Die Sezession Hot zum zweitenmal ihre neuen besseren, aber nicht vollkommenen Räume an der Tiergartenstraß: geöffnet; für eine Ausstellung von Aquarellen und Zeichnungen. Bei allem Mitgefühl mit der mißlichen Loge der aus unnachahmlich gutem Quartier auequartierten Künstlergemeinschaft darf man sich nicht verhehlen, daß auch dieser, der dritte Zufluchtsort, nicht idnil ist. Am hellsten Mittsommertag« tritt die Nötigung, in den meisten Räumen elektrisches Licht zu brennen, als peinliche Zwiespältigkeit der Wandbelichtung allzu grell und für empfindliche Augen beleidi- gend hervor. Wann wird die Stadt B:rlin(oder der Staat) endlich für ein würdiges und gut beleuchtetes Ausstellungslokol sorgen? Di« Ausstellung ist gut; mit gut oerteilten Akzenten,«levogt hat sich in einem geistreichen Essay(in»Kunst und Künstler) darüber beschwert, daß man den Deutschen immer wieder di: stärkere Eignung für Zeichnung(als für Malerei) bescheinige. Es hilft nichts: jede derartig« Ausstellung beweist die angefochten« These; beweist zugleich, daß kein anderes Volk an die qualitative höh: unserer Zeichenkunst heranreicht. Es ist unbegreiflich, daß Ausstellungen wie diese nicht binnen wenigen Tagen ausverkauft werden; leider: wenn Kunstsammeln aus Lieb« zur Sache betrieben würde und nicht aus repräsentativen, spekulativen oder sonstigen unsachlichen Gründen, das Sammeln von dergleichen Blättern(NB. m Mappen, ollensalls in Wechselrahmen für die Wände) müßt« ein populärer Sport w:rden. Ein Liebhaber, wie es ihn eben nicht zu geben scheint, würde von Saal zu Saal gehen und sorglos und ohne Systematik vot allem sich ein paar der wahrhaft erquickenden und bezauberridc:, Erotika von Schaff hernehmen und neben Bleistiftskizzen von Meid au» Italien heimtragen; er würde von dem schweren Kali- der bildmäßiger Aquarelle gleichmäßig die gewaltigen Blätter von Schmidt. Rottluff und Rudolf Iacobi bevorzugen, dann aber das Best« der phänomenalen„Sachlichkeiten" von S) ü b buh sich zu sichern suchen. Aktzeichnungen von Iaeckel würde er neben den hellen und zarten Landschastsaquarellen von Batö, Seckendorf und Robert Scholß an sich bringen. In einem
Raum modernsten Gepräges gehörten die klaren, sicher skandierten Gestalten Willy Baumeisters, ebenso wie die herrlich ge- bauten Zeichnungen Hof ers, die konstrukti»en Farbenzeihnungen F. 3E. F u h rs, die noblen Aquarelle Schrimpss. Wer starke Farben und phantastevolle Umschreibungen schätzt, wird Kraus- köpf, die massig gedrungenen Blätter K l« i n s ch in i d t s, die Heiterkeit Röhrichts sammeln. Die pikante Geistigkeit des zar- ten Porträtstrihes von Großmann steht gegen den laxen Humo? Walter Triers, die ernst-zärtliche Plastizität der Zeichnungen Emmy Röders gegen die oppositionelle geistvolle Qualität der Gesellschaftssatire von George Groß , dessen Aquarelle und plastisch durchempfunden« Bleististzcichnungen mit der Sachlichkeit Schlichters und Griebels ausgezeichnet harmonieren. Da- zwischen die fast männliche Krast in den leuchtenden Aquarellen Charlotte Behrends—, warum soll übrigens Vollkommen- heit, die farbige Sinnlichkeit dieser ausgezeichneten Künstlerin so spezifisch männlich sein? Auch Emmy Röder und Emmy Klinker sind vollkommen und beweisen, daß Äünftlertum jenseits der Grenzen der Geschlechter steht. Daß auch traditionslose Jugend ohne Akademieschulung sich von innen heraus vervollkomm- nen kann, zeigen R. v. R i p p e r, dessen Ausstieg man mit Ver- gnügen konstatiert, der sachte vom Urbild Hofers sich lösend« Ray, die Dresdener Kretzschmar und Pol Cassel . Nimmt man die monumental empfundenen Köpfe H e r b i g s, die Farbenvisio- nen Otto Langes, Fritsch, der im Aquarell stets bedeutender wirkt, den empfindsamen Kerschbaumer, die vortrefflichen Federzeichnungen Chr. D o l l s und, als einen Höhepunkt deutscher Zeichnung, die immer wieder willkommenen und hochgeschätzten Aktzeichnungen Georg Kolbes dazu, so ist ungefähr alles auf- gezählt, was m dieser liebenswerten Schau hervorzuheben ist. Es ist beinahe alles, was die Wände bedeckt. Ja, und das ist zu wiederholen: Wenn es mit rechten Dingen zuginge, müßten graphische Kabinette und Privatsammler nur einen unansehnlichen Rest der ganzen, dreihundert Nummern umfassenden Herrlichkeit zurücklassen. Dr. Paul F. Schmidt.
