , wo noch ein Salzbergwert besichtigt wurde, über Salzburg   nach München   und von der baye­

Brigittenhospital, Entbindungsheim in Wien  .

rischen Hauptstadt nach Berlin   gab es genug Zeit, von all dem Geschauten und Erlebten zu plaudern. Alle Teilnehmer der Fahrt waren angefüllt von den unzähligen neuen Eindrücken, über die in den Kreisen der Kollegen und Genoffen zusberichten die nächste Auf­gabe aller Mitglieder der ersten Gemeinde- und Staatsarbeiter­Auslandsstudiendelegation sein wird. Oskar Kurpat.

Die Delegation.

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Brag und Brünn   gelegene Landes Kinderheilanstalt Rošumbert. 700 tuberkulöse Kinder sind dort auf Monate bis Jahre untergebracht. Das einer fleinen Stadt gleichende Heim ist neuzeitlich eingerichtet und fand allseitige Bewunderung. Um seinen Ausbau hat sich der Genosse Ksandr besonders verdient gemacht. Im Berein mit dem Chefarzt, dem Verwalter und Mitgliedern des Be­triebsausschusses wurden viele Stunden in der Anstalt verbracht. Bevor die in der Anstalt genesenden Kinder ihre Heimatsorte wieder aufsuchen, machen sie eine turze Refonvaleszentenzeit in dem nahe­gelegenen Kinderheim Schloß Chronstovice durch. Auch dieser einstige Herrschaftssiz wurde von der Delegation besichtigt. Borher jedoch zeigten die in Košumberk beschäftigten Kollegen mit viel Stolz ihr neu eingerichtetes und gut ausgestattetes Bolts­und Gewerkschaftshaus. Schon auf der Fahrt von Brag nach Košumbert fiel allgemein die überaus starfe Bautätigkeit in den rechts und links der Bahn gelegenen Städten und Dörfern auf. Das gleiche zeigte sich auch auf der Fahrt nach Brünn  .

Herzlicher Empfang wurde der Delegation auch in Brünn  bereitet. Wieder ging es von Werk zu Werf und wieder nahmen die Fragen kein Ende. Eines blieb für alle Delegierten gleich start eindrucksvoll. In der etwa 150 000 Einwohner zählenden Stadt Brünn   war man gerade bei der Fertigstellung einer Ausstellung, die unter dem Titel Kultur und Technit" wenige Tage später eröffnet werden sollte. Hervorragendes wurde dort aufgebaut. Riesige Hallen im modernsten Stil waren errichtet und was sonst von der Delegation schort fertig vorgefunden wurde, fand allseitig große Beachtung und Bewunderung.

Budapest   war das nächste Ziel. Während sich in der Tschecho­flowakei die Arbeiterbewegung frei entfaltet( leider ist die Gewerk­jchaftsbewegung in eine sozialistische und kommunistische gespalten), beklagen die ungarischen Kollegen und Genossen eine starke Unter­drückung. Ihr Partei und Gewerkschaftsleben steht unter ein­schränkenden Zwangsgesetzen. Dennoch oder gerade deshalb herricht der allerbeste Geist unter den Genossen, die die Delegation schon am Bahnhof herzlich empfangen. Sehr bald ist das herzlichste Einver nehmen hergestellt. Größere Sprachschwierigkeiten gibt es in Ungarn  nicht. Der Gewerkschaftsrat begrüßte die Delegierten durch seinen Borsigenden. Die Kommunalarbeiterfektion des Metallarbeiterver bandes bereitete den Delegierten einen schönen Abend. Sehr, sehr bald mußten alle Berliner   Delegierten ihre Meinung von der ungarischen Arbeiterbewegung forrigieren. Es wird auch hier fleißig and zäh gearbeitet aller Unterdrückung zum Troß. Heldenhaft mutet es an, was die ungarischen Genossen unter so schweren Umständen

WAS DER TAG BRINGT.

Das Kaninchen als Hypnotiseur.

In der Deutschen Tageszeitung" schreibt Wilhelm Ackermann  :

,, Das hat die Mittelparteien nicht gehindert, gleichwohl wie fasziniert auf ihr altes Ziel zu starren, obwohl alle Erfahrungen dagegen sprechen, daß jemals das Kaninchen durch seinen Blick die Schlange hypnotisieren wird. Seit Wochen gehen nun die Bemühungen, diese Große Rcalition zustandezubringen, peil fie angeblich die einzig mögliche Lösung darstelle. Mert würdig, daß dann eben diese Lösung so schwer zu finden ist.

Der volksparteiliche Teil des Kaninchens hat inzwischen bereits darauf verzichtet, den Verfuch fortzusehen, die sozialdemokratische Schlange für die sofortige Regierungsumbildung auch in Preußen zu hypnotisieren."

Woraus hervorgeht, daß das mittelparteiliche Raninchen nicht nur eine problematische Natur, sondern auch eine fomplizierte Er­scheinung ist. Mit welchem Teil pflegt so ein Raninchen überhaupt 34 hypnotifieren? Ueber solche Versuche fann die sozialdemokratische Shlange ja doch nur lachen.

zu

Drei Nullen zuviel.