„Die neugierigen Frauen." Städtische Oper. v Di« Enttäuschung, die das Versagen der neuen Musik der deutschen Opernbühne bereitet, hat sich zu einer ständigen Repeno,re- krisi« oersteift. Man bleibt aus zeitgemäße Umgestaltung des Opernspielplans eingestellt, aber jede Novität, die uns beschert wird, zeugt von der inneren Verlegenheit, aus der ihre Wahl erfolgt ist. Wir leben im Zeitalter der..Renaissancen". Die Wohl des Jahr- Hunderts steht frei. Verdi-Renaisiance, Händel-Renaiisance; nun ist, kollektiv, die Generation um 1000 an der Reihe: Renaissance der Jahrhundertwende. Eines nach dem anderen tauchen die Werke wieder auf, die vor zwanzig, dreißig Iahren diskutiert, vor zehn Jahren stillschweigend zum olten Eisen geworfen worden sind. Genau 25 Jahre nach der Münchener Uraufführung kommen nun also Wolf-Ferraris„Neugierige Frauen" wieder zum Vorschein; erst in München , nun auch in Berlin . Den Erfolg, der nicht ausbleibt, bedingt wie damals der Reiz der venezianischen Ko- mödi«, die zugrunde liegt, und der graziöse Konoerfationston, in dem der Komponist die Handlung, ein locker gefügtes Nichts von Lustspiel- Handlung— geschickt aus drei Akte verteilt— rorübereilen läßt. Dieser Ton— Ton ohne Inhalt— ist seine persönliche Note. Sonst hat er keine. Zu gleichen Teilen noch Italien und noch Deutschland ressortterend. «ine geborene Halb- und Halbnatur. Er pendelt elostisch-kompremiißlerisch. Auch sein Stil pendelt; zwischen guien Vorbildern übrigens: Figaro, Folstass, Meistersinger; es kann nichts passieren. Nur die billige Süßigkeit der lyrischen Partien ist nicht ganz leicht zu ertragen.... Die Städtische Oper bringt dos Werkchen ,n einer sauberen A,;s- sührung. Unter D enzlers musitalischer Leitung und durchaus mit eigenen Gesangskräften diesmal, deren achtbaren Durchschnitt der blühende, mädchenhast-innig« Sopran von Marguerit« Perras weit überragt. Aber di« Inszenierung hat als Gast Karl H o l y besorgt. Es wundert uns nicht mehr; wir wissen, daß dies Theater keinen Regisseur hat. Keinen? Wie man. mit Rundsunkhilse, in Potsdam ein Orchester dirigiert, das in Berlin spielt, sollen wir heute abend erfahren, wie man von Südamerika au» dos Spiel leitet, das sich auf der Berliner Städtischen Opernbühn« begibt, lehrt uns deren Theaterzettel, auf dem, fünfmal in der Woche, zu lesen ist: Spielleitung Georg Pauly. Mit welchem Recht übrigens legt der sich össcntlich den Titel„Intendant-Stellvertreter" bei? Soviel wir wissen, ist e» Dr. Kurt Singer, der den Intendanten Tiedjen vertritt; auch in allen künstlerischen Dingen. Eine Verdunklung dieses Tat- bestandes scheint uns durchaus unerwünscht. Kflau» Pringsheim .
Erich Mühsams„Judas ". Theater am Nollendorffplah. Der Streik der Rüstungsarbeiter In den letzten Januartage.r 1918 bildet den Stoff. Parteileitung und Gerverkschaften habc.i den Streik abgesagt, ein paar Hitzköpfe veranstalten trotzdem eine Demonstratio i, in deren Verlauf auf die Arbeiter geschossen wird. Mühsam häuft sie Sympathien aus die Radikalen, die Abwarten- den erscheinen als lächerliche Figuren. Don welcher Art sind nu.i aber die 5>eroischen, die von der Idee Besessenen? Im Mittelpunkt de» Geschehens steht Rafael Schenk, der Setzer, eine fanatische Kämpferfigur, ober ein Mensch mit einem Bruch. mit unklarem Willen und von einer rührender Weltunkenntnis.
Qdyent bleibt Kind und Romantiker. Vor der Demonstration soll der berühmte pazifistische Professor Seebald zu den Streikenden sprechen. Seebald weigert sich aber, weil:r weiß, daß Blut fließen wird, daß die Demonstration zwecklos ist. Und nun kommt das Romant'sche. Schenk verrät Seebald an die Polizei. Er fordert sein« Verhaftung, um dadurch die Massen aufzureizen. Dies ge- schieht auch. Militär schießt aus die Arbeiter, die Demonstration wird im Blut erstickt. Viel« Opfer, um einer Pose willen. Der Zuschauer betrachtet diese Menschen aus anderer Perfpek- tive als der Dichter. Das Stück erscheint uns heute als die Tragödie des politischen Don Quichottes, d:s Fanatikers, der nur Fanatiker ist, ohne Sinn für Realitäten, und der politischer Held werden möchte, um seiner Liebe zu einer revolutionären Studentin Folie zu geben. Dies ist der Kern des Dramas, den Mühsam, vielleicht ohne es zu wollen, klar herouszearbeitet hat. Trotz der Sprach«, die manchmal in den Stil von Leitartikeln und politischer Manifeste verfällt, ist das Drama stark bühnenwirksam, mit dem Instinkt für Theatcrwirkungen geschaffen. In der Menschengestalwng geht Müh. sam weit über die übliche Schablone hinaus. »Juda»" wurde bereits vor einiger Zeit als Matinee auf der Piscator-Bühne gespiklt. Jetzt Hot es die Notgemeinschaft der Ptscator-Schauspteler in teilweis« neuer Besetzung in den Abend- spielplan aufgenommen. Ernst Busch spielt den Schenk, ekstatisch lodernd, mit eruptiven Bewegungen und mit der Stirn des Fana- tikers. Neu ist Erwin Kaiser als Seebald, ein großer, üb:r- legener und gütiger Mensch. Leopold Lindtbergs Regie legt den Hauptakzent darauf, auch den unbedeutenden Rollen indivi- duelle Ausprägung zu geben..F. S. „Fräulein Chauffeur." Atrium Reba-Palast. Ein harmloses Lustspiel, das inhaltlich genau so verläuft, wie man es vom ersten Augenblick an vermutet. Eine reiche Bankiers- tochter verliert alle» und da ihr einziges Können darin besteht, ein Automobil zu steuern, wird sie Chauffeur. Und zum Schluß, na, da wird sie als Chauffeur wegen Wcibergefchichten entlassen und als Gattin engagiert. Iaap S p e y e r ist in seiner Regie nicht allzu munter und auch nicht allzu witzig, doch hat er in dem geschmackvollen Photographen Arpad B i r a g h und der talentierten und natürlich schelmischen Mady Christians zwei derartig vorzügliche Helfer, daß sein Film reichen Beifall findet. Mady Christians hat nicht, wie so viele ihrer Kolleginnen, nur das Bestreben, gut auszusehen, sie hat stets den ernsten Willen, etwas zu leisten. Diesmal bietet ihr die Rolle eine glänzende Gelegenheit nach der anderen, und daß sie keine unbenutzt läßt, versteht sich von selbst. Johannes R i e m a n n spielt wirklich nicht schlecht, doch macht er als Liebhaber einen merk- würdigen Eindruck, er könnte in der Maske etwas gefälliger fein. Fritz Kampers zeigt wieder seine erfrischend derbe Art mit vielen Knalleffekten. Hilde M a r o f f ist wie immer eine gute Film- erscheinung und Trude Lehmann ist der bewußte rundliche Köchinnentyp. d.