Unsere Mitteilung vom Montag, daß in New York   alle Jahre 50 Millionen Milchflaschen verschwinden, hat uns eine Anzahl Zu­schriften eingebracht. Es stellte sich nämlich heraus, daß bei der Berechnung des Wertes der Vermißten" drei Nullen zu viel. Doch hören wir, was uns darüber ein alter, trotzdem aber entrüsteter Leser schreibt: Die verdammten Zahlen! Du erzählst, daß in New York   jährlich 50 Millionen Milchflaschen verschwinden, die den Molkereien( à Stück 5 Cent) angeblich 250 Millionen Dollar koſten. Schäme dich, jo amerikanisch aufzuschneiden! Es sind nur 250 000 und nicht 250 000 000 Dollar! Immerhin: wenn wir Beide auch nur die 250 000 hätten, wäre uns geholfen. Aber trotzdem sollst du nicht so lästerlich aufschneiden." Was hiermit feierlich versprochen lei. Und wir wollen dieses Versprechen halten... bis zum nächsten Schreib oder Druckfehler.

Theorie und Praxis in der ,, Ernährung".

Wer so durch die Ernährungsausstellung wandert, fann allerlei lernen. Große Modelle und farbige Tafeln bemühen sich, dem Be sucher zu veranschaulichen, wie gefährlich zum Beispiel die Fliegen für die auf dem Tisch stehenden, so appetitlich zubereiteten Speisen werden können. Ebenso anschaulich wird gezeigt, wie durch Niesen, Husten und Anfassen die besten und gesündesten Speisen verdorben werden. An den verschiedensten Stellen wird dann praktisch vor­geführt, wie die Nahrungsmittel( z. B. Brot, Kets, Zuder usw.) maschinell hergestellt werden. Bis zum Einpaden in Kartons und

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Papierbeutel wird die menschliche Hand ferngehalten. Das alles ist so einleuchtend und wird so eindringlich eingehämmert, daß der Besucher und das soll ja der Zweck sein daraus lernt und von nun an seine Speisen schützt oder nur geschüßte Speisen genießt.

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Und so nahm auch ich mir vor, noch peinlicher darauf zu achten und bestellte im Ausstellungsrestaurant eine Suppe. Vom Neben­tisch reichte mir der Kellner einen Teller mit mehreren Brötchen. Mir verging der Appetit. Im Geiste sah ich die Plakate wieder, die vielen Hände, die schon festgestellt hatten, ob auch alle Brötchen frisch sind, die vielen hustenden Menschen, die hier bereits gesessen hatten. Das Gesumme einer Fliege schreckte mich auf und ließ mich in einen der Kaffeegärten flüchten. Dh weh! Hier standen die Zuderschalen alle geöffnet auf den niedrigen Tischen. Ich floh weiter und suchte, und suchte die Praris. Endlich entdeckte ich sie an der einzigen Stelle. Es war der Ausschank eines Kaffee­geschäfts. Nur hier bekam ich Zucker in fleinen Papiertüten und Gebäck in durchfichtigen Beuteln.

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Wie soll die Praxis den Weg ins Leben finden, wenn sie W. W. schon in der Ausstellung nicht zu ihrem Rechte kommt? Unsere künftigen ,, Führer". Corps Suevia- Straßburg zu Münster   i. W.

Uhr

9-10

Münster i. W., Sommer- Semester 1928 Anneite von Droste- Hülshoff- Allee 26. Wochenplan.

Montag Dienstag Mittwoch Donnerst. Freitag Samstag Sonntag

offizielles Mittagessen auf dem Corpshause Fauftballspiel im Garten des Corpshauses oder Schießen O. R. C. Fech: std. O. R. C. Fechtstd.

Paukbod Pautbod. Panfbod. Baukbod. Bautbod. Paukbod 10% 10-11 O. S. C. Schwimm

113 h

11/4 2-3

Bimmel m. anfchl. Frühsch i. Raiserhof

3-4 Fechtstd.

ab 3

Uhr frei

Säbel­fechtstunde

Säbel­fechtſtunde

ab 4 812

Ausflug

off.Wochen fneipe

9 h S.C.Abend

O. C. C. akadem. Bierabend Leibesüb. i. b. Stadt

Bet und arbeit!

In einer niederbayerischen Nonnenabtei werden die Böglinge der Oberklasse zur Ablegung einer Prüfung entlassen In legter Stunde wird bekannt, daß diese nicht an der Regierung in R., sondern in M., wo sie bedeutend strenger sein soll, stattfindet. Da bittet ein 3ögling die Mathematikschwester, doch vorher eine noch nicht geübte Rechnungsart furz zu erflären. Darauf die Antwort: Dazu ist jetzt nicht mehr Zeit, liebe Kinder, hier kann nur noch das Beten helfen."