Film und Variete. Titania-Palast . Ein romantisch-kitschiger Film und ein sehr reichhaltiger, ganz -an Liliputanern bestrittener Doriet�teil. Dieser scheint die Hauptsache. 30 Liliputaner, drei weiße Zwergelesanten, 20 reizende
Ponys—, wer könnte dem widerstehen, zumal, wenn diese übrigens gut gewachsenen Miniaturmenschen in allen Künsten brillieren. Sie sind Akrobaten, Zauberkünstler, Sänger, Tänzer und Iazzmuflker. Sie machen«ine Revue der kleinen Leute, und die großen Leute sind über diese kindlich-zicrlichen Geschöpf«, die wie Revuestars auf- treten, und diese merkwürdigen Stimmen entzückt. Der Reiz des Zwergenhaften, das seit jeher anzog, hat sein« Wirkungen noch nicht ausgespielt. Die Singer's Midgets- Revue ist jeden- falls eine neue Nuance.— Der vorher servierte Film—„Der Untergang des H e s p e r u s"— lebt von der Romantik des Segelschiffes und den Schauern eines wild-dramatisch inszenierten, übrigens manchmal unnatürlich wirkenden Schiffsunterganges. So schön die Bilder des weihgeblähten Seglers, so auspeitschend die Naturkatastrophe, so trivial ist die übliche Liebeshandlung, die das durch Bülerhaß getrennte Paar schließlich doch zusaminenbringt. Virginia Bradford(als ein« Art See- und Bordjungfrau), Frank Morton(als hübscher Seemann ) und Sam de Grosse als finster blickender Vater und Kapitän, tun ihr Möglich:?, um diese Biedermeiern(auch im Kostüm) erträglich zu machen. r.
Oer ohnmächtige Soldat. Was nicht im Programm vorgesehen war. Eine illustrierte Zeitung brachte dieser Tage die folgende Repro- duktion einer recht ungewöhnlichen Photographie. Es ist auf ihr der König von England zu sehen, der sich in Begleitung eines Stabes hoher Militärs durch ein Spalier von Soldaten be- wegt. Natürlich stehen die Soldaten tadellos ausgerichtet— bloß einer nicht. Der liegt, in völlig unfoldatischer Haltung, ein paar Schritte vom König entfernt, querlikigs aus dem Boden. Es hat ihn eine Ohnmaäst befallen und er ist aus Reih und Glied herausgestürzt. Ein Zwischenfall, der nicht vorgesehen war und als höchst unzweckmäßig zu bezeichnen ist. Von den Soldaten trifft niemand Anstalt, dem verunglückten Gefährten beizustehen. Gewiß ist in ihnen allen, die sie in der Nähe des Ohnmächtigen stehen, der Instinkt des Zuhilsecilens wach geworden. Es wäre nicht mehr als eine Reflexbewegung der Menschlichkeit, wenn einige jetzt den hilflosen Kameraden davontrügen. Aber das geht ja doch nicht, das widerspräche den Gesetzen ihres Soldatentums, und so bleiben sie unbewegt stehen, di« Aug:n geradeaus gerichtet, formell desinter- essiert an dem ganzen Vorgang, ihn in Haltung und Gebärde ignorierend. Sie möchten wohl, aber sie können nicht.... Und nun die Herren des Stabes...! Vornan, der erst«, bückt sich eben ein wenig, aber es ist ihm anzusehen, daß er etwas Ernsthaftes nicht ausrichten wird. Die anderen Militärs, den König eingeschlossen, heften ihre Augen aus den am Boden Liegenden und
scheinen sich nicht recht im klaren darüber zu sein, ob sie Notiz von dem Vorfall nehmen sollen. Diese Herren sind„Männer von Welt" und dürften, in Anbetracht ihrer hohen und verantwortungsvollen Stellung, Meister mancher komplizierter Probleme sein: Aber jetzt, angesichts einer höchst eindeutigen Situation, liegt Ratlosigkeit und Betretenheit auf ihren Gesichtern. Ein Ohnmächtiger? Was soll das? Wo stünde das im Festprogramm? Sie könnten schon, ober sie möchten nicht..... Es war eine Truppenschau vorgesehen gewesen mit all ihren starren Zeremonien: den be- weguNgslos festgebannten Soldaten, den automatisch grüßenden hohen Herren. Nun ist ein biologischer Vorgang in dies alles hineinge- platzt und man weiß nicht, was man damit ansangen soll. Es gibt bei einer Abnahme von Kompagnieaufstellungen nur offizielle Begebenheiten. Anderes darf nicht passieren und passiert es doch, dann wird es als nicht passiert betrachtet..:.. wxil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es geht aus dem Photo nicht hervor, wie alles endet. Sicher aber dürfte es sein, daß später irgendwer von irgendwem einen entsetzlichen Anschnauzer bezieht, denn es ist selbst in dem gewiß nicht übermilitarisierten England nicht abzusehen, wie anders man sich Im Reiche der Kommandos und des Gehorsams gegen den Ein- bruch der menschlichen Dinge verwahren sollte. Plans Lauer.
_ HIIMBECIC V mßsonmvßmL : DIE POPULÄRE MANOLI �